Interview mit Bernd Kanand, Thomas Ehlebracht und André Protze von Diessner
"Wir bekennen uns klar zur zweistufigen Distribution"
Diessner Farben legt ein rasantes Wachstum hin. Das Berliner Unternehmen steigerte seinen Umsatz im vergangenen Jahr zweistellig. Zu dieser positiven Entwicklung trägt in erheblichem Maß die Innovationskraft des Farbenherstellers bei. BTHHeimtex-Redakteurin Cornelia Küsel sprach mit den Geschäftsführern Bernd Kanand und Thomas Ehlebracht sowie dem Leiter Produktmanagement/Produkttechnik André Protze über Neuentwicklungen, weiter anziehende Rohstoffpreise und das Vorhaben Diessners, über Berlin hinaus im Bundesgebiet stärker präsent zu sein.
BTH Heimtex: Das einstige Familienunternehmen Diessner wurde 2001 vom Trockenmörtelhersteller Sakret in Bad Lauterberg übernommen. Eine umfangreiche Restrukturierungsphase mit wegweisenden Investitionen am Standort Berlin schloss sich an. Wie steht Diessner heute wirtschaftlich da ?Bernd Kanand: Wir haben im vergangenen Jahr unsere Umsätze gegenüber dem Vorjahr vor allem durch Neukundenakquise zweistellig steigern können. Allerdings haben die Erträge aufgrund der hohen Rohstoffkosten nicht ganz gehalten, was sie Anfang des Jahres versprochen hatten. Das Problem hat jedoch die gesamte Branche. Dessen ungeachtet wollen wir in diesem Jahr erneut zweistellig zulegen.
BTH Heimtex: Sind Sie als Sakret-Tochter an die Weisungen Ihrer Mutter gebunden ?Kanand: Wir sind zwar eine 100%-ige Tochter, trotzdem weiterhin ein eigenständiges Unternehmen und frei in unseren Entscheidungen. Wir haben getrennte Marken und getrennte Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Das verbindende Glied zwischen Mutter und dem operativen Geschäft der Tochter ist die Geschäftsführung. Herr Ehlebracht als einer von zwei Sakret-Geschäftsführern hat sein Büro bei uns in Berlin.
Thomas Ehlebracht: Alles, was zur Produkt- und Markenidentität gehört, wird von Diessner eigenständig entschieden und umgesetzt. Wir stellen lediglich den Rahmen zur Verfügung, in dem sich Diessner so erfolgreich weiter entwickeln kann wie in den vergangenen Jahren. Natürlich gibt es Synergien als Verknüpfungspunkte. Ein Handelskunde bei Diessner hat den Vorteil, dass er bei Diessner auch Pulverprodukte in hoher Qualität kaufen kann. Umgekehrt profitiert auch Sakret von Diessner-Produkten. Aber sein Geschäft macht jeder für sich.
BTH Heimtex: Diessner ist zwar bundesweit vertreten, wird aber vor allem als lokale Größe wahrgenommen. Woran liegt das ?Kanand: Wir sind als einziger von früher einmal 40 Farbenherstellern in Berlin übrig geblieben. Die Berliner halten zusammen und kaufen am liebsten bei Berlinern. Der Standort gewinnt wieder an Attraktivität. Außerdem haben wir einen guten Draht zum Senat. Selbstverständlich liefern wir aber auch bundesweit und ins Ausland.
Vor drei Jahren haben wir eine neue Produktionsanlage gebaut. Das Genehmigungsverfahren war erfreulich kurz, die Betreuung von den Förderprogrammen bis zur Ausführung sehr gut. Auf dieser insgesamt guten Basis sehen wir Chancen, unsere in- und ausländische Präsenz weiter zu erhöhen.
BTH Heimtex: Wo sehen Sie in Deutschland noch weiße Flecken ?Kanand: Wir sind immer dort gut, wo wir Handelsmarken haben. Denn so transportiert der Handel auch unsere Marke. Gut distribuiert sind wir in allen neuen Bundesländern, in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Besser könnten wir in Nordrhein-Westfalen, in Hamburg, Schleswig-Holstein und Teilen Hessens vertreten sein. Doch gibt es zum Beispiel in Schleswig-Holstein das Problem, dass wir dort keinen Handelspartner finden. Es gibt nur noch drei Marktteilnehmer - und die sind besetzt. Ohne Distributionspartner aber kommt man nicht weiter.
BTH Heimtex: Sie haben am Beispiel Berlins deutlich gemacht, wie sich der Markt verändert hat. Viele Farbenhersteller wurden von anderen geschluckt, übrig blieben wenige, überwiegend noch in Familienhand befindliche Unternehmen. Sind die wettbewerbsfähig und damit vor Aufkäufen sicher ?Kanand: Es sind zwar Unternehmen vom Markt verschwunden, aber keine Marken. Ich denke, dass in Deutschland drei große Familienunternehmen den Markt prägen: Brillux, Caparol und Sto. Und die machen ihren Job gut. Daneben gibt es zwei Konzerne, die aber in Deutschland nicht so recht Fuß fassen. Ansonsten haben wir einen sehr gesunden Mittelbau mit einigen starken Familienunternehmen. Für die sehe ich auch für die Zukunft keine Übernahmen. Denn jeder Betrieb hat seine Nische besetzt.
Eine gegenläufige Entwicklung geschieht im Handel, da wird noch einiges passieren, was auch uns betrifft. Wir gehen davon aus, dass unsere Kunden weiterhin von Mitbewerbern aufgekauft werden. Dieser Prozess ist unumkehrbar. Wir müssen uns deshalb überlegen, über wen wir künftig unsere Farben vermarkten.
BTH Heimtex: Könnte Direktmarketing auch für Diessner eine Option sein ?Kanand: Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage. Wir bekennen uns klar zur zweistufigen Distribution.
BTH Heimtex: Welche Ideen verfolgen Sie denn konkret ?Kanand: Wenn wir in einer Region keine Möglichkeit haben, mit dem Handel zusammen zu arbeiten, ist der Baustoffhandel eine Alternative.
BTH Heimtex: In den Baumarkt wollen Sie nicht ?Kanand: Das ist keine Option für uns. Wir sind zweistufig distribuiert über den Großhandel.
BTH Heimtex: Wie viele Kunden haben Sie im Großhandel und was bieten Sie ihnen außer Ihren Produkten ?Kanand: Wir bedienen etwa 80 Großhändler mit einer Distributionstiefe von 300 bis 400 Filialen. Denen bieten wir mit 15 Außendienstlern eine wirkliche Partnerschaft an, in deren Rahmen wir versuchen, den Großhandel mit dem Vollsortiment vor allem geografisch zu schützen. Bei uns bekommt der Kunde zudem sowohl die Marke als auch Handelsmarken.
BTH Heimtex: Stichwort Handelsmarke: Schwächt sie nicht die mit viel Aufwand aufgebaute Herstellermarke ?Kanand: Ja, das stellen wir auch fest. Aber nach unserer Erkenntnis ist der Zenit für Handelsmarken erreicht, denn in gewissen Segmenten wird sie vom Maler nicht mehr akzeptiert. Bestes Beispiel ist die Fassade. Hier traut der Maler einer Handelsmarke nicht. Lieber greift er zurück auf die Hersteller-Marke, das ist unser Vorteil. Wir verkaufen immer mehr unsere Marken. Ich denke, dass der Maler von Handelsmarken enttäuscht ist, weil viele Grossisten sie austauschen, ohne ihn zu informieren.
BTH Heimtex: Zurück zum Service. Was sind aus Ihrer Sicht weitere Stärken Diessners, von denen der Handel profitiert ?Kanand: Wir stellen mit unseren modernen Anlagen hochwertige Produkte her und haben ein modernes Erscheinungsbild, was sich auch auf das Produkt auswirkt. Wir präsentieren uns gut nach außen, haben einen ordentlichen Web-Auftritt, eine eigene App und wir sind bei Facebook. Die Kommunikation zwischen Großhandel, Malern und Diessner funktioniert. Der Kunde kann darüber mit entscheiden, welche Produkte wir auf den Weg bringen.
André Protze: Eine unserer Stärken ist sicherlich auch die Nähe zum Malerbetrieb. Wir sind eben kein Konzern, sondern mittelständisch aufgebaut. Wenn wir Handwerker hier im Haus haben, ist auch stets die Geschäftsführung mit dabei. So haben wir den direkten Draht zum Handwerker. Wir bilden auch Maler und Lackierer aus. Viele von ihnen gehen dann in den Außendienst, um die Kunden zu betreuen.
BTH Heimtex: Somit ist Diessner in vielen Feldern gut aufgestellt. Doch das Unternehmen soll zweistellig wachsen. Das bedingt weitere Investitionen. Welche sind geplant ?Kanand: Wir wollen unsere Prozesse noch weiter optimieren. Besser müssen wir auch in der Darstellung in Niederlassungen werden, in denen wir vertreten sind. Dort sollte der Kunde gleich erkennen, dass es auch Diessner-Produkte gibt.
Ehlebracht: Nachdem die Hardware nun steht, müssen wir in der Fläche schlagkräftig unterwegs sein und die Marke verstärkt nach außen transportieren. Wir müssen am Markt erkennbar sein. Das wird der Schwerpunkt unserer Investitionen sein.
BTH Heimtex: Wie aktiv sind Sie im Export ?Kanand: Wir sind schon in einigen interessanten Ländern vertreten. Gut aufgestellt sind wir in Finnland mit einer Einkaufsgenossenschaft. Wir haben in Polen Distributionspartner, in Spanien, Italien, Russland, in Österreich mit der Firma Sefra, in Tschechien und in Frankreich. Derzeit haben wir eine Exportquote von 15%. Das ist zu wenig. Wir denken, dass wir sie auf 30 % erhöhen können.
BTH Heimtex: Damit läuft der Export auch künftig nur über Distribution statt Produktion ?Kanand: Ja. Allerdings denken wir über Lizenzierung nach, weil wir auch Partner mit Produktion haben. Es bringt schließlich nichts, günstige Produkte wie Dispersionsfarben von Berlin aus zum Beispiel in den asiatischen Raum zu bringen. Deshalb werden wir dort für hochwertige Produkte Lizenzen vergeben.
BTH Heimtex: Die Marke Diessner könnte noch bekannter werden. Das stellen Sie selbst fest, aber auch unsere Umfrage beim Farbengroßhandel kam zu diesem Ergebnis. Trotzdem gibt es auch im Ausland herausragende Projekte wie Einkaufszentren und Hotels in Russland und Hongkong, für die Diessner-Produkte verwendet wurden. Wie kommt man dort auf Ihr Unternehmen ?Kanand: Durch unsere Distributionspartner vor Ort, die uns empfehlen. Wir haben allerdings auch spezielle Produkte für solche Projekte. Unser bestes Objekt steht übrigens nicht im Ausland, sondern mitten in Deutschland: die Deutsche Bank in Frankfurt. Wir waren die einzigen, die die in der Ausschreibung für die Renovierung geforderte Leed-Zertifizierung in Gold für nachhaltig gestaltete Bauwerke hatten. Nachhaltigen Produkten gehört die Zukunft.
BTH Heimtex: Mit welchen Neuheiten kommen Sie auf den Markt ?Protze: Neu ist unsere Innenfarbe Diesco Clean Color, die sehr gut abriebfest und auch sehr gut reinigungsfähig ist. Das hat sich beim Sechs-Tage-Rennen hier in Berlin bewiesen, denn wir hatten die Bahn damit beschichtet. Nach dem Gebrauch war sie tatsächlich wieder sauber.
Aktiv bereiten wir uns zudem auf die Fassaden-Saison vor. Als Produktneuheit stellen wir unsere Diesco Silicocryl vor. Dieses Produkt vereint die Vorteile der Silikonharz- und der Reinacrylatfarben in sich. Durch den Siliconharzanteil sind Beschichtungen mit Silicocryl hoch diffusionsfähig, der Reinacrylatanteil sichert eine universelle Tönbarkeit, die für Silikonharzfarben einmalig ist.
Aber auch Systemlösungen, die dem Maler die Arbeit erleichtern sollen, stehen im Fokus. Zusammen mit der Muttergesellschaft werden wir einen Armierungsmörtel mit extremer Härte und einer Schlagfestigkeit von 110 J auf den Markt bringen.
BTH Heimtex: Welche Entwicklungen gibt es im Deko-Bereich?Kanand: Die wieder erstarkte Tapete hat unserer Atelier Diessner Serie schon ein bisschen zu schaffen gemacht. Darauf haben wir reagiert und die italienische Firma Valpaint mit ins Boot geholt. Die bringt Techniken heraus, die auch die Tapetenindustrie nicht toppen kann. Damit haben wir eine exklusive Marke für Deutschland, Österreich, Finnland und einige weitere Länder.
BTH Heimtex: Ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilung ist offenbar sehr findig. Hoffentlich verschießt sie ihr Pulver nicht vor der im nächsten Jahr stattfindenden Messe Farbe in Köln.Kanand: Wir freuen uns auf die Farbe 2013. Dann ist es genau 40 Jahre her, dass die Diesco 73 auf den Markt kam. Diesen Geburtstag werden wir auf der Messe mit einer großen Di(e)sco-Party feiern. Aber wir werden auch weitere neue Produkte vorführen. Wir wollen zum ersten Mal zusammen mit Valpaint ausstellen. Diessner wird einen reinen Farben- und Fassadenstand haben, Valpaint gegenüber einen Stand mit Deko-Produkten.
BTH Heimtex: Herr Protze, Sie haben beim Techniksymposium des Landesinnungsverbands des Maler- und Lackiererhandwerks Berlin-Brandenburg, das bei Diessner stattfand, einen Vortrag über Nanotechnologie gehalten. Welche Bedeutung hat sie für Ihr Unternehmen ?Protze: Bei unserer Fassadenbeschichtung Diesco N-Tec 9 spielt die Nanotechnologie im Bindemittel eine Rolle. Nanosilicat-Teilchen sind um ein Polymer angedockt worden und somit ist die Polymeroberfläche mineralisiert. Damit werden die Eigenschaften der Mineralfarben wie Härte und UV-Beständigkeit auf die des Polymers mit seiner Elastizität und seinem Bindevermögen übertragen. Diese Beschichtung bietet einen wesentlich höheren Wetterschutz als herkömmliche Systeme. Besonders vorteilhaft ist das schnelle Abtrocknen der N-Tec 9 Oberfläche nach Regen oder Betauung. Somit wird Algen und Pilzen das Wasser zum Wachstum entzogen. Diese Vorteile stellen wir auch bei der Farbe 2013 heraus. Dort wird Nanotechnologie ein Schwerpunkt für uns sein. Dabei beschränken wir uns aber auf das, was man dem Handwerker auch dokumentieren kann.
BTH Heimtex: Ihre Planungen setzen einen qualifizierten Mitarbeiterstamm voraus. Wie viele Menschen beschäftigen Sie ?Kanand: Wir haben rund 70 Mitarbeiter, davon 8 in Forschung und Entwicklung.
BTH Heimtex: Alles redet von Fachkräftemangel. Stellen Sie einen Mangel an Bewerbern fest ?Kanand: Wenn wir qualifizierte Facharbeiter in der Produktion suchen, macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar. Es fehlt vor allem an Maschinenanlagenführern und Mechatronikern. Das liegt daran, dass Berlin eine Beamtenstadt war. Aber wir bilden selbst aus: Maler, Lackierer, Industriekaufleute und Lacklaboranten.
Diessner Daten und Fakten
Diessner GmbH & Co. KG Lack- und FarbenfabrikTempelhofer Weg 38-42
12347 Berlin
Tel.: 030 / 60 00 02-0
Fax: 030 / 60 00 02-88
www.diessner.de
info@diessner.de
Geschäftsführer: Bernd Kanand, Thomas Ehlebracht
Leiter Produktmanagement/Produkttechnik: André Protze
Gegründet: 1929
Muttergesellschaft: Trockenmörtelhersteller Sakret
Mitarbeiter: 70
aus
BTH Heimtex 04/12
(Wirtschaft)