Interface: Interview mit Dirk Boll und Laura Cremer
Der Verleger rückt in den Fokus
Interface sieht sich in Deutschland als unangefochtener Marktführer im Segment Teppich-fliese. Trotzdem hadern die Krefelder mit dem schlechten Image der Produktgattung hierzulande. Im Gespräch mit BTH Heimtex-Redakteur Jochen Lange erklären Vertriebs- und Marketingleiter Dirk Boll und Laura Cremer, verantwortlich für die interne Kommunikation und Nachhaltigkeit in Europa, wie ihr 18-köpfiges Vertriebsteam das ändert und wieso sich der Fliesenspezialist neuerdings stärker auf den Verleger konzentriert.BTH Heimtex Wenn man mit der Teppichfliese zu tun hat, hört man nur von Vorteilen. Das geht soweit, dass sie sogar die Optik ihrer stärksten Konkurrentin bieten kann - der Bahnenware. Das hat dazu geführt, dass das Produkt in vielen Märkten sehr stark verbreitet ist. Hierzulande sowie in Österreich und der Schweiz fristet sie jedoch immer noch ein Schattendasein. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Dirk Boll: Das liegt an verschiedenen Faktoren: Die Haar-Fliese aus den 1970er-Jahren ist noch in vielen Köpfen. Sie sah nicht nur nach einer gewissen Zeit hässlich aus. Sie hat zudem nicht funktioniert und das Image der Fliese negativ geprägt.
Ein weiterer Grund ist der extrem große Einfluss der Architektur in Deutschland. In einem klassischen Neubauprojekt entscheidet der Architekt oft auch mit über den Bodenbelag. Dort ist die Bahnenware in ihren Grau- und Schwarz-Schattierungen das favorisierte Produkte. Woran das liegt, weiß ich nicht - vielleicht am fehlenden Mut, etwas Neues auszuprobieren.
Außerdem wurden schlechte Erfahrungen gemacht. Das liegt vielleicht auch daran, dass Hersteller von Bahnenware versuchen, aus einer Rolle eine Fliese zu machen. Das führt dazu, dass wir leider in vielen Projekten Fliesen auf dem Boden haben, die nicht funktionieren.
BTH Heimtex Was vermieden werden könnte, wenn Interface-Produkte verlegt worden wären?
Boll: Das ist richtig. Wir sind Fliesenexperten. Wir machen ausschließlich Fliesen. Und wenn wir die auf den Boden bringen, funktionieren sie auch. Sie können aus einer vernünftigen Bahnenware keine gute Fliese machen. Das liegt beispielsweise an Spannungsverhältnissen aufgrund des Produktionsverfahren klassischer Bahnenware, die üblicherweise breiter hergestellt werden. Die Fliese, die aus einer Bahnenware geschnitten ist, wird mit der "echten" Fliese in einen Topf geschmissen - zu unserem Nachteil.
BTH Heimtex Wie machen Sie ihrem Kunden den technischen Unterschied klar, den er im verlegten Zustand nicht sieht?
Boll: Wir führen in der Regel eine Musterstellung beim Kunden durch. Wir statten einen kleinen Raum aus, damit er sieht, wie die Fliese auf dem Boden aussehen kann Das ist für mich das stärkste Instrument, um für die Fliese zu werben: Man muss letztendlich das Produkt einmal sehen, es fühlen und es begehen.
BTH Heimtex Wer sind bei dieser Überzeugungsarbeit Ihre Zielgruppen, Ihre Ansprechpartner?
Boll: Das kann der Facility Manager sein und auch der Architekt. Das ist aber auch immer öfter der Verleger. Wie nehmen deutlich wahr, dass auch bei großen Projekten die Bedeutung von Verlegeunternehmen bei der Beratung des Bauherren zunimmt.
BTH Heimtex Dann sind die Objekteure für Sie auch interessant?
Boll: Das ist richtig. Wir haben uns viele Jahre auf die Architekten als Zielgruppe fokussiert. Mittlerweile konzentrieren wir uns mehr auf Objekteure und Verleger, um unsere Produktbreite an den Markt zu bekommen.
BTH Heimtex Wie wichtig ist dabei der Großhandel für Sie?
Boll: Er war immer wichtig. Aktuell nimmt seine Bedeutung als Marktmittler noch zu. Die Anzahl der Großhändler ist massiv geschrumpft. Die, die es noch gibt, nehmen wir sehr ernst, weil sie sich gut aufgestellt haben und eine hohe Verkaufskraft haben. Mit Ihnen arbeiten wir zusammen.
BTH Heimtex Wie genau hilft Ihnen der Großhandel?
Boll: Wir haben zwar 18 Vertriebsmitarbeiter in Deutschland. Wir brauchen den Großhandel aber, um den Verleger in der Fläche zu erreichen. Da kämen wir sonst gar nicht hin. Diese Kunden bedienen wir mit eigenen Kollektionen. Uns ist auch der Verleger wichtig, der zum Großhandel geht und 300 m für das kleine Objekt abnimmt.
BTH Heimtex Welches sind die Haupteinsatzgebiete der Teppichfliese?
Boll: Zu 85 bis 90% findet die Teppichfliese im Bürosegment statt. Wir haben eine Formel: Wir sind überall dort, wo ein Schreibtisch steht.
BTH Heimtex Konkurrieren Sie dort mit anderen Fliesenherstellern oder mit Lieferanten von Bahnenware?
Boll: In 99% der Fälle stehen wir im Wettbewerb mit den Herstellern von Bahnenware. 2011 gab es kein größeres Fliesenobjekt, was nicht von uns spezifiziert war.
BTH Heimtex Was meinen Sie in diesem Zusammenhang mit Spezifizieren?
Boll: Das bedeutet, dass der Vertrieb eine so gute Arbeit im Vorfeld leistet, dass die ausschreibende Instanz für dieses Objekt eine Teppichfliese 50x50cm in einem bestimmten Design ausschreibt.
BTH Heimtex Wenn wir uns den gesamten textilen Bodenbelagsmarkt anschauen, spielt die Teppichfliese immer noch nur eine kleine Rolle. Wieso fällt es den Fliesenherstellern anscheinend so schwer, die Entscheider von den Vorteilen des Produktes zu überzeugen?
Boll: Interface alleine ist zu klein, als dass wir den Markt deutlich spürbar vorantreiben könnten. Das haben wir auch lernen müssen. Es gibt ja auf dem deutschen Markt keinen anderen ernst zu nehmenden Fliesenhersteller. Unsere Wettbewerber sind Hersteller, die im selben Projekt Bahnenware anbieten.
BTH Heimtex Welche Rolle spielt auf in diesem Zusammenhang das Thema Nachhaltigkeit ? Sie verfolgen die Mission Zero, bis 2020 das erste Unternehmen weltweit zu werden, das vollständig nachhaltig ist. Auf der Consense, der Fachmesse für nachhaltiges Bauen, haben Sie zudem die EPD, die Umweltproduktdeklaration, für die Qualität Mirco aus der Kollektion Biosfera erhalten.
Boll: Nachhaltigkeit wird ein immer wichtigerer Baustein. Die EPD ist für uns enorm wichtig. Wir stellen uns dem Thema. Durch sie sind wir transparent und garantieren unseren Kunden, wenn der etwas ausschreibt, dass wir die Kriterien auch erfüllen.
Laura Cremer: Wir widmen uns dem Thema schon lange sehr ernsthaft und nicht nur über Broschüren mit schönen, bunten - meist grünen Bildern. Nachhaltigkeit im Objektbereich ist mittlerweile qualifizier- und quantifizierbar. Wir sprechen über Zahlen, Daten und Fakten und nicht mehr nur über Worthülsen. Es geht um Recyclinganteile, den CO-Ausstoß, Lebenszyklus und Rücknahme-Systeme.
Wir stellen unseren Kunden konkrete Zahlen zur Verfügung. Auf dieser Grundlage kann die Nachhaltigkeit von Produkten endlich anhand von gesicherten und kontrollierten Tatsachen miteinander verglichen werden. Das wird heute im Objekt verlangt.
Es hat ein Wandel statt gefunden. Gerade bei Projekten, die zertifiziert werden. Dort werden die Daten automatisch abgefordert.
BTH Heimtex Ist Nachhaltigkeit bereits ein ausschlaggebendes Kaufargument beim Entscheider?
Boll: Das kommt immer darauf an. Wir haben viele Objekte, bei denen das Thema Nachhaltigkeit Bestandteil der Ausschreibung ist. Da geht es um Dinge wie Recyclinganteil im Garn oder im Rücken. Diese Sachen bieten wir mittlerweile standardmäßig an. Leider spielt in vielen Objekten am Ende des Tages der Preis die entscheidende Rolle und die Nachhaltigkeit fällt hinten runter.
Auf der anderen Seite haben wir beispielsweise viele Kunden in der Automobil-Industrie, weil die ein CO-neutrales Produkt kaufen wollen. So hat VW in Wolfsburg ein neues Bürogebäude gebaut. Da hängt neben der LEED bzw. der DGNB-Zertifizierung auch unser Cool Carpet-Zertifikat, dass der Bodenbelag CO-neutral ist. Dort ist Nachhaltigkeit ganz klar ein Verkaufsargument.
Cremer: In diesem Zusammenhang weisen wir unseren Kunden auch darauf hin, dass alle Anbieter von Nachhaltigkeit reden können, wir sie aber mit der EPD beweisen. EPD sind die technischen Daten für die Nachhaltigkeit. Diesen Beweis soll der Kunde dann auch von unserem Wettbewerber einfordern. Sonst vergleicht er Äpfel mit Birnen.
BTH Heimtex Das funktioniert bei Kunden, die zu diesen Überlegungen einen Zugang haben. Wenn bei vielen nur der Preis zählt, ist viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
Boll: Genau das ist der Job unseres Außendienstes. Die sind gut ausgebildet. Sie können genau diese Produktmerkmale vermitteln. Dafür haben wir diese große Truppe: damit an der richtigen Stelle im Projekt genau diese Argumente angebracht werden.
BTH Heimtex Bewegen Sie sich mit der Teppichfliese neben dem Bürobereich auch in anderen Segmenten?
Boll: Ja. Andere Segmente werden immer wichtiger. Das sind für uns Hospitality, Healthcare/Homecare, Retail, öffentliche Gebäude/Verwaltungen und Bildung. In England ist es heute ganz normal, dass im Klassenraum eine Teppichfliese liegt. Davon sind wir in Deutschland noch Lichtjahre entfernt.
BTH Heimtex Welche Ihrer Produkte laufen denn am besten?
Boll: Die Fliesen-Klassiker von Heuga in Schlinge und Velours. Immer stärker werden die Recyling-Produkte Fotosfera und Biosfera. Letztere bestehen aus Polyamid-Garn auf Rizinusöl-Basis und haben volle Objekteignung. Zudem kommen unsere Produkte mit Hoch-Tief-Struktur, die wir mit neuen Tufting-Verfahren herstellen und die Schlinge und Velours kombinieren, gut an. Auf der anderen Seite werden flache, härtere Qualitäten wie unsere Micro-Tuft-Ware immer interessanter.
BTH Heimtex Wie sieht es mit Ihrem Rücknahme- und Wiederverwertungskonzept Re-Entry aus?
Boll: Es ist auf zwei Säulen aufgebaut: einerseits Weiterverwendung mit Hilfe von Sozialpartnern in Kindergärten, Gemeinderäumen u.ä., andererseits Recycling. Die Recycling-Anlage steht seit 2011 in Holland. Sie hat eine Kapazität von 600.000 m/Jahr, die noch ausbaufähig ist. Sie wird mit zurückgenommener Ware aus Deutschland, Frankreich, Niederlande und Belgien versorgt. 2011 hat Interface 11.243 t Teppichboden sortenrein getrennt und recycelt. Wir nehmen auch Produkte von Wettbewerbern.
BTH Heimtex Sind Sie mit dem ersten Halbjahr 2012 wirtschaftlich zufrieden?
Boll: Ja. Absolut. Deutschland entwickelt sich gut. Der Beginn 2012 war schleppend. Im ersten Quartal wurden keine Objekte entschieden. Dann ist der Knoten geplatzt und es ist deutlich besser als im Vorjahr gewesen - und das war schon richtig gut. Wir hatten praktisch kein Sommerloch.
Ich bin vor sechs Jahren bei Interface angetreten mit dem Ziel, den Umsatz zu verdoppelt. Das haben wir geschafft.
Für 2013 bin ich aber vorsichtig. Der Baustoffhandel merkt schon eine Abschwächung der Konjunktur, die Möbelbranche ebenso. Das kommt zeitverzögert auch beim Boden an.
BTH Heimtex Auf welchen Messen werden Sie sich präsentieren?
Boll: Die Orgatec ist eine interessante Plattform für uns. Sie ersetzt für uns unseren Auftritt auf der Bau in München, die uns das letzte Mal enttäuscht hat: Zu viele Handwerker, zu wenig Entscheider, Einkäufer, Bauherren und mittelständische Unternehmen. Zudem gehen wir auf die Swissbau.
aus
BTH Heimtex 10/12
(Wirtschaft)