Winfried Titze – Interview mit dem Marktforscher

Was der Fachhandel von Ikea und QVC lernen kann


Hamburg. Im Haustex-Interview empfiehlt Unternehmensberater Winfried Titze dem Bettenfachhandel, sich verstärkt dem Thema Stauraum zu widmen und das Angebot vom Matratzenverkauf auf die komplette Schlafraumausstattung zu erweitern. Bei der Vermarktung könne sich die Branche bei Ikea und QVC einiges abschauen.

Haustex: Herr Titze, Sie sprechen in ihrer aktuellen Studie von einer "neuen Welt des Schlafens." Was ist daran neu?

Winfried Titze: Neu ist heute, wie ein Schlafzimmer zusammengesetzt wird. Früher gab es das Standard-Schlafzimmer, bestehend aus einem Doppelbett, einem Kleiderschrank und zwei Nachttischen. Seit es die Entwicklung zum Boxspringbett gibt, also seit etwa fünf Jahren, hat sich der Markt grundlegend verändert, weil die Produkte in zunehmendem Maße einzeln gekauft werden. Die Menschen kaufen heute zuerst ein Bett. Dann kaufen sie einen Kleiderschrank oder eine begehbare Lösung. Das Thema mit den Nachttischen wird ebenfalls völlig individuell gehandhabt. Das klassische Schlafzimmer ist nicht tot, aber es ist stark rückläufig.

Haustex: Betrifft das nur das Schlafzimmer?

Titze: Die Möbelbranche insgesamt ist maximal stagnierend. Küchen laufen gut, aber beispielsweise im Wohnbereich sind die Zahlen katastrophal. Die Anforderungen der Menschen an Wohnzimmermöbel haben sich dramatisch verändert. Sie haben keinen Fernseher mehr, den sie in einer Wohnwand verstecken müssen, weil sie einen Flachbildschirm haben. Viele Leute haben heute kaum noch Bücher, weil sie alles online lesen. Wir haben also ganz andere Anforderungen in diesem Bereich. Auch die Schlafmöbelhersteller leiden darunter extrem.

Haustex: Hat sich das Wohnen denn so grundlegend verändert?

Titze: Viele Menschen verfügen heute über relativ viel Wohnraum. Die durchschnittliche Wohnungsgröße liegt bei über 90 Quadratmeter. Und fast 50 Prozent aller Wohnungen werden von Ein-Personen-Haushalten bewohnt. Das ist ein sehr ungewöhnliches Verhältnis. Dazu kommt, dass in vielen Häusern Platz frei wird, weil die Kinder ausgezogen sind, meistens ganze Räume. Und deshalb ist zum Beispiel das Thema begehbare Kleiderschränke eines der wenigen, das Begehrlichkeiten in der Einrichtungsbranche weckt.

Haustex: Was heißt das für den Handel: Liegt hier der "un-heimliche" Wachstumsmarkt, von dem Sie sprechen?

Titze: Im Moment macht der Handel im Sortimentsbereich Schlafen durchaus höhere Umsätze als in der Vergangenheit, im Bereich Wohnen aber deutlich geringere Umsätze. Das macht das Thema Schlafen natürlich sehr interessant. Hinzu kommt seit mehreren Jahren ein mir nicht ganz logisch nachvollziehbarer Hype im Matratzenverkauf. Ich habe in der aktuellen Studie sieben Start-ups aufgezeigt, die aus den USA, Großbritannien und Deutschland mehr oder weniger erfolgreich Matratzen verkaufen. Und das mit völlig neuen Methoden, so dass der Kunde zum Beispiel eine Matratze noch nach 99 Tagen problemlos zurückgeben kann. Auf diese Weise hat der Endverbraucher ganz andere Möglichkeiten, eine Matratze zu testen, nicht nur zehn Minuten im Geschäft. Inwieweit das alles sinnvoll ist, sei mal dahingestellt.

Haustex: Welche Konsequenzen muss der Fachhandel daraus ziehen?

Titze: Für mich gibt es eine logische Konsequenz: Der Fachhandel muss auf alle Fälle lernen, nicht nur Betten zu verkaufen, sondern auch individuelle Schrank-lösungen. Es gibt einen Zusatzmarkt in deutlichen Größenordnungen: das Thema Stauraum. Also alles, was zur individuellen Einrichtung des Kleiderschrankes gehört. Hier hinkt der Möbelhandel katastrophal hinterher.

Haustex: Und der Bettenfachhandel?

Titze: Der Bettenfachhandel verkauft kaum Kleiderschränke. Es gibt eigentlich nur einen Vermarkter in Deutschland, der verstanden hat, wie man mit Stauraum wirklich Geld verdienen kann: Ikea.

Haustex: Was macht Ikea richtig?

Titze: Sie gehen mit dem Thema individueller Stauraum ganz offen um. Im neuen Katalog gibt es fünf komplette Seiten, die sich nur mit Stauraumlösungen auseinandersetzen.

Haustex: Das dürfte aber schon aus Platzgründen für einen klassischen Bettenfachhändler oder mittelständischen Möbler eher schwierig umsetzbar sein.

Titze: Das sehe ich anders: Das Thema wird auf der Großfläche nicht funktionieren, weil das Produkt dort meist durch zu viele Hände läuft. Das Problem bei den Stauraumlösungen ist ja, dass der Hersteller meist an einen Großhändler verkauft, der verkauft es an den Einzelhändler und der an den Kunden. Dann passiert es, dass Sie einen ein Auszug, der in der Produktion vielleicht 25 Euro kostet, im Laden für 200 Euro kaufen sollen - und das geht völlig am Bedarf vorbei.

Haustex: Müssen sich Bettenfachhändler also zum Schlafraumeinrichter entwickeln?

Titze: Hundertprozentig: Ja!

Haustex: Konterkariert das nicht ein wenig den Anspruch, vor allem als Experten für den gesunden Schlaf aufzutreten, also die Kompetenz im Bereich Ergonomie hervorzuheben?

Titze: Ich sehe da keinen Widerspruch. Jemand, der ernsthafte Rückenbeschwerden hat, der ist bereit, für seine Schlafraumlösung auch wirklich Geld auszugeben. Er möchte eine Lösung seines Problems kaufen. Aber die Beratung, die er bekommt, ist häufig suboptimal. Die Verkäufer im Einzelhandel haben sehr oft keine entsprechende Schulung.

Haustex: Aber das genau Nimmt der Fachhandel für sich in Anspruch...

Titze: Es könnte die Stärke des Fachhandels sein. Dem ist aber nicht immer so. Der Fachhandel müsste noch viel stärker mit medizinsch geschulten Fachleuten zusammenarbeiten. Zum Beispiel könnte ein Physiotherapeut das Erstgespräch mit dem Kunden führen, um herauszufinden, was genau dessen Problem ist, um darauf die Suche nach der richtigen Schlafraumlösung aufzubauen. Da könnte der Fachhandel noch sehr vieles besser machen.

Haustex: Sie nennen Gesundheit und demographische Entwicklung als Zukunftsthemen für die Schlafbranche. Wenn wir in die Zukunft schauen: Wo steht der Bettenmarkt in zehn Jahren? Und welche Vertriebsform wird die Nase vorn haben?

Titze: Der Bettenfachhandel verliert weitere Marktanteile, wenn er es nicht schafft, entsprechend bekannt zu werden. Meistens fehlt die finanzielle Kraft, die Menschen systematisch ins Haus zu bekommen - der Händler kann eigentlich nur mit Mund-zu-Mund-Propaganda arbeiten. Das ist ein nicht zu unterschätzendes Problem. Die größten Nutznießer sind hier die Onlinehändler, die in deutlicher Größenordnung gewinnen. Der Onlinehandel ist schon heute der am schnellsten wachsende Vertriebsweg des Einzelhandels.

Haustex: Was macht der Onlinehandel bei einem beratungsintensiven Produkt wie der Matratze besser? Ist es nur das Versprechen, 100 Tage Probeschlafen zu können?

Titze: Man muss sich nur einmal die sieben Start-ups anschauen, die wir für die Studie untersucht haben: Casper, Bruno, Emma, Bodysleep, Grafenfels, Eve und Moon. Sie nehmen momentan den Markt mehr oder weniger auseinander. Die bieten teilweise nur eine einzige Matratze an und sind trotzdem sehr erfolgreich - wie kann so etwas sein?

Haustex: Haben Sie eine Idee?

Titze: Es ist ähnlich wie im Restaurant, wenn Sie dort eine Speisekarte mit hundert verschiedenen Gerichten finden. So geht es dem Endverbraucher, der in den Laden geht, um eine Matratze zu kaufen. Der ist häufig gar nicht in der Lage, für sich selbst zu klären, was die beste Lösung sein könnte. Wenn der Verkäufer am PoS nicht wirklich gut ist und eindrucksvoll vermitteln kann, warum gerade er die beste Lösung verkauft, dann bekommt er schnell das Problem, dass der Kunde ihm nicht vertraut. Hinzu kommt, dass der Endverbraucher im Internet Bewertungen vornimmt und sich von den Bewertungen Dritter leiten lässt.

Haustex: Dann heißt die Lösung: Sortiment reduzieren und das Personal besser ausbilden?

Titze: Hervorragend ausgebildetes Personal ist das A und O. Wenn sie keine qualifizierten Verkäufer haben, werden sie nicht erfolgreich sein. Vor zwanzig Jahren konnte der Verbraucher sicher sein, dass der Verkäufer in einem Bettenfachgeschäft mehr Ahnung hat als er selbst. Heute kann sich jeder Mensch im Internet vorinformieren. Wer da als Verkäufer nicht von der ersten Sekunde an überzeugt, wird den Kunden nicht für sich gewinnen.

Haustex: In Ihrer Studie heißt es, dass die Discounter langsamer Marktanteile verlieren als der Fachhandel. Bei denen gibt es aber überhaupt keine qualifizierte Beratung.

Titze: Das ist in der Tat erstaunlich. Das hängt nicht zuletzt daran, dass es die Industrie nicht geschafft, den Wert des Produktes Möbel tatsächlich zu vermitteln. In den Prospekten von Großflächenanbietern oder Bettendiscountern werden Matratzen, Betten und so weiter mit 30, 50 oder 70 Prozent Rabatt angeboten. Dass kann der Endverbraucher überhaupt nicht mehr ernst nehmen. Wenn ein Händler dann aber für sein Boxspringbett 5.000 Euro aufruft, muss er schon ausgesprochen qualifizierte Leute haben, um das vermitteln zu können. Wie verrückt sich der Markt entwickelt hat, zeigt über viele Jahre die Boxspringvermarktung von QVC.

Haustex: Warum funktioniert das im Teleshopping so erfolgreich?

Titze: QVC hat Boxspringbetten für mehr als 3.500 Euro vermarktet. Wenn Sie über einen Fernsehkanal ein so hochwertiges Produkt verkaufen, dann müssen Sie die Warenpräsentation absolut optimieren. Sie nehmen den besten Berater, der die besten Argumente gegenüber dem Kunden erläutert, und das mit Menschen, die auch noch vertrauenserweckend sind. Das strahlt eine große Sicherheit aus und führt dadurch zum Erfolg.

Haustex: Also muss der Bettenfachhändler öfter mal fernsehen, um sich etwas abzugucken?

Titze: Nein, aber er muss seine Kundenansprache optimieren und dafür sorgen, dass auch seine Mitarbeiter das vernünftig und gut rüberbringen. Sie müssen heute nur in fünf Geschäfte gehen und Mysteryshopping machen. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer: In drei von fünf Fällen werden Sie anschließend die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
aus Haustex 10/16 (Wirtschaft)