Verband der Deutschen Heimtextilien-Industrie
Positive Bilanz der Verbandsaktivitäten
Berlin - Alle zwei Jahre treffen sich die Mitglieder der Heimtextilien-Industrie, um in den Fachgruppen Zukunftsstrategien zu entwickeln sowie gemeinsam mit Gästen zu kommunizieren und zu feiern. In den Jahren dazwischen finden Jahrestagungen in reduziertem Rahmen als reine Arbeitstreffen statt. In diesem Jahr traf sich die Heimtextil-Branche wie vor zwei Jahren erneut in Berlin zu der umfangreicheren Variante der Jahrestreffen.
Wer vor einem Jahr gehofft hatte, für 2008 endlich einmal erfreulichere Zahlen in der Heimtextil-Branche bilanzieren zu können, sah sich leider getäuscht. Mehrheitlich musste der Verbandsvorsitzende Johannes Schulte, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Vorwerk Teppichwerke in Hameln, für die Sparten innerhalb des Verbandes Minuszahlen für das erste Tertial 2008 vortragen. Innerhalb des Verbandes sind folgende Produktsparten vereinigt: textile Bodenbeläge, Möbelstoffe für den Ausstattungsbereich, Dekorationsstoffe, Gardinen und Bettwaren.
2007 ging es zwar aufwärts mit der deutschen Konjunktur. Aber der private Konsum - ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der deutschen Heimtextilienindustrie - entwickelte sich nicht wie erhofft. Wachstumsimpulse waren vereinzelt spürbar, setzten sich jedoch nicht auf breiter Front durch. Für die konsumnahe Heimtextilien-Industrie bedeutete dies leichte Umsatzeinbußen von 2,8 Prozent.
Vor dem Hintergrund guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und positiver Konjunkturprognosen für 2008 startete die deutsche Heimtextilien-Industrie im Januar jedoch vertrauensvoll ins neue Jahr. Dennoch ist zum Teil unerwartet heftiger Gegenwind auf den Märkten im In- und Ausland spürbar, der das unternehmerische Geschick der mittelständisch geprägten Industrie in besonderem Maße herausfordert. Es seien nur stichwortartig die Krise auf den Finanzmärkten, die hohe Inflation und der weiterhin starke Euro genannt. Entscheidend für den Binnenmarkt: Angesichts der exorbitant gestiegenen Energie- und Kraftstoffpreise sowie der Preisentwicklung im Lebensmittelbereich übt sich der Konsument zwangsläufig in Kaufzurückhaltung.
Die deutsche Heimtextilien-Industrie insgesamt wurde darum im ersten Tertial 2008 (Januar bis April) mit einem Umsatzrückgang von 1,5 Prozent konfrontiert. Der Inlandsumsatz lag um 2,9 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Das Auslandsgeschäft folgte dagegen einem leichten Aufwärtstrend (1,9 Prozent). Der Exportanteil verstärkte sich auf dadurch 30 Prozent. Blickt man auf die einzelnen Fachbereiche, stellt sich jedoch eine differenzierte Entwicklung dar.
Bettwaren: Bei den Bettwaren enttäuschten nach einem gelungenen Start ins Jahr 2008 die Monate Februar und März. Im April zog die Nachfrage wieder an. Bei der Interpretation der Einzelmonatsergebnisse sind allerdings der frühe Termin für das Osterfest und die damit verbundenen monatlichen Verschiebungen in der Anzahl der Arbeitstage zu berücksichtigen. Verschiebungen gab es zudem auch in den sich wiederholenden Verkaufsaktionen im discountorientierten Handel. Das erste Tertial 2008 endete für die Hersteller fasergefüllter Bettwaren mit einem durchschnittlichen Umsatzrückgang von 11,5 Prozent. Das Inlandsgeschäft enttäuscht momentan besonders mit -19,4 Prozent. Dies könne allerdings im kommenden Monat aufgrund der zum Teil erheblichen zeitlichen Verschiebungen im Absatzkanal bedingt durch Großaufträge aus dem Discountbereich wieder ganz anders aussehen, hofft Schulte. Das Auslandsgeschäft entwickelte sich dagegen recht gut. Der Exportumsatz verstärkte sich um durchschnittlich 11,7 Prozent. Der Exportanteil zog ebenfalls kräftig an um knapp sieben Prozentpunkte auf 32,1 Prozent.
Textile Bodenbeläge: 2008 startete positiv für die Produktbereiche Web- und Tuftingware. Der Spartenumsatz verstärkte sich per Ende April um 5,2 Prozent. Dabei legte der Webbereich mit einem Umsatzplus von 6,2 Prozent überdurchschnittlich zu. Getuftete Teppicherzeugnisse wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr wieder mehr nachgefragt (Umsatzplus: 5,1 Prozent). Angesichts der guten Zahlen im ersten Tertial blickt die Teppichindustrie recht zuversichtlich auf die kommenden Monate. Qualitätsware hat die Nase vorn im Markt, und dies ist die Kernkompetenz der deutschen Teppichhersteller.
Möbelstoffe für den Ausstattungsbereich: Die Nachfrage nach Möbelstoffen für den Ausstattungsbereich entwickelte sich in den ersten vier Monaten 2008 nicht wie erhofft. Das Umsatzergebnis des Vorjahres wurde um 9,3 Prozent verfehlt. Im Bereich Flachgewebe bezifferte sich der Umsatzrückgang auf -9,2 Prozent. Der Veloursbereich wies einen Umsatzrückgang von 9,7 Prozent aus. Im Veloursbereich ist der Qualitätsanspruch des Verbrauchers deutlich spürbar.
Dekorationsstoffe: Der rückläufige Nachfragetrend der Vorjahre setzte sich im ersten Tertial 2008 fort. Insgesamt zeigte sich ein Umsatzrückgang von 7,3 Prozent. Uni-/buntgewebte Dekostoffe waren mit -7,2 Prozent leicht unterdurchschnittlich betroffen. Bedruckte Dekostoffe wurden mit Umsatzeinbußen von 9,4 Prozent konfrontiert.
Gardinen: Einen Umsatzrückgang von 2,4 Prozent bescherte das erste Tertial auch den Herstellern von Gardinen. Die Produktbereiche gewebte Meterware und Konfektion wiesen jeweils ein leichtes Umsatzplus aus. Der Bereich gewirkte Meterware entwickelte sich dagegen leicht rückläufig.
Gut läuft somit momentan nur der Teppichbereich. Die Qualitätsoffensiven der letzten Jahre zahlten sich hier aus, stellte Schulte fest. Möbelstoffe und Dekostoffe tun sich aktuell schwer im Markt. Gardinen halten die Stellung. Und die Bettwarenentwicklung hängt in besonderem Maße vom sprunghaften Orderverhalten des Handels ab. Eines zeigten die Zahlen aber auf jeden Fall: Qualität zahlt sich aus. Qualität bringt höhere Durchschnittspreise und Deckungsbeiträge. Die Stimmung für die nächsten sechs Monate in den Unternehmen ist entsprechend einer aktuellen Umfrage im Mitgliederkreis bei 84 Prozent der antwortenden Unternehmen gut oder befriedigend.
Anschließend zählte der Verbandsvorsitzende noch einige Punkte erfolgreicher Verbandsarbeit auf. Die erzielten Erfolge seien auch ein Ergebnis einer guten Vernetzung mit weiteren Verbänden. Zu den Erfolgen zählte Schulte die Arbeit beim Musterschutz. Der Verband unterstützt Mitgliedsfirmen bei der Verfolgung von Nachahmern. In Berlin waren einige Beispiele zu sehen, wo hochwertige Stoffe auf minderwertigen Qualitäten sklavisch nachgeahmt wurden. Dennoch stellte Schulte fest, dass noch zu wenig Unterstützung durch andere Institutionen beim Musterschutz erfolge. Als rühmliche Ausnahme nannte er die Messe Frankfurt, der er für ihre Arbeit ausdrücklich Dank sagte.
Auch in Sachen Antidumpingverfahren hat sich der Verband engagiert, zum Beispiel gegen Strafzölle für Polyesterstapelfasern aus Taiwan und Malaysia. Sehr am Herzen liegt dem Verband die Normungsarbeit. Das Problem ist laut Schulte, dass bei Passivität in diesem Punkt unter Umständen herauskomme, dass die Unternehmen gezwungen sein könnten, mit Normen zu arbeiten, mit denen sie nicht einverstanden seien. Seine Warnung: "Wer nicht normt, wird genormt!" Schulte appellierte daher dafür, dass sich mehr Unternehmen in dieser wichtigen aber auch zeitaufwändigen Sache engagieren. Derzeit ist der Verband in zwölf Normungsgremien aktiv, in zweien von ihnen hat der Verband den Vorsitz. Schließlich rief Schulte die anwesenden Unternehmer dazu auf, sich in der Textilforschung zu engagieren. Jährlich stelle das Wirtschaftsministerium in Berlin Mittel in Höhe von 12 Mill. Euro zu Verfügung, außerdem gebe es das Forschungskuratorium Textil sowie bundesweit weitere 18 Textilforschungsinstitute. "Dieses Potenzial gilt es zu nutzen", so Schulte.
Peter Hintze, Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftministerium und Bundestagsabgeordneter aus Wuppertal, dem Sitz des Heimtextil-Verbandes, war geladen, um den Tagungsteilnehmern ein Grußwort zu entsenden. Umrahmt von einigen launigen Bemerkungen über den Koalitionspartner gab er seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Binnennachfrage endlich anziehen werde und lobte die Bedeutung des Verbandes und seiner Mitgliedsunternehmen. Es sei ihnen "ganz gut gelungen", mit der Globalisierung zurecht zu kommen und den Wirtschaftsstandort Deutschland zu behaupten. Außerdem betonte Hintze die Tatsache, dass die Heimtextil-Industrie mittelständisch geprägt sei und damit zu den Unternehmen gehöre, welche die tragende Säule der deutschen Wirtschaft bildeten. Es sei das Bestreben der Regierung, die mittelständischen Strukturen zu erhalten, er hoffe deshalb in der Regierung auf eine gute Lösung zur Frage der Erbschaftssteuer. Abschließend ging der studierte Pfarrer auf die aktuelle Wirtschaftslage ein und prognostizierte angesichts der sinkenden Arbeitslosigkeit eine steigende Kaufkraft in der Bevölkerung. Er hoffte, dass die Regierung angesichts der guten Wirtschaftsdaten im ersten Quartal ihre Prognose über die Entwicklung des Bruttosozialproduktes wird revidieren können über die bewusst vorsichtig angesetzten 1,7 Prozent. Zwischenzeitlich deuten die Zahlen der Wirtschaftsforschung auf ein Wachstum von mehr als 2 Prozent hin.
Oliver Schmitz, International Category Manager Living beim Marktforschungsinstitut GfK, gab Ein- und Ausblicke in den Markt für Heimtextilien. Licht und Schatten gibt es hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Positiven Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute, auch für den Inlandskonsum, stehen negative Faktoren entgegen, die oben schon von Johannes Schulte erwähnt wurden. Aber die Kunden sind laut einer GfK-Befragung für die Messe Frankfurt zunehmend unzufrieden mit ihrer Inneneinrichtung. Schmitz vermutet, dass sich ein gewisser Konsumstau im Laufe der letzten Jahre aufgebaut hat. Mit 36 Prozent beabsichtigen in diesem Jahr gut ein Drittel aller Verbraucher, mehr für Haus- und Heimtextilien auszugeben. Vor zwei Jahren lag der Wert erst bei 20 Prozent. Gleichzeitig ging allerdings der Anteil der Käufer von Heim- und Haustextilien im letzten Jahr auf 56 Prozent zurück. Nur gut, dass gleichzeitig von denen, die kauften, mehr Geld ausgegeben wurde. Außerdem gibt es einen leichten Trend zu höherwertigeren Artikeln. Die Durchschnittsausgaben pro Jahr sind laut Schmitz seit 2006 um rund 7,5 Prozent auf 371 Euro angestiegen.
Um der Rückkehrt zur Qualität und dem Ende von "Geiz ist geil" besser profitieren zu können, werde die Entwicklung und der Ausbau von Marken zunehmend wichtiger. Allerdings gibt es im Bereich der Wohntextilien laut einer Umfrage noch zu wenige Marken, die dem Verbraucher bekannt sind. Je nach Produktbereich können zwischen 86 Prozent bei Bade- und Saunatüchern und 97 Prozent bei Woll- und Tagesdecken keine Marke nennen. Dieses Manko scheint der Industrie bewusst zu sein, denn von 100 befragten Industrieunternehmen arbeiten derzeit 29 an der Entwicklung einer eigenen Marke. Weitere elf Prozent sind dabei, die eigene Marke beziehungsweise das eigene Produkt weiter zu optimieren.
Interessant ist laut Schmitz auch das Thema Nachhaltigkeit. Legten im letzten Jahr 36 Prozent der Befragten bei ihrer Kaufentscheidung ein spezielles Augenmerk auf Umweltschutz, wenn es um den Kauf von Heimtextilien geht, so sind es in diesem Jahr schon 45 Prozent. Schmitz erwartet, dass dieser Wert weiter ansteigen wird. Schließlich erläuterte der GfK-Mann noch die Bedeutung der so genannten Silver-Generation, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer mehr an Gewicht gewinnen wird. Schon heute sind rund 38 Prozent der deutschen Bevölkerung über 50 Jahren für 46 Prozent der Kaufkraft im Nonfood-Gesamtmarkt verantwortlich. Daher sein abschließender Rat: "Kümmern Sie sich um die Generation Silver, sie ist Gold wert."
Den krönenden Abschluss der Veranstaltung bildete Prof. Dr. Franz Radermacher vom Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung in Ulm. In einem hervorragend aufgebauten Vortrag, der obendrein so gut verständlich war, dass jeder im Saal den nicht unkomplizierten Sachverhalten folgen konnte, beleuchtete er die anstehenden Probleme und Konflikte vor dem Hintergrund der rasch wachsenden Weltbevölkerung und dem Streit um Ressourcen und Umweltbelastungen. Um es vorwegzunehmen: Die Lage ist seiner Ansicht nach sehr ernst.
Radermacher stellte eingangs fest, dass wir in einer sehr kurzlebigen Zeit leben, in unserer Welt ändern sich sehr viele Dinge sehr schnell. Als aktuell größtes Problem hat der promovierte Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler das Bevölkerungswachstum ausgemacht. Mitte der 60er Jahre lebten etwa 3 Mrd. Menschen auf der Erde, momentan sind es rund 6,5 Mrd. Und bis 2050 werden laut Radermacher weitere 5 Mrd. dazu kommen. Nun ist es aber so, dass alle 6,5 Mrd. Menschen das Recht für sich in Anspruch nehmen können, so zu leben wie die entwickelten Länder, mit Autos, Flugzeugen, Heimtextilien und den anderen Annehmlichkeiten. Das Problem der Welt ist allerdings, dass ihre Ressourcen endlich und damit knapp sind. Dazu gehören auch Lebensmittel wie Getreide. Auf der anderen Seite wird Getreide zu Biosprit verarbeitet, werden Golfplätze in Spanien mit teurem Wasser grün gehalten, während Barcelona mit Tankschiffen voller Trinkwasser versorgt werden muss.
Das alles wäre laut Radermacher kein Problem, wenn alle Menschen auf der Welt genug zu essen hätten. Das aber schon jetzt, bei einer Bevölkerung von gut 6 Mrd. Menschen, nicht der Fall. Wie soll es also werden, wenn die Erde über 11 Mrd. Erdenbürger hat? Bislang konnte man sich mit dem technischen Fortschritt behelfen. Die Ingenieure, so der Professor, seien daher die eigentlichen Helden der Menschheit, denn ihnen ist es bislang immer noch gelungen, deren Probleme zu lösen. Andererseits, fragt er listig, wenn die klugen Köpfe die Probleme lösen, warum haben wir dann immer noch welche? Radermacher nennt dieses Phänomen den Bumerang-Effekt: mit jedem Problem, das gelöst wird, entsteht ein neues. Beispiel Medizintechnik: Dadurch werden die Menschen im Durchschnitt immer älter, also steigt die Weltbevölkerung. Als eigentliches Problem hat der Wissenschaftler die so genannten Grenzen kollektiver Aktivität erkannt. Diese Grenzen liegen dort, wo es gerade noch möglich ist zu handeln und die Natur dennoch im Gleichgewicht bleibt. Dieses Problem gab es früher nicht, zu Zeiten, als die Erde nur spärlich bevölkert war. Aber alles, was das chinesische Volk tut, ist auf der gesamten Welt zu spüren, allein durch die Masse von 1,3 Mrd. Menschen. Und Indien ist mit gut 1,1 Mrd. auch nicht viel kleiner. Durch die im Vergleich zu den industrialisierten Ländern rückständige Wirtschaft sind die ökologischen Folgen der Produktion in China und Indien für die Welt wesentlich gravierender. Radermacher gibt jedoch zu bedenken, dass diese Länder nicht zuletzt auch für die westlichen Länder produzieren: "Im Prinzip produzieren sie darum unseren Dreck." Von daher sollte man ganz vorsichtig sein mit voreiligen Schuldzuweisungen gen Asien wegen der dortigen Umweltverschmutzung.
Brisant ist aus Radermachers Sicht die Lage auf dem Weltgetreidemarkt. Die Getreidereserven seien erschöpft, was passiere, wenn das Getreide beispielsweise in den USA knapp werde, so seine Frage in Berlin. Kurze Zeit später wurden große Gebiete des Mittleren Westens der Staaten, der Kornkammer des Landes, durch starke Regenfälle überflutet. Die Folge war, wie der Wissenschaftler es prognostiziert hatte, deutlich gestiegene Preis für Mais und andere Getreidearten.
Angesichts der geschilderten Voraussetzungen wagte der Professor einen Blick in die Zukunft und entwarf drei Szenarien für das Jahr 2058. Wenn man alles so laufen lasse, wie es sich derzeit darstellt, werde das Wirtschafts- und Weltsystem durch die nicht-linearen Prozesse kollabieren. Überschlägig rechnet er mit einer Wahrscheinlichkeit von 15 Prozent mit diesem Worst-Case-Szenario, dem Millionen von Menschen zu Opfer fallen würden.
Eine weitere Möglichkeit ist, alles bis kurz vor dem Kollaps laufen zu lassen und dann einzugreifen, weil wahrscheinlich angesichts der Apokalypse alle Menschen dazu bereit sind, die notwendigen Einschnitte zur Umkehrung der Verhältnisse zu tragen. Durch die wahrscheinlich folgende Kontingentierung könne eine gigantische Ressourceneinsparung erreicht werden. Mit dem unangenehmen Nebeneffekt allerdings, dass 95 Prozent der Weltbevölkerung mit diesen Einschnitten leben müssten und zu den Verlierern gehörten. Triebfeder für die Duldung der Kontingentierung dürfte die Hoffnung aller sein, irgendwie zu den fünf Prozent zu gehören, denen es weiterhin gut gehen wird. Dennoch besteht die Gefahr eines allumfassenden Bürgerkrieges.
Das dritte und aus der Sicht Radermachers beste Modell nennt er das Balance-Modell. Es soll einen Wohlstand für alle gewährleisten, hat aber auch einen Verzicht der so genannten westlichen Welt zur Folge, zu Gunsten der sich industrialisierenden Länder. Der Umgang mit den Ressourcen würde erheblich teurer, die dafür aufgewendeten Mittel flössen aber an die Menschen zurück. Der Wissenschaftler sprach von einer ökosozialen Balance ähnlich der in der EU. Dort sei es gelungen, neu hinzugekommene Länder an den vorhandenen Wohlfahrtsstandard anzugleichen, ohne die anderen Länder schlechter zu stellen.
Die Chance, dass der Kollaps über Kontingentierung abgewendet wird, sieht Radermacher bei 50 Prozent. Immerhin noch 35 Prozent gibt er dem Modell der ökosozialen Balance. Und dazu können laut dem Professor schon heute unter anderem auch die in Berlin anwesenden Unternehmen beitragen, indem sie sich fragen, was sie in ihrem Unternehmen dazu beitragen können für eine stabile und weltweite Balance. Mit donnerndem Applaus dankten die Zuhörer für diesen schlüssigen, wenn auch nicht sonderlich optimistisch stimmenden Vortrag.
Am Vorabend gestaltete zum zweiten Mal nach 2006 das Event-Team des Deutschen Mode-Instituts unter der Leitung von Gerd Müller-Thomkins im Auftrag des Heimtextil-Verbandes "ein Fest der Sinne". Im Spiegelsaal von "Clärchens Ballhaus", einem geschichtsträchtigen Haus mit morbidem Charme, war die Farbe an sich das bestimmende Thema des Abends. Der Verband hatte den Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung gewonnen, den Gästen seine Gedanken und Assoziationen dazu zu offenbaren. Es war beeindruckend mitzuerleben, wie interessant und witzig solch ein auf den ersten Eindruck abstraktes Thema aufbereitet werden kann, wenn man den richtigen Redner dafür gefunden hat. In einem visuellen Experiment wurde die Alltagswahrnehmung von Farbe in einen Zusammenhang mit Farb- und Kulturtheorien gebracht. Ausgehend von konkreten Bildern aus Nachrichtenereignissen, die uns geläufige gesellschaftliche, politische und kulturelle Ereignisse darstellten, wurde die individuelle Farbe in ihrer heutigen Wirkungsweise dargestellt. Somit gelang es dem Verband wieder, eine gelungene Komposition aus Fachinformationen, informeller Kommunikation und Inspiration zu schaffen. Wer, aus welchen Gründen auch immer, nicht nach Berlin kam, hat eine interessante Tagung versäumt.
aus
Haustex 08/08
(Wirtschaft)