Desso Interview mit Deutschland-Marketingleiter Roland Pohl
"Wir nehmen als Einziger Teppichboden zurück"
Desso hat sein Produktprogramm innerhalb von wenigen Jahren komplett umgekrempelt. Konzentrierten sich die Niederländer früher vor allem auf Bahnenware, trägt die Teppichfliese heute in Deutschland mehr als 70% des Umsatzes. Aber Deutschland ist ein Markt für Velours-Bahnenware. Im Interview mit BTH Heimtex-Redakteur Jochen Lange verrät Deutschland-Marketingleiter Roland Pohl mit welcher Strategie Desso erfolgreich ist, und wieso das Unternehmen als einziges in Europa Teppichboden zurücknehmen kann.
BTH Heimtex: Wie ist das Jahr 2011 bisher für Desso in Deutschland gelaufen?
Roland Pohl: Wir sind in Europa und Deutschland sehr gut aufgestellt. Wir verzeichnen in allen Bereichen Umsatzzuwächse zwischen 10 und 20% und insgesamt ein Ergebnis, mit dem wir sehr zufrieden sind. Unsere zehn Vertriebsmitarbeiter für das Objekt haben alle deutschen Metropolregionen besetzt. Bei unserer täglichen Arbeit draußen im Markt spüren wir aber, dass die europäische Schulden- und Finanzkrise für Verunsicherung sorgt. Der Markt reagiert verhalten und fährt mit angezogener Handbremse.
BTH Heimtex: Der deutsche Teppichbodenmarkt ist traditionell von Velours-Bahnenware geprägt. Das Desso-Sortiment setzt vornehmlich auf Fliese in Schlinge. Der Anteil der Teppichfliese beträgt mit 3 bis 3,5Mio.m aber lediglich 7% des Teppichboden-Objektmarktes in Deutschland. Verraten Sie uns, was für eine Strategie Desso verfolgt, die anscheinend trotz der schwierigen Grundvoraussetzungen erfolgreich ist?
Pohl: Es ist sicherlich richtig, dass wir erst am Anfang stehen und noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist unser Produktprogramm richtig, weil wir mit Teppichfliesen mehr verdienen als mit Bahnenware. Was der deutsche Markt aber lernen muss, ist, dass Fliesen in der Fläche genauso gut aussehen können wie Bahnenware. Es muss nicht auffallen, dass eine Fliese verlegt wurde. Die Entscheider, die Architekten und Objekteure, haben das Potenzial der Fliese schnell erkannt. Bei gleicher Qualität ist sie langfristig aufgrund der niedrigeren Wiederaufnahmekosten preiswerter.
BTH Heimtex: Die anerkannt guten Eigenschaften der Fliese sind die eine Sache. Sie müssen aber gegen eine Denke in den Köpfen angehen, die schwer zu verändern ist. Eine Aufgabe des Marketings...?
Pohl: Gegen das Gespenst des schlechten Verlegebildes gepaart mit Schachbrettmustern und Doppelbodenplatten mit großen Fugen, das in den Köpfen herumspukt, ist schwer anzugehen. Das stimmt. Da hilft nur eins: Fakten schaffen mit guten Flächen und Referenzobjekten. Das überzeugt den Objektentscheider. Wir stellen in Deutschland Produkte in den Vordergrund, die sich richtungsgleich verlegen lassen und mit denen sich ein komplett geschlossenes, homogenes Flächenbild erzielen lässt.
BTH Heimtex: Gerade haben sich TUI und Adidas für Desso-Fliesen mit Ecobase-Rücken entschieden. Wie haben Sie die Entscheider dort überzeugt?
Pohl: Für diese Unternehmen war das Cradle to Cradle-Konzept (siehe Kasten auf S. 29, Anmerk. der Redaktion) und speziell das Thema Recycling entscheidend.
BTH Heimtex: Werden diese Argumente in Zukunft immer wichtiger bei der Wahl des Bodenbelags?
Pohl: Das sehe ich so. Aber Nachhaltigkeit wird in Deutschland nicht so stark gelebt, wie sie kommuniziert wird. Alle sprechen darüber. Aber im Tagesgeschäft findet sie eigentlich nicht statt. Ansonsten würde die Teppichfliese viel schneller in Deutschland Fuß fassen, weil sie Vorteile gegenüber anderen Belägen hat.
Für eine Green-Building-Zertifizierung ist selbst eine große Fläche wie der Teppichboden nicht relevant, um Gold- oder Platinstandard zu bekommen. Der Energiehaushalt, die Art der Fassade und die Wärmedämmung sind die wesentlichen Faktoren eines Gebäudes. Deswegen kommt es immer auf den Bauherren an oder denjenigen der zertifiziert, ob Kriterien wie Rückbaufähigkeit stark ins Gewicht fallen und Punkte für die Zertifizierung geben oder nicht.
BTH Heimtex: Wie sehen Sie das Thema Umwelt-Produktdeklarationen (EPD)?
Pohl: Seit einem Jahr arbeiten wir an einer Desso-eigenen EPD, die wir zum Jahresende vorstellen. Im deutschen Markt sehe ich die EPD als ein nicht sehr relevantes Thema. Mehr als die allgemeinen EPD im Rahmen von DGNB-Zertifizierungen wird vom Markt im Moment auch gar nicht gefordert, weil sie die Entscheider nicht verstehen - das Thema ist zu komplex. Meiner Ansicht nach geht es da nicht in erster Linie um nachhaltiges Bauen, sondern darum, ein Gebäude mit Hilfe von Zertifizierungen möglichst optimal vermarkten zu können und die Wertschöpfung zu verbessern.
Die Forderungen, die an Produkte gestellt werden, können die Hersteller hier zu Lande ganz gut erfüllen. Die Green-Building-Anforderungen geben zu wenige Anstöße für Produktentwicklungen. Das ist in anderen Ländern, wie etwa den Niederlanden, anders.
BTH Heimtex: Mit welchen Produkten sind Sie auf dem deutschen Markt erfolgreich?
Pohl: Melierte und gemusterte Schlingenfliesen mit Struktur oder dezenter Musterung machen uns viel Freude. Mit unserer Kollektion "AirMaster" versuchen wir dem Markt einen Einstieg in das Thema Teppichfliese auch über Design und Zusatznutzen zu eröffnen. Diese Produkte sind nicht nur Cradle to Cradle, sondern verringern die Feinstaubkonzentration im Innenraum viermal stärker als ein normaler Teppichboden. Darüber hinaus bieten sie tolle Möglichkeiten für eine kreative und individuelle Raumgestaltung. Air Master zeigt auf beeindruckende Weise, wie eine Teppichfliese in der Fläche aussehen kann.
BTH Heimtex: Sie haben das Thema Nachhaltigkeit und Recycling bereits angesprochen. Warum ist denn Desso in der Lage, die Beläge zurückzunehmen und andere Hersteller nicht?
Pohl: Wir haben in eine Technologie investiert, die den Belag pulverisiert und in Rückenmaterial und die verschiedenen Fasermaterialien trennt. Die Entwicklung hat einige Jahre in Anspruch genommen. Wir haben uns sämtliche Verfahren, die es gibt, angeschaut.
In der ersten Trennstufe wird der zurückgenommene Teppichboden in das leichtere Polmaterial und das schwerere Rückenmaterial differenziert. Ein Spektrometer unterscheidet dann in der zweiten Stufe zwischen den unterschiedlichen Fasertypen.
BTH Heimtex: Nimmt Desso alle Teppichböden zurück?
Pohl: Nein. Bahnenware nicht. Denn die Voraussetzung für die Wiederverwertung ist ein Produkt mit reinen Inhaltsstoffen, das leicht zerlegbar ist. Bahnenware von Kleberesten vollständig zu befreien, ist zurzeit noch ein Problem. Alle Fliesen ohne PVC-Rücken nehmen wir aber zurück. Den von uns im Hinblick auf gute Zerlegbarkeit und vollständige Wiederverwertbarkeit entwickelten Rücken "Eco Base" recyceln wir in unserem eigenen Produktionsprozess und führen das Garn an die Hersteller zurück.
BTH Heimtex: Zum Beispiel in die neue Econyl-Anlage von Aquafil in Slowenien?
Pohl: Das ist richtig. Wir sind mit den Italienern eine sehr enge Partnerschaft eingegangen. Und das schreiben wir nicht nur in Pressemitteilungen. Denn wir sind die Einzigen, die Teppichfliesen zurücknehmen, sie recyceln und das Garn in einem Reinheitsgrad von mehr als 95% an Aquafil zurückgeben. Die Depolymerisation der Faser, also die Rückführung des Polyamid 6 in den Ausgangsstoff Caprolactam, entspricht von der Idee her dem Cradle to Cradle-Konzept, das Desso verfolgt.
BTH Heimtex: Wie findet die Rückführung konkret statt?
Pohl: Noch per Lkw. Der Teppichboden wird beim Kunden abgeholt und zu unserem Produktionsstandort ins niederländische Waalwijk gefahren. Von dort aus geht die Reise dann weiter nach Slowenien. Wir haben im Moment keine Wahl und müssen diese Transportweise nutzen. In Zukunft und gerade auch im Hinblick auf unser Ziel, den Energieverbrauch des gesamten Unternehmens bis zum Jahr 2020 zu 100% auf erneuerbare Energien umzustellen, brauchen wir hier eine Lösung, die gewährleistet, das die Transportenergie erneuerbar ist.
BTH Heimtex: Einen Lösungsansatz braucht auch das generelle Problem, dass Teppichboden langsam aber stetig im Markt an Attraktivität verliert. Was kann man aus Ihrer Sicht dagegen tun?
Pohl: Ich würde es begrüßen, wenn sich die Teppichbodenbranche ähnlich zusammentun würde, wie die Anbieter elastischer Böden im FEB es getan haben. Wir sind mit einigen Wettbewerbern im Gespräch. Aber insgesamt gibt es zu wenig das Bestreben, gemeinsam für das Produkt Teppichboden zu kämpfen. Die Branche ist zu kleinteilig. Das Cradle to Cradle-Konzept als Branchenlösung zu initiieren, ist aus unserer Sicht ein Ansatzpunkt, um gemeinsam zu handeln. Unsere eigene Recyclingkapazität von 1Mio.m stößt an Grenzen - wir produzieren jährlich 7Mio.qm. Im Rahmen einer Branchenlösung kann sich der Desso-Vorstand vorstellen, eine Recycling-Anlage mit einer Kapazität von 20Mio.m auf die grüne Wiese zu stellen.
BTH Heimtex: Noch einmal zurück zum Vertrieb. Bei welchen Akteuren des Marktes soll Ihre Botschaft vor allem ankommen?
Pohl: Mittlerweile arbeiten wir gut mit dem Großhandel zusammen. Unsere Hauptzielgruppen sind Objekteure, Verleger und Raumausstatter. Deren Größe ist dabei nicht das entscheidende Kriterium für eine Zusammenarbeit. Es geht vielmehr darum, ob jemand vom Produkt Teppichfliese überzeugt ist und seine Vorteile auch kommuniziert.
Wir sind im April 2007 angetreten mit einem umsatzmäßigen 70/30-Verhältnis zwischen Bahnenware und Fliese in Deutschland. Dieses Verhältnis haben wir komplett umgedreht. In ein paar Jahren werden wir sogar bei einer Relation von 80 zu 20 sein.
BTH Heimtex: Wie sieht dieses Verhältnis bei Desso global aus?
Pohl: Weltweit machen wir 88% des Umsatzes mit Teppichfliesen. Wir sehen uns unter den Top 3-Anbietern. Kurz gesagt: Uns geht es wirtschaftlich sehr gut. Wir werden weiter in Schwellenländer wie beispielsweise in Lateinamerika und in China investieren und unsere Strategie konsequent fortführen. In China bauen wir eine eigene Produktion auf.
Desso Daten und Fakten
Desso GmbHBorsigstraße 36
65205 Wiesbaden
Tel.: 06122 / 5 87 34 10
Fax: 06122 / 5 87 34 20
service-de@desso.com
www.desso.de
Geschäftsführer:
- Stef Kranendijk (CEO Desso BV)
- Tom Francken (CFO Desso BV)
Vertrieb Objekt: Michael Stein
Vertrieb Parade: Hans Hanne
Marketing Objekt: Roland Pohl
Vertriebskanäle: hauptsächlich Objekteure, Verleger und Raumausstatter sowie Großhandel
Gründungsjahr: 2007
Markennamen: Desso, Parade
Muttergesellschaft: Desso BV, Waalwijk/Niederlande
Das Cradle to Cradle-Prinzip
Nach dem Cradle to Cradle-Prinzip (dt.: von der Wiege zur Wiege) müssen Produkte entweder biologisch abbaubar oder vollständig recyclingfähig sein und auf diese Weise als Ausgangsstoff für neue Produkte dienen. Desso ist der erste Teppichbodenhersteller im Wirtschaftsraum Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA), der das Cradle to Cradle-Konzept umsetzt und hat dafür einen Partnerschaftsvertrag mit der in Hamburg ansässigen Internationalen Umweltforschung GmbH (EPEA) abgeschlossen. Desso garantiert darüber hinaus seinen Kunden, dass seine Produkte aus umweltfreundlichen und gesundheitlich unbedenklichen Materialien hergestellt werden. Die Rückenkonstruktion Eco Base beispielsweise verzichtet vollständig auf PVC und kann aufgrund ihrer Zusammensetzung vollständig recycelt werden.
aus
BTH Heimtex 11/11
(Wirtschaft)