Dem Trage- und Schlafkomfort auf der Spur
Von Kupfermännern und Kunststoffkindern
Bönnigheim - Um den Trage- bzw. Schlafkomfort von Socken, Handschuhen und Kinder-Bettwaren noch exakter als bisher beurteilen zu können, stehen den Wissenschaftlern der Hohenstein Institute in Bönnigheim seit kurzem eine Reihe neuer Messapparaturen zur Verfügung.
Im Moment kommen die Thermoregulationsmodelle der menschlichen Hand und des Fußes sowie die thermische Gliederpuppe Charlene in verschiedenen Forschungsprojekten zum Einsatz. Künftig können aber auch Hersteller, Handel und Beschaffungsorganisationen die Atmungsaktivität und Wärmeisolation von Hand- und Fußbekleidung mit sehr viel realistischeren Szenarien untersuchen lassen, als es mit dem Hohensteiner Hautmodell alleine möglich ist.
Mit Hilfe der an den Hohenstein Instituten entwickelten thermischen Gliederpuppe Charlene lässt sich der Schlafkomfort von Kinder-Bettwaren unter Berücksichtigung der physiologischen Besonderheiten von Kindern beurteilen und optimieren. Dazu wird bei Charlene, ebenso wie bei ihrem erwachsenen Pendant Charlie 4, die Wärmeproduktion des menschlichen Körpers mit Hilfe eines Computer gesteuerten Heizsystems nachgestellt. Mit einem Gewicht von 20 kg auf 92 cm Körperhöhe kann Charlene aber deutlich weniger Körperwärme erzeugen, als der rund 75 kg schwere und 175 cm große Charlie 4 - ganz so, wie es auch bei ihren menschlichen Vorbildern der Fall ist. Um unter einer Bettdecke trotzdem eine angenehme Temperatur zu halten, muss deren Wärmeisolation entsprechend höher sein.
Hinzu kommt, dass bei Kindern die Fähigkeit zur Thermoregulation noch nicht voll ausgebildet ist - der Körper reagiert deshalb nicht oder nur verzögert auf sich verändernde Umgebungstemperaturen. Außerdem sind noch nicht alle Schweißdrüsen aktiv. Somit ist die Gefahr des Auskühlens, aber auch der Überhitzung des Körpers ungleich höher als beim erwachsenen Menschen. Charlene besteht anders als Charlie 4 nicht aus Kupfer, sondern aus Kunststoff. Über ein Computer gesteuertes Heizsystem lässt sich die Wärmeproduktion für sechs verschiedene Körpersektionen getrennt voneinander regeln. Dabei gilt: Je mehr Wärme an einer Körperregion abgegeben wird, d. h. je mehr Energie dort zugeführt werden muss, um die angestrebte Hauttemperatur zu halten, desto schlechter ist dort die Wärmeisolation der Bettdecke.
Neben der isolierenden Wirkung ist es die Fähigkeit, den Schweiß des Schläfers effektiv aufzunehmen und vom Körper wegzuleiten, die den Schlafkomfort von Bettwaren definiert. Da Charlene nicht schwitzen kann, werden die Untersuchungen an ihr mit Messungen am Hohensteiner Hautmodell kombiniert. Mit diesem sind Aussagen über den Wasserdampf-Durchgangswiderstand als Maß für die "Atmungsaktivität" sowie Angaben zum Schweißtransport, der Schweißpufferung sowie der Trocknungszeit der verwendeten textilen Materialien möglich.
Gewichtet nach ihrer Bedeutung für den subjektiven Schlafkomfort eines Menschen lässt sich aus all diesen Messwerten die so genannte Schlafkomfortnote für Bettwaren ableiten. Diese kann in dem Bereich von 1 für "sehr gut" bis 4 für "mangelhaft" liegen. Die Komfortnoten werden heute von zahlreichen Herstellern im Handel in Form des Hohensteiner Qualitätslabels am Produkt aufgeführt und ermöglichen dem Verbraucher den einfachen Vergleich zwischen unterschiedlichen Produkten.
In der schwitzenden Hand und dem schwitzenden Fuß sind die Funktionsprinzipien des Hohensteiner Hautmodells und der thermischen Gliederpuppen miteinander kombiniert worden. D. h. sie geben sowohl Feuchtigkeit wie auch Wärme ab. Damit ist es erstmals möglich, die besonderen thermischen Bedingungen an den menschlichen Extremitäten realitätsnah zu simulieren. Entscheidend ist dabei, dass über die große Oberfläche an Fingern und Zehen dem Körper bei entsprechend kühlen Umgebungstemperaturen im Verhältnis zur Masse sehr viel mehr Wärme verloren geht, als zum Beispiel am Rumpf. Um eine komfortable Hauttemperatur aufrecht erhalten zu können, muss die Wärmeisolation von Socken, Schuhen und Handschuhen entsprechend hoch sein. Gleichzeitig müssen die verarbeiteten textilen Materialien den insbesondere bei körperlicher Aktivität entstehenden Schweiß sehr effektiv aufnehmen und vom Körper wegleiten.
Um zum Beispiel verlässliche Werte zum Tragekomfort einer Socken-Schuhkombinationen zu erhalten, mussten bisher alle in den Produkten verwendeten Materialien mit Hilfe des Hautmodells untersucht werden. Die Hochrechnungsszenarien aus dem Bereich der Bekleidung ließen jedoch allenfalls Näherungswerte zu. Mit Hilfe des schwitzenden Fußes sind nun verlässliche und vor allem auch sehr differenzierte Aussagen sogar für einzelne Fußzonen möglich.
In ihrem Aufbau unterscheiden sich schwitzende Hand und schwitzender Fuß gravierend. Beim Thermoregulationsmodell der menschlichen Hand simuliert ein wasserdampfdurchlässiges Membranmaterial die menschliche Haut und gibt die Feuchtigkeit vollflächig ab. Der schwitzende Fuß besteht aus 13 Metallsegmenten - der Schweiß wird über 32 Einzeldüsen abgegeben. Um den großen Einfluss von Ventilationseffekten im Schuh auf den thermischen Komfort berücksichtigen zu können, werden beim schwitzenden Fuß motorisch angetrieben Laufbewegungen simuliert.
Gemein haben alle neuen Messapparaturen im Bereich der Bekleidungsphysiologie, dass ein Großteil der Entwicklungszeit in die Umsetzung der aufwendigen Steuerungs- und Messtechnik geflossen ist: Um die abgegebene Schweißmenge und die zur Aufrechterhaltung komfortabler Temperaturen an der Haut notwendige Energie exakt ermitteln zu können, musste das Team von Prof. Umbach wie auch schon bei der Entwicklung der thermischen Gliederpuppe Charlie 4 und des Hohensteiner Hautmodells technisches und wissenschaftliches Neuland betreten. Von den gewonnenen Erkenntnissen können nun aber Hersteller weltweit profitieren - und letztendlich auch Verbraucher, die sich über optimierte Produkte für Beruf und Freizeit freuen dürfen.
aus
Haustex 02/09
(Wirtschaft)