Interview mit Britta Nagel, Impulsgeberin für "Die Zukunft unter uns"

"Der Boden wird ein dreidimensionales Gebilde"

Britta Nagel ist Architektin und Mitglied der Geschäftsleitung des Atelier Brückner in Stuttgart. Sie arbeitet als Ausstellungsgestalterin im Grenzbereich von Architektur und Kunst. Für Nagel ist der Boden der Zukunft ein dynamisches und wandelbares Material - je nach Jahreszeit, Ort und Bedarf. Er wird Bewegungen aufzeichnen, Zusatzfunktionen integrieren und den Menschen praktische Hilfestellungen bieten.

BTH Heimtex: Welche Rolle spielt der Boden in Ihrer Arbeit?

Britta Nagel: Durch die Gestaltung des Bodens kann in einem Raum beispielsweise Sicherheit oder Unsicherheit vermittelt werden. Im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart versinnbildlichten wir eine unsichere politische Situation mit einem aus den Fugen geratenen, wackeligen Boden. Er macht die Besucher intuitiv auf die fragile Lage nach der Revolution im Jahre 1848 aufmerksam.

BTH Heimtex: Welche Funktionen würden Sie dem Boden zuschreiben?

Nagel: Die Bedeutsamkeit des Bodens findet ihren Ausdruck in der Sprache. Bekannte Sprichwörter und Begriffe wie "bodenlos", "bodenständig" oder "den Boden unter den Füßen verlieren" zeigen, dass er für uns etwas ist, auf das wir uns stützen können, das uns Halt gibt. Sobald der Boden unter unseren Füßen nicht in der gewohnten Art und Weise erscheint, wird die Situation als negativ oder unsicher empfunden.

BTH Heimtex: Welche Potenziale kann man aus dieser Grundfunktion des Bodens entwickeln?

Nagel: Wir leben heutzutage in einer sehr flexiblen Gesellschaft. In meiner Vorstellung kann sich der Boden mit den Jahreszeiten verändern. Im Winter heizt er und strahlt Behaglichkeit aus, im Sommer dagegen ist er kühl. Innovatives Potenzial sehe ich bei Sensoren, die auf den Boden neue Funktionen übertragen können. In Altersheimen beispielsweise wird registriert, wenn jemand gestürzt ist, und in Supermärkten kann man die Routen der Kunden nachvollziehen.

BTH Heimtex: Welche neuen Ansätze für die Weiterentwicklung des Bodens wären für Sie interessant?

Nagel: Boden bedeutet leben und wachsen. Vielleicht kann man ihn mit der menschlichen Haut vergleichen, die ebenfalls lebt und eine Grundlage bildet. Mittels chemischer Prozesse ist es vereinzelt schon möglich, lebendige Prozesse zu integrieren - vielleicht einen Stuhl zu pflanzen oder einen Teppich zu kreieren, der sich selbst auslegt - als würde man Rasen im Wohnzimmer aussähen. Genauso gut könnte man die Arbeitskraft von Tieren wie Bienen und Ameisen nutzen und diese so kanalisieren, dass spezielle Konstruktionen entstehen. Das interessiert mich. Aus dem zweidimensionalen Boden entsteht ein wachsendes, sich veränderndes, dreidimensionales Gebilde.
aus BTH Heimtex 10/12 (Wirtschaft)