Projekt Valikom eröffnet ungelernten Beschäftigten Chancen im Handwerk: Zertifikat macht langjähriges Know-how sichtbar
Es gibt viele Gründe, warum einzelne Beschäftigte im Handwerk nicht den klassischen Weg der Berufsausbildung beschritten haben. Das neu ins Leben gerufene, sogenannte Validierungsverfahren (Valikom) bietet dieser Zielgruppe die Möglichkeit, einen Nachweis ihrer beruflichen Qualifikation zu erlangen. Im Bodenhandwerk wird dies für die Ausbildungsberufe Bodenleger und Fliesenleger angeboten. FussbodenTechnik hat Tina Rapp, Projektleitung Valikom Transfer, dazu befragt.
Ein ungelernter Bauhelfer, der seit 20 Jahren Bodenbeläge verlegt, kann aus verschiedenen Gründen keine klassische Ausbildung zum Bodenleger mehr absolvieren. Mit dem Validierungsverfahren (Valikom) hat er neuerdings die Möglichkeit, seine Erfahrungen unter Beweis zu stellen und ein Zertifikat von der Handwerkskammer zu erlangen, das ihm bescheinigt, dass er die gleichen Kompetenzen wie eine ausgebildete Fachkraft hat.
FussbodenTechnik: Frau Rapp, an welche Zielgruppe richtet sich das Validierungsverfahren?
Tina Rapp: Personen ohne Berufsabschluss haben es auf dem Arbeitsmarkt oftmals schwerer, da ihnen ein formaler Nachweis ihrer Kompetenzen fehlt. Insbesondere wenn sie arbeitslos werden, kann dies ein handfestes Problem sein, denn auf dem Arbeitsmarkt werden sie leicht übersehen oder unterschätzt. Ziel des Validierungsverfahrens ist es daher, die beruflichen Kompetenzen von Personen, die außerhalb des formalen Bildungssystems ihre beruflichen Kompetenzen erworben haben, für den Arbeitsmarkt transparent sichtbar zu machen, um so ihre Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Daher können alle Personen, die über keinen (verwertbaren) Berufsabschluss verfügen, an dem Verfahren teilnehmen. Das sind in erster Linie An- und Ungelernte, Quereinsteiger und Personen mit im Ausland erworbenen Berufserfahrungen.
FT: Inwiefern ist das Validierungsverfahren anerkannt? Was erhalten die Teilnehmenden am Ende des Verfahrens?
Rapp: Es handelt sich hierbei um ein sogenanntes Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahren. Am Ende des Verfahrens stellt die Kammer ein Validierungszertifikat aus. Es bescheinigt, dass die Person entweder für das gesamte Berufsbild oder für Teile des Berufs gleichwertige Kompetenzen wie eine Fachkraft im jeweiligen Referenzberuf nachgewiesen hat. Aus Arbeitszeugnissen, die Menschen ohne Abschluss oft vorweisen, können zwar Rückschlüsse auf die bisherigen ausgeübten Tätigkeiten gezogen werden, allerdings sind diese lange nicht so aussagekräftig wie Nachweise aus dem formalen Bildungssystem. Durch das Zertifikat erhalten Personen ohne Berufsabschluss erstmalig die Gelegenheit, ihr berufliches Können verlässlich und transparent von einer für die berufliche Bildung zuständigen Handwerkskammer sichtbar zu machen.
Die Kompetenzen werden immer in Bezug auf einen anerkannten Berufsabschluss bewertet und zertifiziert. Diese Abschlüsse sind am Arbeitsmarkt bekannt und die Kompetenzen, die für die Ausübung des jeweiligen Berufes benötigt werden, sind klar definiert und festgeschrieben. So erhalten die Personen ein Dokument mit hoher Aussagekraft.
FT: Warum ist Valikom ins Leben gerufen worden?
Rapp: Um die EU-Ratsempfehlung von Dezember 2012 zur Validierung nichtformalen und informellen Lernens umzusetzen, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam mit dem Deutschen Handwerkskammertag und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag das Projekt Valikom initiiert. Die EU-Ratsempfehlung besagt, dass die Mitgliedsstaaten Regelungen für die Validierung des nichtformalen und des informellen Lernens - im Einklang mit ihren nationalen Gegebenheiten und Besonderheiten und nach eigenem Ermessen - bis spätestens 2018 eingeführt haben sollten.
FT: Was ist das Ziel von Valikom?
Rapp: Mit Valikom werden mehrere unterschiedliche Ziele verfolgt: Die Validierung der Berufskompetenzen von Angelernten und Quereinsteigern durch zuständige Kammern ist ein zusätzlicher Baustein in einer Gesamtstrategie zur Fachkräftesicherung und ergänzt die bestehenden erfolgreichen Instrumente der beruflichen Bildung. Durch die Validierung können Betriebe das Wissen und Können von Menschen ohne Berufsabschluss besser einschätzen und ihre Fähigkeiten im Unternehmen optimal einsetzen. Die abschlussbezogene Validierung ist auch eine große Hilfe, um den Weiterbildungsbedarf von angelernten Beschäftigten zu erkennen und diese bei einer passgenauen Weiterbildung zu unterstützen. Mitarbeitende und zukünftige Beschäftigte erhalten zudem Wertschätzung und neue Entwicklungsperspektiven für ihr berufliches Können.
Von der Validierung können vor allem auch kleine und mittlere Betriebe im Handwerk profitieren, denn sie haben häufig nicht die Kapazitäten, um umfangreiche Maßnahmen der Personalentwicklung und Mitarbeiterbindung zu planen und durchzuführen und so auch das Potenzial im eigenen Unternehmen zu heben. Personen ohne Berufsabschluss fehlt ein anerkannter Nachweis ihrer Fähigkeiten. Dadurch werden sie auf dem Arbeitsmarkt oft übersehen. Ziel ist es daher auch, die vorhandenen Kompetenzen für den Arbeitsmarkt transparent sichtbar zu machen, um so die Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen.
FT: Warum können handwerklich tätige Beschäftigte nicht einfach den Weg einer üblichen Ausbildung durchlaufen?
Rapp: Zielgruppe einer Berufsausbildung sind insbesondere junge Menschen, die am Anfang ihres Berufslebens stehen. Zielgruppe eines Validierungsverfahrens hingegen sind Personen, die älter als 25 Jahre sind und die sich über ihre langjährige berufliche Tätigkeit bereits entsprechende berufliche Kompetenzen angeeignet haben. Es gibt viele verschiedene Gründe, warum Personen keine Ausbildung absolvieren oder nicht mehr in ihrem erlernten Beruf arbeiten. Gemeinsam haben diese Personen aber, dass aufgrund ihres Alters bzw. anderer Umstände eine Ausbildung und die damit verbundene Ausbildungsvergütung meist nicht mehr zu ihren Lebenswirklichkeiten passen.
FT: Wie funktioniert ein Validierungsverfahren in groben Zügen?
Rapp: Das Verfahren teilt sich in vier Schritte auf. Erstens Information und Beratung, zweitens Dokumentation, drittens Fremdbewertung und viertens Zertifizierung. Die Dauer eines Verfahrens hängt von verschiedenen Faktoren ab. In der Regel wird ein Verfahren nach drei bis vier Monaten abgeschlossen.
FT: Wie geht ein Handwerker vor, der Interesse an Valikom hat?
Rapp: Erste Informationen erhalten Interessierte auf der Webseite www.validierungsverfahren.de. Wenn die interessierte Person mindestens 25 Jahre alt ist und über einschlägige Berufserfahrung verfügt, kann sie mit der nächstgelegenen Handwerkskammer Kontakt aufnehmen und sich beraten lassen. Alle Ansprechpartner der am Projekt beteiligten Kammern sind ebenfalls auf der Webseite unter "Ansprechpersonen vor Ort" aufgelistet. In erster Linie werden Interessierte durch die Kammermitarbeitenden unterstützt. Auf der genannten Website gibt es beispielsweise ein Erklärvideo, das den Ablauf des Verfahrens vorstellt.
FT: Können auch Interessenten mit sprachlichen Barrieren teilnehmen oder müssen sie zunächst Deutschkurse absolvieren?
Rapp: Das Verfahren steht nicht nur Deutschen, sondern auch Personen nicht-deutscher Herkunft offen, die berufliche Kompetenzen überwiegend im Ausland erworben haben. Das Verfahren wird allerdings ausschließlich in deutscher Sprache angeboten. Daher sollten Interessierte über ausreichende Deutschkenntnisse, die zur Ausübung der relevanten Berufstätigkeiten und zur beruflichen Kommunikation erforderlich sind, verfügen. Die Aufgabenstellungen bei der Fremdbewertung werden praxisnah und in möglichst einfacher, gut verständlicher Sprache ausgestaltet. Mögliche Verständnisprobleme können aufgrund der überwiegend praktisch durchzuführenden Aufgaben bei der Fremdbewertung in aller Regel sehr gut durch Nachfragen und Erläuterungen überwunden werden.
Was ist Valikom?
Der Projektname Valikom steht für die Bewertung (Validierung) von beruflichen Fähigkeiten, die nicht durch eine klassische Ausbildung erworben wurden. Es handelt sich um ein sogenanntes Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahren: Dieses richtet sich an Personen ohne Berufsabschluss und solche mit Berufsabschluss, die aber mittlerweile in einem anderen als dem erlernten Beruf arbeiten (sogenannte Quereinsteiger). Diese können über Valikom ihre im Berufsleben angeeigneten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse bewerten lassen. Am Ende erhalten sie ein Zertifikat: Dieses bescheinigt, inwieweit ihre individuell erworbenen Kompetenzen einem aktuellen deutschen Berufsabschluss entsprechen (dem Referenzberuf; im Bodenhandwerk sind dies momentan die Ausbildungsberufe Bodenleger und Fliesenleger).
Stimme aus dem Handwerk
Ralf Wollenberg: "Valikom ist eine gute Idee"
"Ich bin seit vielen Jahren Prüfer für Bodenlegergesellen an der Handwerkskammer Münster und habe beobachtet, dass viele Lehrlinge mit Migrationshintergrund in der klassischen Ausbildung scheitern, weil die Hürden in der Theorie zu hoch sind. Das sind zum Teil sehr gute Praktiker, aber wenn es an die Theorie geht, gibt es doch erhebliche Schwächen. Valikom bietet vor allem für etwas ältere Beschäftigte eine gute Möglichkeit, weil vorwiegend die Praxis geprüft wird.
Es gibt den Beruf des Bodenlegers seit 2001 und ich prüfe als Ausschussvorsitzender für Nordrhein-Westfalen und zum Teil angrenzende Bundesländer. Das Gebiet hat eine Reichweite von ungefähr 20 Mio. Menschen. Pro Jahr verzeichnen wir vielleicht 50 Prüflinge bei den Bodenlegern. Viele im Bodenhandwerk Tätige sind Quereinsteiger und Angelernte. Letztere haben über Valikom die Möglichkeit, ihre Qualifikation nachzuweisen und zu dokumentieren. Deswegen halte ich das Verfahren für einen sehr guten Ansatz - gerade auch für Selbstständige, die als Quereinsteiger in den Beruf gekommen sind. Sie können gegenüber potenziellen Auftraggebern einen von der Handwerkskammer ausgestellten Nachweis führen, dass sie in dem Beruf oder in Teilbereichen des Berufes geprüft und für gut befunden sind.
Es stellt sich natürlich die Frage, wie man diese Zielgruppe überhaupt anspricht. Man könnte die Zielgruppe über den Großhandel und die Industrie erreichen. Diese Multiplikatoren könnten die Information streuen, aber natürlich genauso die Fachzeitschrift FussbodenTechnik. Wir werden Valikom auch über den Bundesverband Parkett und Fußbodentechnik (BVPF) und die Innungen kommunizieren - aber ich vermute, dass wir darüber nicht so richtig viele Interessenten erreichen.
Fakt ist: Valikom ist eine gute Idee, weil Beschäftigte, die nicht die Zeit und das Geld haben, die Schulbank zu drücken und vielleicht auch schon etwas älter sind, die Möglichkeit haben, ihre Qualifikation im Beruf des Bodenlegers nachzuweisen und dokumentiert zu bekommen."
aus
FussbodenTechnik 02/22
(Handwerk)