Pro & Contra – Belegreife von Calciumsulfatestrichen

Ist der neue Grenzwert für den Restfeuchtegehalt praxisnah?


Nach der Neuauflage der Estrichnorm DIN 18560-1 gelten Calciumsulfatestriche, unabhängig ob beheizt oder unbeheizt, bereits ab einem Restfeuchtegehalt 0,5 CM-% als belegreif. Darüber hinaus ist die CM-Messung als einziges zuverlässiges Verfahren zur Bestimmung der Belegreife bestimmt. Warum haben sich die Bindemittel- und Estrichhersteller gemeinsam mit Vertretern des Estrichhandwerks für eine Lockerung des Grenzwertes eingesetzt? Und warum sehen Verbände der Nachfolgegewerke die Ausführungssicherheit in Gefahr? FussbodenTechnik fragte nach.


Ja! "0,5 CM-% hat sich seit langem bewährt."

Antje Hannig, Industrieverband Werkmörtel, und Andres Seifert, Industriegruppe Estrichstoffe

Schon einmal lag die normativ festgelegte Restfeuchte für die Belegreife bei 0,5 CM-%, bei der Verlegung von dampfdurchlässigen textilen Bodenbelägen sogar bei 1,0 CM-%. Diese Werte galten bis 1995 gemäß der damals gültigen DIN 4725-4 Warmwasser-Fußbodenheizung (1992-9). In den folgenden Jahren hat man anlässlich der Überarbeitung der Fachinformation "Schnittstellenkoordination bei Flächenheizungs- und Flächenkühlungssystemen in Neubauten" diese CM-Werte vorsichtshalber für beheizte Estriche um 10 % reduziert. Denn die Estrichnenndicke ist bei diesen Konstruktionen größer als bei unbeheizten Aufbauten. Die Werte für dampfdurchlässige und dampfbremsende textile Beläge wurden an die Anforderungen für elastische Beläge angeglichen. So galt dann in der "Schnittstellenkoordination" für beheizte Fußbodenkonstruktionen beispielsweise ein CM-Wert von 2,0 CM-% bei unbeheizten und 1,8 CM-% bei beheizten Zementestrichen als Richtwert für die Belegreife.

Wendet man die angestrebte 10-%-Minderung auf die damals noch als Anhydritestrich bezeichneten Calciumsulfatestriche an, ergeben sich 0,45 CM-% für beheizte Konstruktionen. Diese Differenz ist jedoch messtechnisch nur schwer zu erfassen. Um trotzdem eine Unterscheidung treffen zu können, wurde - abweichend vom ursprünglichen Ansatz und ohne wissenschaftliche Begründung - mit 0,3 CM-% ein wesentlich strengerer Grenzwert festgelegt.

Die Realität zeigte schnell: 0,3 CM-% lassen sich mit Calciumsulfatestrichen nur mit großem Aufwand, beispielsweise durch sehr langes Belegreifheizen oder mithilfe von Kondensationstrocknern, erreichen. Calciumsulfatestrich bekam den Ruf, schlecht auszutrocknen. Zahlreiche Labor- und Praxisversuche widerlegten diesen Vorbehalt. Die Hersteller reagierten auf die Problematik mit objektbezogenen Freigaben für beheizte Estrichkonstruktionen bereits ab 0,5 CM-%. Eine Praxis, die dauerhaft nicht der richtige Weg sein konnte. In der Folge haben sich diese Hersteller dann in der Normenarbeit für eine Anhebung von 0,3 auf
0,5 CM-% eingesetzt.

Um den Restfeuchtegehalt sicher bestimmen zu können, wurde 2012 die ausführliche Arbeitsanweisung zur CM-Messung in DIN 18560-4 aufgenommen. Sie galt zunächst nur für Estriche auf Trennschicht. Aufgrund der guten Erfahrungen in den Folgejahren erschien es dann nur logisch, die Messmethode in den Teil 1 Allgemeine Anforderungen, Prüfung und Ausführung von DIN 18560 zu überführen.

Mit dem neu eingeführten Grenzwert für die Belegreife steht die deutsche Normung keinesfalls isoliert da. In vielen europäischen Nachbarländern, darunter Belgien, Frankreich und Spanien, gelten ebenfalls 0,5 CM-% für beheizte CA-Estriche. In Frankreich sind diese Anforderungen beispielsweise in der technischen Vorschrift E-Cahiers CPT 3578 Chapes fluides à base de sulfate de calcium (Ausgabe 01/2015) des Centre Scientifique et Technique du Bâtiment geregelt. Es ist vergleichbar mit dem DIBt. Dort gilt generell bei beheizten und unbeheizten Calciumsulfatestrichen der Grenzwert von 0,5 CM-%. Für Fliesen im Innenbereich und dampfoffene textile Beläge gelten 1,0CM-%. Eine Ausnahme bilden Feuchträume. Dort gilt für keramische Beläge ebenfalls der Grenzwert von 0,5CM-%.

Diesen Regelungen folgen auch die Systemanbieter der Nachfolgegewerke. Klebstoffhersteller wie Saint-Gobain Weber, Parex Lanko, Mapei oder Bostik geben in den oben genannten Ländern ebenfalls 0,5 CM-% an. Sie verweisen auf die Angaben der Estrichhersteller, die mit ihrer Expertise die Sicherheit der Produkte garantieren.

Ein vermehrtes Auftreten von Feuchteschäden ist auszuschließen. Der Grenzwert von 0,5 CM-% hat sich für diese Systeme sowohl im europäischen Ausland als auch in Deutschland seit langem bewährt.

Nein! "Estrichnorm ist von fachlichen Regeln meilenweit entfernt."

Norbert Strehle, im ZVPF-Vorstand zuständig für Normungsfragen

DIN 18560 ist eine Estrichnorm und hat für die Durchführung von Parkett-, Bodenbelags- sowie Fliesen- und Plattenarbeiten so viel zu tun wie DIN-EN 13226 Stabparkett mit DIN 18353 Estricharbeiten - nämlich so gut wie nichts. Trotzdem sollen die Nachfolgeauftragnehmer die sich ergebenden Risiken tragen - eine groteske Auffassung.

Rechtlich gesehen ist das Deutsche Institut für Normung als eingetragener Verein eine Privatinstitution. Auch von Gerichten werden in juristischen Auseinandersetzungen Begründungen, die sich auf Baunormen beziehen, oft als private Meinung angesehen, die nur dann rechtsverbindlich sind, wenn diese zwischen den betreffenden Parteien explizit vertraglich vereinbart wurden. In allen anderen Fällen gelten die jeweils zutreffenden fachlichen Regeln. Davon ist DIN 18560 in allen ihren Teilen, da von einer (kleineren) Berufsgruppe entwickelt, meilenweit entfernt.

Vorrangig gelten die Ausführungen der fachlichen Regeln DIN 18356 Parkettarbeiten, DIN 18365 Bodenbelagarbeiten und DIN 18352 Fliesen- und Plattenarbeiten mit den jeweils zu beachtenden Kommentierungen. In diesen Fachnormen findet sich jeweils der Hinweis darauf, dass die Durchführung der betreffenden Gewerke dem Stand der Technik entsprechend unter Beachtung der Verarbeitungshinweise der Hersteller der dabei verwendeten Produkte zu erfolgen hat. Erst dann kann DIN 18560 als Ausführungsvorgabe wichtig sein. Allen Nachfolgeauftragnehmern kann nur dringend angeraten sein, zu unterschreibende Bauverträge daraufhin zu überprüfen, ob fachfremde Estrichnormen als Ausführungsvorgabe vertraglich vereinbart werden sollen.

Weder die Auftragnehmer der Estricharbeiten (mit Ausnahme bei beschleunigten oder Schnellestrichen) noch die Nachfolgeauftragnehmer schulden das Vorliegen der Belegreife zu einer bestimmten Zeit. Dabei handelt es sich ausschließlich um eine vertragliche Vorleistung der Auftraggeberseite. Den Nachfolgegewerken kommt jedoch die Verpflichtung zur Prüfung des Untergrundes und im Bedarfsfall zur Bedenkenanzeige zu. Insoweit schuldet der betreffende Auftragnehmer dem Auftraggeber seine eigene Fachkenntnis und entsprechende Sorgfalt. Es kann nicht sein, dass die Prüfung und Beurteilung des Untergrundes unter Ausschaltung der eigenen Kenntnisse und Sorgfalt durch Vorgaben einer Estrichnorm ersetzt wird, woraus sich jedoch keinerlei Haftungsrisiken ergeben (können).

Allen Auftragnehmerfirmen von Nachfolgegewerken ist dringend anzuraten, sich bei der Messung erforderliche Sorgfalt anzuwenden. Das bezieht sich sowohl auf das Messverfahren, die Örtlichkeit der Messung als auch die Probeentnahme. Es macht wenig Sinn, in einer Estrichnorm ein Messverfahren (CM-Messung) mit Ausschließlichkeitsverpflichtung festzuschreiben und dadurch andere Messverfahren wie elektronische Messungen, Luftfeuchtemessungen, ja sogar die Darrprobe als wohl genauestes Verfahren auszuschließen. Ich verweise auf die gemeinsame Stellungnahme der Verbände "Ermittlung der Belegreife von Estrichen für Bodenbelag- und Parkettarbeiten anhand der CM-Methode - Stand der Technik - Januar 2014" sowie auf das TKB-Merkblatt 16. Beide Merkblätter dokumentieren den Stand der Technik auch nach Erscheinen von DIN 18560 - 1 im November 2015.

Nachfolgeauftragnehmern wird dringend empfohlen, Forderungen der Auftraggeberseite mit Hinweisen auf DIN 18560 zu widersprechen und insoweit Bedenken vorzutragen. Es bleibt dann dem Auftraggeber überlassen, wenn er den Vorgaben der Estrichnorm vertraut und das verbleibende Risiko übernimmt. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Auftragnehmerfirma der Estricharbeiten in Verbindung mit der Zulieferindustrie, insbesondere die der Bindemittelhersteller, objektbezogen eine verbindliche Aussage zum Wert der Belegreife macht. Diese kann sich die Auftraggeberseite zu eigen machen und die Verlegung bei höheren Werten gegen gleichzeitige Haftungsbefreiung der Nachfolgeauftragnehmer anordnen.
aus FussbodenTechnik 02/16 (Estrich)