Brexitund jetzt?

Zwar ist Großbritannien am 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union ausgetreten - die wirtschaftlichen Beziehungen sind aber vorerst unverändert. Dieser Status gilt jedoch nur bis Ende des Jahres. Ist bis dahin kein neues Handelsabkommen geschlossen, fällt das Vereinigte Königreich beim Handel mit der EU auf den Status eines Drittlandes zurück - umgekehrt gilt das natürlich auch. Dann gelten nicht mehr die Vereinbarungen wie innerhalb der Europäischen Union, sondern die Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Wir haben mit Oliver Kluge, Joe Lano und Julian Utz über die möglichen Auswirkungen des Brexit auf die Bodenbelags- und Verlegewerkstoffindustrie gesprochen.


Julian Utz: "Ich empfinde den Brexit als Katastrophe"
BTH Heimtex: Welche Auswirkungen hat der Brexit für Uzin Utz?

Julian Utz: Großbritannien war der erste Auslandsmarkt unseres Unternehmens. Heute erwirtschaftet unsere Vertriebsgesellschaft Uzin Utz UK mit ihrem Produktsortiment und 21 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von rund 12 Mio. EUR. Verglichen mit dem Gesamtumsatz der Gruppe von rund 350 Mio. EUR fällt das Risiko durch den Brexit nicht besonders ins Gewicht. Allerdings gilt Großbritannien als einer unserer Wachstumsmärkte und wir haben dort großes Potenzial, uns weiterzuentwickeln. Die Hängepartie um den Brexit hat uns die Entwicklung in den letzten Jahren nicht leichter gemacht.

BTH Heimtex: Wo sehen Sie Risiken durch den Brexit, wo Chancen für Ihr Unternehmen?

Utz: Neben möglichen Umsatzeinbußen in Großbritannien tragen wir vor allem auch für unsere dortigen Mitarbeiter Verantwortung. Wir liefern unsere Klebstoffe und Trockenmörtel nicht nur an den Großhandel, sondern auch direkt auf Baustellen in Großbritannien. Die Lieferungen sind teils stundengenau terminiert. Schon geringe Verzögerungen hätten immense Auswirkungen zur Folge. Der Brexit macht es uns nicht leichter, alle Eventualitäten genau zu kalkulieren. Dennoch glauben wir an den englischen Markt und arbeiten daran, das unsere Handlungsfähigkeit auch nach einem Austrittsabkommen gewährleistet ist.

BTH Heimtex: Wie ist Ihre persönliche Haltung zum Brexit?

Utz: Ich persönlich empfinde den Brexit als Katastrophe. Für viele von uns sind ein vereintes Europa und der Binnenmarkt schon immer eine hohes Gut gewesen. Freie Grenzen für Personen und Waren, keine Zölle und gleiche Rechtsvorschriften. Mit dem Brexit gehen wir einen großen Schritt zurück, und das bedauere ich persönlich sehr. Als EU-Bürger und Unternehmer brauchen wir nun schnell einen klaren Handlungsrahmen für die zukünftigen Handelsbeziehungen zwischen Europäischer Union und Großbritannien.


Oliver Kluge: "England ist unser Mutterland"
BTH Heimtex: Welche Auswirkungen hat der Brexit für Amtico?

Oliver Kluge: Amtico wurde 1964 in Großbritannien gegründet und wir sind seit vielen Jahren einer der Marktführer. England ist unser Mutterland und ein wichtiger Faktor unseres Erfolges. Wir haben vor Ort über 50 Außendienstmitarbeiter und eine sehr umfangreiche Kundenstruktur. Derzeit gibt es keine negativen Auswirkungen. Wir hatten gute drei Jahre Zeit seit dem Referendum, um uns bestmöglich auf den künftigen Grenzverkehr vorzubereiten. Unsere Lagerbevorratung in Deutschland ist in einem großen Maß ausgeweitet worden, um von den derzeit täglichen Transporten unabhängiger zu werden. Wir hatten 2019 ein weiteres Rekordjahr und planen 2020 weiteres Wachstum. Mit allen beteiligten Institutionen stehen wir in engem Kontakt und haben einen regen Austausch. Was im Detail ab 2021 auf uns zukommen wird, ist derzeit noch reine Spekulation, die uns nicht weiterhilft. Sobald Fakten vorliegen, werden wir entsprechend reagieren.

BTH Heimtex: Wo sehen Sie Risiken durch den Brexit, wo gibt es Chancen für Ihr Unternehmen?

Kluge: Der Grenzverkehr wird 2021 sicherlich zu Beginn nicht ganz unproblematisch sein, es muss sich alles einspielen. Zusätzliche Kosten werden entstehen. Ob sich das final und in welchem Umfang auf unsere Preisgestaltung auswirken wird, kann ich heute noch nicht absehen. Wir können jederzeit unsere Produkte aus dem Amtico-Werk in den USA beziehen, in gleicher Qualität und Güte. Dies wird sicherlich nicht unsere Lösung sein, es wäre aber möglich. Unsere Warenbevorratung, wie bei vielen unserer Mitbewerber, findet für einen großen Teil der Kollektionen in Deutschland bereits statt. Im Bereich der Teppichfliesen findet die Produktion in den USA und in Europa statt, hier wird es daher keine Risiken geben. Chancen kann ich derzeit noch nicht erkennen, ich hoffe, dass sich der Wechselkurs (GBP/EUR) nicht zu unseren Ungunsten verändern wird.

BTH Heimtex: Wie ist Ihre persönliche Haltung zum Brexit?

Kluge: Ich war von Anfang an dagegen und bin kein Befürworter des Brexits. Ich lebe sehr gerne in Deutschland und freue mich über viele Vorteile und Annehmlichkeiten, die es in diesem Umfang in anderen Ländern nicht gibt. Ich arbeite gerne in Europa und bin jede Woche in einem anderen Land, reise daher sehr viel und freue mich über eine Einheitswährung und freie Grenzen, und das seit vielen Jahren. Ich habe länderübergreifend viele interessante Menschen kennenlernen dürfen, woraus sich Freundschaften entwickelt haben. Es muss sich sicherlich in vielen Ländern noch einiges ändern, auch in Deutschland, um eine europäische Idee besser verfolgen zu können. Deshalb würde ich mich freuen, wenn es weniger Schwarz/Weiß-Diskussionen geben und mehr gehandelt würde. Ich bin aber auch seit 29 Jahren in einem britischen Unternehmen beschäftigt und arbeite mit meinen UK-Kollegen seit 17 Jahren im Vorstand eng zusammen. Daher habe ich auch für vieles aus britischer Sicht Verständnis.


Joe Lano :"Wir gründen eine britische Tochtergesellschaft"
BTH Heimtex: Welche Auswirkungen hat der Brexit für Lano?

Joe Lano: Die schwierigste Zeit erwarten wir erst nach der Übergangsfrist ab Anfang 2021. Rund 40 % unseres Umsatzes in Höhe von 109 Mio. EUR kommt aktuell aus unserem GB-Geschäft. Wir werden deshalb eine britische Tochterfirma gründen. Sie wird als Zwischenstation für die Ware dienen auf ihrem Weg zu unseren Kunden auf den Britischen Inseln. Wir federn auf diese Weise negative Folgen eines möglichen harten Brexits wie beispielsweise höhere Zölle weitestgehend ab. Dieses Vorgehen hat auch logistische Vorteile.

BTH Heimtex: Wo sehen Sie Risiken durch den Brexit, wo Chancen für Ihr Unternehmen?

Lano: Sollte es kein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien geben - also einen No-Deal-Brexit -, wird der Standardzoll der Welthandelsorganisation für Drittländer in Höhe von 8 % greifen. Das wäre aus zweierlei Gründen ein Problem für die gesamte belgische und niederländische Bodenbelagsindustrie. Erstens: Unsere britischen Kunden werden kaum bereit sein, diesen Preisaufschlag zu zahlen. Für unsere britischen Wettbewerber, die fast nichts in die EU exportieren, wäre das ein enormer Vorteil. Zweitens: Verzögerungen beim Transport aufgrund der möglichen Zollabfertigungen wären für uns ein Problem. Denn wir können Kunden in Großbritannien nicht mehr innerhalb der üblichen 48 bis 72 Stunden beliefern. Das ist ein wichtiger Service. Das könnte ein Wettbewerbsnachteil werden und zu weniger Bestellungen bei uns führen."

BTH Heimtex: Wie ist Ihre persönliche Haltung zum Brexit?

Lano: Ich finde es schade, dass die Briten die EU verlassen. Sie gehören in die europäische Staatengemeinschaft. Es würde mich aber überraschen, wenn ein Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien nicht bald zustande kommt. Europa hat ein solches mit Kanada, Vietnam, der Türkei und Südkorea abgeschlossen. Warum sollte die EU das nicht auch mit Großbritannien schaffen?
Brexitund jetzt?
Foto/Grafik: Pete Linforth/Pixabay
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Brexitund jetzt?
Foto/Grafik: BTH-Heimtex
Großbritannien ist für die Bodenbelagsindustrie in den Niederlanden und Belgien einer der wichtigsten Absatzmärkte. Unsere Grafik gibt eine Vorstellung von seiner Bedeutung.
aus BTH Heimtex 03/20 (Handel)