GHF: Interview mit Jürgen Wagner, Bernhard Brand und Horst Randecker
"Unabhängigkeit ist wichtig für den Großhandel"
Alljährlich trifft sich BTH Heimtex mit der Führungsspitze des Bundesverbandes Großhandel Heim & Farbe (GHF), um über aktuelle Themen und die Branche zu diskutieren. In diesem Jahr standen der Markt, Markenpolitik und E-Commerce im Mittelpunkt des Gesprächs. BTH Heimtex-Redakteurin Cornelia Küsel traf sich mit GHF-Geschäftsführer Jürgen Wagner, dem stellvertretenden GHF-Vorsitzenden Horst Randecker (Geschäftsführender Gesellschafter Farbtex Kaltenbach + Maier) und GHF-Vorstandsmitglied Bernhard Brand (Vorstand Malereinkauf-West) bei Farbtex Kaltenbach + Maier in Leinfelden. BTH Heimtex: Wie steht der Farbengroßhandel da, nachdem sich die Gesamtwirtschaft von der Krise erholt?
Horst Randecker: Der Farbengroßhandel hat seine Hausaufgaben gemacht und von der Wirtschaftskrise generell wenig bemerkt. Der Umsatz war stabil oder hat sogar leicht zugenommen. Das kann ich auch für unser Haus sagen. Farbtex war von der Krise kaum betroffen. Zwar hat die Automobilindustrie Aufträge gestoppt, doch die Maler, unsere Hauptzielgruppe, hatten volle Auftragsbücher - selbst hier im gebeutelten Baden-Württemberg.
Jürgen Wagner: Dass die Krise uns kaum tangiert hat, liegt daran, dass der Maler den Großteil seiner Arbeit nicht im Neubau macht, sondern in der Renovierung und Sanierung. Und der Verbraucher spart zwar vielleicht am Urlaub oder am Auto, dafür gibt er mehr für die Gestaltung seiner Wohnung aus und investiert kleinere, überschaubare Summen in den Bestand.
BTH Heimtex: Die Bundesregierung hat Förderprogramme aufgelegt, um in der Krise die Nachfrage anzukurbeln. Konnte die Branche davon profitieren ?
Randecker: Ja, das hat sich positiv ausgewirkt, vor allem auf die Nachfrage nach Wärmedämmung. Die wird auch weiter anhalten. Gut angenommen wird auch die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerksarbeiten im Haus. Das ist auf jeden Fall ein Anreiz für den Endverbraucher, den Handwerker zu beauftragen.
Bernhard Brand: Stahlbau und Automobilindustrie haben Aufträge zurückgehalten, doch konnte vieles davon kompensiert werden, unter anderem durch die Konjunkturpakete.
Auch die Förderung energetischer Sanierung spielt eine wichtige Rolle. Ich gehe im Übrigen davon aus, dass die Energieeinspar-Verordnung noch weiter verschärft wird. Wenn die Klima-Ziele bis 2012 umgesetzt werden sollen, muss die Wohnungswirtschaft mehrere Milliarden Euro investieren. Das ist eine große Chance. Wobei es wichtig ist, dass sich unsere Kunden mit diesen Technologien beschäftigen. Da sind innovative Betriebe gefordert. Von großer Bedeutung ist deshalb die Qualifizierung von Mitarbeitern.
BTH Heimtex: Konnten Sie dennoch etwas aus der Krise lernen? Was werden Sie künftig anders machen?
Wagner: Eine Branche, die die Krise nicht spürt, muss nicht viel ändern. Aber auf jedes Geschäft kommen künftig vermehrt Unwägbarkeiten zu. Wir können nicht mehr langfristig denken. Das hat allerdings nichts mit der Krise zu tun, sondern ist ein Wandel in der immer schneller werdenden Zeit.
Und der Großhandel ist auch noch eine Stufe nachgelagert. Das heißt, er muss oft reagieren, kann weniger agieren. Richtig verkehrt macht er aber derzeit nichts.
BTH Heimtex: Lässt das den Schluss zu, dass die Marktbereinigung weitgehend beendet ist ?
Wagner: Dieser Prozess ist nie beendet. 1956 gab es etwa 700 unabhängige Großhändler in Deutschland. Aktuell sind wir bei 108 und das Ende der Entwicklung ist immer noch nicht erreicht. Es wird immer weiter fusioniert, zusammengelegt, aufgekauft oder verkauft. Vor diesem Hintergrund muss der Großhandel seine Rolle immer wieder neu definieren und die Leistung bringen, die der Markt fordert. Das gelingt ihm ganz gut.
Die Zahl der Großhändler wird weiter schrumpfen, dafür eröffnen sie immer mehr Filialen - jedes Jahr zwischen 40 und 50. Das Filialwachstum ist größer als das Marktwachstum. Das bedeutet mehr Kundennähe, mehr Service. Und der Kunde will Service: kurze Wege, Erreichbarkeit, Verfügbarkeit der Waren, schnelle Lieferung - und Menschen, die man ansprechen kann.
Brand: Für unsere Marktstufe ist die Unabhängigkeit wichtig. Finanziell und bei der Marken- bzw. Lieferantenauswahl. Man darf nicht in den Sog einer Distributionspolitik hinein geraten, bei der man nicht selber entscheidet, was verkauft wird, sondern die Industrie das vorgibt. Die Auswahl an Lieferanten nimmt durch den Konzentrationsprozess ja auch ab. Wir müssen schon genau überlegen, mit welchen Marken und Eigenmarken wir an den Markt gehen. Das ist die Herausforderung.
BTH Heimtex: Gewinnt Markenpolitik für den Großhandel an Bedeutung ? Schließlich steigt das Markenbewusstsein
Wagner: Das ist sicher auch für den Großhandel von Bedeutung. Die Herstellermarke hat zwar Vorteile gegenüber der Handels- oder Eigenmarke wie Vorverkauf, Bekanntheitsgrad, Verlässlichkeit, Ubiquität und Qualität. Wenn sie jedoch einige dieser Versprechen nicht einlösen kann, oder preislich nicht mehr den Erwartungen des Kunden entspricht, bietet sich ganz schnell die Handelsmarke an. Für ihre Qualität bürgt der Großhändler. Und wenn man sich in den Lägern des Großhandels umsieht, findet man dort immer mehr Eigenmarken.
Randecker: Wir haben damit auch gute Erfahrungen gemacht - besonders bei der Farbe, aber auch bei Tapeten und Bodenbelägen. Dabei verlassen sich die Kunden auf unseren Geschmack.
Brand: Ohne Eigenmarken geht es nicht. Der Preisdruck auf die Marken ist groß. Das kann durch einen guten Mix mit der Eigenmarke kompensiert werden. Wichtig ist die Positionierung der Eigenmarke; sie muss Qualität bieten und darf nicht zur billigen Hausmarke werden, die man einsetzt, wenn sich nichts anderes mehr verkaufen lässt.
BTH Heimtex: Nun gilt der Maler als ausgesprochen markentreu bei seinen Werkstoffen. Wie locken Sie ihn als Großhändler zu Ihrer Eigenmarke ?
Randecker: Es stimmt, dass der Maler in bestimmten Produktbereichen wenig wechselwillig ist. Vor allem beim Lack. Dort, wo hochwertige Anstriche gefordert werden, bevorzugt er klar die vertraute Marke, weil er deren Eigenschaften kennt. Das gilt zum größten Teil auch für Fassadenfarben. Wenn es aber im Innenbereich um Produkte geht, die dem Preiskampf unterliegen, ist es mit der Markentreue vorbei. Da rechnet er knallhart aus, wieviel Materialeinsatz der Quadratmeter kosten darf und ist durchaus wechselbereit. Das ist die Chance der Eigenmarke.
Wagner: Eine Eigenmarke bedeutet kein Billigprodukt. Der Großhandel steht für Qualität und geht nicht das Risiko ein, Qualitätsansprüchen nicht zu genügen. Das weiß auch der Maler. Wenn er sich bei einem Großhandel gut aufgehoben fühlt, ist er dem treu und schaut nicht, ob er woanders billiger einkaufen kann. Das gilt zumindest für die ältere Generation. Bei der jüngeren bewegt sich allerdings einiges. Das muss der Großhandel im Auge behalten und sich danach ausrichten.
BTH Heimtex: Meinen Sie damit Online-Verkauf ?
Randecker: Wir fühlen uns bei diesem Thema als Vorreiter. Wir haben schon vor vier Jahren einen E-Sales-Shop eingerichtet und inzwischen werden 18 % unseres Zufuhr-Umsatzes online bestellt. Das wäre für uns damals ein unvorstellbar hoher Anteil gewesen.
Und nicht nur das: Die Online-Umsätze haben auch ein viel höheres Volumen als beispielsweise Umsätze, die per Telefon gemacht werden. Ich habe den Eindruck, dass sich die Maler im Intenret intensiver mit den Produkten beschäftigen. Das ist wirklich ein großes Zukunftsthema.
Wagner: Darin liegt aber auch eine Gefahr: Der Wechsel von Händler A zu Händler B wird immer leichter. Ein Mausklick reicht Das birgt also auf der einen Seite eine Chance, auf der anderen auch ein Risiko.
BTH Heimtex: Sie können sich als Großhändler ja auch im Internet auf Service einstellen.
Wagner: Das wird wahrscheinlich der Schlüssel sein: Das eine ist der Warenfluss und das andere das begleitende Servicepaket. Diese Leistung wird von Großhändler zu Großhändler unterschiedlich ausfallen.
Brand: Ich bin da gar nicht so skeptisch. Wenn ein guter persönlicher Kontakt vorhanden ist, bestellt der Maler auch bei seinem Großhändler über das Internet.
BTH Heimtex: Die Marktveränderungen haben sich offenbar auch auf das Verhältnis zwischen dem klassischen Malergroßhandel und den Maler-Einkaufsgenossenschaften ausgewirkt. Früher waren sie erbitterte Konkurrenten, heute sitzen Sie im GHF an einem TischKeine Berührungsängste mehr ?
Brand: Nein. Wir bewegen uns in einem Wettbewerbsumfeld, in dem wir die gleichen Aufgaben am Markt erbringen wie freie Großhändler. Wobei wir heute eher Vertriebsgenossenschaften sind als Einkaufsgenossenschaften, denn wir leben vom Verkauf.
Wagner: Früher waren die MEGs keine ordentlichen Mitglieder im Verband, weil der Großhandel dagegen votierte. Heute ist das Vergangenheit. Man mag sich oder man mag sich nicht - das gibt es auch innerhalb des Großhandels. In der Aufgabenstellung wird man zwischen Großhandel und Malereinkaufsgenossenschaften kaum Unterschiede finden.
Randecker: In der heutigen Zeit gibt es tatsächlich nur noch wenige Unterscheidungsmerkmale - außer den Eigentümerstrukturen. Als ich vor vierzig Jahren in der Branche anfing, war der Unterschied noch deutlich sichtbar. So hatten die Genossenschaften ihre Mitglieder als Kunden sicher. Das hat uns im Großhandel zu aktivem Verkaufen angespornt.
BTH Heimtex: Blicken wir einmal weiter auf den Vertrieb, Stichwort Häfas (= Händlertreue Fabrikanten, d.h. Hersteller, die den dreistufigen Vertrieb über den Großhandel pflegen) und Kofas (= Konsumententreue Fabrikanten, d. h. Hersteller, die direkt den Maler beliefern) Haben die Häfas wieder Terrain von den Kofas zurückgewonnen ?
Randecker: Ja der Großhandel stößt wieder auf mehr Akzeptanz. Noch vor fünf Jahren hat der Sortimentsgroßhandel permanent Marktanteile gegenüber dem Direktvertrieb verloren. Diese Entwicklung ist gestoppt, bzw. hat sich sogar umgedreht. Wobei es für den Großhandel schon eine Herausforderung ist, die Vielfalt an Produkten verschiedener Lieferanten richtig zu handhaben. Dazu sind aufwändige Warenwirtschaftsprogramme notwendig. Darin war uns der Direktvertrieb lange überlegen. Inzwischen haben wir hier aufgeholt.
Brand: Wir haben klar Marktanteile von den Kofas zurückgewonnen. Der Direktvertrieb kann nämlich auch nicht alles das leisten, was der Maler braucht. Aber wir können es. Dieses Selbstbewusstsein müssen wir immer wieder leben und kommunizieren. Die Kofas haben zwar ihr klar definiertes Sortiment, wir aber sind Sortimentsgroßhändler und Dienstleister zugleich.
Wagner: In der Vergangenheit wurde immer von einer 50:50-Aufteilung des Marktes ausgegangen. Durch das Filialwachstum im Großhandel muss der Kuchen, der verteilt wird, ein wenig größer geworden sein. Und meine These ist, dass der Großhandel das dem Direktvertrieb wegnimmt.
Doch muss der Großhandel noch lernen, den Direktvertrieb gezielter anzugehen. Oft werden falsche Prioritäten gesetzt und man liegt sich eher mit dem benachbarten Großhandel in den Haaren, anstatt gegen den konkurrierenden Direktvertriebler ins Feld zu ziehen.
BTH Heimtex: Sie erwähnten die Servicestärke des Großhandels. Dazu gehören qualifizierte Mitarbeiter. Was tut der Verband für die Weiterbildung seiner Mitglieder, deren Beschäftigten und den Malern ?
Wagner: Im Großhandel wird viel getan, um die Mitarbeiter fit zu machen. Denn als Problemlöser für die Profi-Kunden bedarf es kompetenter Gesprächspartner. Produkte sind relativ leicht austauschbar, Menschen mit ihrer Qualifikation und Erfahrung nicht. Der GHF bietet dem Großhandel mit den Goslaer Kursen ein praxisorientiertes Programm, das stark wahrgenommen wird.
BTH Heimtex: Das bringt auch Kundenbindung, was den Großhandel wiederum gegenüber der Konkurrenz stärkt - etwa den Baumärkten. Oder befürchten Sie immer noch, dass der Maler dorthin abwandert ?
Randecker: Der Maler wandert dann zu Baumärkten ab, wenn wir nicht genügend Leistung bringen. Ein Beispiel sind die Öffnungszeiten. Wenn der Großhandel am Freitag um 13 Uhr schließt, ist das nicht der Service, den ein Profi erwartet. Wir haben samstags bis 12 Uhr geöffnet und stellen einen hohen Zuspruch dafür fest. Wir machen am Samstag mehr als ein Viertel des normalen Tagesumsatzes. Hätten wir nicht offen, würde wahrscheinlich mancher Kunde zum Baumarkt gehen. Abgesehen von den Öffnungszeiten ist uns der Baumarkt im Service allerdings nicht gewachsen.
Wagner: Ich habe schon mehrfach gesagt, dass ich die Gefahr, die dem Großhandel vom Baumarkt droht, für relativ gering halte. Die Farbenindustrie verkauft ihre Markenprodukte nicht an die Baumärkte. Und die positionieren sich nur über den Preis, was letztlich dazu geführt hat, dass selbst der Endverbraucher den Baumarkt in Frage stellt. Verkauf funktioniert nur über Qualität.
BTH Heimtex: Ist der Baustoffhandel potenziell gefährlicher ?
Wagner: Wir sollte jeden ernst nehmen, der in der Lage ist, einem Maler das zu verkaufen, was dieser haben will. Nehmen wir das Beispiel Wärmedämmung. Dieses Thema wird zu
60 % über den Maler abgewickelt. Die anderen 40 % bleiben bei anderen Bauhandwerkern, die ihre Ware beim Baustoffhandel kaufen. Da müssen wir uns schon fragen, ob der Baustoffhandel dann nicht auch unseren Maler bedienen kann - und will...
Aufpassen und Kunden pflegen, heißt die Devise.
Randecker: Wir haben vor vier Jahren einen Standort in einer Stadt mit 40.000 Einwohnern eröffnet. Weil es dort bis dahin kein qualitatives Farbensortiment gab, konnten wir schnell einen hohen Umsatz erzielen. Als wir die Kunden fragten, wo sie vorher Farben gekauft hätten, verwiesen sie auf den örtlichen Baustoffhandel. Der hatte sich auf Maler eingestellt.
BTH Heimtex: Wie ist es denn umgekehrt , bleibt der Maler Ihre Hauptzielgruppe ?
Brand: Klar steht der Maler auch weiterhin im Mittelpunkt; und ist nicht begeistert, wenn zum Beispiel der handwerklich begabte Hausmeister auch bei uns einkauft. Dabei dürfen wir diese Zielgruppe der Hausmeister und vergleichbarer Dienstleister nicht vernachlässigen.
Randecker: Wir haben den Slogan geprägt: "Produkte für den Profi". Das soll ein Signal dafür sein, dass jeder bei uns einkaufen kann, der sich als Profi fühlt. Wir sehen nämlich inzwischen auch, dass beispielsweise der Holzverarbeiter oder der Stahlbauer professionell mit Farbe umgehen. Die sehen wir auch als unsere Zielgruppe.
BTH Heimtex: Wieweit lässt sich der Maler auf andere Arbeiten ein ? Geht der Trend zu "alles aus einer Hand" ?
Brand: Die Maler verlegen längst auch Bodenbeläge. Oder holen sich einen Bodenprofi dazu und machen es dann in der Kooperation, weil der Kunde alles aus einer Hand will. Dieser Trend am Markt ist klar erkennbar.
Wagner: Der Maler ist vielleicht von Haus aus mutiger bei einer ungewohnten Auftragsarbeit und versucht sich lieber selber - oder mit kompetenter Hilfe - daran, bevor er zum Kunden "Nein" sagen muss.
Das Einzige, bei dem sich der Maler tatsächlich zurückhält, sind größere Objekte im Boden-Bereich. Die werden die Domäne des klassischen Bodenbelagsgroßhandels und der Objekteure bleiben.
BTH Heimtex: Was bedeutet der Wandel in der Branche mit seinen verschiedenen Facetten für den Verband ?
Wagner: Es gibt immer weniger Entscheider im Großhandel. Allerdings werden dadurch die Probleme nicht geringer - im Gegenteil: Je weiter die Konzentration voranschreitet, umso härter werden die Auseinandersetzungen untereinander und auch mit der Industrie.
Auf allen Ebenen werden die Vertriebsstrukturen schlanker und die besten werden überleben - und werden größer.
Für uns als Verband wird die Aufgabe eher schwieriger, da die Probleme großer Großhändler auch immer große Probleme sind. Diesen Herausforderungen muss sich der Verband stellen.
aus
BTH Heimtex 09/10
(Wirtschaft)