Interview des Monats: Recticel Schlafkomfort/Schlaraffia, Bochum
"Handballtrainer Heiner Brand schläft auf einer Gel-Matratze"
Wenn man von einer Marke im Matratzenmarkt reden kann, dann ist es Schlaraffia. Sie besteht in diesem Jahr seit 100 Jahren und das Markenlogo der Dampfwalze dürfte zahlreichen Verbrauchern ein Begriff sein. Seit fast 20 Jahren gehört die Marke zum belgischen Recticel-Konzern. In dieser Zeit hat der Konzern die Marke weiter entwickelt und zahlreiche neue Produkte auf den Markt gebracht. Haustex besuchte in Bochum Markus Veutgen, Marketingleiter, und Burkhard Prätzel, Werbeleiter, und sprach mit ihnen über die Pläne zum Markenjubiläum, die Rolle, die Schlaraffia innerhalb des Recticel-Konzerns spielt und die Bedeutung des Fachhandels.
Haustex: Herr Veutgen, Herr Prätzel, 100 Jahre Schlaraffia. Wie bekannt ist die Marke in Deutschland und wie ist sie im Markt für Schlafsysteme positioniert?
Markus Veutgen: Mancher mag die 100 Jahre negativ sehen und behaupten, wer so alt ist, sei traditionell orientiert, behäbig und verstaubt. Das sehe ich anders, denn wer so viele Jahre überstanden hat, besitzt Kompetenz, die bei jüngeren Unternehmen nicht unbedingt vorhanden ist. Das hat man auch im Recticel-Konzern so gesehen und nach der Übernahme des Unternehmens sehr viel Wert auf den Ausbau und die Weiterentwicklung der Marke gelegt. Wir haben bei Schlaraffia eine Alterszielgruppe ab 35 Jahre aufwärts. Dort haben wir eine Bekanntheit von knapp 70 Prozent. Das ist ein sehr hoher Wert in einem Bereich, der Low-interest-Produkte herstellt, und für Deutschland einmalig. Man kann erst von einer Marke sprechen, wenn der Verbraucher sie wahrnimmt. Das ist allerdings auch eine Gratwanderung für uns, denn gerne werden Markenprodukte zur Profilierung des Handels genutzt. Verkauft werden aber lieber Eigenmarken, die aufgrund eines geringeren Marketingbudgets bessere Margen versprechen. Eine echte Marke bietet Nutzen für beide Seiten. Insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und bei jüngeren Zielgruppen spielen Marken eine immer höhere Bedeutung bei der Kaufentscheidung.
Haustex: Allerdings findet man Schlaraffia auch auf Flächen, mit denen sich der Fachhandel weniger anfreunden kann. Diese Strategie ist nicht unbedingt eine Markenpolitik reinsten Wassers.
Veutgen: Wir sollten das differenzieren. Markenpolitik ist nicht gleich Vertriebswegepolitik. Markenpolitik richtet sich an den Endkunden, wir müssen ihn da abholen, wo er einkauft. Wir müssen neue Vertriebsmöglichkeiten überprüfen und gegebenenfalls auch nutzen. Die Zahl der inhabergeführten Bettenfachgeschäfte ist in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen und der Markt hat sich immer mehr in Richtung Discounter verlagert. Discounter bedeutet aber nicht unbedingt immer nur billig, so dass dort auch für uns ein Potenzial vorliegt. Der Discountbereich hat sich gut positioniert und die Lücke ausgefüllt, die die Fachgeschäfte geöffnet haben. Dies haben wir als Verbraucher auch in verschiedenen Branchen festgestellt. Zum Beispiel im Elektronik-Bereich ist jedem der schnelle Wandel vom Fachmarkt zu Discount präsent. Wir sehen, dass sich die Märke auseinander bewegen. Es geht preislich nach oben und nach unten, die Mitte ist ein großes Problem und wird es auch in Zukunft sein. Zusätzlich ist durch die Wirtschaftskrise erstmalig auch das obere Segment sehr stark unter Druck. Die zunehmenden Insolvenzen im Topsegment zeigen uns diese Entwicklung deutlich auf. Ich meine, dass der Fachhandel sich zunehmend auf den Bereich Service und Umsetzung von Innovationen konzentrieren muss. Für den Fachhändler, der den Discounter als Wettbewerber sieht, kann der nächste Messebesuch auch der letzte sein. Vielmehr muss die Lücke gesucht werden, um sich besser im Wettbewerb zu positionieren. Für viele Verbraucher ist und bleibt die persönliche Beratung wichtiger als der Preis. Wir arbeiten mit Schlaraffia auch im Discountbereich, um als Marke für den Endkunden präsent zu sein. Wir können keine Nischenpolitik fahren, dafür haben wir andere Marken im Konzern, wie Sembella, Superba und Swissflex. Dabei handelt es sich um Marken, die erklärungsbedürftiger sind und mit denen sich der Händler profilieren könnte. Nur das Produkt alleine darf jedoch nicht im Vordergrund stehen. Für mich bilden Beratung am POS und after-sales-service die Wettbewerbsvorteile für den Fachhandel.
Haustex: Eigenmarken werden im Handel allerdings auch gerne verkauft, da sie aus der preislichen Vergleichbarkeit herausfallen, die bei Markenprodukten per Internet schnell erreicht werden kann. Wenn die Marke Schlaraffia beim Discounter liegt und im Fachhandel, entsteht doch genau diese Vergleichbarkeit.
Veutgen: Wir differenzieren unsere Produkte nach Vertriebswegen und verwenden unterschiedliche Preispositionierungen. Das Internet werden wir nicht mehr aus unserem täglichen Leben ausschließen können und es wird noch weiter an Bedeutung gewinnen. Auch hier stellen wir fest, dass der Preis nicht alles ist. Selbst der günstigste Preis hat für den Verbraucher keinen Vorteil, wenn ich das bestellte Produkt nicht erhalte oder nicht in der erwarteten Qualität. Diesen Lernprozess muss der Verbraucher noch durchmachen. Bei folgenden Interneteinkäufen wird er vorsichtiger sein. Ich denke, dass der Verbraucher immer schwieriger einzuschätzen sein wird. Dennoch gibt es Grundtendenzen im Kaufverhalten. Ein Kunde, der überwiegend im Discountbereich einkauft, wird auch diesen Vertriebskanal bei langfristigen Gebrauchsgütern bevorzugen. Bei einem Vergleich mit dem Fachhandel muss die Differenzierung erfolgen. Darum sind auch Discountpreise in einem Bettenfachgeschäft überhaupt nicht sinnvoll und verwässern dessen Profilierung vor Ort. Der Fachhändler ist eine regionale Marke. Wenn keine eindeutige Positionierung erfolgt, dann ist der Fachhändler der zweite Sieger und hat mittelfristig keine Existenzberechtigung mehr. Die starke Konzentration auf Eigenmodelle wird aus meiner Sicht die Wettbewerbsfähigkeit langfristig nicht wesentlich stärken. Diese Erfahrungen hat bereits der Lebensmittelhandel vor Jahren gemacht und den Anteil der Eigenmarken zugunsten von Markenprodukten wieder reduziert. Was nutzen einem Händler hoch kalkulierte Eigenmodelle, wenn der Endkunde nicht mehr kauft?
Haustex: Wie differenzieren Sie konkret bei Schlaraffia nach den Vertriebskanälen?
Veutgen: Ein wesentliches Mittel zur Differenzierung ist der Einsatz unserer Marken aus dem Konzern. Mit Schlaraffia sind wir sehr breit aufgestellt und müssen auf eine breite Distributionspolitik zurückgreifen. Darunter hatten wir Dormilux im Preiseinstieg. Im Laufe der Zeit ist der Bereich Dormilux immer stärker aufgewertet worden. Jetzt bieten wir eine breite, technologisch anspruchsvolle Sortimentspalette an. Dormilux wird auch als Handelsmarkenlieferant eingesetzt. Auch hier ist nicht nur der Preis entscheidend, sondern das gesamte Servicepaket. Sembella bedient als Nischenanbieter den Naturbereich seit Jahren erfolgreich mit dem Technologieschwerpunkt Naturkautschuk. Superba und Swissflex sind für den Bettenfachhandel und den gehobenen Bereich. Superba ist emotional, stofflich orientiert und Swissflex technischer aufgestellt. Mit diesen Marken um Schlaraffia herum bieten wir ein Markenportfolio aus einer Hand. Schlaraffia als Volksmarke muss zudem überall präsent sein, um auch das Markenbewusstsein aufrecht zu erhalten. Es nutzt nichts, wenn ein Markenname vorhanden ist, der Konsument das Produkt nur noch selektiv erhält. Wir versuchen, das Thema Schlafen anders aufzubereiten, denn Matratzen gibt es auf dem Markt reichlich, auch zunehmend als Importware. Wir wollen mehr eine Art Aura um die Matratze bilden. Dafür müssen wir mehr über Schlaf, Schlafsysteme und über Nutzen sprechen. Diese Hintergrundinformationen müssen für den Endkunden einfach und plausibel dargestellt werden.
Haustex: Gibt es unterschiedliche Produktlinien für unterschiedliche Vertriebsformen?
Prätzel: Wir unterscheiden nach einfachen Produkten mit geringem Erklärungsbedarf, die dadurch auch relativ einfach im Verkauf durchlaufen, und nach Produkten, hinter denen mehr Know-how und eine fundierte Entwicklungsgeschichte stehen. Dafür benötige ich das entsprechend qualifizierte Verkaufspersonal mit Beratungskompetenz. Wenn ich die habe, dann kann ich mich auch preislich differenzieren. Nehmen wir das Thema Gel. Die Entwicklung dieser Serie erfolgte diesmal nicht mit einem Orthopäden, sondern einem Sportwissenschaftler, der vom prophylaktischen Ansatz an das Thema herangeht. Wir wollen keine kranken Leute mit einer teuren Matratze bedienen, denn eine Matratze kann körperliche Schäden nicht reparieren, sondern nur lindern. Wir wollen die Leute vielmehr dazu bewegen, über das Thema Gesundheit nachzudenken und mit dem Thema Matratze zu verbinden.
Haustex: Sind die Gel-Produkte somit eher ein Fachhandelsprodukt?
Veutgen: Ich denke schon. Unsere Gel-Matratzen sind genau das Produkt, das der Endverbraucher in diesen Kanälen sucht. Wir verfügen mit dem Produkt über eine Geschichte für den Endkunden, die zudem wissenschaftlich belegt ist und die einen Mehrnutzen bietet. Durch die Kombination einer technologischen Innovation mit einem neuen Material ist das Produkt also eher ein Fachhandelsthema.
Haustex: Gehören für Sie auch die Möbler dazu?
Veutgen: Es gibt immer mehr gute Fachabteilungen in Möbelgeschäften. Der Möbelhandel hat in der Beratungsqualität so manchen Fachhändler überholt. Wir haben klassische Möbler, die eine Top-Beratungsqualität haben und sehr viel in die Ausbildung ihres Personals investieren. Eine Bewertung muss für uns von Kunde zu Kunde betrachtet werden. Deshalb ist es unsere Aufgabe, vertrieblich zu steuern, welches Modul in welche Vertriebsschiene und zu welchen Kunden passt. Also zählen für uns erst der Kunde und dann die Vertriebsschiene. Dies erfolgt durch unsere Außendienststruktur vor Ort.
Haustex: Ist Ihre Strategie also nicht so zu verstehen, dass Schlaraffia bestimmte Produkte für klar definierte Absatzkanäle entwickelt?
Veutgen: Wir entwickeln zunächst Produkte und Ideen. Dann erfolgt die Abstimmung mit unseren Kunden. Eine Einführung der Produkte wird dann in enger Zusammenarbeit umgesetzt. Beide Partner bringen ihre Erfahrungswerte und Wünsche in eine Partnerschaft ein. Speziell für den Bettenfachhandel haben wir eine Kollektion entwickelt als Kombination zwischen Technik und Markenwelt. Dieses Konzept werden wir in der zweiten Jahreshälfte in Testmärkten überprüfen. Damit werden wir dann eine ausgewählte Kundenschicht bedienen.
Haustex: Warum dafür eine neue Kollektion entwickeln, wenn Sie doch schon mit den Gel-Produkten etwas Geeignetes für den Fachhandel haben?
Veutgen: Das wäre für uns zu spät, da wir das Thema Gel schon in die Fläche gebracht haben. Ich denke aber, das wird sich im Laufe der Zeit wieder regulieren, da wir feststellen, dass das Produkt auf der Fläche über die klassisch preisorientierte Werbung nicht geht. Dafür läuft es für uns dort, wo kompetente Beratung vorhanden ist, fast schon überraschend gut. Und das in einer gehobenen Preislage. Gel hat uns gezeigt, dass es sinnvoll ist, ein anspruchsvolles Konzept mit ausgesuchten Partnern umzusetzen. Daher unsere Entscheidung, eine Kollektion speziell für den Fachhandel zu entwickeln. Den Endkunden interessieren nicht die Anzahl der Zonen in einer Matratze oder die Anzahl der Federn im Kern. Der möchte einfach gut schlafen. Wir müssen aus anderen Branchen lernen, dass der Endkunde im Mittelpunkt steht. Auf Basis dieser Wünsche und Anforderungen müssen Produkte entwickelt und dann über geeignete Marketinginstrumente kommuniziert werden
Haustex: Swissflex hat nach allem, was man aus dem Handel so hört, einen Durchhänger gehabt. Wie ist die aktuelle Situation?
Veutgen: Wir haben mit Swissflex eine schwierige Phase durchlaufen. Es wurde reagiert und die Führungsstruktur in der Schweiz geändert. Mit Georg Lörz haben wir einen neuen Europa-Verantwortlichen für die Marken Superba und Swissflex gewinnen können. Er geht die Aufgaben jetzt sehr strukturiert an und ist der zentrale Ansprechpartner. Zusätzlich haben wir die Vertriebsorganisation in Deutschland angepasst. Die Marken Superba und Swissflex werden von Helmut Nagel vertrieblich geleitet. Mit dieser Zusammenfassung können wir den Bereich Fachhandel im Topsegment optimal betreuen. Die Produkte von Swissflex wurden den Erwartungen an eine Topmarke wieder angepasst. Es dauert aber erfahrungsgemäß sehr lange, bis solche Maßnahmen bei den Kunden greifen und registriert werden. Das Vertrauen müssen wir uns jetzt wieder zurückholen. Wir werden im nächsten Jahr auf der Kölner Möbelmesse diesen Wandel kommunizieren. Auf einem Gemeinschaftstand werden Superba und Swissflex zusammen in Halle 9 ausstellen. Diese Halle hat sich als Leitmesse für das Thema Schlafen/Matratzen etabliert.
Haustex: Was plant Schlaraffia an Jubiläumsaktionen zum 100-jährigen Bestehen?
Burkhard Prätzel: Auch wir sehen die wirtschaftliche Entwicklung sehr kritisch und erwarten in der zweiten Jahreshälfte keine Belebung der Märkte. Die Frage ist eher: Wie können wir uns besser präsentieren und Synergieeffekte nutzen? Klassische Kampagnen als Print oder im TV verlieren immer mehr an Wirkung und Bedeutung Wir gehen lieber punktuell vor und konzentrieren uns auf den POS und arbeiten mit unseren Partnern im Handel zusammen. Wir haben natürlich auch Jubiläumsmodelle kreiert, Anzeigenvorlagen entwickelt, aber der andere Weg unabhängig vom Jubiläum ist für uns, über Kooperationen an die Öffentlichkeit zu gehen, auch über die Branche hinaus.
Haustex: Wie meinen Sie das?
Prätzel: Wir wollen mit der Marke Schlaraffia viel breiter präsent sein und nicht nur dort, wo man sie ohnehin erwartet. Deshalb haben wir Partner aufgebaut, mit denen wir ganz neue Konzepte durchführen. Beispielsweise haben wir mit Disney bei der Markteinführung der DVD für den Film Bedtime Stories zusammen gearbeitet. Um den Verkauf der DVD zu unterstützen, ist Walt Disney an uns herangetreten und wir haben den Film am POS durch Schlaraffia mit einem Gewinnspiel unterstützt, wobei der Hauptgewinn ein verlängertes Wochenende in Disneyworld in Paris war. So konnten wir die Marken Schlaraffia und Disney in Verbindung bringen. Eine weitere Kooperation werden wir mit Runners Point beginnen. Da gibt es bei näherer Betrachtung einige Gemeinsamkeiten. In Laufschuhen werden moderne Materialien verarbeitet wie zu Beispiel auch Gel. Dieses Material nutzen wir auch in unseren Matratzen zur Druckentlastung. Wer läuft, muss auch regenerieren. Wir arbeiten mit einem Sportwissenschaftler zusammen, für den die Zielgruppe der Läufer offen ist. Warum sollen wir mit Runners Point nicht auch einmal gemeinsame Aktionen durchführen, wie etwa ein Lauftraining bei einem Händler? Auf elegante Weise kann man dann vom Thema Sport zum Thema Matratze kommen. Mit dem Möbelherstellern arbeiten wir zusammen bei der Entwicklung eines innovativen Schlafsystems als Kombination von Bettgestell, Matratze und Unterfederung.
Haustex: Seit wann arbeiten Sie mit Partnern jenseits der Branche zusammen?
Veutgen: Das ist für uns noch ein relativ neuer Bereich des Co-Brandings. Es funktioniert aber auch nur, weil wir als Marke akzeptiert werden. Hier ist der Mehrwert der Marke die Basis für eine Zusammenarbeit. Als reiner No-Name-Anbieter bleibt Ihnen nur das Lizenzgeschäft. Wir wünschen uns eine gleichberechtigte Partnerschaft, und die geht eigentlich nur über eine Kooperation auf Augenhöhe. Angefangen haben wir mit dem Sponsoring des Deutschen Handball-Bundes im Jahre 2006. Wir sind bei den Spielen der Nationalmannschaft mit Bandenwerbung am Spielfeldrand beteiligt und haben gerade für zwei weitere Jahre verlängert. Natürlich ist die Mannschaft auch mit Schlaraffia-Matratzen ausgestattet. Heiner Brand schläft auf einer Gel-Matratze. Der Vorteil der Zusammenarbeit mit dem DHB ist, dass wir eine breite und interessante Zielgruppe erreichen, die eine überdurchschnittlich gute Schulausbildung hat. Und Handball ist nach Fußball die zweitbeliebteste Sportart in Deutschland.
Haustex: Wo werden die Schlaraffia-Produkte hergestellt?
Veutgen: Der wesentliche Teil der Produktion erfolgt hier in Bochum. Wir haben uns das Label "Made in Germany" zum Vorbild genommen, mit allen Konsequenzen. Lieber verzichten wir auf Volumen und investieren dafür in Qualität. Es gibt zwei gewichtige Gründe für die Produktion in Deutschland. Bei einer Verlagerung ins Ausland verliert der Hersteller mittelfristig seine komplette Kompetenz als Produzent. Die Kosten für Transport- und Logistik sowie für die entstehenden Qualitätsprobleme werden jedoch sehr unterschätzt. Das Zweite: Die Verbraucher sitzen in Deutschland, unserem wichtigsten Absatzmarkt. Wir sind der Meinung, dass ein Produkt auch über den Service läuft, wozu auch die Liefergeschwindigkeit gehört. Sie erreicht man am besten, wenn man am Ort der Nachfrage produziert. Wir verfügen in Bochum über ein sehr qualifiziertes Personal, ausgeklügelte Logistik und versuchen damit die Preisdifferenz so weit wie möglich anzugleichen.
Haustex: Wie ausgeprägt ist die Produktionstiefe in Bochum?
Veutgen: Die Schäume kommen direkt aus dem Konzern in Holland, kurz hinter der deutschen Grenze. Der klassische, patentierte Taschenfederkern wird vom Draht, über Federwindung und Zusammensetzung vor Ort produziert. Die Bezüge werden bei uns gesteppt, vernäht und aufgezogen. In Schulungen und Werksbesichtigungen sind alle Arbeitsprozesse zu besichtigen. Die heimische Produktion ist jedoch auch teurer. Gerade in Verhandlungen mit großen Einkaufsverbänden wird dieser Kostennachteil nicht berücksichtigt. Andererseits wollen wir keine Preisänderungen zusagen und die Qualität reduzieren. Gerade als Marke stehen wir unter besonderer Beobachtung. Die gemusterten Produkte werden dann auch in dieser Form ausgeliefert. In einem Konzern wie dem unseren sind die Abläufe standardisiert und dokumentiert.
Haustex: In welchen Märken ist Recticel mit seinen Marken aktiv und welche Rolle spielt der deutsche Markt?
Veutgen: Recticel ist in allen relevanten europäischen Märkten mit Marken präsent. Der deutsche Markt ist der wichtigste, aber auch immer der schwierigste. Diese Erfahrungen musste in der Vergangenheit schon manches ausländische Unternehmen machen. Ein großer Stand auf der Möbelmesse reicht nicht aus und es bedarf schon etwas mehr, als einfach nur ein rechteckiges, weißes Produkt herzustellen. Der deutsche Markt ist gemeinsam mit Frankreich der größte und auch der preisaggressivste. Der Innovationsdruck ist in Deutschland sehr stark.
Haustex: Wie agiert der Konzern und wie sind die Tochtergesellschaften innerhalb des Konzerns organisiert?
Veutgen: Der Recticel-Konzern ist aufgeteilt in vier Bereiche. Die beiden größten sind Automotive und Comfort, dann kommen Bedding und Isolation. Durch die Vernetzung mit den anderen Bereichen können wir von dort Ideen adaptieren. So haben wir beispielsweise Schäume, die besonders atmungsaktiv sind oder ein besonders gutes Feuchtigkeitsmanagement haben. Wir können auf diese Entwicklungen zurückgreifen und in unsere Systeme integrieren, die sich dann von bestehenden Produkten auf dem Markt differenzieren.
Wir haben im Konzern eine flache Hierarchie. Das ist ein großer Vorteil bei Recticel, denn wir können sehr gut lokal arbeiten und nutzen ein Netzwerk, in dem wir uns untereinander austauschen, Entwicklungs- und Einkaufsmöglichkeiten bei anderen Konzernunternehmen nutzen. Trotz alledem sind die einzelnen Märkte sehr unterschiedlich, so dass man individuell reagieren muss. Dabei agieren wir innerhalb des Konzerns relativ unabhängig und haben selbst als Schlaraffia eine eher mittelständische Dimension. Ein Vorteil der Gruppe sind zur Zeit die Liefersicherheit und engen Verbindungen mit unseren Lieferanten. Wir versuchen auch in schwierigen Zeiten eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zu pflegen. Nicht der letzte Euro in einer Verhandlung ist der entscheidende Faktor, sondern ein lieferfähiger Partner, der unserer Qualitäts- und Markenphilosophie folgen kann. Ich denke, die Kombination mit Partnern aus Industrie, Handel und anderen Bereichen wird in Zukunft immer wichtiger werden. Das Kämpfen Industrie gegen Handel, Industrie gegen Lieferanten wird nicht den Erfolg bringen.
Haustex: Gibt es auch Nachteile in einem Konzern?
Veutgen: Ja. Zur Zeit ist unser Bereich Automotive sehr stark unter Druck und in diesem Fall müssen die anderen Sparten einen Ausgleich schaffen. Darum fallen die Jubiläumsaktionen bei Schlaraffia auch nicht so umfangreich aus, wie es sich vielleicht mancher im Handel erhofft hat. Dennoch hat sich der Bereich Bedding im Konzern sehr positiv in den letzten Jahren entwickelt und er ist eine wesentliche Stütze in der Gruppe.
Haustex: Matratzen sind in der Regel weiß und viereckig. Was unternimmt Recticel, um sich in der Vielfalt des Angebots hervorzuheben?
Veutgen: Ich denke, die werden auch die nächsten Jahre weiterhin weiß bleiben. Daher versuchen wir eine Geschichte um das Produkt zu bauen, damit der Verkäufer etwas zu erzählen hat, zumindest dort, wo es Verkäufer gibt. Wenn ich ein Produkt habe, das über den Preis verkauft wird, dann ist das natürlich uninteressant. Wir bieten zu unseren Produkten Marketingpakete, die den Handelspartner vor Ort unterstützen in Form von POS-Präsentation, mit Fahnen oder Studiosystemen und Materialmustern, so dass man mit weniger Produkten relativ viel erklären kann. Der Endkunde weiß eigentlich nicht, was er genau benötigt. Also ist die Beratung das Entscheidende und unter dem Strich hat jeder Verkäufer seine zwei oder drei Produkte, die er bevorzugt. Zu denen müssen wir gehören. Das geht über verschiedene Wege. Der Beste ist natürlich immer, dass das Produkt selbst überzeugt, aber auch die Marke als Verstärker hat einen Zusatzeffekt. Wenn der Verbraucher eine Marke kennt, ist das etwas anderes als ein No-name-Artikel. Wenn die Produkte preislich auch noch gleich sind oder der Händler vielleicht noch Eigenmodelle darüber positioniert hat, dann wird es unglaubwürdig.
Haustex: Welche Rolle spielen bei Schlaraffia Schlafsysteme und Unterfederungen im Vergleich zum Verkauf von Matratzen? Der Kunde kommt doch üblicherweise in das Geschäft und möchte nur eine neue Matratze kaufen.
Veutgen: Ich denke, Unterfederungen sind ein guter Zusatzverkauf. Das gilt auch für Kissen oder Bettwaren. Der Endkunde möchte eine Lösung fürs Schlafen haben. Der Verkauf einer Matratze sollte das Startsignal für eine zusätzliche Beratung sein. Zusätzlich eine Unterfederung zu verkaufen, ist ein ganz wichtiger Aspekt, an dem wir auch immer wieder arbeiten. Es werden dreimal so viel Matratzen wie Unterfederungen verkauft. Beide Komponenten sollten aufeinander abgestimmt sein. Wir sehen das anders als beispielsweise die Stiftung Warentest, der schon ein Brett mit Löchern unter der Matratze reichen würde. Hier kann ich nur einen persönlichen Test empfehlen, um die Wirkung einer Unterfederung zu erleben. Ungeachtet dessen setzen wir ganz klar auf komplette Schlafsysteme. Wir haben viel Know-how in die Entwicklung von Unterfederungen gesteckt, sowohl was die Optik betrifft als auch verstellbare Funktionen und Mehrnutzen. Nehmen wir als Beispiel unser Modell Modia, für das wir den Red Dot Award bekommen haben, oder den Gel-Tec-Rahmen, der speziell für unsere Gel-Matratzen geeignet ist. Ich freue mich immer wieder auf die preisgünstigen, qualitativ reduzierten Kopien von unseren Wettbewerbern. Die zeigen mir deutlich, dass wir Markttrends frühzeitig erkennen und in der Entwicklung Endkunden orientiert arbeiten.
Haustex: Stichpunkt Stiftung Warentest: Sie sind doch persönlich in dem Fachbeirat für Matratzen bei der Stiftung Warentest dabei.
Veutgen: Wir arbeiten in verschieden Gremien, um die Interessen der Branche und auch dem Endkunden gerecht zu werden. Die Arbeit im Matratzenverband hat sich mit dem neuen Geschäftsführer Dr. Leifeld extrem gewandelt. Der Verband hat nun eine Existenzberechtigung erreicht und schon wesentliche Impulse im Markt gegeben. In den Gremien von unabhängigen Testinstituten haben wir als Industrie nur einen beratenden Stellenwert. Der Einfluss ist dort zugegebenermaßen sehr begrenzt. Das zeigen schon die nicht reproduzierbaren Testanordnungen und Bewertungsfaktoren für werbliche Aussagen.
Haustex: Schlaraffia ist stark bei Großanbietern vertreten. Welche Vertriebsstrategie fährt das Unternehmen künftig, auch angesichts der Probleme der Kauf- und Versandhäuser?
Veutgen: Die Entwicklung ist bedenklich, jedoch durch massive Managementfehler bedingt. Die Wirtschaftslage hat allerdings die langjährigen Probleme ans Tageslicht gebracht. Das Kaufhaus müsste anders positioniert werden. Ähnliche Vertriebsstrukturen im Ausland haben gezeigt, dass durchaus Bedarf besteht. Der klassische Versandhandel mit Printmedien wird zunehmend durch das Internet ersetzt. Wer heute noch 50 Mill. Euro in den Druck eines Papierkataloges investiert, kann nur auf einen kurzfristigen Boom im Altpapiermarkt hoffen. Die darin abgebildeten Produkte werden den nötigen Umsatz jedenfalls nicht bringen.
Haustex: Mit welchen Neuentwicklungen ist Schlaraffia aktuell auf dem Markt?
Veutgen: Wir sind mit unseren drei Plus-Kollektionen mit zusätzlichen Aussagen sehr erfolgreich: TFK plus, Bültex plus, und Sensipur. Ganz neu ist eine Schaumentwicklung für Verbraucher, die sich insbesondere mit dem Thema Allergien beschäftigen müssen. Diese Neuentwicklung haben wir in die Active Care Kollektion integriert. Der Schaum, aber auch der speziell ausgerüstete Bezug verhindern die Bildung von Bakterien durch fest gebundene Bestandteile. Diesen Prozess der Reduzierung der Bakterien und damit der Hausstaubmilben haben wir als Hygiene-Katalysator definiert. Tests in unabhängigen Instituten haben uns diesen nachweisbaren Effekt bestätigt. Das Thema Allergien wird auch in Zukunft für den Schlafbereich immer mehr an Bedeutung gewinnen. Als Marke wollen wir diese Entwicklung frühzeitig in unsere Produkte integrieren. In der Umsetzung werden wir aber noch einfacher und Nutzen orientierter werden müssen.
Haustex: Wie stellen Sie sich die gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie vor?
Veutgen: Wir wünschen uns, dass Innovationen, die der Endkunde wünscht, auch vom Handel unterstützt werden. Die Entscheidungskette vom Produkt über Verband, Einkäufer, Abteilungsleiter, Verkäufer hin zum Endkunden ist deutlich zu lang. Zu viele Interessen verhindern eine schnelle und Ziel orientierte Umsetzung. Nur durch eine enge und offene Zusammenarbeit werden Industrie und Handel das gemeinsame Ziel erreichen: Mehr Aufmerksamkeit für das Thema Schlafen und damit auch mehr Umsatz und Margen für beide Seiten. Vom wirtschaftlichen Erfolg sollten in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit beide Seiten profitieren. Dies wird nach meiner Einschätzung erst nach einer Marktbereinigung auf Handels- und Produzentenebene möglich sein.
Schlaraffia Telegramm
Recticel Schlafkomfort GmbH - Schlaraffia
Schlaraffiastraße 1-10, 44867 Bochum
E-Mail: info@schlaraffia.de, Internet: www.schlaraffia.de
Vertretungsberechtigte Geschäftsführer: Caroline Deschaumes, Werner Trenz
Marketingleiter: Markus Veutgen
Produktionsstandorte: Bochum-Wattenscheid, Hassfurt, Jöhstadt
Mitarbeiterzahl: über 500
Umsatz Bedding Germany: etwa 140 Mill. Euro
Marken: Dormilux, Schlaraffia, Sembella, Superba, Swissflex
Produkte: Matratzen, Unterfederungen, Kissen, Bettdecken, Betten
Muttergesellschaft:
Recticel S.A.
Avenue des Olympiades 2
1140 Brussels, BelgienTel.: +32/2/775 18 11
Fax: +32/2/775 19 90
Managing Director: Luc Vansteenkiste
Mitarbeiterzahl: 11.300
Konzernumsatz 2008:
- konsolidiert 1,55 Mrd. Euro mit den Sparten:
- Flexible Foams 646 Mill. Euro
- Automotive 474 Mill. Euro
- Bedding 350 Mill. Euro,
- Insulation 156 Mill. Euro
aus
Haustex 08/09
(Wirtschaft)