Witex: Interview mit Dr. Holger Schmeisser

"Wir gehen unseren eigenen Weg"

Wirtschaftskrise, Eigentümerwechsel, neue Geschäftsführung, Altlasten, finanzieller Druck: Für Witex war 2010 ein Jahr mit vielen Herausforderungen - wie schon die Jahre zuvor. Doch bei dem Unternehmen ist weder Resignation noch Frustration zu spüren. Stattdessen präsentierte sich die Mannschaft engagiert auf Domotex und Euroshop. Wohin geht die Reise in Augustdorf? Wie kann eine zukunftsträchtige Strategie für Witex aussehen? Darüber sprach BTH Heimtex-Chefredakteur Claudia Weidt mit Geschäftsführer Dr. Holger Schmeisser.

BTH Heimtex: Herr Dr. Schmeisser, im August 2010 berief Witex-Gesellschafter H.I.G. Sie überraschend in die Geschäftsführung von Witex, kurz darauf wurden Sie mit der Alleingeschäftsführung betraut. Mit welcher Aufgabenstellung?

Dr. Holger Schmeisser: Meine Mission lautete ursprünglich, mir das Unternehmen von innen anzuschauen, um zu eruieren, wie wir auf den Pfad der Tugend kommen. Denn Mitte 2010 hatte sich die Geschäftsentwicklung relativ weit entfernt von dem, was H.I.G. einst geglaubt hatte, zu kaufen - vorsichtig formuliert. Das war keine Perspektive für die Zukunft.

Was sich dann im weiteren Verlauf als mögliche Lösung herauskristallisiert hat, war eine tiefgreifende innere Neuorientierung. Diese ist inzwischen von den Gesellschaftern abgesegnet. Nach außen steht 2011 für uns unter der Devise: "Moderates, marktkonformes Wachstum". Das haben wir 2010 nicht erreicht, sondern gerade das Ergebnis von 2009 wiederholt - mit einer unakzeptablen Ertragssituation.

BTH Heimtex: Hört sich theoretisch einfach an, ist in der praktischen Umsetzung mit Sicherheit schwierig. Wie soll das geschehen?

Dr. Holger Schmeisser: In verschiedenen Schritten, bei denen das ganze Unternehmen durchleuchtet und eingebunden wird, wobei die hauptsächlichen Geschäftsprozesse besonders intensiv auf dem Prüfstand stehen. Inzwischen sind wir schon mitten in der Umsetzung.

In einem ersten Schritt haben wir die Kundenakquisition und -pflege unter die Lupe genommen. Dabei ist die zentrale Frage, wie und über wen wir mit unseren Produkten in den Markt gehen. Witex ist momentan so aufgestellt, dass wir zwar durchaus Druck auf den Markt ausüben, aber bewusst auf spektakuläre Aktionen verzichten. Die gab es 2010 nicht und die wird es auch 2011 nicht geben.

Wir wollen auch nicht in die Breite gehen und uns beispielsweise offensiv die Baumärkte erschließen. Ganz im Gegenteil: Wir wissen, wo unsere Stärken liegen. Und die wollen wir pflegen, intensivieren und ausdehnen.

BTH Heimtex: Wie denn? Der Markt wird auf Vertriebsseite nicht größer. Stattdessen gibt es immer weniger Absatzmittler mit immer mehr Standorten.

Dr. Holger Schmeisser: Wir wissen natürlich, dass unsere Hauptvertriebswege Fachhandel und Großhandel unter einem erheblichen Konsolidierungsdruck stehen. Unser Fenster zum Markt wird also immer kleiner, was wir mit einer Erweiterung des Sortiments und dem vorsichtigen Hineinwachsen in neue Servicegedanken kompensieren wollen.

BTH Heimtex: Was heißt das konkret?

Dr. Holger Schmeisser: Wir wollen dahin kommen, dass wir interessierten Kunden für besondere Aktionen ein besonderes Produkt mit kleiner, aber ebenfalls besonderer Dekorauswahl anbieten können. Damit könnten sie - und wir - von dem profitieren, was wir auf technischer Seite zu leisten in der Lage sind.
Die Ware LKW-weise vom Hof zu fahren und sich dann nicht mehr weiter darum zu kümmern, kann dagegen nicht unser Business sein - und ist auch nicht das unserer Klientel. Im Gegenteil: Unser Geschäft ist das kleinteilige, bei dem der Verleger beim Großhandel nicht eine Palette bestellt, sondern 32 m2 für das Wohnzimmer und 18 m2 für das Schlafzimmer plus Fußleisten. Das erfordert einen hohen Servicegrad, den wir heute schon bieten und weiter verfeinern werden. Dies abzubilden bedingt einerseits eine Optimierung bzw. Neudefinition unserer Auftragsbearbeitung, andererseits des Lagers bzw. schon der Fertigungsstrukturen und des Sortiments. Denn wir können es uns auch nicht leisten, das gesamte Lager mit "karierten Maiglöckchen" zu füllen. Die Herausforderung ist nun eine effiziente Prozesssteuerung, wie man sie z.B. aus der Automobilindustrie kennt.

BTH Heimtex: Das klingt kompliziert, komplex, aufwändig und langwierig. Ziehen Ihre Gesellschafter da mit? Wie viel Geduld - und wie viel Kapital - bringen sie für einen umfangreichen Umstrukturierungsprozess dieser Art mit ?

Dr. Holger Schmeisser: Witex ist jetzt in den Händen von Investoren, die uns den Rücken frei halten - z.B. gegenüber den Forderungen von Banken. Wir sind zu 100 % durch unsere Gesellschafter finanziert. Und das Konzept ist abgesegnet und beschlossen und wird nicht ständig wieder hinterfragt. Wobei allen klar sein muss, dass 2011 ein Jahr der Konsolidierung für Witex ist.

Aber, und das möchte ich ausdrücklich betonen: Unser Ansatz ist nicht kurzatmige Umsatzerhöhung bei gleichzeitiger Kostenreduktion. Hier wird in die Zukunft des Unternehmens investiert. Natürlich trägt die langfristige Perspektive dafür Sorge, dass sich die eingesetzten Mittel amortisieren. Wir sind keine karitative Einrichtung, sondern die Gesellschafter wollen selbstverständlich einen Return on Invest.

BTH Heimtex: Bislang hatte es so ausgesehen, als sei Witex auf einem guten Weg und nur das Desaster mit dem Kunden Porsche sei ursächlich für eine finanzielle Schieflage. Unser bisheriges Gespräch lässt den Schluss zu, dass das beileibe nicht die einzige Ursache war, sondern eine ganze Reihe anderer Dinge im Argen lagen. Gab es Versäumnisse anderer Art? Wurden Probleme nicht in Angriff genommen, Maßnahmen nicht durchgesetzt, die zwingend notwendig gewesen wären?

Dr. Holger Schmeisser: Diese Fragen muss das damalige Management beantworten. Fakt ist, dass wir beim Projekt Porsche Lehrgeld bezahlt haben. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Aber das allein als Ursache für die Misere zu nennen, ist falsch und von vornherein verkehrt gewesen. Wer das getan hat, mag guten Grund gehabt haben, andere Themen als mögliche Ursachen gar nicht erst hochkommen zu lassen.

Was Porsche betrifft, kann ich berichten, dass wir inzwischen mit den Beteiligten einen sauberen Konsens gefunden haben, wie das Thema für alle zufriedenstellend abgewickelt werden kann. Im Umgang mit einem Kunden wie Porsche muss man sich jederzeit bewusst sein, wem man gegenüber steht: einem hochklassigen Automobilhersteller, für den Prozesssicherheit und -orientierung enorm wichtig sind. Die Fehlerquote wird dort nicht in Prozent oder Promille, sondern in PPM (Parts per Million) gemessen. So einen Kunden muss man auf einem bestimmten Niveau ansprechen und bedienen, das seiner Welt, seinem Anspruch entspricht - und nicht nach dem hemdsärmeligen Motto "Das kriegen wir schon irgendwie hin".

Dieses Prinzip, sich zuerst klar zu werden, mit wem wir woran arbeiten, und dann darauf abgestimmt zu handeln, wenden wir auch bei unseren nach innen gerichteten Aktivitäten an. Unsere Mitarbeiter mit ihrer Erfahrung und Kompetenz sind die Haupt-Inputgeber bei unserer Neuorganisation. Wir entfernen nicht einfach zehn Mitarbeiter aus der Organisation. Das funktioniert nur, wenn sich die Arbeit in gleichem Umfang verringert. Arbeitsverdichtung allein bringt zwar kurzfristigen Erfolg, langfristig verbessert sie aber nicht die Effizienz, sondern demotiviert vor allem die Mannschaft.

Wir haben einen guten externen Moderator, der unsere Umstrukturierung betreut und gerne einen Spruch von Konrad Lorenz zitiert, der ein Change Management, dem Witex gerade unterzogen wird, bestens charakterisiert: "Gesagt ist noch nicht gehört, gehört ist noch nicht verstanden, verstanden ist noch nicht akzeptiert, akzeptiert ist noch nicht umgesetzt und umgesetzt ist noch lange nicht beibehalten."

BTH Heimtex: Das hört sich alles ambitioniert an. Nun verfügt Witex über zwei Stärken: die Marke, die das Unternehmen über manches Tief gerettet hat, und die technische Innovationskraft. Allerdings stellt sich die Frage, ob in der Vergangenheit überhaupt ausreichend in die Technik investiert worden und Witex noch "state of the art" ist? Der Wettbewerb von Witex sind die großen, finanziell starken Holzwerkstoffhersteller, die modernst aufgestellt und vertikal integriert sind. Inwieweit kann Witex das ausgleichen?

Dr. Holger Schmeisser: Das sehe ich ganz nüchtern. Es gibt eine Champions League der ganz Großen in der Branche. Wir träumen noch nicht einmal davon, dorthin aufzusteigen. Wir wollen unseren eigenen Weg gehen, den ich bereits beschrieben habe.

Wir mögen auch keine Profilierstraße haben, die 200 Teile in der Minute produziert. Unsere Option ist eine ganz andere: Wir müssen dafür sorgen, dass wir über die ganze Wertschöpfungskette, die wir im Unternehmen haben, modular sind. Erst das gibt uns nämlich die hohe Flexibilität, die andere in der Form nicht bieten können - bis hin zu allen möglichen Varianten von Private Labeling. Aus unserer Sicht macht es mehr Sinn, darin zu investieren, als in schnellere Profiliermaschinen.

Unser Konzept ist ein anderes als "höher, schneller, weiter". Wir wollen nicht 200 Teile pro Minute, sondern eine kürzere Gesamtdurchlaufzeit von der Order bis zur Anlieferung - und das auch bei kundenindividuellen Aufträgen.

BTH Heimtex: Neben Porsche gab es 2010 ein weiteres kritisches Thema. Sie gelten eigentlich als Sanierer, Herr Dr. Schmeisser. Und viele vermuten, dass Sie geholt worden sind, um die Braut zu schönen, und Ihre Gesellschafter so schnell wie möglich verkaufen wollen. Aber Ihre Ausführungen hören sich nicht so an, als werde das kurzfristig angestrebt.

Dr. Holger Schmeisser: Das ist richtig. Wobei ich das mit dem Sanierer auch stark relativieren muss. Ich wurde in der Regel nicht geholt, um ein Unternehmen für den Verkauf vorzubreiten, sondern, um es in eine gesicherte, stabile Position zu führen. Genau das ist auch hier die Mission. H.I.G. ist eine weltweit führende Beteiligungsgesellschaft speziell für mittelständische Unternehmen kleiner und mittlerer Größe.

BTH Heimtex: Auch wenn Witex sich heute als "Spezialist für schwimmend zu verlegende Bodenbeläge" bezeichnet, ist Laminat Ihr Kernprodukt. Wird sich Laminat überhaupt in Ihrer präferierten Kundengruppe Fachhandel und Großhandel halten können oder komplett in den Baumarkt abdriften, der heute schon mit Abstand größter Absatzmittler ist?

Dr. Holger Schmeisser: Was in den Baumarkt abgewandert ist, lässt sich nicht mehr zurückholen. Allerdings sehe ich in Deutschland keine weitere Bewegung in diese Richtung. Wobei man im Auge behalten sollte, dass es heute zum Geschäftsmodell guter Baumarktketten gehört, auch Handwerker-Leistungen zu vermitteln. Ich glaube, dass der demographische Wandel bewirkt, dass die Handwerker-Leistung künftig immer mehr nachgefragt wird. Ältere Leute verlegen nicht selbst. Deshalb ist es für uns wichtig, den qualitativ hochwertigen Einstieg für den professionellen Verwender zu behaupten.
aus BTH Heimtex 03/11 (Wirtschaft)