Tapeten auf der Heimtextil
Innovation ist Zukunft
Die Tapetenbranche präsentierte sich auf der Heimtextil mit einer bisher unerreichten gestalterischen und technischen Ideenvielfalt. Großformatige Blumen ranken die Wände hoch, dekorative Motive einschließlich opulenter Ornamente und filigraner Spitze entführen in Fantasiewelten. Die Farben werden dezenter, holen sich Anleihen aus der Natur. Braun- und Beigetöne dominieren, aber auch Beere, Lindgrün und Violett gehören zu den modischen Colorits, die durch metallische Effekte veredelt werden. Zum ganz starken Trend hat sich Gold entwickelt. Es findet sich in fast allen Kollektionen, während Blau noch leise Zukunftsmusik spielt. Insgesamt wird Individualität wichtiger, was die Technik aufgreift. Digitaldrucke sind allgegenwärtig, wobei die Marburger Tapetenfabrik einmal mehr als Vorreiter fungiert. Aus ihrer Werkstatt kommen designorientierte Wandbilder, die je nach Blickwinkel die Farbe verändern. Mit ihren Innovationen wollen die Unternehmen neue Zielgruppen erreichen und ein Zeichen gegen Resignation setzen. Sie versprühten trotz der wirtschaftlich schwierigen Zeiten Aufbruchstimmung und erwiesen sich damit als Motor der Messe. von Cornelia Küsel und Claudia Weidt
Tapeten sind eine der Teilbranchen unseres Marktes, die aufgrund ihrer Exportstärke - eine Exportquote von über 50 % ist keine Seltenheit - am schwersten von der internationalen Wirtschaftskrise getroffen wurden. Vor allem die Märkte in Osteuropa, speziell Russland und die Ukraine, zuvor sichere und große Abnehmer westeuropäischer Tapeten, sind regelrecht weggebrochen. Zwar war die Lage nicht ganz so dramatisch wie im Katastrophensommer 1998, als die Nachfrage von einem Tag auf den anderen komplett zum Erliegen kam, doch mussten schon empfindliche Umsatzeinbußen verkraftet werden, die das überraschend gute Inlandsgeschäft nicht kompensieren konnte. Und es ist auch in naher Zukunft keine wirkliche Besserung in Sicht.
Dennoch sind zumindest die deutschen Anbieter insgesamt noch glimpflich davongekommen, wenn auch mancher Kurzarbeit in Anspruch nehmen musste, Zeitverträge nicht verlängerte oder auf Leiharbeiter verzichtete.
"Ich kann das Krisengerede nicht mehr hören"Ungeachtet des weiterhin schwierigen Umfeldes scheint es so, als ob die Unternehmen das Stimmungstief hinter sich lassen und neue Hoffnung schöpfen. Jedenfalls sandte die Tapetenhalle auf der Heimtextil diese positiven Signale für das Geschäftsjahr 2010 aus. Der Blick in die Zukunft ist verhalten optimistisch, wohlwissend, dass in diesem Jahr die Arbeitslosigkeit steigen wird - mit der entsprechenden Bremswirkung auf die Konsumneigung. Aber die Branche lässt sich davon nicht bange machen: "Wir müssen etwas tun", ist die Devise.
Das äußert sich zum einen darin, dass hinsichtlich des Konkurrenzverhaltens ein Umdenken stattfindet. Statt sich weiterhin gegenseitig Marktanteile abzujagen, soll künftig mehr Nachfrage generiert und der Markt dadurch vergrößert werden. Zum anderen verbreiten die Aussteller mit zahlreichen neuen Produkten und Kollektionen Aufbruchstimmung. "Ich kann das Krisengerede nicht mehr hören", fasste Christian Schmitz, Inhaber und Geschäftsführer der drei Tapetenverlage Schmitz, Essener und Tescoha die Einstellung vieler zusammen, die dem Pessimismus eine Absage erteilen. Schmitz selbst kam gleich mit 14 Kollektionen zur Messe und fühlt sich damit gut aufgestellt: "Wenn der Markt sie annimmt, kann uns nichts passieren."
"Die Tapete war der Motor der Heimtextil"Ähnlich aktiv präsentieren sich andere - mit Ideen und Investitionen in neue Kollektionen und Techniken. Schon in den letzten Jahren waren Tapeten ausgesprochen kreativ, in diesem meldeten sie klar Anspruch auf Trendsetter-Funktion an. Wer sehen wollte, wohin die Reise geht, kam 2010 nicht an der Tapetenhalle 5.1 vorbei - dort spielte die Musik, nicht in den Stoff-Hallen. Das kam offenbar auch bei den Besuchern an. "Die Tapete war der Motor der Heimtextil. Es gab eine geradezu überschäumende Freude der Besucher zu diesem Thema", beschreibt Hubertus Nocker von der Decor-Union die Stimmung der Einkäufer.
Dabei mag der Branche zu Gute kommen, dass die die notwendigen Konsolidierungs- und Konzentrationsprozesse, den manche Kollegenbranchen noch vor sich haben bzw. in denen sie sich gerade befinden, schon hinter sich hat und sich insofern auf den Blick nach vorne fokussieren kann. So scheint die Tapetenlandschaft in Deutschland zunächst bereinigt. Letzter Problemfall war die Insolvenz von Kreativa, inzwischen als Tapetenfabrik Hohenberg wiederauferstanden und mit neuen Konzepten - und Finanzmitteln - auf dem Weg nach vorne.
Die anderen haben ihre Positionierung und Profilierung im Markt gefunden und pflegen eine mehr oder minder friedliche Koexistenz. Zumindest auf den Chefetagen herrscht ein fast schon freundschaftlicher Umgangston; man kennt sich, duzt sich teilweise, besucht sich auf der Heimtextil gegenseitig auf den Ständen, wobei es auch schon mal zum ungeplanten Krawattentausch kommen kann - wie zwischen Marburgs geschäftsführendem Gesellschafter Ullrich Eitel und Franz Jürgen Schneider, Aufsichtsrat und Großaktionär von A.S.Création. Wohl wird auch mal ein wenig gegen den einen oder anderen gestichelt, doch ohne Häme. Unterschiedliche Stärken und Schwächen werden gesehen und akzeptiert. Der Wettbewerb um den Kunden findet hier eher auf den unteren Ebenen im Vertrieb statt.
Nur im Personalbereich gibt es immer mal wieder Bewegung: So ist bei Rasch Ralf Peters, ehemals stellvertretender Verkaufsleiter DIY, als Vertriebsleiter für den ausgeschiedenen Michael Wohlfromm nachgerückt. Jochen Stock, der bis Ende 2009 den Vertrieb bei Orac steuerte, wechselte von den Zierprofilen wieder zurück zur Tapete und bildet nun mit Harald Katzenberger und Manfred Brosda die dreiköpfige Geschäftsführung von Rasch Textil - ein starkes Team, das Stärken im Vertrieb, der Kollektionierung und den Produkten vereint. Und Erfurt hat mit dem Posten eines "Innovationsmanagers" eine ganz neue Stabsstelle geschaffen, auf der sich Neuzugang Janosch Muschick beweisen soll. Dass der Innenarchitekt und Tischler Fantasie besitzt und querdenken kann, hat er mit seiner originellen Studienarbeit bewiesen, bei der er sich auf 23,56 Metern bzw. 121 Seiten launig mit der Rauhfaser, ihrer Chronik und ihren Einsatzgebieten befasste.
Im Tapetenland Großbritannien hat mit Graham & Brown nur einer der großen heimischen Anbieter überlebt. Der ist allerdings so stark, dass er nun auch eine Brücke zum Kontinent schlagen will. So gründeten die Briten vor einiger Zeit in Norderstedt nahe Hamburg eine Vertriebstochter, die sich gut entwickelt und nun mit personeller Verstärkung weiter forciert werden soll.
Auch die Franzosen, ebenfalls ein tapetenfreundliches Volk, haben etliche ihrer großen Branchen-Namen in den letzten Jahren verloren. Hier ist allerdings A.S. Création ein genialer Schachzug gelungen, in dem man sich durch die Akquisition von Großhändlern rückwärtig integriert und in die Distribution eingekauft hat.
In Nordamerika existiert noch ein gut ein halbes Dutzend Tapetenhersteller. Zweo davon stellten sogar in Frankfurt aus: Wallquest, obgleich das Unternehmen unter dem US-Gläubigerschutzverfahren Chapter 11 steht, und York Wallcoverings, größter und ältester Produzent aus den Staaten. Der Hersteller aus dem gleichnamigen Ort im US-Bundesstaat Pennsylvania zeigte in Frankfurt, was aktuell an amerikanischen Wänden en Vogue ist: Stilisierte Blatt- und florale Formen sowie großzügige Ornamente in Violett, Pistazie, Melba, Anthrazit, Bitterschokolade mit edlem Metallic-Glanz und Swarowski-Akzenten.
Themen 2010: Digitaldruck, Branding, technische InnovationenEins der beherrschenden Themen in Halle 5.1 war der Digitaldruck. Einer, der vor Jahren als erster die Möglichkeiten dieser Technik erkannte, war Rasch-Designdirektor Bernhard Holzapfel, der sich 2003 mit seiner Kollektion Cosmopolitan verwirklichte, bei der sich auf großformatigen Panels der Glanz nächtlicher Stadtlichter auf regennassen Straßen brach. "Ein neuer Ansatz, wie man Tapeten sehen kann", sagte er damals - war damit seiner Zeit aber zu weit voraus.
Digitaldruck konnte zwar die unkomplizierten, individuellen Dessinierungsmöglichkeiten für sich in Anspruch nehmen. Doch blieb ihm der Durchbruch verwehrt durch die limitierte Druckbreite von 43 cm und die flache Dekordarstellung. Online entwickelte sich allerdings in den Folgejahren eine eigene Digitaldruck-Kultur auf Tapeten. Kein Wunder, dass einer unser Gesprächspartner auf der Heimtextil meinte, Digitaldruck sei nur ein Produkt, dass sich über den Preis und via Internet vermarkten ließe.
Das kann so nicht richtig sein, wenn man sieht, wie intensiv sich einige mit dem Thema auseinandergesetzt haben - und zu welchen Ergebnissen sie dabei gekommen sind. Allen voran mal wieder die Marburger Tapetenfabrik. Blickfang an ihrem Stand war eins von sechs markanten, riesigen Wandbildern des Österreichers Thomas Zeitlberger. Dessen fantastische Entwürfe enthalten eine Fülle an Figuren, Symbolen und Elementen, die aus ihrem eigenen Zusammenhang genommen und in einen neuen Kontext gestellt werden. So entstehen überraschende Kombinationen von Dingen, die nicht zusammengehören, aber dabei eine ebenso exzentrische wie dekorative Wirkung entfalten - etwa gotische Kirchenfenster, Rokoko-Anrichten, Raketen, Blumenzwiebeln, Fernseher und Mopps in den Farben von Roy Lichtenstein.
"Ganz großes Kino", wie es Geschäftsführer Dieter Buhmann nicht ohne Stolz nennt, zelebriert Marburg mit der Art Borders-Fortsetzung der visionären Architektin Zaha Hadid. Geradezu atemberaubend wie ihre dynamischen Linien Räume in Bewegung setzen und je nach Blickwinkel komplett die Farbe verändern, zum Beispiel von Grün nach Lila. Neue Farbpigmente aus der Kosmetikindustrie machen es möglich.
Beeindruckend auch, wie ein lebensgroßes Nashorn durch die Wand des Messestandes von A.S. Création brach - digital gedruckt, versteht sich. Die Gummersbacher setzen auf Vielfalt und Menge: Der Endverbraucher hat die Wahl aus 120 Standardmotiven und kann natürlich auch individuell aktiv werden.
Erfurt geht das Thema ein wenig zurückhaltender an: Die Wuppertaler bieten eine Vliesware als Basis für Digitaldruck, überlassen den Druck selbst aber Spezialbetrieben.
Eine zunehmend wichtige Rolle spielt bei der Tapete das Branding. A.S. Création arbeitet mittlerweile mit drei Lizenzpartnern zusammen und ist mit weiteren im Gespräch, wie Vorstandsvorsitzender Jörn Kämper verriet. Die Esprit-Kollektion ist mittlerweile zur erfolgreichsten im Hause avanciert, außerdem geben die Wohnzeitschrift Schöner Wohnen und seit neuestem auch das Frauenmagazin Brigitte ihren Namen für Tapeten her. In diesen Partnerschaften sind konsumige, aber hochwertige Tapeten entstanden, die für einen bestimmten Lifestyle stehen.
Statt Marken dürfen es auch über die Branche hinaus bekannte Designer oder Persönlichkeiten sein. Marburg hat in diesem Jahr - außer mit Zaha Hadid - wieder mit Luigi Colani zusammen gearbeitet, BN Wallcoverings aus den Niederlanden engagierte die Designerin Annet van Egmond, die mit ihrem Partner William Brand eigentlich Lichtobjekte und Lüster entwirft und sich nun erfolgreich und mit Gespür für Formen, Strukturen und Farben an der Tapete versucht hat. Und Rasch verlässt sich, wie bereits in BTH Heimtex 1/2010 berichtet, auf das Stilempfinden von Barbara Becker, die mit ihrer "B.B. Home Passion" ebenfalls ein gelungenes Debüt hinlegte. "Es gibt neue kreative Leute. Da passiert etwas auf dem Markt", kommentiert Hubert Esser von Pro Ambiente die Entwicklung, die die ganze Branche beflügelt.
Inzwischen beschäftigt sich sogar der Nachwuchs mit der Verschönerung der in Mode gekommenen Wandbekleidung, was der Wettbewerb "New Walls, Please" der A.S. Création Tapetenstiftung belegt. Die jungen Teilnehmer überzeugten die Jury mit originellen Entwürfen und legten dabei die Schwerpunkte auf Urbanität und neue Technologien. "In der Tapetenindustrie brauchen wir auch künftig vor allem eins: gutes Design", erklärte Jürgen Schneider, Vorsitzender der Tapetenstiftung, bei der Preisverleihung auf der Heimtextil. Den ersten Preis und damit 4.000 EUR erhielt Björn Asmussen für "Traces - Living Wallpapers". Es folgen auf dem zweiten und dritten Platz Veronika Ritzer und Andrea Koppenborg.
Um die Ideen der Künstler in hoher Qualität umzusetzen, bedarf es hochwertiger Materialien. Führend im Papierbereich ist das finnische Unternehmen M-Real. Tapetenbeschichter Follmann präsentierte zusammen mit Merck, Saueressig, Stork, Ahlstrom und M-Design ein Tapetenbuch mit richtungsweisenden Produktideen. So zeigten sich auch die Zulieferbetriebe der Tapetenindustrie aufgeschlossen und machten deutlich: Alle sitzen in einem Boot.
aus
BTH Heimtex 02/10
(Wirtschaft)