Eine kleine Orient-Warenkunde

Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?


Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?"mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Here are the detailed answers to the questions in our last issue.

Rya - Skandinavischer Langflorteppich

Im Zuge der skandinavischen Einrichtungsmode der 1960er- und 1970er-Jahre wurde der Rya populär. Gerade erlebt der skandinavische Langflorteppich (Rya: Schwedisch, ursprünglich für "Rauhes" oder "Zottiges", Mehrzahl = Ryen) ein Revival: Auf Antikauktionen erzielen trendige Originalstücke erstaunliche Ergebnisse.

In Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland existiert seit dem 9. Jahrhundert eine lebendige Textiltradition. Man sagt, dass die Wikinger von ihren Handelsreisen bis ins frühmittelalterliche Byzanz verschiedene Techniken zur Textilherstellung mit nach Hause gebracht hätten. So soll die Kunst des Teppichknüpfens mit symmetrischem Knoten aus dem Osmanischen Reich in den Norden gelangt sein. Eine spezielle Schafrasse, die ursprünglich die gewellte und glänzende langstapelige Wolle lieferte, wird bis heute gezüchtet.

Aus Norwegen sind die ältesten Ryen erhalten: Im 15. Jahrhundert dienten sie den Seeleuten als weiche Sitzpolster und Decken - ein willkommener Ersatz für Tierfelle, die in der Feuchtigkeit steif wurden. Als Bettdecken waren sie zeitweise ein Privileg des Adels. Im späten 17. Jahrhundert gehörten kurzflorigere und dichter geknüpfte Ryen als Prestigestücke zur Aussteuer bürgerlicher Mädchen. Farbenfroher und mit aufwendigeren Mustern wurden sie stets dem Zeitgeschmack angepasst. Im 20. Jahrhundert fertigte man größere Stückzahlen in Werkstätten, und gleichzeitig wurde im privaten Bereich der Knüpfstuhl überflüssig: Mit Stramin als Grundgewebe entwickelte sich das Rya-Knüpfen selbst in den USA zum beliebten Hobby.

Doppelnische - Musterkonzept bei antiken Anatoliern

Die Bezeichnung von bestimmten anatolischen Teppichen mit großem medaillonförmigem Innenfeld als Doppelnischen-Teppiche und nicht als Medaillon-Teppich, ist relativ neu. Die Durchsetzung dieses Begriffs wird vor allem von Stefano Ionescu vorangetrieben, der die Musterkonzepte der Siebenbürger Teppiche eingehend untersucht hat (www.transylvanianrugs.com). Dies sind anatolische Teppiche im Brückenformat aus der Zeit der osmanischen Herrschaft vom ausgehenden 16. bis zum 18. Jahrhunderts. Als Stiftungen haben sie sich in den sächsisch-lutherischen Kirchen Siebenbürgens erhalten. Ionescu erklärt, dass sich das Musterkonzept der Doppelnische aus dem Konzept des einfachen Nischenteppichs (sogenannter Gebetsteppich) entwickelt habe. Der Grund für das Aufkommen des Doppelnischenformats liege vermutlich in einer Fatwa, die 1610 unter der Herrschaft von Sultan AhmedI den Verkauf von Teppichen mit muslimischen Symbolen und Inschriften an Ungläubige verbot. So wurde das Doppelnischenformat (das bereits unter anderem bei Ushaks mit kleinem Medaillon) zur praktikablen Möglichkeit, das Edikt zu umgehen. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts wurden wieder große Stückzahlen von einfachen Siebenbürger Nischen-Teppichen exportiert, wahrscheinlich deshalb, weil das Verbot nicht länger eingehalten werden musste. Die sich gegenüberstehenden "Vasen"-Motive in den Mihrabs deutet Ionescu als Varianten der in "Gebetsteppichen" üblichen Moscheenlampen. Die Nische wurde gespiegelt und das Feldmuster angepasst. Diese Hypothese scheint durch einige wenige Siebenbürger Teppiche gestützt zu werden, die das Doppelnischenformat mit nur einer Lampe aufweisen.


Mahal - Persische Teppichprovenienz

Mahal ist eine westpersische Teppichprovenienz, benannt nach der Stadt Mahallat mit ihrer gleichnamigen Provinz, die zum Sarough-Arak-Knüpfgebiet gehört. Die Region um die Stadt Arak (früher Sultanabad) entwickelte sich ab den 1870er-Jahren zu einem Hauptknüpfzentrum für persische Exportteppiche. Einen wesentlichen Anteil daran hatte die schweizerisch-britische Firma Ziegler & Co., die 1883 auch eine Außenstelle in Mahallat eröffnete. Die sogenannten Ziegler-Mahal wurden in den umliegenden Dörfern nach festen Mustervorgaben geknüpft. Zusätzlich wurde in der Region auch für andere Hersteller produziert, einhergehend mit einer größeren Freiheit in der Ausführung. Die Mischung aus westlichen Designvorgaben in hellerem, ruhigem Kolorit und klassischen Mustern im Stil der Ferahan-Teppiche brachte einen sehr erfolgreichen Teppichtypus mit einer großen gestalterischen Bandbreite hervor. Typisch sind das Herati-Muster, aber auch florale und Allover-Muster, vierersymmetrischer Musteraufbau und große Mittelmedaillons auf unifarbenem Fond.

Generell werden die feineren Qualitäten als Sarough-Mahal bezeichnet, die gröberen als Muschkabad. Die Knüpfdichte beträgt bei antiken Stücken 100.000 bis circa 150.000 Kn./m2. Neuere Teppiche können eine Knüpfdichte von bis zu 250.000 Kn./m2 (fein) aufweisen. Das Grundgewebe besteht aus Baumwolle mit zwei Schüssen (manchmal in Blau), der Flor aus Wolle, die Knüpfung ist geschichtet mit asymmetrischem Knoten. Durch die ursprünglich niedrigere Knotendichte, deswegen mit gröberer Mustergestaltung und günstigerer Wollqualität, entstand ein gutes Produkt mit verbraucherfreundlichem Preis-Leistungsverhältnis.


Jacquard - Mustersteuerungssystem für Webteppiche

Jacquardmaschinen benötigt man bei der Herstellung gemusterter maschinengewebter Teppiche und anderer Gewebe. Mit ihrer Hilfe wird gesteuert, welcher Kettfaden den späteren Pol bildet und welcher Kettfaden im unsichtbaren Grundgewebe des Teppichs verschwindet. Stark vereinfacht kann man sagen, dass alle Kettfäden durch kleine Ösen geführt werden. Soll im Teppich eine bestimmte Farbe erscheinen, hebt die Jacquardmaschine den Kettfaden mit der entsprechenden Farbe an, die Kettfäden mit den nicht gewünschten Farben werden wiederum abgesenkt. Moderne Anlagen können heute mit bis zu 10 Farben arbeiten.

Seinen Namen hat die Jacquardmaschine von Joseph-Marie Jacquard, dem Sohn eines Webers. Dank seiner Erfindungen konnte man die Webstühle des späten 18. Jahrhunderts entscheidend weiterentwickeln. Mit Jacquards Musterwebstuhl war man in der Lage, auch komplexe Muster endlos mechanisch herstellen zu können. Jacquard nutzte Lochkarten zur Steuerung des Webstuhls. Diese wurden mit Nadeln abgetastet: Befand sich in der Karte ein Loch, wurde der Kettfaden angehoben, ohne Loch wurde die Kette abgesenkt und somit auf der Gewebevorderseite unsichtbar. Mit seiner digitalen Erfindung hatte Jacquard die Entwicklungen durch die Computerisierung vorweggenommen. Die Lochkarten waren auswechselbar und lieferten quasi das Programm für den Webstuhl. Auch wenn die Lochstreifen heute durch moderne computergestützte Steuerungen abgelöst sind, ist das Grundprinzip mit dem Senken und Heben der jeweils benötigten Kettfäden heute dasselbe wie vor über 200 Jahren.•
aus Carpet Magazin 04/16 (Teppiche)