Deko+Gardine auf der Heimtextil
Die Stimmung hellt sich auf
Bei den Deko- und Gardinenleuten stand die diesjährige Heimtextil unter schlechten Vorzeichen. Zahlreiche namhafte Textilverlage und Hersteller hatten aus den unterschiedlichsten Gründen abgesagt. Glatte Straßen und kaltes Winterwetter verstärkten die Skepsis vieler Aussteller, ob denn die Besucher überhaupt nach Frankfurt kommen würden. Doch allen Unkenrufen zum Trotz war die Heimtextil 2010 ein voller Erfolg - sowohl auf Aussteller- wie auf Besucherseite. Was allerdings fehlte waren spannende Trends und interessante Innovationen. Offensichtlich besinnt man sich bei Fensterdekorationen angesichts der Wirtschaftskrise auf traditionelle Werte und gibt sich bescheiden. von Birgit Genz
Von Aufbruchstimmung nach einem Jahr der Krise und positiven Signalen war zum Abschluss der Heimtextil die Rede, von einem ausgezeichneten Messeverlauf und allseits übertroffenen Erwartungen. Allerdings waren die teilweise auch nicht allzu groß gewesen. Viele Aussteller reisten mit wenig Zuversicht, ja fast mulmigen Gefühlen nach Frankfurt. Zwar hatte sich mancher mit einem trotzigen "jetzt erst recht" angemeldet, doch das Fehlen einer ganzen Reihe etablierter Anbieter und das Winterwetter ließen die Aussichten nicht sonderlich rosig erscheinen.
In der Tat vermissten die Einrichter und Raumausstatter wichtige Lieferanten - allen voran Jab Anstoetz, Saum & Viebahn, Drapilux und die Heco. Und natürlich die zahlreichen deutschen und internationalen Editeure, die schon seit Jahren lieber nach Paris zur Maison & Objet gehen. Das sehen auch viele Aussteller kritisch. Stellvertretend sagte Donata Apelt-Ihling, bei Aplet für das Marketing zuständig: "Ich wünsche mir sehr eine größere Bandbreite an Mitbewerbern." Und Harald Katzenberger, Geschäftsführer von Rasch Textil, bringt es auf den Punkt: "Wenn die großen Verlage nicht kommen, ist es eigentlich eine Schande. Die Produzenten sind alle da und zeigen Präsenz. Man darf die Heimtextil nicht kaputt machen. Es gibt keine zweite internationale Messe."
Die Kunden kaufen wiederDoch trotz dieser Kritikpunkte bezeichneten die meisten Aussteller die Stimmung unter den Besuchern als gut. Die Kunden seien optimistischer und motivierter als im Vorjahr. Und vor allem: Es wurde wieder geordert. "Die Kunden begreifen, dass sie etwas machen müssen, um sich auf dem Markt zu behaupten. Die Gespräche waren knackiger, kürzer, konzentrierter, die Qualität des Publikums ausgezeichnet. Von der Seite sind wir rundum zufrieden", lautete die Bilanz von Munzert-Geschäftsführer Bernd Kout.
Das gilt offenbar nicht nur für Deutschland, sondern auch die internationalen Märkte. "Osteuropa kommt wieder und ordert, ebenso der Mittlere und Nahe Osten", hat Indes laut Geschäftsführer Georg Hünnemeyer festgestellt. Und für Munzert sind auch die Überseemärkte "aus ihrer Schockstarre erwacht".
Weniger zufrieden war man auf Ausstellerseite mit der Aufteilung der Hallen. Beanstandet wurden die sehr weiten Wege zur neuen Halle 11, die sehr breiten Gänge in der Halle 3.1 sowie zahlreichen Freiflächen im hinteren Teil der Hallen 3.0 und 3.1. Claus Wölfel plädiert deshalb dafür, die Tapeten in die Halle 3.1 zu integrieren: "Hallen zusammen zu legen wäre eine Möglichkeit gegen die breiten Gänge und die weiten Wege. Man könnte die Tapetenleute in die 3.1. tun und die restlichen Dekoleute in die 3.0. holen. Das passt und tut sich nicht weh." Auch Produktseitig wäre das nach Wölfels Auffassung eine richtige Entscheidung: "Tapeten sind interessant, die machen super Sachen."
Für Unmut sorgte außerdem, dass einige türkische Aussteller am letzen Messetag bereits gegen Mittag damit begannen, ihre Stände abzubauen.
Asiaten drängen auf den europäischen MarktDie Wirtschaftskrise hat die Heimtextilbranche im letzten Jahr hart getroffen. Ob in Deutschland oder Italien, der Türkei oder Frankreich - die Umsätze gingen in den vergangenen Monaten deutlich zurück, die Produktion sank. In den meisten deutschen Webereien wurde über Monate hinweg kurz gearbeitet. Zusätzlich zur stark rückläufigen Nachfrage machte der harte Preiswettbewerb mit offensiv agierenden asiatischen Anbietern der Branche zu schaffen. Und die Hersteller aus China, Indien, Pakistan und Vietnam sind weiter im Kommen: China war mit 360 Ausstellern neben Deutschland und Indien das am stärksten vertretene Land auf der Heimtextil. Europa ist für Asien ein wichtiger Markt geworden, man setzt auf Expansion und zeigte in Frankfurt sehr europäisch angehauchte Dessins.
China hat seit 2000 die Chance zu einem massiven Aufbau modernster textiler Kapazitäten genutzt. Andere Länder wie Indien, Vietnam oder Bangladesch folgten diesem Beispiel und haben signifikante Wachstumsraten. Heute ist die chinesische Textilindustrie in vielen Bereichen dominierend, liegt doch von den Rohstoffen wie Wolle, Baumwolle oder Chemiefasern bis zum Endprodukt oft die gesamte Wertschöpfungskette in einer Hand. Im Vergleich zu Asien wird Europa in der Garnproduktion zunehmend zu einem marginalen Produzenten. Und das gilt auch für die Weiterverarbeitung: In Asien stehen mittlerweile 70 % der mehr als 1,1 Mio. Webmaschinen in der Welt, Tendenz steigend. Auch ernten China und Indien mit jährlich 7,7 bzw. 5,4 Mio. t deutlich mehr Baumwolle als die USA mit 2,9 Mio. t - das meiste davon geht in den Export. So sind China und Indien von ausländischen Lieferanten nahezu unabhängig.
In Europa ist dagegen die Produktion von Textilien stark eingebrochen. So ging der Umsatz der Textilindustrie Italiens allein im dritten Quartal um fast 18 %, der Spaniens im ersten Halbjahr um nahezu 31 % zurück. Die Türkei musste ein Exportminus von 22 % hinnehmen.
In Deutschland fiel die Produktion um 22 %. Allein im Bereich Heimtextilien ist die Zahl der Unternehmen im vergangenen Jahr um 5 % auf 185 zurückgegangen, die Zahl der Beschäftigten sogar um gut 7 % auf 18.640. Besonders problematisch zeigte sich für die deutsche Industrie die rezessive Wirtschaftslage auf wichtigen Auslandsmärkten. Hier verzeichneten die Unternehmen im ersten Halbjahr 2009 Einbußen von mehr als 25 %. "Unsere Hauptexportländer Russland, Amerika, England, Spanien und Ukraine sind richtig eingebrochen", konstatiert Diete Hansl-Röntgen (Nya Nordiska). Sie spricht dabei praktisch für die gesamte Branche, die auch Einbußen im Mittleren Osten und den Arabischen Emiraten zu verkraften hatte. Für einen gewissen Ausgleich sorgte zumindest der deutschsprachige Raum, wie etwa Claus Wölfel berichtet.
Deutsche Hersteller setzen auf Kreativität, Design und innovative KonzepteAngesichts dieser Entwicklung sind jetzt Kreativität, junges Design sowie innovative Themen und Konzepte gefragt. Die Zukunftschancen des Heimtextilmarktes sieht Hendrik H. van Delden, Geschäftsführer der internationalen Beratungsfirma für die Textilindustrie Gherzi, in Produkten mit Funktionen wie Schallabsorption oder Energieeffizienz, neuen Technologien wie Digitaldruckverfahren, im Thema Nachhaltigkeit und in Markenkooperationen wie beispielsweise S. Oliver, Zara, Schöner Wohnen, Esprit, Tom Tailor oder Joop!. Und die Branche bewegt sich, hat reagiert - sei es mit Brands oder mit innovativen Hochwertprodukten, Angeboten für Nischenmärkte oder Spezialitäten, die in High Tech-Verfahren gefertigt werden und Image und Zusatznutzen versprechen. Immerhin sind 30 bis 40 % der Endverbraucher stark markenbewusst. Davon profitieren Firmen wie der Jacquardweber Stoeckel & Grimmler, der sich in Frankfurt gleich mit drei Markenkonzepten präsentierte.
Beim Thema Nachhaltigkeit gehen die Einschätzungen derzeit allerdings noch auseinander. "Bei der Kaufentscheidung ist Nachhaltigkeit noch uninteressant. Keiner fragt danach, allenfalls der Objektbereich. Für 99 % des Marktes ist das kein Thema", meint etwa Unland-Geschäftsführer Hendrik Unland. Ganz anders sieht man das beim niederösterreichischen Traditionsunternehmen Backhausen und setzt dort auf Stoffe, die nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip zu 100 % wiederverwertbar sind. "Unsere Returnity-Stoffe werden von allen Kundengruppen so gut angenommen, dass wir mittlerweile die gesamte Produktion von Trevira CS-Stoffen darauf umgestellt haben", berichtet der Inhaber Reinhard Backhausen. "Unsere Produkte kosten 2 % mehr. Aber das wird gerne bezahlt. In Europa und den USA gibt es eine Riesennachfrage nach diesen Stoffen."
Gegen die zunehmenden Billigimporte und Kopien aus Fernost und der Türkei setzt die hiesige Industrie verstärkt auf Innovationen, hohe Produkt- und Servicequalität, die rasche Umsetzung neuer Dessins sowie auf enge Kundenbeziehungen. So meint Jan Peter Büning, Geschäftsführer bei Horn: "Das einfache Produkt als solches zu verkaufen wird immer schwieriger. Das heißt man muss Zusatzleistungen bringen wie Shopkonzepte, Service, Lösungen verkaufen, man muss insgesamt ganzheitlicher denken. Dass das Produkt stimmt, wird schon fast vorausgesetzt."
Die große Herausforderung für die deutschen Textilproduzenten wird allerdings sein, ihre Produkte auch weiterhin wirtschaftlich in Deutschland produzieren zu können. Aber laut Hendrik Unland wird auch mittelfristig eine maßgefertigte Plisseeanlage nicht aus China kommen: "Maßanfertigungen können wir in Deutschland mit dem Mehrpreis verkaufen, den wir benötigen, um unsere Kosten zu decken. An denen hat die Produktion - Weberei, Wirkerei, Druckerei, Ausrüstung - nur einen Anteil von etwa 15 bis 17 %. In China wären es vielleicht nur 5 %. Aber wir bezahlen lieber mehr und sind sicher, dass auch alles funktioniert."
Veränderungen auch beim HandelAuch die Handelsseite ist im Umbruch. Jan Peter Büning: "Wir haben Großflächenanbieter, die das Thema Wohnen und textiles Wohnen immer mehr für sich beanspruchen und dem Fachhändler wehtun." Bei Apelt stellt man dort eine Verschiebung in Richtung Möbler fest, wo der Raumausstatter nicht mehr Flagge zeigt. "Aber nur dort", so Geschäftsführer Ottmar Ihling.
Während diese Entwicklung vielleicht sogar neue Absatzkanäle in Aussicht stellt, beklagt Garotex-Geschäftsführer Ralph Kerstiens das stetig sinkende Preisniveau: "Wir haben kein Minus beim Absatz, die gleiche Menge wie im Vorjahr verkauft, aber der Umsatz ist gesunken. Man muss dem Handel immer weiter entgegenkommen, was Konditionen oder Warenrücknahmeverpflichtungen angeht. Dadurch entsteht ein hoher Grad an Erlösschmälerung. Wichtig für die Zukunft ist, das Preisniveau in den Griff zu bekommen."
Verbraucher setzen auf FertigwareZwei Entwicklungen wurden auf der Heimtextil deutlich: Auch bei klassischen Couponleuten wird offenbar wieder mehr Stück verkauft. Und: Der Anteil so genannter Ready Mades nimmt zu. "Die Leute wollen Konfektion haben, keinen Stoff zum selber nähen. Insbesondere junge Kunden wollen alles genäht haben", hat denn auch Gabriele Eckardt, Geschäftsführerin bei Eckardt International, festgestellt.
Verhaltener OptimismusBezüglich der Zukunftsaussichten gibt sich die Branche verhalten optimistisch. Die Umfrage der Messegesellschaft hinsichtlich der aktuellen Branchenkonjunktur fiel jedenfalls deutlich positiver aus als noch im Vorjahr: 71 % sowohl der Aussteller als auch der Besucher schätzen diese als gut bis befriedigend ein. 2009 waren es nur 56 bzw. 66 %. Während sich Hendrik Unland für den Export und das Objektgeschäft zuversichtlich gibt, ist Kerstin Baron-Breunig eher skeptisch: "Mit einer Belebung rechnen wir erst 2011. Dieses Jahr muss man noch durchstehen." Zudem beklagt die Vertriebsleiterin bei Munzert das Verhalten der Banken: "In dem Moment, in dem die Eigenkapitaldecke knapp ist, hat man derzeit ein Problem." Bei Apelt erwartet man, dass sich das Niveau insgesamt etwas stabilisiert und hofft, dass die Arbeitslosigkeit nicht allzu stark zunimmt. Das Objektgeschäft schätzt Ottmar Ihling 2010 eher rückläufig ein.
aus
BTH Heimtex 02/10
(Wirtschaft)