Scheinfugen im Estrich sorgen für schwerwiegende Folgen: Rissbildungen im Betonwerksteinbelag

Fußbodenkonstruktionen zählen zu den komplexesten und am höchsten belasteten Bauteilen - schon kleine Fehler können hier große Auswirkungen haben. Dabei hat jede Baustelle ihre eigenen Tücken. Oft zeigt sich im Schadensfall erst anhand der Ursachenforschung, worauf ein Verleger alles achten muss. FussbodenTechnik deckt in Zusammenarbeit mit namhaften Sachverständigen anhand realer Schadensfälle mögliche Fehlerquellen auf. Diesmal geht es um nicht fachgerecht geschlossene Scheinfugen in einer Estrichoberfläche, die zu Rissbildungen in einem Betonwerksteinbelag führten.

Im Zuge des Neubaus eines Verwaltungsgebäudes wurden in den Treppenhäusern und den Vorräumen vor den Aufzügen einschichtige, 30 mm dicke Betonwerksteinplatten im Mittelbett auf zementgebundenen Estrichen auf Dämmschicht verlegt.


Schaden

Fast geradlinige Risse
in Betonwerksteinbelag

Bereits kurze Zeit nach Fertigstellung der Betonwerksteinarbeiten wurden durch die Bauleitung Rissbildungen im Belag festgestellt, deren Ursachen zu klären waren. Bei der Besichtigung des Gebäudes war festzustellen, dass die Risse gerichtet und fast geradlinig durch den im Drittelverband verlegten Betonwerksteinbelag verliefen - immer quer durch den gesamten Raum und immer von einer einspringenden Ecke ausgehend (siehe Bild 1).

Dieses Schadensbild war in fast allen Etagen des Verwaltungsgebäudes in gleicher Form vorhanden. Die Flächengeometrie und der Rissverlauf ließen vermuten, dass die Risse durch vorhandene Scheinfugen im Estrich begründet sein könnten. Eine Kontrolle des Fugenplanes für die Estrichverlegung bestätigte diese Vermutung. Nach Auskunft der Bauleitung war im Leistungsumfang des Estrichlegers neben dem Anlegen der Scheinfugen auch deren kraftschlüssiges Schließen enthalten.

Scheinfugen haben die Funktion, die im Zuge des Schwindens des Zementestrichs auftretenden Zugspannungen durch eine gezielte Rissbildung im Fugenverlauf aufzunehmen und dadurch unkontrollierte, wild verlaufende Rissbildungen zu vermeiden. Scheinfugen können nach dem Erreichen der Belegreife des Estrichs kraftschlüssig durch Vergießen mit Reaktionsharz geschlossen werden. Derartig geschlossene Scheinfugen müssen bei der Verlegung der Bodenbeläge nicht mehr berücksichtigt werden.


Ursache

Nicht fachgerecht
geschlossene Scheinfugen

Zur Klärung der Ursache für die Rissbildungen wurden in mehreren Etagen Bauteilöffnungen angelegt. Dafür wurden überwiegend Bohrkerne im Rissverlauf der Verbundkonstruktion aus dem Betonwerksteinbelag und dem Estrich gezogen. An den Bohrkernen war deutlich zu erkennen, dass die Scheinfugen mittels Kellenschnitt mit einer Tiefe von 10 bis 30 mm an der Estrichoberfläche angelegt wurden und der Estrich durch die Schwindverkürzung in deren Verlauf vollständig durchgerissen war. Der Betonwerkstein war deckungsgleich über der Scheinfuge gerissen. (siehe Bild 2)

Es war weiter zu sehen, dass zum Schließen der Scheinfugen auf der Estrichoberfläche ein Gießharz, vermutlich auf Epoxidharzbasis, aufgetragen wurde. Eine Aufweitung der Scheinfugen an der Estrichoberfläche war in den Bereichen der Bohrkernentnahme nicht erfolgt. Der Füllhorizont des Reaktionsharzes variierte sehr stark, hat überwiegend aber noch nicht einmal die Tiefe des Kellenschnittes erreicht bzw. es war in der Scheinfuge überhaupt kein Gießharz festzustellen. Die Bohrkerne sind zum Teil bereits bei der Entnahme zerfallen. (siehe Bild 3)

Bei der Bohrkernentnahme wurden auch Stellen getroffen, an denen eine "Vernadelung" des Risses mittels Wellenverbindern erfolgte. An diesen Bohrkernen war deutlich zu erkennen, dass in der Estrichoberfläche für die Aufnahme der Wellenverbinder ca. 10 bis 20 mm tiefe Schnitte eingebracht wurden. Die Kammer, in der die Wellenverbinder eingelegt wurden, war an den Flanken zwar mit Harz benetzt, sonst aber nicht gefüllt. Das dünnflüssige Harz ist unterhalb des Wellenverbinders in den Riss gelaufen. Unterhalb des Wellenverbinders konnte sogar ein Kunststoffstreifen in die offene Kammer geschoben werden (siehe Bild4 auf der nächsten Seite). Offensichtlich wurde bei der Scheinfugenfüllung nicht genügend Harz an der Estrichoberfläche nachgelegt, sodass die festgestellten Fehlstellen entstanden sind.

Zusätzlich wurden in zwei Etagen in Teilbereichen Betonwerksteinplatten inklusive des Verlegemörtels zurückgebaut und die Estrichoberfläche im Bereich der Scheinfugen freigelegt. An diesen Stellen war deutlich zu erkennen, dass hier lediglich die Wellenverbinder mit Reaktionsharz eingegossen wurden, der restliche Bereich der Scheinfuge zwischen den Vernadelungsstellen unbehandelt/ungefüllt geblieben ist. (siehe Bild 5 auf der nächsten Seite)

Entscheidend für die Tragfähigkeit des Estrichs im Bereich einer geschlossenen Scheinfuge bzw. eines Risses ist deren Füllung mit einem geeigneten Reaktionsharz über den gesamten Estrichquerschnitt. Estriche auf Dämmschicht werden auf Biegung beansprucht, wodurch Biegespannungen entstehen. Ziel des Verharzens der Scheinfugen/Risse ist es, wieder einen homogenen Estrichquerschnitt herzustellen, der diese Biegespannungen schadensfrei aufnehmen kann. Aus einem Lasteintrag in der Flächenmitte resultieren an der Estrichoberseite Druck- und an der -unterseite Zugspannungen. Bei nicht vollständig gefüllten Scheinfugen/Rissen können diese Zugspannungen nicht aufgenommen werden. Die daraus resultierende unzureichende Tragfähigkeit des Estrichs im Bereich der behandelten Scheinfugen hat zu den Rissbildungen im Betonwerksteinbelag geführt.

Wellenverbinder allein können diese Zugspannungen nicht aufnehmen. Sie werden bei Einwirkung von Zugspannungen durch Strecken der "Welle" auseinandergezogen. Die eigentliche zugfeste bzw. zugkraftübertragende Verbindung der Fugen- bzw. Rissflanken miteinander wird durch deren vollflächige Verklebung über den gesamten Estrichquerschnitt mit einem geeigneten Reaktionsharz erreicht. Wellenverbinder haben einzig und allein die Funktion einer zusätzlichen Sicherung gegen Querkrafteinwirkung und daraus resultierendem Höhenversatz.

Daher sind sie ca. in der Mitte des Estrichquerschnittes einzubauen. Wenn diese dann wie hier geschehen auch noch direkt an der Estrichoberfläche, also in der "planmäßigen" Druckzone, liegen, sind sie völlig wirkungslos. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass sie bei Lasteintrag aus dem Estrichgefüge herausgerissen werden. Das ist leider ein Fehler, der in der Praxis sehr häufig festzustellen ist.

Weitere Schwindverformungen des Estrichs und des Betonwerksteinbelages durch deren weitere Austrocknung nach der Belagsverlegung bis zur Ausgleichsfeuchte erzeugen ebenfalls Zugspannungen im Fugen-/Rissbereich, wodurch es zu der Rissaufweitung im Belag gekommen ist.


Verantwortlichkeit

Estrichleger hat mangelhaft geleistet

Das kraftschlüssige Schließen der Scheinfugen war im Leistungsumfang des Estrichlegers enthalten. Der Schaden ist auf eine mangelhafte Ausführung dieser vertraglich geschuldeten Leistung zurückzuführen. Die Hauptverantwortung für diesen Schaden liegt also beim Estrichleger. Der Verlegebetrieb, der die Betonwerksteinarbeiten ausgeführt hat, muss vor Ausführung seiner Leistung den Estrich auf dessen Eignung prüfen. Die nicht fachgerecht geschlossenen und an der Estrichoberfläche offenen Scheinfugen waren bereits bei einer einfachen Sichtprüfung festzustellen. Das hätte im Rahmen einer Bedenkenanmeldung angezeigt werden müssen.


Was ist eine Scheinfuge?
Scheinfugen haben die Funktion, die im Zuge des Schwindens des Zementestrichs auftretenden Zugspannungen durch eine gezielte Rissbildung im Fugenverlauf aufzunehmen und dadurch unkontrollierte, wild verlaufende Rissbildungen zu vermeiden.


Der Autor

Dipl.-Ing. Burkhard Prechel ist von der HWK Dresden ö.b.u.v. Sachverständiger für das Estrichlegerhandwerk und das Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerhandwerk.

Posottendorfer Straße 7 02827 Görlitz
Tel.: 03581/845160 Mobil: 0157/32803064
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Scheinfugen im Estrich sorgen für schwerwiegende Folgen: Rissbildungen im Betonwerksteinbelag
Foto/Grafik: Prechel
Die Risse verliefen gerichtet und
fast geradlinig durch den im Drittelverband
verlegten Betonwerksteinbelag.
aus FussbodenTechnik 02/22 (Handwerk)