Textil- und Bekleidungsindustrie
Branche setzt auf Zukunftsmärkte
Münster - Die Mitgliedsunternehmen des Verbandes der nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie stehen vor einem schwierigen Jahr. Das sagte jetzt der Präsident des Verbandes, Justus Schmitz (Emsdetten). Schmitz und sein Vize Wolfgang Brinkmann (Herford) bezeichneten das Jahr 2008 angesichts eines Umsatzminus von 5,3 Prozent als enttäuschend für die Branche. Insgesamt erwirtschafteten die rund 260 Betriebe der Branche in Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen im Jahr 2008 damit einen Umsatz von 5,8 Mrd. Euro.
Leider war der Start in das Jahr 2009 so wie das Jahr 2008 endete", so Schmitz. Wie andere Industriezweige auch verzeichne die Branche massive Auftragseinbrüche. "Das geht durch alle Bereiche von Bekleidung bis hin zu Haus- und Heimtextilien und den technischen Textilien", sagte der Verbandspräsident. Allerdings gebe es in allen Bereichen auch gute Nachrichten aus einzelnen Unternehmen. Schwer hätten es zurzeit vor allem die Automobilzulieferer sowie die stark Export orientierten Unternehmen. "Die Schwierigkeiten unserer Branche sind nicht hausgemacht. Zusätzlich zur Automobilkrise belastet uns, dass die weltweite Konjunkturkrise in unseren Exportmärkten viel stärkere Auswirkungen hat als hier in Deutschland", erklärte der Unternehmer. So sei bei einer durchschnittlichen Exportquote von 37 Prozent aus der einstigen Export-Stärke nun eine Schwäche der Branche geworden.
Wie der Verband in seiner Jahrespressekonferenz berichtete, ist für ein Drittel der von ihm vertretenen Unternehmen Kurzarbeit ein aktuelles Thema. Sie haben bereits Kurzarbeit angemeldet oder gehen davon aus, dass sie es in Kürze tun werden. "Unsere Unternehmen sind aber fest davon überzeugt, dass die Krise vorübergeht und setzen daher zunächst auf Kurzarbeit, um in der hoffentlich bald eintretenden wirtschaftlichen Erholung über qualifizierte und erfahrene Fachkräfte verfügen zu können", sagte Schmitz. Dennoch müsse man davon ausgehen, dass sich der Personalabbau im Jahr 2008 (-7,4 Prozent) auch in diesem Jahr fortsetze. Immerhin mehr als 70 Prozent der Unternehmen hätten gemeldet, dass ihr Auftragsbestand zu Jahresbeginn niedriger sei als zum selben Zeitpunkt ein Jahr zuvor. Und rund die Hälfte der Textil- und Bekleidungsunternehmen erwarte, dass sich die Auftragslage im Jahresverlauf noch weiter verschlechtere. Trotz des Personalabbaus und der schlechten Auftragslage stellen die Unternehmen der Branche weiterhin so viele Ausbildungsplätze zur Verfügung wie bisher. Auch die Chancen, nach Abschluss der Ausbildung übernommen zu werden seien unverändert hoch.
Wie der Verband mitteilte, ist trotz der zum Teil dynamischen Kosten- und Lohnentwicklung beispielsweise in Osteuropa die Produktion von Textilien im Ausland oftmals nach wie vor deutlich kostengünstiger als in Deutschland. Gegenwärtig beschäftigten die Unternehmen der nordwestdeutschen Textilindustrie rund 18.000 Mitarbeiter in Deutschland und etwa 16.000 im Ausland. Bei den Bekleidungsunternehmen würden sogar dreimal so viele Menschen im Ausland wie in Deutschland beschäftigt - rund 8.000 Mitarbeitern in Deutschland stehen etwa 24.000 Mitarbeiter im Ausland gegenüber. "Wir sind in der internationalen Arbeitsteilung weiter als andere Industrien", sagte Brinkmann. Der Markt erfordere gerade bei den preisbewussten deutschen Verbrauchern, die günstigsten Produktionsstätten zu wählen. "Würden wir nicht im Ausland produzieren, wären große Teile der Haus- und Heimtextilien in Deutschland um bis zu 50 Prozent teurer, Bekleidung sogar um bis zu 300 Prozent", erklärte der Unternehmer. Außerdem sichere die Auslandsproduktion starke zukunftsfähige Systemköpfe in Deutschland, in denen qualifizierte Fachkräfte gebraucht würden, da textile Produkte aus Deutschland vor allem dann gute Zukunftschancen hätten, wenn sie innovative Zusatzfunktionen oder Verwendungsmöglichkeiten hätten.
So seien Faserverbundwerkstoffe im Fahrzeugbau auf dem Vormarsch, da sie bei gleicher Stabilität deutlich leichter seien und zur Energieeinsparung beitragen würden. "Der neue Airbus, der zurzeit in Stade gebaut wird, besteht zur Hälfte aus Textilien - und das sind nicht die Sitzbezüge", sagte Schmitz. Auch in Automobilen bestünden zunehmend ganze Fahrzeugteile aus Textilien. Zukunftsmärkte sehe die Branche außerdem im Bereich der Sicherheit mit leuchtenden Textilien. Zudem profitiere die Branche vom demografischen Wandel. "Der Bedarf an textilen Produkten von der Wundauflage bis zum Implantat nimmt zu", so Schmitz. Im Bekleidungsbereich lägen Outdoor-Textilien nach wie vor hoch im Kurs, die mit immer neuen Zusatzfunktionen ausgestattet würden. "Es werden mittlerweile Kleidungsstücke mit integrierten Solarzellen entwickelt, so dass man seinen MP3-Player am Strand vom Badeanzug aus betreiben kann", berichtete Brinkmann. Im modischen Bereich zeige sich die Kraft starker Marken. So berichte Gerry Weber (Halle/Westf.) über Rekordergebnisse und auch ostwestfälische Marken wie Brax, Pierre Cardin, Seidensticker oder Bugatti behaupteten sich im internationalen Wettbewerb.
Den aktuellen Tarifabschluss der Branche mit einer Tariferhöhung von durchschnittlich 2,85 Prozent in den nächsten zwei Jahren bezeichnete Brinkmann, der die Verhandlungen auf Arbeitgeberseite bundesweit führte, als "schwierig". Für einige Unternehmen sei damit sicherlich die Schmerzgrenze überschritten worden. "Allerdings konnten wir einige Öffnungsklauseln vereinbaren, die es Unternehmen, die sich in einer besonders schwierigen Situation befinden, ermöglichen, die Belastung zu halbieren", sagte der Vizepräsident des Verbandes. Brinkmann wies darauf hin, dass die zusätzlichen Belastungen der Unternehmen durch den Tarifabschluss durch Kosteneinsparungen an anderer Stelle aufgefangen werden müssten. Preiserhöhungen seien am Markt schon seit einigen Jahren kaum noch durchzusetzen. "Wir hatten seit 2006 Tarifsteigerungen von 9,9 Prozent, die Preise für unsere Produkte sind im Bekleidungsbereich aber nur um 3,2 Prozent und im Textilbereich sogar nur um 1,1 Prozent gestiegen. Wir lagen damit deutlich hinter der allgemeinen Entwicklung der Verbraucherpreise von 5,1 Prozent", so Brinkmann.
Der Verband erneuerte seine Forderung nach einer umfassenden Steuerreform. "Das Ziel mehr netto vom brutto darf nicht aufgegeben werden", sagte Schmitz. Gegenwärtig sei es so, dass bei einem Durchschnittseinkommen von rund 2.000 Euro eine Tariferhöhung um 100 Euro eine Unternehmensbelastung von 120 Euro bedeute, bei den Mitarbeitern aber je nach Steuerklasse nur 34 bis 48 Euro ankämen. Eine umfassende Steuerreform sei die wirkungsvollste Möglichkeit die Binnenkonjunktur langfristig zu stärken. Branchenbezogene staatliche Hilfsprogramme lehnt die Textil- und Bekleidungsindustrie aus Wettbewerbsgründen ab. "Wir haben schon in der Vergangenheit gezeigt, wie man Krisen ohne staatliche Hilfen bewältigt", so Schmitz. Die Branche setze auf Innovation und Flexibilität statt auf Subventionen und staatliche Beteiligungen. "Wir möchten unsere hochwertigen Produkte auch nicht in einem Atemzug mit dem Begriff Abwrackprämie genannt sehen", erklärte der Verbandspräsident.
Große Sorge macht dem Verband die gegenwärtige Diskussion über die weitere Anwendung des Kantendrucks. Das Bundesfinanzministerium hatte ohne Vorankündigung verfügt, dass die über viele Jahre angewandte Praxis des Bedruckens von in Deutschland produziertem Gewebe an der Webkante ab sofort nicht mehr als ursprungsbegründend im zollrechtlichen Sinne anerkannt würde. Da die zollrechtlichen Bestimmungen auf EU-Ebene die tatsächlich wertschöpfenden Prozesse bei der Produktion von Geweben nicht berücksichtigen, wohl aber das Bedrucken, war der Kantendruck für deutsche Hersteller bislang die einzige Möglichkeit, EU-Ursprung für ihr Produkt zu erlangen. "Wenn das Gewebe aber nach weiteren Produktionsschritten im nichteuropäischen Ausland schließlich in der EU verkauft werden soll, werden nun Zölle fällig - die deutschen Produkte sind nicht mehr wettbewerbsfähig", sagte Schmitz. Einer aktuellen verbandsinternen Umfrage zufolge sind etwa 15 Prozent der Textilunternehmen vom Wegfall des Kantendrucks betroffen. Sie befürchten Umsatzeinbußen von bis zu 30 Prozent. "Wenn das Bundesfinanzministerium hier nicht einlenkt, wird das mehrere tausend Arbeitsplätze in Deutschland kosten", sagte Schmitz. Der Verbandspräsident kündigte weiteren heftigen Widerstand gegen die Entscheidung des Bundesfinanzministeriums an, die, so Schmitz, in Europa einzigartig sei. "In keinem anderen EU-Staat agiert man so gegen die Interessen der Textilindustrie wie in Deutschland", sagte der Unternehmer. Das Verhalten des Bundesfinanzministeriums sei umso bemerkenswerter, weil sowohl das Bundeswirtschaftsministerium als auch zahlreiche Landesregierungen in dieser Frage die Textilindustrie unterstützten.
aus
Haustex 05/09
(Wirtschaft)