Vergaberecht
Falscher Ort für politische Ziele
Eschborn - Gegen den Widerstand der Wirtschaft sollen Behörden zukünftig bei Ausschreibungen auch soziale und Umweltaspekte bei der Auftragsvergabe berücksichtigen können - auch wenn diese sich nicht auf die nachgefragte Leistung oder Lieferung beziehen.
"Bislang waren öffentliche Ausschreibungen dazu da, mit Steuermitteln verantwortungsvoll umzugehen - jetzt kann damit auch Entwicklungspolitik betrieben werden", stellt Dr. Wolf-Rüdiger Baumann, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie (t+m) fest. "Selbstverständlich sprechen wir uns ausdrücklich gegen Kinderarbeit oder nicht vermeidbare Umweltbelastungen aus - aber bei öffentlichen Aufträgen ist hierfür kein Raum. Statt Rechtssicherheit wird neue Bürokratie geschaffen."
Deutsche Unternehmen werden bei Ausschreibungen das Nachsehen haben, denn ihnen ist es sehr aufwändig nachzuweisen, dass Sozialstandards und Umweltschutzmaßnahmen bei der Entstehung eines Produkts bei stark arbeitsteiliger Herstellung eingehalten wurden. "Die mittelständischen deutschen Unternehmen werden sich deshalb häufig nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen können", ergänzt Dr. Baumann. "Ausländische Unternehmen halten oft den gesamten Produktionsprozess in einer Hand. In Deutschland sind wir hingegen viel stärker spezialisiert und internationalisiert."
Die textile Kette - vom Baumwollfeld über den Faden zum Gewebe und zum Färben bis zum fertig genähten Produkt - ist komplex. Unternehmen müssten ihre Lieferketten umkrempeln und viel Geld in die Hand nehmen, um Zertifizierungsunternehmen mit der Kontrolle zu beauftragen. Dieser Investition steht das Risiko gegenüber, bei der Ausschreibung nicht zum Zuge zu kommen. "Die Auswahl für die Behörden sinkt - und die Bieter, die überhaupt noch übrig bleiben, werden ihre Nachweiskosten auf die Preise aufschlagen - die Mehrkosten trägt der Steuerzahler", gibt Dr. Baumann zu bedenken.
aus
Haustex 06/08
(Wirtschaft)