Interview mit Thomas Böckelmann, Debolon
Große Potenziale für Raumausstatter
Thomas Böckelmann war lange Jahre Einrichtungsplaner von Pflegeheimen. Heute ist er beim Bodenbelagshersteller Debolon verantwortlich für Strategieentwicklung und Beratung in der Pflegewirtschaft. BTH Heimtex wollte von ihm wissen, welche Konzepte in diesem Bereich heute gefragt sind und in wie sich der Raumausstatter positionieren muss, um in diesem Segment erfolgreich zu sein.BTH Heimtex: Herr Böckelmann, seit vielen Jahren sind Sie auf die Ausstattung von Pflegeimmobilien spezialisiert. Sie sagen, dass heute wesentlich bewohnerorientierter und pflegegerechter gebaut werden könnte, aber in der Branche zahlreiche Möglichkeiten ungenutzt bleiben.
Thomas Böckelmann: Ja, ich unterscheide hier drei Dimensionen. Erstens steht der Branche sehr viel Fachwissen zur Verfügung. Zweitens bietet die Industrie viele speziell für die Pflege geeignete Produkte an. Drittens wird diese gute Basis nicht ausreichend genutzt, denn das Wissen und die Produkte werden nur selten in der Praxis verknüpft und ganzheitlich angewandt.
BTH Heimtex: Was meinen Sie mit "ganzheitlicher Anwendung"?
Böckelmann: Schauen wir beispielsweise auf die Ausschreibungspraxis. Es werden überwiegend einzelne Gewerke und Titel in den Kostengruppen ausgeschrieben, wodurch Produkte ohne Zusammenhang verhandelt und vergeben werden. Etwa der Bodenbelag: Er wird relativ früh vom Architekten als Teil des Bauwerks gemäß den funktionalen Anforderungen ausgeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt spielen farbliche und raumbildende Konzepte keine Rolle, obwohl genau dies am Ende von essentieller Bedeutung für das Wohlbefinden der Bewohner ist und sowohl pflegerische wie therapeutische Funktionen erfüllen soll. Mitunter werden auch andere gestaltungsrelevante Elemente wie Gardinen und Dekorationsstoffe vergessen.
BTH Heimtex: Und dann ist das Geld schon verplant, bis die Textilien in die Ausschreibung kommen.
Böckelmann: Ja, die späte Planung von Textilien ist ein wesentlicher Grund, warum die passgenauen Angebote der Industrie häufig nicht in die Praxis umgesetzt werden. Aber auch das ist das Ergebnis der fehlenden Ganzheitlichkeit. Hingegen sind bei einer Ausschreibungspraxis, die von Anfang an einen roten Faden durch die Kostengruppen legt, die Chancen viel höher, dass stimmige Gesamtkonzepte für Pflegeheime umgesetzt werden. Licht, Farbe, Materialien und ihre Haptik, die Akustik, Ergonomie und Hygiene müssen mit dem gewünschten Einrichtungsstil eine Einheit bilden. Umsichtige Betreiber beschreiben erst ihr Gesamtkonzept und verpflichten dann die Architekten und Fachplaner auf der Basis dieses Konzepts, Angebote einzuholen und aufeinander abzustimmen.
BTH Heimtex: Wenn man sich die Einkaufs- und Spezifizierungsprozesse anschaut, dann gibt es sehr viele Beteiligte wie Architekten, Investoren, Betreiber, Projektentwickler, Fachplaner, Hygienemanager, Feuerwehr etc. Der Vertrieb ist besonders gefordert, die richtigen Ansprechpartner herauszufinden.
Böckelmann: Aus meiner Perspektive muss der Betreiber die treibende Kraft hinter dem Gesamtkonzept sein. Er hat sein Pflegeheim im Wettbewerb klar zu positionieren und dazu gehört eine klare Profilierung. Ein guter Ausschreibungsprozess beginnt mit einem aussagefähigen Briefing über das Gesamtkonzept des Hauses. Das ist dann von allen Projektbeteiligten als roter Faden konkret umzusetzen.
BTH Heimtex: Und wo bleiben da die Raumausstatter?
Böckelmann: Ich sehe hier enorme Chancen, weil es an dieser Stelle eine Lücke gibt. Wo sind denn Ausstellungsräume der Raumausstatter, die sich dem Thema "Einrichten von Pflegeheimen" widmen? Oder wenigstens 15m, die sich thematisch darauf konzentrieren? An welchem Ort können sich heute Betreiber, Innenarchitekten und Heimleiter informieren oder gelungene Beispiele ansehen? Wo können sie sich ein Bild von der Produktvielfalt und den Anwendungsmöglichkeiten verschaffen? Welcher Raumausstatter ist fachlich auf die Pflegebranche spezialisiert? Hier gibt es ein großes Potenzial für Raumausstatter, um sich als kompetente Planer und Partner zu profilieren.
BTH Heimtex: Ist das Thema den Raumausstattern zu komplex?
Böckelmann: Sicher ist das Thema sehr vielschichtig. Aber daraus entsteht doch gerade die Möglichkeit, sich als Spezialist einzubringen. Wer sich auf pflegegerechte Raumausstattung spezialisiert, der sollte die DIN 18040 für barrierefreies Bauen kennen, die Bodenbeläge mit bestimmten Eigenschaften vorsieht wie zum Beispiel geeignet für Rollatoren, kontrastierend zu den Wänden und Vermeidung von Spiegelungen und Blendungen. Wer damit umgehen kann, der qualifiziert sich bei den Planern, Betreibern und Heimleitern mit sichtbarer Kompetenz als Partner in Konzeption und Umsetzung.
BTH Heimtex: Abschließend noch eine Frage zum Budget. Seit Jahren wird mit einer Investitionssumme von 5.000 EUR pro Bewohnerplatz gedanklich umgegangen. Ist das realistisch?
Böckelmann: Das ist historisch so gewachsen und reicht heute nicht, um ein anspruchsvolles Pflegeheim auszustatten. Das Thema muss eigentlich anders herum aufgezogen werden. Welche Funktion und welchen Anspruch soll die Einrichtung erfüllen: eine reine Basisversorgung, ein angenehmes, umsorgtes Wohnen in der letzten Lebensphase oder der berühmte Residenzstandard. Danach richtet sich auch das Budget des Betreibers. Mit 7.000 EUR pro Bewohnerplatz lässt sich natürlich ein höherer Standard umsetzten als mit den besagten 5.000 EUR.
Pro Tag ist dies für ein mittelgroßes Pflegeheim eine Differenz von etwa 0,60 EUR Investitionskosten pro Bewohner. Dieser Unterschied ist sehr deutlich sichtbar und fühlbar. Es liegt auch an den Raumausstattern zu zeigen, was sie für "schönere" Pflegeheime leisten können. Und: Nachhaltigkeit ist auch in der Pflegewirtschaft ein zentrales Thema. Wie langlebig sind die Lösungen, wie recyclingfreundlich, energiesparend und mit welchen Unterhaltskosten muss kalkuliert werden? Wer hier klar argumentieren kann, der qualifiziert sich als Dienstleister der Betreiber und Heimleiter. Darin steckt das Potenzial.
aus
BTH Heimtex 06/11
(Wirtschaft)