| von Rob Leahy

Rob Leahy ist Inhaber des Fachgeschäfts Fine Rugs of Charleston in South Carolina (USA) und Präsident der US-amerikanischen Oriental Rug Retailers Association (ORRA). In einer Analyse hat er sich mit dem US-amerikanischen Teppichmarkt auseinandergesetzt und der Bedeutung des Internet dabei besonderen Raum gegeben.

Wer schon viele Jahre lang im Teppichgeschäft tätig ist, staunte nicht schlecht darüber, wie schnell sich der Markt in Richtung Internet entwickelt hat. Auf einmal haben die meisten Leute ihre Teppiche nicht mehr beim Händler vor Ort gekauft. Als ich mit meinen Vorbereitungen für diesen Artikel angefangen und dafür mit mehreren Teppichhändlern gesprochen habe, sah deren Einschätzung folgendermaßen aus: Mindestens 40 % des Umsatzes würden inzwischen online abgewickelt, und quantitativ würden sogar deutlich über die Hälfte aller Teppiche auf diesem Weg verkauft. Daraufhin habe ich Inhaber und Verkaufsleiter verschiedener Teppich-Importunternehmen angesprochen und festgestellt, dass diese Gruppe keine rechte Vorstellung davon hatte, wie der Online-Verkauf sich zum Ladenverkauf verhält. Irgendwie hatte sich jeder in seinem eigenen Schützenloch vergraben; keiner hatte eine Vorstellung davon, was da draußen auf dem Schlachtfeld passierte. Aus diesen frühen Gesprächen ist schließlich dieses Projekt entstanden. Inzwischen habe ich mich ausführlich mit über 30 führenden Branchenpersönlichkeiten unterhalten und ihnen die gleiche Frage gestellt. Dadurch habe ich ein gutes Gefühl dafür bekommen, wie groß der US-amerikanische Teppichmarkt ist und wie es zurzeit um ihn bestellt ist. Dabei handelt es sich keinesfalls um eine wissenschaftliche Erhebung, sondern eher um gesammelte Beobachtungen meinerseits. Die Daten, die in den folgenden Übersichten erfasst und veranschaulicht wurden, sind allen Lesern zugänglich, und ich bin für alle Kommentare und Diskussionen sehr offen.

Nachdem ich die Gespräche zusammengefasst hatte, habe ich auf dem Markt nach weiteren Informationen gesucht, um die von mir gezogenen Rückschlüsse zu verifizieren. Die Importzahlen für die USA helfen dabei nicht viel weiter: Wenn es sich nicht gerade um handgeknüpfte Exemplare handelt, sind die Zolltarifnummern für Teppiche so weit definiert, dass nicht klar daraus hervorgeht, um was für einen Teppich es sich handelt. Bestimmt haben große Konzerne wie Shaw, Mohawk und Milliken bereits Marktanalysen durchgeführt und archiviert. Aus meinen Gesprächen mit den jeweiligen Geschäftsführern geht jedoch hervor, dass diese wiederum einen Großteil ihrer Informationen aus Kundengesprächen und den Äußerungen des Managements ziehen.

Wie groß ist der US-amerikanische Markt für abgepasste Teppiche eigentlich? Und welcher Anteil läuft über das Internet? Diese Fragen lassen sich durchaus beantworten, allerdings muss man sich zunächst darauf festlegen, was mit dem "Markt für abgepasste Teppiche" überhaupt gemeint ist. Für diesen Artikel definiere ich "abgepasste Teppiche" als Teppiche, die zu dekorativen Zwecken eingesetzt werden, ob im Wohnbereich oder im Objekt. Badezimmerteppiche oder Sammlerstücke gehören für mich nicht dazu. Dafür aber Teppichboden, der zur Herstellung abgepasster Teppiche erworben und anschließend umkettelt oder anders eingefasst wird, aber keine Teppichbodenreste. Bei meiner Definition geht es also um die Frage, was der Kunde mit der gekauften Ware bezweckt: ob es dabei um das rein Dekorative geht oder ob die Teppiche als Gebrauchsgegenstände eingesetzt werden sollen.

Die 13 Handelsschienen auf dem US-Teppichmarkt

Nach meinen Ermittlungen beläuft sich der Verkaufswert abgepasster Teppiche auf dem US-amerikanischen Markt 2016 auf rund 2,71 Mrd. USD. Auf diese Zahl bin ich gekommen, indem ich den Gesamtmarkt in Handelsformen unterteilt und geschätzt habe, wie viel jede davon ausmacht. Während meiner Gespräche mit zahlreichen Branchenpersönlichkeiten habe ich Informationen über die verschiedenen Handelsformen und die wichtigsten Einkäufer gesammelt. Die prozentualen Anteile des Online-Geschäfts gehen sowohl aus diesen Gesprächen als auch aus meinen weiteren Nachforschungen hervor.

Teppichgroßanbieter, stationär: Bei dieser Verkaufsschiene handelt es sich um gut sichtbar platzierte große Ladengeschäfte in Haupteinkaufszonen, für die der Teppich einen wichtigen, wenn nicht den wichtigsten Stellenwert im Sortiment einnimmt. Zu diesen Anbietern zählen Restoration Hardware, ABC Carpet and Home, Home Goods, Pottery Barn (Muttergesellschaft Williams Sonoma) und Stark Carpet. Einige der Händler tätigen auch einen großen Teil ihres Umsatzes online: Bei Williams Sonoma etwa sind es eigenen Angaben zufolge rund die Hälfte. Allerdings können wir davon ausgehen, dass Geschirr und Saucen dabei eine weitaus größere Rolle spielen als Teppiche. Restoration Hardware wiederum äußert sich nicht zum Thema Online-Verkäufe; Informationen darüber werden streng geheim gehalten. Branchenspekulationen zufolge dürfte ihr Umsatzanteil aber bei rund 15 % liegen.

Allgemeine Online-Anbieter: Hierbei handelt es sich um Online-Anbieter, die ein großes Spektrum an Haushaltsprodukten führen und dabei eine Handelsbeziehung mit den Kunden eingehen. Die großen Drei der USA heißen Wayfair, Amazon und Overstock.com. Alle drei Unternehmen verfolgen immer stärker das Ziel, dem Endverbraucher ein Einkaufserlebnis zu bieten, das ähnlich schnell zum Erfolg führt wie ein Besuch im Laden um die Ecke. Auch die Online-Schienen der Warenhäuser Macy’s und Bloomingdales sowie des Einrichtungshauses Safavieh gehören in diese Kategorie.

Möbelhäuser: Nach Einschätzung der Lieferanten legt im Hinblick auf abgepasste Teppiche diese stationären Handelsform am stärksten zu, zumal Möbelhäuser endlich den Teppich für sich entdeckt haben. Beispiele dafür sind der Filialist Nebraska Furniture Mart und seine Schwesterunternehmen, Ethan Allen, Gabberts, Arhaus, Mathis Brothers und Bon Ton. Das Angebot dieser Häuser wird erfolgreich durch die Lagerbestände der Importeure bestückt; so konnten auch weitere Möbelfilialisten wie Rooms to Go und La-z-boy ins Teppichgeschäft einsteigen.

"Big Box": Megamärkte wie Home Depot, Lowe’s, Costco, Sam’s, Target, Walmart und Ikea zählen zu dieser Kategorie - also große US-weit verbreitete Anbieter, die in jeder Großstadt eine Filiale betreiben und in großen Metropolen sogar mehrere. Das Hauptgeschäft läuft stationär; gleichzeitig haben alle diese Anbieter auch groß angelegte Internet-Auftritte mit Bestellmöglichkeiten.

Teppichfachgeschäfte: Unabhängige Ladengeschäfte mit einem oder zwei Standorten; von dieser Sorte gibt es Hunderte im ganzen Land. Die Geschäfte wenden sich mit ihrem Angebot an höherwertigen Teppichen auch an Innenarchitekten; Teppichböden sind ebenfalls manchmal im Angebot. Die meisten Läden haben nur einen sehr eingeschränkten Internet-Auftritt. In diese Kategorie habe ich Fachgeschäfte für Teppichböden mit aufgenommen, die auch abgepasste Teppiche führen. Allerdings haben die wenigsten solcher Fachgeschäfte hier ein ausreichend großes und entsprechend umsatzrelevantes Angebot an abgepassten Teppichen.

Der Sonderpostenhandel: Billig-Discounter, die große Mengen bei Importeuren oder direkt im Herkunftsland einkaufen, zum Beispiel The Dump, Greenfront, Beall’s Outlets, Big Lots oder Ollie’s Bargain Stores.

Innenarchitekten: Innenarchitekten arbeiten mit einer großen Bandbreite an Produkten, vor allem Textilien. Inzwischen hat sich diese Berufsgruppe immer besser organisiert und kauft verstärkt direkt beim Anbieter, was die Gewinnspanne erheblich vergrößert. Innenarchitekten kaufen häufig maßgefertigte und höherwertige Teppiche, die aber nicht unbedingt handgeknüpft sein müssen.

Kaufhäuser: Heutzutage gibt es kaum noch Kaufhäuser, die abgepasste Teppiche anbieten. Geblieben sind Macy’s, Bloomingdales, Kohl’s und J.C. Penney. Diese Handelsschiene spricht sehr stark die "familiäre Beziehung" zum Kunden an, die gerade online besonders gut funktioniert. Demzufolge betreiben gerade Kaufhäuser sehr aggressives Internet-Marketing.

Teppichreinigungsunternehmen: In den USA gibt es Hunderte von Teppichwäschereien, die über diese Serviceleistung hinaus auch Teppiche verkaufen, normalerweise sogar höherwertige Qualitäten, die sich meist leichter reinigen lassen. Abgesehen von einigen Spezialisten für Hochwertware, verkaufen Teppichwäschereien in der Regel antike Teppiche. Das bedeutet, dass hier weniger Ware, aber für höhere Preise verkauft wird. Bei diesen Unternehmen laufen wenige bis gar keine Verkäufe über das Internet.

Lifestyle-Fillialisten: US-amerikanische Wohnaccessoire-Anbieter wie Pier 1, World Market, At Home oder Bed Bath and Beyond haben mittlerweile auch Teppiche ins Programm genommen. Darüber hinaus gibt es in jeder größeren Stadt auch persönlich geführte, individuelle Lifestyle-Geschäfte. Hier findet man abgepasste Teppiche im unteren bis mittleren Preisspektrum und in kleineren Größen von bis zu 250 x 300 cm.

Online-Teppichhandel: Diese Anbieter verkaufen ausschließlich Teppiche über das Internet; Pioniere auf diesem Gebiet sind in den USA Rugs Direct, Rugs USA, eSaleRugs und Rug Studio. Im Vergleich zu den Online-Anbietern mit breiter gefächertem Sortiment tut sich diese Handelsform immer schwerer.

Teppichgroßanbieter, online: In diesem Bereich dominieren Restoration Hardware sowie die Williams-Sonoma-Ableger Pottery Barn und West Elm.

Kataloghandel, online: Unternehmen, die ausschließlich Kataloge mit der Post verschicken, zum Beispiel Home Decorators (Home Depot), Ballard’s und Frontgate. Hierbei handelt es sich weniger um eine eigene Handelsform als vielmehr um eine Verkaufstaktik, denn fast alle Verkäufe werden über das Internet getätigt.
Überraschender Online-Anteil

Wie viel wird nun eigentlich online verkauft? Das war ja die Frage, die ich ursprünglich beantworten wollte. Um herauszufinden, welchen prozentualen Anteil das Internet-Geschäft im Gesamtmarkt einnimmt, musste ich allerdings zunächst bestimmen, wie sich dieser Markt genau zusammensetzt. Wenn ich nun die geschätzten Umsätze aller oben genannten Handelsformen zusammenzähle, komme ich auf einen Einzelhandelsumsatz von insgesamt 2,71 Mrd. USD. Die gleichen Schätzungen habe ich auch für die Internet-Verkäufe hergenommen und zusammengerechnet; dabei komme ich auf einen Gesamt-Online-Umsatz von USD 679 Mio USD. Daraus ergibt sich ein Online-Marktanteil von 25,1 %.

Damit liegt der Online-Anteil erheblich niedriger, als ich ursprünglich angenommen hatte; das Ergebnis deckt sich auch mit den Angaben der meisten Teppichimporteure. Außerdem waren sich die Importeure darüber einig, dass die Online-Verkäufe jährlich um 20 bis 25 % wachsen, drei- oder viermal schneller als die der konventionellen Vertriebswege.

Zu Beginn der Internet-Ära konnten Online-Händler noch einen erheblichen Preisvorteil bieten, der inzwischen allerdings verpufft ist. Außerdem scheinen die Mindestpreisempfehlungen der Hersteller und Importeure allmählich zu greifen: Bei meinen Nachforschungen für diesen Vortrag habe ich festgestellt, dass bestimmte gängige Teppiche auf fast allen Top-Webseiten mit dem gleichen Preis ausgezeichnet waren. Eine Ausnahme bildete Amazon mit seinem "Marketplace"-Portal, über das auch Drittanbieter Waren verkaufen können: Hier gab es die Teppiche zum Teil auch günstiger.

Das eigentlich Spannende an der Sache ist aber etwas anderes: Bei allen Produkten auf meiner Suchliste bewegten sich die Online-Preise durchaus in einem Rahmen, der auch im stationären Handel als vertretbar gilt. Inzwischen hat man erkannt, dass das Online-Geschäft doch kostspieliger ist, als zunächst angenommen. Die meisten Importeure, mit denen ich über das Thema Internet gesprochen habe, halten Wayfair für den dynamischsten und professionellsten Online-Verkäufer. Der Anbieter ist zweifellos ein Paradebeispiel in Sachen Internethandel mit breitgefächertem Sortiment; von 2012 bis 2015 hat man fast 400 % zugelegt und sich auf 2,2 Mrd. USD Jahresumsatz steigern können.

Das wirklich Neue am Wayfair-System ist, dass das Unternehmen eine starke Bindung zu seinen Kunden aufgebaut hat: Die benutzerfreundliche Website und die gut durchdachte Kommunikation sorgen dafür, dass Kunden immer zur Wayfair-Homepage zurückkehren, wenn sie etwas für ihr Zuhause brauchen. Zusatzverkäufe sind Teil der Verkaufsstrategie: Wer einen Couchtisch kauft, interessiert sich möglicherweise auch für einen neuen Teppich, auf dem der Tisch stehen soll. Doch bei allem Erfolg und Drive verliert Wayfair trotzdem Geld. Im Jahr 2015 hat das Unternehmen Verluste in Höhe von 3,4 % des Umsatzes gemacht, im ersten Halbjahr 2016 waren es sogar 6,1 %. Während das Unternehmen schnell wächst, wachsen auch die allgemeinen Verwaltungskosten. Möglicherweise holt das Wachstum irgendwann die steigenden Kosten für den laufenden Betrieb ein, höchstwahrscheinlich muss Wayfair aber auch für größere Bruttomargen sorgen. Bei diesen Margen scheint es noch Luft nach oben zu geben, zumal der größte Mitbewerber Williams Sonoma (der 50 % seines Umsatzes online tätigt) im Jahr 2015 eine Bruttomarge von 37 % angab. Bei Wayfair hingegen betrug die Bruttomarge in den letzten vier Jahren konstant 25 %.

Von den Floristen lernen

In Zukunft werden immer mehr Teppiche über das Internet verkauft; Wayfair macht es allen vor. Trotzdem sieht es für die gängigen Vertriebskanäle nicht mehr so düster aus, wie man vor einiger Zeit noch annahm. Das gilt vor allem für die Teppichfachgeschäfte, Teppichwäschereien und Möbelhäuser. Das Internet hat seinen Preisvorteil inzwischen eingebüßt; Online-Marketing wird wahrscheinlich weiterhin immer teurer. Damit tun sich für diese Händler neue Möglichkeiten auf, gerade weil der Online-Handel mit schnellem Versand und guter Erreichbarkeit punkten will. Dadurch erhalten die wirklich ortsansässigen Händlern die Chance, wieder zur direkten Anlaufstelle zu werden.

Bei den Teppichhändlern im Hochwert-Bereich mit umfangreichem Service, die bis heute überlebt haben, handelt es sich möglicherweise um ganz besondere Unternehmen. Aber unterscheiden sie sich wirklich so grundlegend von den anderen? Haben sich die letzten Video-, Musik- oder Fotogeschäfte grundlegend von den anderen ihrer Art unterschieden? Wahrscheinlich haben sie sich damals, als das Aussterben der Branche gerade seinen Höhepunkt erreichte, wirklich so gefühlt. Aber vielleicht sollten es die Teppichhändler ja eher so machen wie die Floristen? Blumengeschäfte haben früher die Einzelhandelsszene entschieden geprägt, aber inzwischen mussten sich die meisten gegenüber dem Online-Anbieter 1-800-Flowers.com geschlagen geben. Und trotzdem ist in jeder amerikanischen Stadt ein Blumengeschäft übrig geblieben, weil einige wenige Kunden ihre Rosen eben immer noch am liebsten selbst sehen und riechen wollen. Warum dieses eine Blumengeschäft überleben kann? Weil es nicht nur mit seinem guten Service punkten kann, sondern vor allem mit einem: Zuverlässigkeit.•
aus Carpet Magazin 01/17 (Teppiche)