Desso Deutschland: Interview mit Michael Stein und Roland Pohl

In Green Buildings hat die Fliese beste Chancen

Der Name Desso ist von jeher mit hochwertigen (Objekt-)Teppichböden verbunden, inzwischen zunehmend auch mit Teppichfliesen. Die deutsche Vertriebsgesellschaft in Wiesbaden, vor drei Jahren gegründet nach dem Erwerb von Desso durch einen niederländischen Finanzinvestor, hat Fliesen bewusst gefördert und agiert damit zunehmend erfolgreich am Markt. Wie hat sich Desso positioniert ? Und welche Rolle spielt die Cradle to Cradle (= Von der Wiege zur Wiege)-Strategie der Niederländer, die ökologisch wie ökonomisch sinnvolle, kontinuierliche Produktkreisläufe propagiert ? Wie weit ist Desso auf diesem Weg - und wie weit geht der Markt ihn mit ? Das wollte die BTH Heimtex-Redaktion von Michael Stein, Geschäftsleiter Deutschland, und Marketingleiter Roland Pohl wissen.

BTH Heimtex: Seit nunmehr drei Jahren sind Sie als Desso Deutschland am Markt aktiv. Wo stehen Sie heute ?

Michael Stein: Die Entwicklung in Deutschland ist sehr zufriedenstellend. Natürlich kann man aus Deutschland nicht über Nacht einen Fliesenmarkt machen, aber wir haben es geschafft, den Namen Desso im Fliesenbereich als Nr. 2 zu positionieren.

Die Umsatzentwicklung hat im letzten Jahr eine kleine Delle erlitten, dafür liegen wir in diesem Jahr deutlich zweistellig über Vorjahr.

BTH Heimtex: Und Ihre Muttergesellschaft ?

Stein: Desso ist international gut aufgestellt, rund um den Globus präsent und wirtschaftlich erfolgreich. 2009 hat Desso trotz rückläufiger Umsätze mehr verdient als 2008, das vom Umsatz her ein Rekordjahr war. Und dieses Jahr liegt der Umsatz 20 % über Vorjahr. Unter dem Strich bedeutet das vor dem Hintergrund angepasster Srukturen und reduzierter Kosten ein noch besseres Ergebnis als 2009.

BTH Heimtex: Nun führen Sie nicht nur Fliesen, sondern auch Bahnenware. Wie verteilt sich der Umsatz ?

Stein: 70:30 Fliesen zu Bahnenware. Als wir vor drei Jahren gestartet sind, war das genau umgekehrt. Das einzige, was uns noch fehlt, ist eine breitere Akzeptanz der Fliese in Deutschland. Das würde dem Markt und uns noch mehr Auftrieb geben.

BTH Heimtex: Wer sind denn hierzulande Ihre stärksten Wettbewerber ?

Stein: Weniger die reinen Fliesenspezialisten, sondern mehr die klassischen Bahnenware-Hersteller, die objektbezogen Fliesen anbieten.

BTH Heimtex: Auf den Fliesen-Zug sind vor einigen Jahren alle aufgesprungen und haben entsprechend Kollektionen aufgelegt. Das erfordert aber auch spezfisches Know-How. Es ist nicht damit getan, eine Bahnenware in 50 x 50 cm große Elemente zu zerschneiden.

Stein: Absolut richtig. Schon der Entwicklungsprozess ist komplett anders. Wir entwickeln gezielt von Anfang an eine Fliese - keine Bahnenware, auf die hinterher ein Bitumenrücken kaschiert wird.

BTH Heimtex: Worin liegt der Unterschied bei der Entwicklung ?

Roland Pohl: Das fängt schon beim Träger an und zieht sich durch die ganze Konstruktion. Der Versatz ist wichtig, die Pol-ausrichtung - das ist später bedeutsam für den Kantenschluss -, die Tufteinstellung muss stimmen. Weiterhin entscheidend sind spannungsfreies Tuften und wie die Beschichtung aufgetragen wird und erkaltet Sie sehen, es gibt eine Menge Parameter, auf die zu achten ist.

BTH Heimtex: Wie eng arbeiten Sie mit Ihren Kollegen von Parade zusammen, die den Handel mit Wohnqualitäten bedienen ?

Stein: Wir tauschen uns selbstverständlich aus, sind aber ansonsten komplett getrennt: Eigene Business-Units mit separaten Geschäftsfeldern, Zielgruppen, Vertriebsorganisationen und Sortimenten. Wir sprechen unsere Kunden auch ganz anders an.

BTH Heimtex: Und wie lang ist die Leine der Muttergesellschaft ?
Wie weit können Sie selbstständig agieren ?

Stein: Natürlich gibt es eine klare Unternehmensstrategie und klare Ausrichtungen. Wir haben aber Möglichkeiten, uns dort eigenständig zu bewegen, wo es der Markt erfordert. So ist das Schulwesen bei Desso eines der strategischen Felder für die Zukunft und erhält dadurch auch in Deutschland eine hohe Priorität.

BTH Heimtex: Welche Bedeutung hat denn der deutsche Markt überhaupt für Desso ?

Stein: Wir sind als deutsche Gesellschaft für eine von fünf Regionen verantwortlich, gehören also zu den fünf Kernmärkten Dessos. Man sieht in Deutschland auf jeden Fall ein interessantes Potenzial, weil die Fliese hier unterrepräsentiert ist. Wir schätzen den Objektmarkt im Textilbereich auf rund 50 Mio. qm, an denen die Teppichfliese gut 7 % Anteil haben dürfte, also 3,5 Mio. qm. Da sind noch Wachstumsmöglichkeiten

Und es gibt klare Tendenzen im Markt, die die Fliese stärken werden. Zum Beispiel die Green Buildings. Da hat die Fliese Vorteile und wird auch als vorteilhaftes Produkt verstanden.

Pohl: Wir sehen, wie viele Gebäude mittlerweile LEED- oder DGNB-zertifiziert sind - und dass dort Teppichfliesen gefragt sind. Das ist kein kurzfristiger Hype, das wird zunehmen und der Fliese zu Gute kommen. International ist sie ohnehin längst etabliert, nur in Deutschland gibt es keine Fliesen-Tradition.

Der deutsche Markt will uni, Veloure und Bahnenware. International ist meliert, Schlinge und Fliese gefragt.

Stein: Es fehlt in Deutschland auch immer noch der Mut zur Farbe. Deutlich zugenommen hat hingegen der Mut zur Struktur. Gerade strukturierte Fliesen haben bei uns in den letzten zwei Jahren enorm zugelegt.

BTH Heimtex: Sie propagieren stark den Cradle-to-Cradle-Gedanken. Welche Rolle spielt er bei Ihrer Strategie - und draußen am Markt ?

Pohl: Cradle to Cradle ist keine Fantasie, keine Vision. Dank der Unterzeichnung eines Partnerschaftsvertrages mit der in Hamburg ansässigen Umweltforschung GmbH (EPEA) von Professor Michael Braungart ist Desso der erste Teppichbodenhersteller im Wirtschaftsraum Europa, Naher Osten und Afrika, der das Konzept implementiert. Cradle to Cradle bedeutet einen Riesenschritt vorwärts - von der Ökoeffizienz zur Ökoeffektivität.

Stein: Der Grundidee können wir uns alle nicht verwehren: Es geht darum, Kreislaufsysteme für Teppichboden zu schaffen. Die gibt es noch nicht; Teppichboden wird verbrannt oder deponiert. Dabei ist das wertvoller Rohstoff, den man besser nutzen könnte.

Wir sind keine Öko-Aktivisten - es geht uns um Nachhaltigkeit: und zwar sowohl ökologisch wie auch ökonomisch.

Pohl: Cradle to Cradle steht für das Schaffen kontinuierlicher Kreisläufe für biologische wie auch technische "Nährstoffe". Recycling, so wie es heute in Deutschland definiert wird, ist eigentlich "Downcycling". Mit jeder Recycling-Stufe wird ein Produkt schlechter, bis es auf der Deponie landet. Der Prozess wird nur verlangsamt.

Unser Ziel ist jedoch ein Produktionskonzept, das Produkte hervorbringt, die entweder biologisch abbaubar oder vollständig recyclingfähig sind und so als Grundstoff für neue Güter dienen - eben Upcycling.

Cradle to Cradle bedeutet auch einen hohen Qualitätsanspruch. Schrott wird nicht recycelt, sondern nur ein Produkt mit "guten" Inhaltsstoffen, leicht zerlegbar, so dass es nicht nur nach ökologischem, sondern auch ökonomischem Maßstab zu einem neuen Produkt umgewandelt werden kann.

Das ist bei Teppichboden eine Herausforderung, weil er aus vielen Komponenten besteht, die sich nicht so einfach trennen lassen. Aber wir sind da inzwischen auf einem guten Weg.

BTH Heimtex: Was heißt das konkret ?

Pohl: Das ganze Cradle to Cradle-Konzept ist relativ komplex, weil es viele Kreisläufe einschließt: von den Farbstoffen über die Garne bis zu den Rückensystemen. Entsprechend laufen bei Desso viele Prozesse parallel. Bei Polyamid 6-Garnen beispielsweise arbeiten wir eng mit Aquafil zusammen und sind auch schon relativ weit. Ziel ist hier, über eine Depolymerisierung wieder zu rohweißem Garn zu kommen, das neu eingefärbt werden kann.

BTH Heimtex: Was ist mit anderen Fasermaterialien, die Sie auch verarbeiten, etwa Polyamid 6.6 oder Wolle ?

Pohl: Polyamid 6.6 lässt sich nicht depolymerisieren, aber man arbeitet an alternativen thermoplastischen Verfahren und hat dort auch berechtigte Hoffnungen, Lösungen zu finden. Bei Wolle ist eine saubere Cradle to Cradle-Kette deutlich schwieriger zu realisieren als bei Chemiefasern, weil sie über ihre gesamten Lebenszyklus hinweg häufig mit verschiedenen Chemikalien in Berührung kommt. Das fängt an bei der Wäsche und reicht bis zur Mottenschutzausrüstung.

BTH Heimtex: Und die Rückenbeschichtung ? Speziell Bitumen ist kein Leichtgewicht - sowohl tatsächlich als auch ökologisch betrachtet....

Pohl: Wir haben mit unserem neuen Eco Base-Rückensystem eine Alternative zu Bitumen entwickelt - eine selbstliegende Schwerbeschichtung auf Polymerbasis, die eben nicht verklebt werden muss, leicht zu verarbeiten und komplett wiederverwertbar ist - ein echter Meilenstein.

Eco Base ist die Speerspitze. Am Ende stehen für uns 100 % Cradle to Cradle im Jahr 2020. Und selbst wenn wir 2020 noch keine 100 % erreichen, sondern nur 88 oder 90 %, ist es der richtige Weg: Nicht die schlechten Dinge immer effizienter zu machen, sondern die richtigen Dinge zu tun.

Desso - Daten und Fakten


Desso GmbH
Borsigstr. 36
65205 Wiesbaden
Tel: : 06122/587 34 15
Fax: 06122/587 34 22
www.desso.de

Muttergesellschaft: Desso, Waalwijk, Niederlande
Geschäftsleiter Deutschland, Vertriebs- und Marketingdirektor: Michael Stein
Marketing: Roland Pohl
Außendienst: 9 Mitarbeiter
Sortiment: Hochwertige Teppichböden und Teppichfliesen - gewebt und getuftet - für das anspruchsvolle Objekt
aus BTH Heimtex 10/10 (Wirtschaft)