Konstruktive GHF-Jahrestagung 2010 in Fulda

Der Großhandel auf der Überholspur

Die alljährliche Tagung des Bundesverbandes Großhandel Heim & Farbe ist ein Pflichttermin für Großhandel und Industrie. Mit plus/minus 240 Teilnehmern hat sie sich auf einem stabilen Niveau eingependelt, das inzwischen unabhängig von Veranstaltungsort und Programm zu sein scheint. Und das ist auch gut so. Denn wichtig ist, dass die Branche ein Forum und einen Treffpunkt hat, auf dem sie sich über aktuelle Problemen und Themen austauschen kann - und dass nicht nur in bilateralen Gesprächen.

Eigentlich hätten wir den Bericht über die diesjährige Tagung des Bundesverbanes Großhandel Heim & Farbe in Fulda genauso betiteln können wie den über die letzte Veranstaltung: "Wir machen die Krise nicht mit'. Tatsächlich ist der Großhandel laut GHF-Vorstandsvorsitzendem Eberhard Liebherr "mit einem sehr kleinen blauen Auge' davongekommen und hat die Krise "sehr ordentlich gemeistert'. Das Geschäft sei 2009 noch "ganz gut gelaufen', konstatierte Liebherr in Fulda, und "auch in diesem Jahr können und dürfen wir uns nicht beklagen'. Insofern sei die Krise für den Großhandel fast ein Glücksfall

Aber er warnte auch vor unangebrachter Hybris, denn nun gelte es, das Erreichte zu sichern und für die Zukunft vorzusorgen, in der es womöglich mehr Gegenwind gibt. "Wir können ziemlich sicher sein, dass der öffentlichen Hand schon im nächsten Jahr die Mittel fehlen - und die private Nachfrage das kaum ausgleichen kann.' Insofern fürchtet Liebherr eine quasi nachlaufende "Umsatzdelle' in zwei Jahren. Daher postulierte er auch keinen rosabebrillten Optimismus, sondern geht eher von "verhaltenen Geschäftsaussichten aus'.

Ein wichtiges Anliegen war ihm in diesem Zusammenhang noch der Appell an Kollegen und Mitbewerber, keinen Wettbewerb über den Preis auszutragen. "Das Abgabe-Preisniveau im Großhandel verträgt keine weitere Nachlässe mehr', argumentierte er eindringlich. "Wir brauchen auskömmliche Spannen, um unser professionelles Service- und Dienstleistungsangebot aufrechterhalten zu können.'

GHF-Geschäftsführer Jürgen Wagner trug gewohnt routiniert die Zahlen und Fakten zum Verband, den Mitgliedern und der Entwicklung der einzelnen Produktsegmente vor. Danach blieben Lacke und Dispersionsfarben im ersten Halbjahr 2010 stabil mit geringfügigen Abweichungen nach unten, WDVS zog trotz oder vielleicht auch wegen des langen, kalten Winters an, textile Beläge blieben weiterhin schwach, während elastische Beläge den größten Zuwachs erzielten, getrieben durch den Designbelags-Boom. Parkett und Laminatböden erreichten knapp das Vorjahr, Heimtextilien waren zumindest nur noch leicht negativ, während in der Tapete "Dynamik' blieb und auch Werkzeug dem Großhandel "richtig Freude bereitete.'

Besondere Aufmerksamkeit widmete Wagner nicht nur den Zahlen, sondern auch den Menschen, die dahinter stehen. Das Thema Personal wird nach seiner Ansicht im Großhandel nämlich häufig vernachlässigt - oder zumindest unterschätzt. Wobei Wagner offenbar schon einiges an Missionarsarbeit geleistet hat, denn die früher chronisch unterfrequentierten Seminare des GHF sind inzwischen sehr gut besucht. Das Kölner Institut für Handelsforschung hat im Auftrag des BGA (Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistung) eine Studie durchgeführt, die einiges an Defiziten bzw. Handlungsfeldern zu Tage gefördert hat. Das fängt an bei der geringen Frauenquote in Führungspositionen und reicht über mangelnden Azubi- und Führungs-Nachschub bis zu Entgelt-Modellen. Danach werden variable Vergütungen und Kapitalbeteiligungen künftig nicht nur für Führungskräfte Usus sein, sondern auch zunehmend als Instrument bei den unteren Ebenen eingesetzt.

Hier haben sich also einige Herausforderungen herauskristallisiert, denen sich der Großhandel künftig stellen muss.

Das Fazit der Tagung ist durchaus positiv. In der geschäftlichen Entwicklung, in Vorträgen und in den Gesprächen am Rande hat sich der Großhandel als tragfähiges Modell der Zukunft bewiesen. Angesichts der Konzentrationsbewegungen auf dem Markt samt Firmenübernahmen, -fusionen und -pleiten sowie daraus folgender schwindender Mitgliederzahlen im GHF wird oftmals übersehen - und unterschätzt - welche Markt- und auch Wirtschaftsmacht der Großhandel darstellt. Immerhin stehen die GHF-Mitglieder für knapp 2 Mrd. EUR Umsatz. Wobei, auch das muss mal klar gesagt werden, der Farbengroßhandel den Kollegen aus dem Bodenbelagsbereich noch an Bedeutung überlegen ist - was eine friedliche Koexistenz nicht beeinträchtigt.

Kein Wunder, dass die GHF-Tagung für die Industrie ein Pflichttermin ist, wo sie mit allen verfügbaren Kräften um die Großhandels-Kunden buhlt. Mancher moniert das, aber seien wir mal ehrlich: Das ist Marktwirtschaft. Und was ist daran auch wirklich verwerflich Wenn sich die Branche trifft - und so viele Treffpunkte hat sie nicht mehr -, warum soll dann die Industrie ausgeschlossen sein? Wenn der Großhandel unter sich sein will, wird er schon Gelegenheiten dazu finden.

Worüber der GHF nachdenken sollte, ist die Auswahl der Referenten. Wohl haben gerade wir früher der Authentizität zuliebe Redner aus der Branche gefordert, aber allmählich nimmt der Branchen-Anteil unter den Vortragenden fast inflationäre Züge an. Das wirkt dann fast so, als greife man auf kostengünstige Ressourcen aus dem eigenen Umfeld zurück. Meinungen, Einblicke, Leben aus der Branche sind gut und sollten beibehalten werden - aber die GHF-Tagung darf nicht zur Nabelschau mutieren.

Vielleicht hat sich auch das Zwei-Tages-Modell überlebt. Eine Alternative wäre ein kürzere Tagung mit weniger, dafür ausgesuchten Top-Referenten und auch dem Abendprogramm.

Apropos Abendprogramm: Sicher ist es immer eine Herausforderung, eine geeignete Location für eine solche Veranstaltung zu finden. Das Hotel Esperanto in Fulda liegt konkurrenzlos günstig in der Mitte Deutschlands, 2 Min. vom Bahnhof entfernt und ca. 7 Min. von der Autobahn-Ausfahrt, und gilt als eines der beliebtesten Tagungshotels Deutschlands. Das kann aber weder an der Gastronomie noch am Service liegen. Das Dinner des GHF ist einer der gesellschaftlichen Höhepunkte der Branche und sollte auch als ein solcher zelebriert werden. In diesem Jahr stimmten weder das Ambiente, noch der völlig überforderte Service, noch das Essen, das nicht mal einer mittelmäßigen Kantine gerecht wurde. Nur ganz nebenbei: Wir haben auch noch nie erlebt, dass den Gästen unmittelbar nach Beendigung des Menüs praktisch die Serviette vom Schoß gezogen wurde. Das Hilton in Dresden nächstes Jahr macht das hoffentlich besser

Der Bundesverband Großhandel Heim & Farbe - Daten und Fakten 2010


Bundesverband Großhandel Heim & Farbe
Memeler Str. 30
42781 Haan
Tel.: 02129 - 5 57 09 0
Fax: 02129 - 5 57 09 9
info@ghf-online.de
www.ghf-online.de

Mitglieder: 191, darunter
-108 Großhändler
-77 Hersteller
-5 korporative Mitglieder
-1 Mitglied "andere Personen"

Pro-Kopf-Umsatz Mitarbeiter Januar-Juni 2010:
-Farben/Lacke: 119.640 EUR (+ 1,2 %)
-Bodenbeläge/Heimtextilien: 144.602 EUR (+ 0,3 %)

Mitglieder-Jubiläen 2010:
50 Jahre:
- Hawo GmbH, Heppenheim
- Adolf Veeser GmbH, Albstadt

60 Jahre:
- Dresign GmbH & Co. KG, Rheda-Wiedenbrück
- Späth Knoll GmbH, Darmstadt

100 Jahre:
- Farbtex Kaltenbach + Maier GmbH & Co. KG, Dornstetten

110 Jahre:
- Willy Klos GmbH & Co. KG, Bonn

170 Jahre:
- Joh. Peters sen. GmbH & Co. KG, Viersen

Der Vorstand
- Eberhard Liebherr, Lotter + Liebherr, Ketterer + Liebherr Vorsitzender, Sprecher IG Bodenbeläge
- Horst Randecker, Farbtex Kaltenbach + Maier Stellvertretender Vorsitzender
- Norbert Sonnen, Sonnen-Herzog Schatzmeister, Sprecher IG Farben und Lacke
- Martin Geiger, Alois Geiger
- Bernhard Brand, Malerienkauf West
- Carsten Weerts, Brandproducts Sprecher IG Heimtextilien

Geschäftsführung: Jürgen Wagner

Sekretariat:
- Anja Westhoff,
- Michaela Zecchini
aus BTH Heimtex 11/10 (Wirtschaft)