Interview mit Martin Auerbach
"Flexibilität und Praxisnähe sind zwei unserer großen Stärken"
Mit Wirkung zum 1. Dezember 2009 hat Martin Auerbach die Geschäftsführung des Verbandes der Deutschen Heimtextilien-Industrie (VDHI) in Wuppertal übernommen. Er folgt in dieser Position Hans Joachim Schilgen, der über 18 Jahre für den Verband tätig war, davon 16 Jahre in der Führungsposition. Was bleibt nun im Verband, was wird sich verändern, wohin soll sich der VDHI künftig entwickeln ? Darüber sprach BTH Heimtex mit dem frischgebackenen Geschäftsführer Martin Auerbach. BTH Heimtex: In der öffentlichen Wahrnehmung gelten Verbände und Verbandsstrukturen allgemein hin als unbeweglich und unflexibel. Wie ist aus Ihrer Sicht diesbezüglich der VDHI aufgestellt?
Martin Auerbach: Unser Verband hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich den Veränderungen der Branche angepasst. Gehörte es früher zum guten Ton, Mitglied in einem Industrieverband zu sein, zählen heute Leistungen, an denen auch wir uns messen lassen müssen. Wir verstehen uns als moderner Dienstleister, oder bildlich gesprochen als qualifizierte Mitarbeiter unserer Mitgliedsunternehmen. Hier hat mein Vorgänger bereits frühzeitig die richtigen Weichen gestellt und damit einen wesentlichen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Verbandes geleistet. Gerade in unserer Flexibilität und Praxisnähe sehe ich eine unserer großen Stärken und ärgere mich ehrlich gesagt regelmäßig, wenn von "Verbandsmuff" die Rede ist, denn den gibt es bei uns nicht.
BTH Heimtex: Sie sind seit sechs Jahren für den Verband als Justitiar tätig. Was verbindet Sie mit der Heimtextilien-Industrie?
Martin Auerbach: Die von unseren Mitgliedsunternehmen produzierten Heimtextilien sind täglicher Bestandteil unseres Lebens, das heißt, jeder hat etwas davon in seiner eigenen Wohnung. Daher habe ich mich sehr schnell mit den Produkten identifizieren können. Bei Beschlagteilen beispielsweise wäre mir das vermutlich nicht so leicht gefallen. Unsere Mitglieder produzieren Wohnträume. Nicht ohne Grund wird deren Design oft kopiert - übrigens ist der Musterschutz ein Bereich von vielen, in dem wir unsere Mitglieder effektiv und erfolgreich unterstützen. Darüber hinaus habe ich in meiner Zeit beim Verband über die Jahre viele persönliche Kontakte mit Menschen aus unserer Branche knüpfen können. Kurzum: Ich mag die Branche und fühle mich dort wohl.
BTH Heimtex: und worin unterscheidet sich Ihre neue Aufgabe besonders im Vergleich zu Ihrem bisherigen Tätigkeitsfeld?
Martin Auerbach: Den Bereich Recht habe ich über die Jahre kontinuierlich weiterentwickelt, neue Dienstleistungen geschaffen und über die Sacharbeit auch zu einer festen Größe für die Mitgliedsunternehmen gemacht. Die Strukturen im Verband sind naturgemäß komplexer, so dass auch die Aufgaben komplexer sein werden. Diese Herausforderung habe ich nach der kurzfristigen Entscheidung von Herrn Schilgen, den Verband zu verlassen, aber gerne angenommen.
BTH Heimtex: Wie sieht die strategische Ausrichtung des Verbandes aus oder anders gefragt: Wird es unter Ihrer Geschäftsführung einen spürbaren Kurswechsel geben und welche Akzente werden Sie mit Ihrer Arbeit setzen?
Martin Auerbach: Ich werde das Rad nicht neu erfinden müssen, denn der Verband kann sich mit seinen Leistungen sehr gut sehen lassen. Leider werden wir von Unternehmen, die nicht Mitglied bei uns sind, nicht so wahrgenommen, wie wir uns das wünschen. Dies ist ein echter Schwachpunkt, an dem wir, wie auch an einigen anderen Dingen, arbeiten müssen. Aktuell sind wir mit einer Bestandsaufnahme befasst, um zu sehen, wo genau wir stehen und wo Ansätze für notwendige Veränderungen sind. Von einem Kurswechsel möchte ich daher zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sprechen. Aber sicherlich wird es auch zu meinen zukünftigen Aufgaben gehören, bestimmte Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen, um dadurch mehr agieren, als reagieren zu können.
Eins kann ich aber bereits jetzt klar und deutlich sagen: Bei dieser Aufgabe erhalte ich wertvolle Unterstützung insbesondere von Barbara Schmidt-Zock (Referentin Wirtschaft/Statistik, Außenhandel und Messewesen) und Gerhard Sperling (Referent Umwelt, Technik, Normung und Forschung) und selbstverständlich auch von allen anderen Mitarbeitern. Ich denke, dass wir allein unter diesem Gesichtspunkt deutlich aus dem Bild des von Ihnen soeben angesprochenen unbeweglichen und unflexiblen Verbandes fallen.
BTH Heimtex: Welche Aufgaben sind in diesem Zusammenhang am vordringlichsten zu lösen?
Martin Auerbach: Eine Hauptaufgabe wird sein, unsere Dienstleistungen, die wir für Industrieunternehmen der Branche erbringen können, so zu kommunizieren, dass auch der Bedarf, der zweifelsohne besteht, bei den Unternehmen erkannt wird. Nehmen Sie zum Beispiel das Thema Mitarbeiterschulung: Ich bekomme viele Rechtsfälle auf den Tisch, die im Vorfeld leicht zu vermeiden gewesen wären, wenn Sachbearbeiter die jeweilige Situation anders eingeschätzt oder das Problem überhaupt erkannt hätten. Ein Problembewusstsein zu schaffen ist hier relativ einfach, was sich darin niederschlägt, dass die Sachbearbeiter nach einer Schulung häufiger bei mir anrufen und wir die Probleme dann meistens auch im Vorfeld abbiegen können - das spart Zeit und Geld.
BTH Heimtex: Wie soll sich künftig Ihrer Vorstellung nach die Zusammenarbeit mit den Mitgliedsfirmen gestalten?
Martin Auerbach: Ich möchte zum einen den Kontakt zu den Mitgliedsunternehmen noch intensiver gestalten bzw. dort, wo er vielleicht nicht so intensiv ist, ausbauen. Wir bieten den Unternehmen ein branchenbezogenes Kompetenzzentrum. Dass die Unternehmen das ähnlich sehen, zeigt sich an den vielen guten persönlichen Kontakten, die wir in die Unternehmen haben.
Zum anderen halte ich es in der jetzigen Zeit für wichtiger denn je, dass die Mitgliedsunternehmen auch untereinander Kontakt haben und halten, sei es in technischen Arbeitskreisen oder in Fachgruppen. In diesen Treffen geht es klar um den sachlichen Austausch. In technischen Arbeitskreisen werden z.B. Produktionsprobleme analysiert, an einheitlichen Meßmethoden gearbeitet oder auch schon mal die eigene Produktion mit den Kollegenunternehmen besichtigt. Auch die Erfüllung immer neuer gesetzlicher Anforderungen an die Produkte lässt sich gemeinsam besser lösen als alleine. Die Kontaktscheu unter den Unternehmen ist in meiner Zeit beim Verband jedenfalls merklich zurückgegangen - und das ist auch gut so.
BTH Heimtex: Wo steht die deutsche Heimtextilien-Industrie Ihrer Einschätzung nach im internationalen Vergleich? Was sind Ihre Stärken, wo gibt es Schwächen?
Martin Auerbach: Qualität, Design, Flexibilität und Zuverlässigkeit sind hier für mich die Schlagworte. Wir haben Mitgliedsunternehmen, die in Sachen Design und Qualität den Ton angeben. Oder andere, die in ihrer speziellen Ausrichtung weltweit eine führende Rolle einnehmen. Andere Unternehmen exportieren ihre Waren erfolgreich in die USA, die osteuropäischen Märkte und nach Asien, was die Exportstärke der deutschen Heimtextilien-Industrie unterstreicht. Im deutschen Markt behaupten sich Firmen mit hochmodischen Produkten im mittleren und oberen Preissegment.
Als eine echte Schwäche empfinde ich es, dass viele Unternehmen im Bereich Entwicklung deutlich hinter dem zurückbleiben, was technisch möglich wäre. Nur vereinzelt setzen sie auf echte Innovationen. Dabei werden vom Bundeswirtschaftministerium jährlich rund 12 Mio. EUR an Forschungsgeldern für unsere Industrie bereit gestellt. Diese Mittel können in Forschungsprojekte investiert werden, die wir für die Unternehmen beantragen können. Hier wünsche ich mir eine deutlich größere Portion an visionärem Denken und entsprechendem Engagement, das sich zweifelsohne auszahlen würde.
BTH Heimtex: Was wird für die Textilindustrie die größte Herausforderung der Zukunft sein?
Martin Auerbach: Die Unternehmen unserer Branche werden sich gegenüber Massenmärkten wie China und Indien klar positionieren müssen, um nicht in einer Masse von Vielen aufzugehen. Dies kann durch Ausbau der kreativen Stärke, durch noch mehr Flexibilität, Qualität und Zuverlässigkeit und nicht zuletzt, durch innovative und nachhaltige Produkte erfolgen.
BTH Heimtex: Welche Rolle spielt in diesem Kontext künftig der Verband?
Martin Auerbach: Wir unterstützen die Mitgliedsunternehmen bei diesen Aufgaben, indem wir wertvolle fachliche Unterstützung leisten. Zum Beispiel filtern wir aus der Informationsflut Essenzen heraus, beschaffen Informationen zu Auslandsmärkten, analysieren Problemfelder, z.B. die REACh- oder Biozidverordnung, und geben entsprechende Handlungsempfehlungen. So können sich die Unternehmen mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, was gerade bei den mittelständisch geprägten Firmen mit entsprechender Personalstruktur von hoher Bedeutung ist.
BTH Heimtex: Was wollen Sie persönlich für den Verband erreichen?
Martin Auerbach: Ich möchte dem Verband ein geschärftes Profil verleihen und damit auch den Zweiflern und Zögerern aufzeigen, dass wir als schlagkräftiges und effektives Team wertvolle Unterstützungsarbeit für die Industrie liefern. An dieser Stelle sind natürlich auch die Mitglieder des Verbandes gefragt, die täglich von unserer Arbeit profitieren und auch sehr zufrieden sind - es wäre schön, wenn sie anderen Unternehmen davon gelegentlich berichten würden, denn dies wäre für uns wiederum eine große Unterstützung.
Auf dem Weg in die Zukunft wird es noch einiges zu tun geben. Mein Ziel ist es, den Verband langfristig strukturell so flexibel aufzustellen, dass wir auf die vielen Bewegungen des Marktes im Sinne unserer Mitglieder und der Industrie unmittelbar reagieren können.
aus
BTH Heimtex 01/10
(Wirtschaft)