Dr. Frank Bierbaum zum Bereich Bettwäsche

Nur wenige machen weiter gute Geschäfte


Wir gratulieren der Haustex ganz herzlich zu ihrem runden Geburtstag. Keine andere Zeitschrift hat die Branche der Heim- und Haustextilien über diesen langen Zeitraum so kontinuierlich und kompetent begleitet. Die Haustex ist damit Teil der Geschichte und Zukunft unserer Industrie.

Wir haben noch alte Fotos unserer Weberei nach dem Krieg: Schmale Webstühle mit geringer Leistung, zentral über ein Kesselhaus angetrieben durch Transmissionsriemen - kein Vergleich zu modernen Luftdüsenwebmaschinen, wie sie heute zum Einsatz kommen. Gearbeitet wurde damals 48 Wochenstunden an 5 Tagen. Im Unterschied zu anderen Zweigen des verarbeitenden Gewerbes war die Frauenquote durch die Nähereien sehr hoch. Lebenslanges Arbeiten in einem Betrieb war eine Tugend: Den Rekord in Betriebszugehörigkeit hält wohl für alle Zeiten uneinholbar unser ehemaliger Mitarbeiter Karl Harpen. Harpen startete seine Karriere 1896 als kaufmännischer Lehrling im Alter von 14 Jahren und ging 1966 in Pension - nach 70 Dienstjahren! Noch heute dürfen wir auf unserer jährlichen Betriebsversammlung viele 40- und auch 50-jährige Jubiläen feiern.

Und die Produkte: Zu der Zeit fertigten wir überwiegend Spannbetttücher - und die sogar schon in vier Farben. Dem Verbraucher nach dem Krieg schien das zu reichen. Noch heute wird über hitzige Diskussionen zwischen Geschäftsleitung und Vertrieb berichtet, als die Zahl der Farben von vier auf sechs erweitert werden sollte. Schaut man auf die heutigen Sortimente in ihrer Breite und Tiefe, ist das kaum noch vorstellbar. Aus Sicht der Produktion war das wirklich die gute alte Zeit. Das Spannbetttuch gab es übrigens noch gar nicht, nur das Betttuch. Erfinder des Spannbetttuches war eine Firma Sparrenlech in Augsburg, die diesen Artikel unter dem sinnigen Namen "Immerstraff" angeboten hat. Das Programm wanderte in den 60er Jahren zu uns, und auch wir haben diesen Namen lange weitergeführt. Es folgten weitere technische "Revolutionen" wie die Längengarantie und der Einlaufschutz durch das patentierte Sanforverfahren. In den 70er Jahren startete dann der Siegeszug der pflegeleichteren Qualitäten Frottier und Jersey bei den Betttüchern zu Lasten der traditionellen gewebten Qualitäten.

Und wie sah Bettwäsche früher aus? Eigentlich genauso wie das Betttuch, nämlich uni. Bis dann die Firma Zell-Schönau AG aus Zell im Wiesental die Idee hatte, Bettwäsche auch bunt anzubieten - natürlich jacquardgewebt mit gefärbten Garnen. Und man erfand die Marke "Irisette", mit der diese Idee unglaublich erfolgreich vermarktet wurde. In den 60er und frühen 70er Jahren wurde Irisette zum Gattungsbegriff für bunte Bettwäsche und die Zell-Schönau AG zum mit Abstand größten Player der Branche. Bis zur Erfindung des Rotationsdrucks. Auf einmal stand ein Verfahren zur Verfügung, welches bei wesentlich geringeren Kosten eine ungleich höhere Vielfalt an Musterungsmöglichkeiten bot. Zell-Schönau versuchte mit dem Jacquard dagegenzuhalten, aber der Kampf war zu ungleich und damit aussichtslos, die Drucker gewannen. Die bessere Gesellschaft der feinen Anbieter von guten Qualitäten saß damals in Süddeutschland - die ruppigen Rauweber hingegen waren in Westfalen angesiedelt.

Sicherlich am intensivsten berichtet hat die Haustex in den letzten 60 Jahren über den Wandel der Märkte. Handels- und Anbieterstrukturen haben sich erheblich verändert. Die beiden wesentlichen Stichworte sind die Entstehung diskontierender Vertriebsformen sowie die Verlagerung der Produktion über die Türkei nach Asien. Im Prinzip informiert die Haustex seit nunmehr 60 Jahren kontinuierlich über den Strukturwandel in unserer Branche.

In klugen Büchern zur Unternehmensstrategie gibt es die Analogie des letzten Eisverkäufers ("last iceman"): Im Sommer ist der Strand voll mit Touristen und mit Eisverkäufern, die alle gut leben. Gegen Ende des Sommers leert sich der Strand, und auch die Zahl der Eisverkäufer nimmt kontinuierlich ab. Im harten Auslesewettbewerb unter den Eisverkäufern bleiben nur sehr wenige übrig, aber die machen weiter gute Geschäfte. Die Industrie in unserer Branche funktioniert im Wesentlichen entlang dieser Linie. Nach dem Krieg gab es mehr als 30 produzierende Hersteller für Bettwäsche und Betttücher, heute sind es nur noch wenige. Was wird die Zukunft bringen und worüber wird die Haustex zu ihrem 75. Jubiläum berichten? Das kann natürlich niemand voraussagen, trotzdem wage ich einige Prognosen:

- Die Haustex wird es noch geben, denn die Zeitschrift ist hervorragend positioniert und ohne Konkurrenz in einem Nischenmarkt, der für andere Player aufgrund der beschränkten Größe nicht allzu attraktiv ist.
- Wir werden weiter Bettwäsche haben, die eine Bettdecke umhüllt und auf einer mit einem Spannbetttuch bezogenen Matratze liegt. Das System ist einfach zu gut und zu flexibel.
- Bettwäsche wird weiter überwiegend aus 100 Prozent Baumwolle bestehen.
- Die Anzahl der in Deutschland verkauften Garnituren und Spannbetttücher wird in etwa gleich groß sein wie heute.
- Unser Vokabular wird weiter bestimmt sein von Preisdruck, Preisverfall, Handelsmacht, Importkonkurrenz und ruinösem Wettbewerb. Gut für den Verbraucher, etwas anstrengend für die Firmen der Industrie und des Handels. Die guten alten Zeiten, wenn es sie denn gab, kommen nicht wieder.
- Und bei der Party zum 75. Geburtstag werden alle die dabei sein, die sich den Marktveränderungen anpassen, ohne im Wochentakt die Richtung zu wechseln.

Wenn man so will, ändert sich eigentlich recht wenig - die Basics bleiben und werden uns alle wie in den vergangenen 60 Jahren begleiten. Wünschen wir also dem Jubilar und uns auch für die Zukunft weiter alles Gute.
aus Haustex 08/09 (Wirtschaft)