Serie: Der Orientteppich und seine Muster

Das Gol-Farang-Muster


Gol-Farang ist die persische Bezeichnung für ein Blumenmuster, das in den Teppichen des ganzen Landes zum Einsatz gelangt. Man müsste also erwarten, in dem kürzlich neu aufgelegten "Standardwerk" der Teppichbranche, The Persian Carpet von A.C. Edwards (s. diese Ausgabe S.132) viel darüber lesen zu können. Doch leider wird man enttäuscht, da Edwards dem Muster grade mal drei Zeilen widmet. | von Jim Ford

Das persische Wort "Farang" heißt Franken. Aber was hat Franken mit einem Teppichmuster zu tun? Die erste Eroberung Frankreichs durch ein deutsches Heer begann im Jahre 481 n. Chr., als Hlodowig ("Clovis") die Frankenstämme vereinte, die sich in Belgien niedergelassen hatten. In seiner Hauptstadt Tournai ernannte er sich zum ersten König der Franken, um sich dann sofort nach Süden zu wenden, um in das römische Reich einzudringen. Bis zu seinem Tode im Jahr 511 stand die ganze römische Provinz Gallien mit Ausnahme von Burgund und Provence unter deutscher Besatzung. Amtssprache war Fränkisch. Dann passierte etwas Erstaunliches: Peu à peu wurden die Eroberer, zumindest kuturell, von den Eroberten erobert. Als Karl der Große das erste Kaiserreich 300 Jahre später gründete, war das Land bereits zweisprachig: Im Osten sprach man richtiges Deutsch, im Westen aber einen Mischmasch aus Fränkisch-Deutsch und Gallisch-Lateinisch. Es waren die Geburtswehen einer neuen Sprache. Bis zur Zeit der Kreuzzüge hieß Fränkisch "français" und das Reich der Franken hieß "France".

Für die Perser, die alles nur aus der Ferne beobachteten, blieben diese feinen Unterschiede uninteressant. Für sie waren die westlichen Angreifer der Kreuzzüge einfach Franken - auf Persisch farangi. Und dieses Wort galt auch für die Engländer und Skandinavier, die mit von der Partie waren: Alle westlichen Ausländer waren farangi.

Das persische Wort "gol" bezeichnet korrekterweise die Rose, das Wort wird aber auch generell für alle Blumen benutzt. Gol-Farang kann also "französische Rose" heißen, aber es ist auch nicht falsch, Gol-Farang mit "ausländische Blume" zu übersetzen.

Schaut man das Muster genauer an, wird deutlich, dass es sich spezifisch um eine französische oder zumindest westlich-ausländische Rose handelt, die dort geknüpft ist. Wie die persischen Knüpfer darauf kamen, diese Rose in ihr Repertoire aufzunehmen, ist schwer zu sagen. Das Dessin findet man in vielen kaukasischen Provenienzen, sehr stark aber auch im kurdischen Senneh-Bidjar-Gebiet, bei den Bakhtiaren und bei den Afscharen der Provinz Kerman. Sehr weit gestreut also.

Es gibt viele Beispiele in der persischen Knüpfkunst, die beweisen, dass ein neues Muster, das irgendwo erfolgreich wird, sehr schnell im ganzen Land kopiert wird. Die Schwierigkeit bleibt aber immer, festzustellen, in welcher der vielen Provenienzen das Muster erstmals geknüpft wurde. Auffallend beim Gol-farang ist die große Verwandtheit in der Handhabung des Musters zwischen Bidjar (Abb. 5) und dem Karabagh (Abb. 3 und 4).

Alle Experten scheinen sich sicher zu sein, dass das Muster auf einen westlichen Einfluss hinweist. Dass man im 19. Jahrhundert Teppiche mit dem Gol-Farang-Muster speziell für den Export nach Europa produzierte, ist mehr eine Behauptung als eine bewiesene Tatsache. Leider muss man zugeben, dass niemand eine klare Vorstellung von der Entwicklung des Musters hat und erst recht keine Beweise dafür. Auch muss man sich fragen: Gehört dieses Muster in die Wiederbelebung der persischen Knüpfkunst durch Ziegler und Co. ab 1870-1880, oder ist es unabhängig davon, vielleicht auch davor, entstanden? Der Gedanke, dass das Gol-Farang um 1850 oder davor entstanden ist, ist zwar verlockend, aber nicht zu beweisen.

Plausibel ist die Theorie, dass die Entwicklung im Kaukasus begann. Dort suchte der Handel Teppiche, die zur Einrichtung im französischen Stil passten, die in den Palästen von St. Petersburg damals der letzte Schrei waren. Beispiele aus Seichur (Abb. 2) und Karabagh (Abb. 3 und 4) scheinen diese Theorie zu stützen. Es gibt aber Vorbehalte: Der Einrichtungsstil, der hier gemeint ist, findet bei Teppichen und Textilien seinen stärksten Ausdruck in Aubusson- und Savonnerie-Mustern. Das Gol-Farang-Muster stellt jedoch keinen generellen Ausschnitt aus diesem Stil dar. Es handelt sich nur um ein einziges Blumenmotiv: immer nur eine Gruppe von Rosen, manchmal sogar eine einzelne Rose, unter Umständen auch mit ein paar Blättern darum - aber keine Girlanden oder sonstiger Firlefanz, wie es typisch für Aubusson wäre.

Der Knüpfer, der den ersten Gol-Farang-Teppich geknüpft hat, muss eine Vorlage gehabt haben; aber was für eine? Ein Aubusson-Musterbuch ist denkbar, aber warum dann nur die Rose kopieren und keins der sonstigen Elemente? Edwards schreibt von einem Fragment eines französischen Maschinenwebteppichs, auf dem nur die Rose und sonst nichts erhalten war (The Persian Carpet, S. 122). Das ist möglich, aber ist es auch wahrscheinlich?

Einen wichtigen Widerspruch zu der Theorie, dass das Gol-Farang-Muster sich vom Karabagh-Gebiet her ausgebreitet hat, stellen Bidjar-Teppiche (Abb. 1 und 7) dar. Wenn man beginnt, ein neues Muster zu kopieren, hält sich die erste Kopie stark an das Original; erst im Laufe der Zeit entstehen Varianten und Umwandlungen. Die Versionen, die man aus Bidjar und Senneh kennt (auch Abb. 6), scheinen einem ausländischen Original eher zu entsprechen als die aus dem Kaukasus. Der Teppich, den Abb. 4 zeigt, z.B. ist viel "polierter",

dem Stil des zaristischen Russlands angepasst, als die schlichten Beispiele in Abb. 1 und 7. Sollte dies stimmen, müssten die kurdischen Versionen die ersten Kopien sein und die kaukasischen deren Nachfolger. Aber auch in Kurdistan ist kein Original zu finden, das zuverlässig als Urquelle bezeichnet werden könnte. Von vielen erdenklichen Quellen führen wir hier zwei an: einmal die Zigarrenkisten, die im 19. Jahrhundert aus Kuba eingeführt wurden; und zum Zweiten die bunten Stickereien der Volkstrachten Rumäniens und anderen osteuropäischen Ländern, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer mehr Rosenmuster einsetzten.

Die Zigarrenkisten des 19. Jahrhunderts - Handarbeit aus kostbarem Holz - wurden mit allen erdenklichen Bildern und Logos geschmückt. Ein Modell sieht man aber verhältnismäßig oft: die Rose. Das kann ein mit Rosen umrahmtes oder unterlegtes Jungfrauengesicht sein oder auch ein Rosenstrauß (Abb. 8). Sehr erfolgreich war die Marke Romeo y Julieta, wo der Balkon mit Rosen geschmückt ist (Abb. 9). Es war ja die Zeit der Hochblüte der romantischen Musik, und die europäische Romantik spiegelt sich in der Stickereimode des späten 19. Jahrhunderts wider (Abb. 10), die sich besonders in Osteuropa durchsetzte. Dieser Stil reicht in Osteuropa jedoch viel weiter zurück, und zwar bis zu den Kelims, die in der Ukraine und Rumänien schon im 18. Jahrhundert im französischen Stil gewebt wurden und die im Handel "bessarabische" Ware genannt werden (Abb. 11).

Auch wenn die Rosen auf Zigarrenkisten oder die auf osteuropäischen Stickereien keinen Beweis für die tatsächliche Quelle des Gol-Farang-Musters liefern, da der "Rosenstil" seinen Ausdruck in vielen Bereichen und in vielen Ländern fand (nicht zuletzt auch im englischen Porzellan): Jeder dieser Bereiche davon hätte die Quelle der persischen Entwicklung sein können. Die bessarabischen Kelims zeugen von einem weit zurückreichenden französischen Einfluss auf die textilen Künste Osteuropas. Ob dieser Einfluss auch in Persien empfunden wurde, ist möglich, aber wiederum nicht belegbar.

All diese Beispiele stellen aber einen Hinweis darauf dar, was in Persien passierte. Die ausländische Rose erlebte genau dasselbe, was die fränkische Sprache in Gallien erlebt hatte. Sie hat die Teppichwelt erobert, aber sie wurde selber von dieser Welt absorbiert und so weit umgewandelt, bis daraus eine neue Mustersprache entstand. Die Beispiele aus dem Bakhtiari-Gebiet (Abb. 12) und aus dem Kunstschaffen der Afscharen (Abb. 13-15) zeigen, wie dieses neue Modell verstanden und zelebriert wurde. Es sind aber die Kelims aus Senneh (Abb. 16) und Bidjar (Abb. 17), die uns lehren, was der Einfallsreichtum der persischen Knüpfer leisten kann: Der fremde Ursprung ist wohl noch spürbar, aber die Ausführung des Dessins lässt niemanden mehr an Frankreich oder an osteuropäische Stickereien denken. Dass die tatsächliche Quelle sich nicht feststellen lässt, mag man bedauern. Wichtig ist aber, was die Perser daraus gemacht haben: Und das wollten wir Ihnen hier zeigen.•
aus Carpet Magazin 04/17 (Teppiche)