Neue Textil-Ideen von der Jubiläums-Proposte 2012

Innovationen gegen den "Einheitsbrei"

Ein mutiger Mix aus kräftigen, ausdrucksstarken Farben und daneben der Themenkomplex Öko/Natur/Nachhaltigkeit dominierten die diesjährige Proposte. Die 20. Auflage der exklusiven Messe zeigte viele von der Natur inspirierte Neuentwicklungen. So wollen sich die hochwertigen Anbieter gegen die negativen Folgen der Finanzkrise wappnen und dem Verbraucher spannende Produkte jenseits des Mainstreams bieten.von Birgit Genz

Die Fachmesse Proposte im italienische Cernobbio verfolgt von jeher eine strikte Strategie: Zugelassen sind ausschließlich ausgewählte europäische Hersteller von Einrichtungsstoffen, nur qualitativ hochwertige Produkte und lediglich sechs Besucherkategorien (Stoffverleger, Hersteller von Polstermöbeln, Großhändler, Vertreter großer Vertriebsketten, Converter und Contract-Einkäufer) - mit Einladung. Damit ist man erfolgreich und so war die Veranstaltung mit 104 Ausstellern im 20. Jahr ihres Bestehens ausgebucht. Fast die Hälfte davon kam aus Italien. Deutschland war erstmals mit fünf Anbieter vertreten: Die Schmitz-Werke feierten mit ihrer Marke Drapilux Premiere, Munzert, Delius, Pongs und Müller-Zell sind ständige Gäste am Comer See.

Erstmals fand die Messe von Dienstag bis Donnerstag und nicht von Mittwoch bis Freitag statt. Mehrere italienische Aussteller hatten in den zurückliegenden Jahren bereits Freitagmittag mit dem Abbau begonnen und das sollte mit dem Wechsel verhindert werden. Es gab sogar eine Strafandrohung von 2.000 EUR, wenn man vor 16 Uhr den Stand schließen würde.

Eigentlich unverständlich, dass solche Maßnahmen ergriffen werden müssen, denn die Proposte ist mit ihrem hohen Anspruch einmalig in Europa. Verlangt werden unter anderem Experimentierfreude sowie ein starkes Engagement in der ästhetischen und technologischen Forschung. Das bestätigte auch Drapilux-Vertriebsleiter Norbert Rehle: "Wir sind zwar bereits mit der ersten Anmeldung aufgenommen worden, wurden aber nach einer ausführlichen Selbstauskunft kritisch durchleuchtet."

Publikum aus der ganzen Welt

Die Besucherzahlen bewegten sich 2012 mit 6.363 auf Vorjahresniveau. Allerdings hat der Internationalisierungsgrad zugenommen. Made in Italy und Made in Europe finden auch außerhalb der Produzentenländer ihre Käufer. Aus den USA fanden 14,5% mehr Interessenten ihren Weg nach Como, aus Taiwan waren es doppelt und aus China sogar dreimal so viele wie 2011.

Großhandel und Editeure und damit der Großteil der wichtigsten Entscheider und Einkäufer aus Deutschland zeigten geschlossen Präsenz, ebenso waren die Industriekunden zahlreich vertreten. Die Proposte hat hier eindeutig von der Verlegung der Hausmessen in den Herbst profitiert. Und so war man bei den Ausstellern durchweg zufrieden. "Messeerfolge zeigen sich erst in den Monaten nach der Veranstaltung. Dennoch sind wir mit unserer Beteiligung schon heute sehr zufrieden", gab Norbert Rehle zu Protokoll und fuhr fort: "Die Qualität der Messekontakte war sehr hoch. Der Anteil internationaler Besucher hat unsere Erwartungen übertroffen. Der erste Auftritt auf der Proposte macht definitiv Appetit auf mehr'.

"Unsere Kunden waren alle da, die Hochwertverlage aus Deutschland, der Schweiz, Skandinavien und Frankreich', war man auch bei Lodetex zufrieden. Kerstin Baron-Breunig von Munzert sprach von einer "richtig guten Messe". "Hier treffe ich auf wichtige Kontakte und nicht auf Schulklassen, die die Zahlen schönen sollen', fand Michael Klöckner von der Agentur Klöckner klare, lobende Worte.

Die konsequente Ausrichtung hat ihren Ursprung schon in der Gründungsphase der Proposte. Anfang der 1990er verlangten italienische Möbel- und Gardinenhersteller nach einer spezialisierten und selektiven Fachveranstaltung, auf der sowohl die Hochwertprodukte aus nationaler als auch aus europäischer Fertigung vorgestellt werden sollten. 1993 fiel der Startschuss. 44 Aussteller, 6 davon nicht aus Italien, trafen auf 2.361 Fachbesucher, gut ein Drittel davon aus dem Ausland. Das inzwischen traditionelle Konzert gab es noch nicht, aber zum Auftakt marschierte die Musikkapelle aus Rovenna auf, einem Ortsteil von Cernobbio.

Nachhaltigkeit versus Preis

Bis heute hat sich die Ausstellungsfläche auf 6.300 m mehr als verdoppelt. Anbieter und Publikum sehen 2012 vor allem das Objektgeschäft als Wachstumsmarkt an. Aber: "Der Wettbewerb im Objektbereich nimmt dramatische Ausmaße an', erklärte Drapilux-Vertriebsleiter Rehle. "Jeder will mitmischen. Viele sind unerfahren. Verzweifelte Preisangebote machen das Geschäft schwierig, preisaggressives Verhalten der Konkurrenten macht den Wettbewerb unter Fachhändlern immer unübersichtlicher.' Die Strukturen veränderten sich, Raumausstatter machten mehr Objekt und Objekteure mehr den Privatbereich, so Rehle weiter.

Für neue Impulse und Absatzchancen, aber auch neue Herausforderungen an die Produktentwickler sorgt in diesem Zusammenhang das Thema Nachhaltigkeit. "Hotels, Spas, Restaurants, Schiffe und Yachten, Museen und Galerien sowie institutionelle Einrichtungen verlangen heute eine Neubewertung unter Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsaspektes", sagte Mauro Cavelli, Vorsitzender der Proposte. "Wir alle müssen uns unserer Verantwortung bewusst sein, bei der Planung die Umwelt und den Menschen einzubeziehen.'

Im Textilbereich müsse man beispielsweise wissen, woher die Garne stammen, womit und wie sie verarbeitet werden, ob bei der Produktion die Umwelt belastet und sie damit auf Kosten der Natur und auch der Menschen hergestellt worden seien. "Weberei, Bedruckung, Ausrüstung und Veredelung müssen die gleichen Prinzipien berücksichtigen', so Cavelli. Der Zusammenbruch der Märkte und der Konsumrückgang zwinge die Industrie nicht nur, die Produktionsmodelle neu zu überdenken, sondern auch die handwerklichen Werte europäischer Firmen wieder zu entdecken, die sie in der ganzen Welt berühmt gemacht hätten. "Das Geschäft von morgen basiert auf der Produktqualität und einer moralischen Verpflichtung.'

Allerdings ist das Verkaufsargument Nachhaltigkeit noch lange nicht bei allen Konsumenten angekommen. Es dominiert noch viel zu oft der Preis. Bei recyceltem Polyester gebe es beispielsweise noch viel Informationsbedarf, war bei Reymakers zu hören. Auch Andreas Heydasch, Geschäftsführer von Müller Zell, stufte die Bedeutung dieses Themas für den deutschen Markt als eher gering ein. Selbst in den USA, wo über Ökologie und Recycling viel gesprochen werde, seien die Kosten immer noch das entscheidende Kaufkriterium.

Stoffe mit Wohlfühl-Effekt

Dennoch nahm der Themenkomplex Öko/Natur/Nachhaltigkeit mit den Segmenten nachwachsende Rohstoffe, ökologisches Finish und Recyclingmaterialien auf der Proposte einen großen Raum ein. Kerstin Baron-Breunig gab sich überzeugt: "Einige Hochwertanbieter werden das Thema gezielt ausarbeiten. Dann sind wir mit unseren Stoffen aus Recyclinggarnen dabei."

Bei Munzert arbeitet man derzeit auch an Stoffen, die sich mittels einer speziellen Ausrüstung und eingearbeiteten Mineralien aus der Homöopathie positiv auf das Wohlbefinden der Nutzer auswirken. Ein Nischenprodukt für Best Ager unter dem Label "Balance Living", das neben den Design-Entwicklungen neue Kundenschichten generieren soll.

Pongs Velours setzt auf nachwachsende Rohstoffe. Mit Mambo wurde auf der Messe ein Mohair mit Bambus und Wolle präsentiert, der mit 90.000 Scheuertouren aufzuwarten kann. Malibu, ein Velours aus 100% Bambus und einer Kette aus Baumwolle sowie ökozertifizierten Zusatzstoffen ist praktisch kompostierbar.

Naturoptiken - vielfach in 3D - sind für Lodetex ein Thema. So zeigte Designerin Gudrun Schiestl einen Leinenstoff mit aufgestickten Jutekreisen sowie ein Drehergewebe mit umsponnenem Leinengarn in spezieller Ausrüstung, das mit einem leichten Glanz in 3D-Optik gefällt.

Farben werden erfrischend und mutig

Die neue Farbigkeit bewegt sich zwischen zart und romantisch bis zu brillant, lebendig, kräftig und intensiv, von sanften pastelligen Tönen bis hin zu knalligem Rot, Koralle oder Blau in allen Schattierungen. Leuchtendes Royal- oder Aqua-Blau in Richtung Türkis waren vielfach zu sehen. Dabei werden kräftige Farben gerne mit erdigen und naturigen Tönen kombiniert, Naturtöne mit violettstichigem Blau oder Curry. Der Curry-Ton - schon seit zwei Jahren im Trend - hat sich weiterentwickelt von einem warmen Touch hin zu einem kühlen, grünstichigen Farbton. Frische, neuartige Farbkombinationen von Beere, Limettengrün und Türkis bis hin zu eleganten, pastelligen Rosé-, Grau- und Smaragd-Tönen lassen die Kollektionen in ganz unterschiedlichen Farbwelten erstrahlen.

Bei den Materialien sind 100% Naturfasern sowie Mischgewebe mit naturiger Haptik und Optik - oftmals in 3D - das Thema schlechthin. Fasern und Garne wie Leinen, Baumwolle, Seide, Bambus und Wolle sind angesagt. Seiden mit eingewebten Silber- und Goldfäden zeigen einen edel-dezenten Glanz. Dreher mit umsponnenem Leinengarn in spezieller Ausrüstung bestechen durch eine dezente 3D-Wirkung mit leichtem Schimmer.

Auch die neuen Trevira CS-Qualitäten präsentieren sich in naturiger Anmutung oder als zarte Scherlis, FR-Stoffe zeigen sich als feine Ausbrennergewebe fürs Objekt. Im Privatbereich erregt Trevira CS mit unerwarteten metallischen Effekten Aufsehen.

Bewegte Oberflächen, Doppelgewebe und Bindungskombinationen sorgen für Dreidimensionalität: Struktur entsteht immer häufiger durch die Webtechnik und nicht mehr durch die Kombination unterschiedlich starker Garne. Gewebe mit Polypropylen zeigen Schrumpfeffekte in Plisseeanmutung. Jacquardgewebe bieten alles von exklusiven zeitgenössischen bis zu historischen Stilen.

Aufsehen erregende Muster

Bei den Mustern überwiegen prächtige florale Dessins und stilisierte Motive aus der Fauna als All-Over oder Bordüren. Als Pastendruck mit einem flockähnlichen Effekt, als naturalistische All-Over-Druckblumen, farbenprächtig im Digitaldruck, als Aquarell mit Painteffekt oder als Stickerei. Multicolore Streifen, streng geometrische Grafiken und moderne Ornamente bleiben beliebte Themen. Wobei geometrische und abstrakt grafische Motive gerne überdimensional gezeigt und durch Prägungen und Bindungen dreidimensional dargestellt werden. Jacquards zeigen verwitterte Muster, die errodierenden Materialien nachempfunden wurden, rostige Untergründe und verblichene Motive. Auf Alt getrimmte verwaschene Garne als Scherli führen zu neuen Effekten und Dimensionalitäten.

Moderne Kelimmuster und Ikat-Motive, farbenfrohe Drucke im Ethno-Stil und folkloristisch angehauchte Baumwolldrucke kommen wieder. Alte Muster verhelfen hochwertigen Dekos mit Neuinterpretationen von neoklassischen bis barocken Elementen zu neuem Charme und Brokaten und Damasten zu neuer Schönheit. Von der Bekleidungsmode inspiriert: maskuline Stoffe mit Fischgrat, Pepita, Tweet, Karos und Hahnentritt.

Bei den Möbelstoffen hungern die Verbraucher nach der Uni-Welle in Natur- und Schlammfarben regelrecht nach Farbe. Für Kunden in der Hochwertschiene müssen die Muster plakativ, aussagekräftig und auffällig sein. Handwerklich mit großen Stick- oder Häkeloptiken oder grobem Strickmuster umgesetzt, werden auch Kombinationen aus Farbe und plakativen Mustern akzeptiert. Ethnische Symbole geben eine bunte Mischung aus allen Weltkulturen. Inzwischen werden auch ganze Sofas mit diesen auffälligen Stoffen bezogen, um die Blicke auf sich zu ziehen, war bei Munzert zu hören. "Das ist dann ein Einzelstück, für Leute die ganz gezielt etwas suchen, was sie von den anderen abhebt', weiß Kerstin Baron-Breunig.

Bei Pongs berichtet man von einer steigenden Nachfrage nach Velouren, und hier speziell Mohairvelours. "Mohair hat sein Image verändert, ist weicher, eleganter, moderner geworden. Es ist nicht mehr altbacken', so Sascha Nilles von Pongs. Dort wird derzeit in mehr als zwei Schichten, teils auch samstags gearbeitet, um der steigenden Nachfrage nachzukommen.

Nischenprodukte bieten Chancen für europäische Hersteller

Was die Zukunftsaussichten der Branche angeht, waren auf der Proposte kaum positive Stimmen zu hören. "Die Situation in Europa macht allen zu schaffen, keiner ist so recht zufrieden', meinte etwa Gudrun Schiestl von Lodetex. "Lediglich Deutschland und Österreich erweisen sich als relativ stabil', ergänzte Klaus Munzert. Branchenkennern zufolge geht der Einrichtungs- und Heimtextilmarkt in Europa und besonders im Euro-Bereich drei weiteren mageren Jahren entgegen. Für Asien und Lateinamerika wird hingegen Wachstum, für die USA moderates Wachstum vorhergesagt.

Auch die Lage an den Rohstoffmärkten ist kaum zu kalkulieren. Zwar sind die Baumwollpreise gefallen, aber davon profitieren nur Produzenten mit hohem Baumwollanteil in den Stoffen. Weiter steigende Ölpreise sind daneben ein Dauerthema. So versucht z.B. Imatex mit neuen Ketten aus Polyester statt Baumwoll-Polyester, Kosten einzusparen, um mit niedrigpreisigeren Stoffen auch das untere Segment bedienen zu können und sich für den Export möglichst breit aufzustellen.

Im hochpreisigen Segment setzt man auf schnelle Lieferfähigkeit, individuelle Entwicklungen, neue Technologien und auf ein steigendes Marken- und Qualitätsbewusstsein. "Die Leute suchen nach neuen Ideen und Looks, um sich von der Konkurrenz abzuheben - da ist der Preis kein Thema,' so Mauro Cavelli. Auch für Klaus Munzert sind Nischen und Spezialitäten eine Chance, in der Zukunft bestehen zu können: "Der Massenmarkt geht an uns Hochwertwebereien vorbei. Aber mit jedem Weber, jedem Garnlieferanten, der weg bricht, stirbt auch ein Stück Vielfalt. Irgendwann werden wir nur noch einen Einheitsbrei haben. Die schönen Sachen werden fehlen.'

Wie die Entwicklung tatsächlich verläuft, lässt sich unter anderem auf der Proposte 2013 beobachten. Dann findet die exklusive Leistungsschau vom 7. bis 9. Mai statt.
aus BTH Heimtex 06/12 (Wirtschaft)