Interview mit Jürgen Wagner und Norbert Sonnen vom GHF
"Es ist die Aufgabe des Großhandels, sich anzupassen"
Der Großhandel in Deutschland blickt optimistisch in die Zukunft. Er rechnet mit wirtschaftlichem Wachstum. Allerdings setzt sich der Konzentrationsprozess weiter fort. Doch bei sinkender Zahl von Unternehmen werden gleichzeitig immer mehr Niederlassungen eröffnet. BTH-Chefredakteur Michael Steinert sowie die Redakteure Cornelia Küsel und Jochen Lange sprachen mit GHF-Geschäftsführer Jürgen Wagner und Schatzmeister Norbert Sonnen über die Strukturveränderungen im Großhandel, den Endverbraucher als zusätzliche Zielgruppe und die Bedeutung des Internets.BTH Heimtex: Die deutsche Wirtschaft brummt wieder. Schlägt sich das auf die Stimmung im Großhandel nieder?Norbert Sonnen: Es läuft hervorragend, Farbe vielleicht noch einen Tick besser als Bodenbeläge. Aber auch da sieht es sehr gut aus. Ein Grund ist das gute Wetter im März. Hinzu kommt, dass die Konjunktur fantastisch läuft. So ist die Stimmung im Handwerk erstklassig. Vor allem die energetische Sanierung spielt eine große Rolle, hier kann man fast von einem Boom sprechen. Schließlich hat sich herumgesprochen, dass es nicht sehr schlau ist, durch die Wände zu heizen.
BTH Heimtex: Der Farben-Großhandel litt in der Vergangenheit stark darunter, dass die Industrie ihren Direktvertrieb ausweitete. Die Kofas (Direktvertriebler) hatten schon rund 50 % des Marktes erobert. Deutet sich allmählich wieder eine Wende zugunsten der Häfas (dreistufiger Vertrieb über den Großhandel) an?Sonnen: Wir gehen davon aus, dass die Häfas und damit der Großhandel wieder Boden gewonnen haben. Ein Hinweis darauf ist die große Zahl an Großhandels-Niederlassungen, die in den vergangenen Jahren eröffnet wurden. Wir glauben, dass das kein Verdrängungswettbewerb untereinander ist, sondern dass wir den Kofas Anteile abgenommen haben. Dafür spricht einiges.
Jürgen Wagner: Diese positive Entwicklung zeigt auch auf, wie sich die Großhandelsseite verändert hat. Die zentralen Entscheider, die Großhändler, sind weniger geworden. Bei uns sind nur noch 105 Unternehmen gelistet. Doch die wenigen Großhändler machen immer mehr Niederlassungen auf. Denn unsere Klientel, mehr noch der Maler als der Bodenleger, will die räumliche Nähe zum Großhandel haben. Der Markt ist allerdings nicht nur über neue Filialen gewachsen. Es gibt echtes Wachstum, wir schätzen 2 bis 3 %.
BTH Heimtex: Außer dem Maler und dem Bodenleger gehört auch der Raumausstatter zur Klientel der Großhändler. Bekommt er, was er für sein Geschäft braucht?Wagner: Wir haben im GHF das wachsende Segment Farbe, das wachsende Segment Bodenbeläge, Tapeten, Werkzeuge - und Heimtextil. Aber Heimtextil, also Deko, Gardine, Sonnenschutz, hat in unserem klassischen Großhandel keine große Bedeutung. Darauf haben sich die Spezialisten konzentriert, die keine echte Heimat im GHF finden. Sie sind zwar willkommen, aber man kann keine optimale Leistung für sie erbringen. Es sind zu wenige und die wenigen haben oft noch unterschiedliche Ausrichtungen. Im Großhandel gehört der Raumausstatter nicht zur Hauptzielgruppe.
BTH Heimtex: Es gibt immerhin 10.000 bis 12.000 Raumausstatter in Deutschland. Das ist doch auch für den Farben-Großhandel eine wichtige Größe.Wagner: Sie haben den Finger in die Wunde gelegt. Aber das Problem ist, dass die Sortimente für den Raumausstatter sehr breit aufgestellt sein müssen und sehr personalintensiv sind.
Sonnen: Das wird über Einzelhandelskooperationen gelöst.
BTH Heimtex: Zurück zum Maler. Sie raten den Farben-Großhändlern unter Ihren Verbandsmitgliedern, zusätzlich die Gipsplatten mit ins Sortiment zu nehmen.Wagner: Erfreulicherweise stellen immer mehr Großhändler auf Gipskarton um.
BTH Heimtex: Herr Sonnen, damit sind Sie zufrieden?Sonnen: Herr Wagner hat damit völlig recht. Denn der Maler ist verstärkt im Trockenbau aktiv, jedenfalls was kleinere Arbeiten betrifft. Warum sollten wir ihn wegen einiger weniger Platten Gipskarton zum Baustoffhandel schicken? Die sollten wir ihm auch anbieten. Es ist Aufgabe des Farbengroßhandels, sich anzupassen, wenn es der Markt fordert und man die Chance hat, die Zielgruppen auszuweiten. Allerdings kann der Großhandel nicht anfangen, auch noch Dachdecker oder Elektriker zu beliefern.
BTH Heimtex: Wie sieht es mit dem Endverbraucher aus? Der kauft längst im Holzgroßhandel und Baustoffhandel ein, während Ihre Türen geschlossen bleiben.Wagner: Nein, so ist das nicht. Zwar versteht sich ein Großhandel nicht als Einkaufsquelle für den Endverbraucher. Aber in der Realität läufts anders. Speziell Farben-Großhändler erwirtschaften 15 bis 20 % Umsatz mit dem Endverbraucher.
"Eigenmarken stoßen an Grenzen"
BTH Heimtex: Thema Preis. Besteht nicht die Gefahr der immer besseren Vergleichbarkeit, wenn Produkte überall angeboten werden?Wagner: Das ist ein Problem. Es führt dazu, dass der Endverbrauch den Händler nicht mehr ernst nimmt, wenn er einen vergleichsweise hohen Preis zahlen soll.
BTH Heimtex: Das ist der Vorteil von Setta. Die Marke gibt es nur beim VFG, somit entfällt die Vergleichbarkeit.Wagner: Das ist richtig. Der Eigenmarken-Gedanke hat deswegen auch seinen Reiz, aber er stößt an Grenzen. Meine Sorge ist, dass die Großhändler zu stark auf Eigenmarken setzen und dabei das ganze Thema Forschung, Entwicklung und Markenaufbau an die Industrie delegieren. Wenn das Feld bereitet ist, kommen sie mit Ihrer kalkulierten Eigenmarke, setzen sich also an den gedeckten Tisch. Und wenn es dann wieder etwas Neues geben soll, dann muss die Industrie es eben entwickeln. So läuft das auf Dauer nicht. Denn Industrie und Großhandel bilden eine Zweckgemeinschaft. Die brauchen sich gegenseitig. Wenn dann aber Händler zunehmend auf Eigenmarken bestehen, bestärken sie die Industrie darin, ihre Produkte selbst zu vermarkten. Natürlich kann man Eigenmarken mit vertreiben, aber nur als Teil des gesamten Sortiments.
BTH Heimtex: Die Industrie hat das Problem erkannt. Sie will ihre Marken weiter stärken.Wagner: Es war bisher ein unausgesprochener Deal, dass der Händler Eigenmarken in kleineren Größenordnungen anbieten konnte, wenn er das Kerngeschäft mit der Industriemarke abwickelt. Wenn das aber übertrieben wird, wird die Funktion der Industrie in Frage gestellt. Da ist Setta sehr geschickt. Deren Abfüller sind auf die Markenindustrie verteilt, damit jeder mit im Boot sitzt. Ansonsten ist bei Eigenmarken Vorsicht geboten. Wenn man diesen Weg konsequent geht, entfernt man sich von der Industrie.
BTH Heimtex: Wie hoch ist die durchschnittliche Umsatzrendite Ihrer Mitglieder?Wagner: Auf unserem Markt mit einer Mischung aus allen Sortimenten liegt der durchschnittliche Umsatz bei 10 Mio. EUR. Die Rendite geht bis 5 %, die meisten erwirtschaften 2 bis 3 %.
BTH Heimtex: Selbst 5 % Rendite sind ja nicht viel.Wagner: Deshalb suchen viele Großhändler einen Ausweg in Eigenmarken. Sie meinen, dass sie damit bessere Chancen haben, ihre Rendite zu erhöhen. Vor allem die mittleren Geschäfte mit einem Umsatz von 7 bis 10 Mio. EUR haben es schwer. Sie sind so groß, dass sie für Akquisitionen in Frage kämen. Und sie brauchen, wenn sie wachsen wollen, viel Investitionsvolumen, zum Beispiel für die Aufstockung des Personals. Das Geld ist aber knapp.
Sonnen: Die Struktur ist ähnlich wie im Handwerk. Die ganz Großen sind in der Regel krisenfest, die passen sich an. Sie haben ihre Logistik, sind interessant für die Industrie. Auch die Kleinen haben in ihrer Region ihre Stammkunden. Im mittleren Bereich sieht es dagegen kritisch aus.
Wagner: Nun sollte man sich aber nicht wünschen, dass ein Großer strauchelt. Denn das freut möglicherweise nur kurzfristig die Mitbewerber. Für den Markt insgesamt aber kann das nicht gut sein, denn die Konzentration würde weiter gehen. Schon jetzt ist es so, dass die wenigen Großen den größten Teil des Umsatzes machen.
BTH Heimtex: Eine schrumpfende Zahl von Großhändlern eröffnet immer mehr Niederlassungen. Besteht nicht die Gefahr, dass das Filialnetz wieder eingedampft wird, wenn der Konzentrationsprozess abgeschlossen ist?Wagner: Da muss man zwischen Bodenleger und Maler unterscheiden. Der Maler sucht die räumliche Anbindung. Der geht für seine zwei Farbtöpfe persönlich zum Großhandel. Das ist Tradition, was auch von den Händlern so gesehen wird. Demgegenüber macht es dem Bodenleger nichts aus, wenn die Niederlassung weiter weg ist. Er geht ja nicht jeden Tag in den Handel.
Sonnen: Der Bodenleger kommt zu uns, bestellt einen Teppichboden und lässt ihn sich dann zur Baustelle liefern. Beim Maler ist das anders, der ist auch witterungsabhängiger. Oder aber der Architekt hat plötzlich eine neue Idee und will, dass neu gestrichen wird. Dann muss der Großhändler für den Maler innerhalb von 10 bis 15 Autominuten erreichbar sein. Man muss also den aus Handwerkersicht richtigen Standort finden, möglichst mit Autobahnanbindung und Parkplätzen vor der Tür. Bei uns können die Kunden bis 18 Uhr ihre Ware bestellen und am nächsten Morgen ist sie in allen Niederlassungen ab 7 Uhr abholbereit. Zwar fahren unsere LKW auch den Maler an, wenn er will. Aber wir können nicht alle Lieferungen gleich am frühen Morgen schaffen. Deshalb holt der Maler selbst ab.
BTH Heimtex: Gibt es Untersuchungen, inwieweit Maler im Baumarkt einkaufen?Wagner: Es wird in jedem Baumarkt ein paar Profis als Kunden geben. Aber für den Maler ist es ein Problem, wenn er im Baumarkt Ware einkauft, die jeder verarbeiten kann. So erhöht er die Preistransparenz. Das Prinzip "billig, billig, billig" beißt sich mit der Zielgruppe Handwerk.
Sonnen: Die Maler sehen den Baumarkt immer noch als Quelle, in der man als Endverbraucher günstig einkaufen kann und bei dem er selbst genauso viel bezahlen muss wie der Endverbraucher. Das passt ihm nicht, weil er ja Profi ist und deshalb schon traditionell im Großhandel weniger bezahlt als der Verbraucher. Im Übrigen sieht er den Baumarkt als Steigbügelhalter für Do-it-yourself an und damit als Wettbewerber. Deswegen gehen richtige Malerbetriebe nicht in Baumärkte, höchstens mal vereinzelt ein paar angestellte Maler.
BTH Heimtex: Die Tapete ist inzwischen aufgrund entsprechender Nachfrage beim Großhandel wieder ein beliebtes Produkt. Wie geht es dem textilen Bodenbelag?Wagner: Warum kommt der nicht vom Fleck, fragt man sich. Das haben Großhändler schon vor Jahren die Produzenten gefragt und ihnen geraten, bei der Werbung stärker auf Frauen zu setzen. Die sind häufig die Entscheider, wenn es um Einrichtung geht. Sie interessieren sich aber nicht so sehr für die technischen Details wie Raumschallreduzierung. Als Beispiel für gute Werbung nannten die Großhändler die Aktivitäten der Laminathersteller. Die verkaufen Wohlfühlen, Ambiente, Flair, hübsche Bilder. Die Industrie ist aufgefordert, von anderen zu lernen und ihr Produkt aufzupeppen.
Sonnen: Der Teppichboden wird aber wieder kommen, da bin ich sicher.
"Wir haben auch sonnabends geöffnet"
BTH Heimtex: Ihre Kunden fordern, wie Sie deutlich gemacht haben, besonderen Service. Kommen ihnen die Großhändler durch längere Öffnungszeiten entgegen?Wagner: Großhändler, die freitags mittags Schluss machen, gibt es kaum noch. Dafür hätte der Handwerker heute auch kein Verständnis mehr. Bei den Öffnungszeiten sind die meisten Großhändler inzwischen sehr flexibel. Denn durch Serviceleistungen kann man sich vom Wettbewerb abheben.
Sonnen: Wir haben alle Niederlassungen auch sonnabends geöffnet. Wenn eine Baustelle brummt, haben Sie auch sonnabends Kunden. Dann wollen die arbeiten, der Winter war schließlich lang genug.
BTH Heimtex: Welche Bedeutung hat das Internet im Großhandel?Wagner: Das gehört heute einfach dazu. Man muss auf diesen Zug aufspringen. Einige Händler sind auf diesem Gebiet schon recht professionell, andere fangen erst damit an. Es gibt eine Menge junger Handwerker, die wollen abends um halb zehn noch mal gucken, was es so gibt. Aber um hier wirklich professionellen Service anbieten zu können, brauchen Anfänger Experten-Hilfe. Nicht unbedingt derjenige, der bis zu 5 Mio. EUR Umsatz macht, der hat genug direkten Kontakt zu seinen Kunden. Aber für die, die größere Objekte abhandeln, ist Internet ein Muss. Auch wenn damit die Transparenz von Preisen oder Lieferschnelligkeit größer wird. Aber das muss man riskieren. Das fordert die heutige Zeit.
Sonnen: Der Außendienst ist natürlich gegen das Internet, der telefoniert lieber. Dennoch werden wir im kommenden Jahr mit einem Internet-Projekt starten. Das Hauptproblem besteht darin, dass der Kunde die Ware auch sehr schnell finden muss. Wenn er erst suchen muss, steigt er aus. Und man muss die Vertraulichkeit der Daten gewährleisten. Das ist schon sehr kompliziert.
BTH Heimtex: Welche Themen werde Sie mittelfristig stark beschäftigen?Wagner: Internet ist ein Bereich, mit dem wir uns weiter beschäftigen müssen. Und die Nachhaltigkeit dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.
BTH Heimtex: Herr Sonnen, abschließend speziell zu Ihnen. Veranstalten Sie Hausmessen?Sonnen: Unregelmäßig, im Schnitt alle zwei Jahre. Sie bringen eine Vielzahl an Kunden, die man persönlich begrüßen kann. Das ist echte Kundenbindung. Aber in einem Ballungsgebiet wie bei uns in Düsseldorf braucht man solche Messen nicht jedes Jahr. In solchen Regionen werden die Menschen mit Informationen überfrachtet. Anders ist das in ländlichen Gebieten. Da ist die Hausmesse ein Ereignis für die ganze Region. Man braucht sie dort zudem als Informationsquelle.
GHF Daten und Fakten
Bundesverband Großhandel Heim & Farbe (GHF) Memeler Straße 30
42781 Haan
Tel.: 02129 / 5 57 09-0
Fax: 02129 / 5 57 09-9
info@ghf-online.de
www.ghf-online.de
Geschäftsführer: Jürgen Wagner
Vorstandsvorsitzender: Eberhard Liebherr
Stellvertretender Vorstandsvorsitzender: Horst Randecker
Schatzmeister: Norbert Sonnen
Gegründet: 1900
Mitglieder: 105 Großhändler mit 568 Niederlassungen, 74 Hersteller, 5 kooperative Mitglieder
Schwerpunkte: Farben (43 %), Bodenbeläge (31 %), Tapeten (8 %), Heimtextilien (7 %), Werkzeuge (4 %)
aus
BTH Heimtex 07/11
(Wirtschaft)