GHF-Tagung 2012 in Rostock-Warnemünde
Großhandel stellt sich neuen Herausforderungen in der Eurokrise
Blauer Himmel und Sonnenschein erwiesen sich als gutes Omen. Die Jahrestagung des Bundesverbands Großhandel Heim & Farbe (GHF) endete trotz der wirtschaftlichen Unsicherheiten durch Eurokrise und Umsatzrückgänge im August mit einer positiven Grundstimmung. Denn sie bot Großhändlern und Industrievertretern einen Blick über den Tellerrand, der bei allen Sorgen der Branche auch optimistische Erwartungen aufkommen ließ. Schließlich birgt die zunehmende Neubautätigkeit in Deutschland gewaltige Chancen. Aber auch Faktoren wie Selbstdisziplin und Zeitmanagement können helfen, die Zukunft zu sichern, wie der contergangeschädigte Sportler, Jurist und Musiker Matthias Berg in seinem beeindruckenden Vortrag deutlich machte.Die Jahrestagung 2012 des Bundesverbands Großhandel Heim & Farbe (GHF) war von einem bemerkenswerten Stimmungsumschwung geprägt. Herrschte zu Beginn angesichts der Finanzkrise noch Unsicherheit vor, gaben sich die anwesenden 238 Großhändler und Vertreter der Industrie zum Schluss recht zuversichtlich. Das war den hochkarätigen Referenten zu verdanken, die mit politischen und wirtschaftlichen, aber auch ganz persönlichen Statements ihre Zuhörer mitrissen und eine positive Grundstimmung verbreiteten. Letztlich waren sich alle Teilnehmer einig: Die Tagung in dem sehens- und erlebenswerten Hotel Yachthafenresidenz Hohe Düne in Rostock-Warnemünde darf als voller Erfolg verbucht werden.
Erheblichen Anteil an dieser guten Bilanz hatte Matthias Berg. In seinem lebendigen, mit humorvollen Einlagen gespickten und sehr persönlichen Vortrag "Kraft schöpfen - aber wie?" gab der Sportler, Jurist und Musiker den Zuhörern Mut, sich auf ihre eigenen Stärken zu besinnen und auch in schwierigen Situationen nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Wie das gelingen kann, zeigte das contergangeschädigte Multitalent in beeindruckender Weise am Beispiel seines eigenen Lebenslaufs: Berg wächst in einem behüteten Elternhaus auf. Doch auch Vater und Mutter können ihn nicht vor den Hänseleien wegen seiner Behinderung und neugierigen Blicken schützen. So zieht er sich mehr und mehr zurück, verzweifelt, traut sich nichts mehr zu. Doch eines Tages erkennt Berg, dass er sich aus Selbstmitleid und Selbstzweifeln lösen muss. Es sind gerade die Tiefschläge, aus denen er plötzlich Kraft schöpft.
Willensstärke und Disziplin machen vieles möglichBerg nimmt seine Behinderung an und macht das Beste daraus. Er trägt nun Verantwortung für sich, setzt sich Ziele und verordnet sich eine gehörige Portion Selbstdisziplin. Dadurch verändert sich sein Leben positiv, eine einzigartige Karriere nimmt ihren Lauf: Zum Musizieren auf dem Horn kommt der Sport, später studiert er parallel Musik sowie Jura und wird mehrfacher Weltmeister in Leichtathletik - und Alpinsport. Inzwischen ist der 51-jährige Familienvater gern gesehener Fachmann bei den Paralympics-Übertragungen im Deutschen Fernsehen. Hauptberuflich arbeitet er als stellvertretender Landrat in Esslingen, im Nebenberuf als gefragter Redner. Und demnächst geht er auch noch unter die Autoren.
Diese Ankündigung sorgte für Erstaunen. "Wie soll das zeitlich klappen?", fragte sich so mancher Zuhörer. Berg aber hat das Problem längst auf seine anpackende Art gelöst. Da er aus Krankheitsgründen zur Zeit kein Horn spielen darf, bleibt ihm eine Stunde freie Zeit pro Tag, die er bisher seinem Instrument widmete. Die soll nun mit dem Schreiben eines Buches ausgefüllt werden. So viel Selbstdisziplin, Willensstärke und perfektes Zeitmanagement quittierte das Publikum mit ehrlicher Bewunderung und viel Applaus.
Den Motivationsschub von Matthias Berg konnte der GHF-Vorsitzende Eberhard Liebherr gut gebrauchen. Seine Abbildung der wirtschaftlichen Situation deutete eher auf ein Ende der Wachstumsphase hin. Der Großhandel habe die Wirtschafts- und Eurokrise bis zum Frühsommer kaum gespürt, ganz im Gegenteil: Die Jahre 2010 bis Mitte 2012 seien von einer "beeindruckenden Dynamik" geprägt gewesen. "Unsere Branche hat sehr viel Glück gehabt", sagte der GHF-Vorsitzende. Doch im August sei überraschend ein deutlicher Absturz zu verzeichnen gewesen. Auch die Auftragseingänge im September ließen wenig Hoffnung, sie fielen geringer aus als im Vorjahresmonat. "Mit Glück schafft der eine oder andere nach dem guten Auftakt noch ein kleines Plus am Jahresende. Etliche von uns sind aber auch schon froh, wenn die Umsätze auf Vorjahresniveau stagnieren. Und leider werden auch einige mir Rückgängen leben müssen", prognostizierte Liebherr.
Er warnte davor, mit niedrigeren Preisen auf die Umsatzrückgänge zu reagieren. "Denn alles wird teurer: die Fahrzeuge, der Sprit, Versicherungen, die zusätzlichen gesetzlichen und behördlichen Auflagen, die Reduzierung der Lenkzeiten und die Personalkosten", ist Liebherr überzeugt. Zudem würden LKW-Fahrer allmählich "zur Rarität". "Für die Ausbildung tun wir zu wenig", gab sich der GHF-Vorsitzende selbstkritisch. "Denn das kostet ja auch auch schon wieder Geld."
"Yes we can" muss das Motto seinDen Herausforderungen und zunehmenden Ansprüchen der Kunden könne die Branche nur gemeinsam begegnen. Liebherr richtete deshalb den flammenden Appell an Großhändler und Industrievertreter, noch enger zusammen zu arbeiten. "Als Einzelkämpfer werden wir uns schwer tun - egal wo wir stehen." Dabei sei die Aufgabenverteilung im dreistufigen Vertrieb klar, jeder bringe in diesem bewährten System seine Stärken ein. "Die Industrie stellt uns marktgängige Produkte von bester Qualität zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung, wir Großhändler übernehmen die Funktionen der Kollektionierung. Also die Auswahl eines gängigen Sortiments in attraktiver Aufmachung, die umfangreiche und tief gestaffelte Lagerhaltung und die Logistik hin zum Verarbeiter in jeder gewünschten Form und Ausprägung", betonte er. "Das kann just in time sein, mit Kranentladung oder Hebebühne, vor allem aber mit freundlichen, kundenorientierten Fahrern und nicht mit muffligem Speditionspersonal."
Der Verbandsvorsitzende lud die Industrie zum Dialog ein mit dem Ziel, Möglichkeiten zu finden, beide Seiten nach vorn bringen. Das Motto müsse lauten: "Yes we can. Dafür ist es nie zu spät" - trotz der Unsicherheiten durch die Eurokrise.
Gerhard Handke, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), bestätigte zwar, dass die Währungsturbulenzen die Wirtschaft verunsicherten, doch gebe es keinen Grund für Panik. "Die deutschen Unternehmen sind gut aufgestellt und liegen im Wettbewerb vorn", sagte er. "Made in Germany" sei wieder viel wert. Erheblichen Anteil an der neuen Stärke der hiesigen Wirtschaft habe die Agenda 2010. "Sie hat viel Gutes bewirkt." Lob zollte der Arbeitgebervertreter zudem den Gewerkschaften und dem von ihnen mitgetragenen Lohnverzicht. Aber auch vom stabilen Euro hätten die Unternehmen profitiert. In D-Mark gehandelt, wären deutsche Autos nach Ansicht des Geschäftsführers 50% teurer als in China. "Wir dürfen deshalb nicht aus dem Euro aussteigen", forderte Handke.
Deutschland sei der Gewinner der weltweiten Wirtschaftsverflechtung. Um seinen Vorsprung zu halten, dürfe sich das Land aber nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Wichtig sei es, in der schrumpfenden Gesellschaft qualifiziertes Personal zur Verfügung zu stellen. Sollte dies nicht gelingen, suchten sich die produzierenden Betriebe neue Standorte im Ausland. "Und wenn die Industrie weg geht, gibt es auch für den Großhandel keine Chance", warnte Handke. Er sprach sich für eine bessere Qualifizierung deutscher Arbeitnehmer aus sowie kurzfristige Anwerbung aus dem Ausland. In der Einwanderungspolitik müsse dagegen ein Auswahlsystem entwickelt werden, um die deutschen Sozialsysteme nicht noch zusätzlich zu belasten. Die seien schon jetzt überfordert. Das Problem werde sich aber infolge der Überalterung der Gesellschaft weiter verschärfen. Hilfreich sei mehr Druck durch eine Neujustierung der Systeme.
Für mehr Engagement der Unternehmen sprach sich Dr. Frank Steffel, Inhaber der gleichnamigen Unternehmensgruppe und CDU-Bundestagsabgeordneter aus. "Wir dürfen uns nicht in unseren Unternehmen verkriechen", rief er seine Kollegen auf und forderte von ihnen unter anderem mehr Kommunikation mit Jugendlichen, beispielsweise in der Schule. Deutsche Unternehmensvertreter aus dem Mittelstand müssten Orientierung geben und Führung übernehmen.
Bauaufträge nehmen zuGHF-Geschäftsführer Jürgen Wagner sah wie Handke Nachholbedarf bei der Qualifizierung. "Da muss investiert werden", sagte er und verwies auf die Fort- und Ausbildungsangebote des GHF. Seiner Meinung nach sei qualifiziertes Personal das A und O im Großhandel. Dessen Kunden verlangten professionellen Lieferservice und gute fachliche Beratung. "Die Mitarbeiter sollen die Probleme des Handwerkers lösen", betonte Wagner. Auch er vermittelte den Großhändlern Zuversicht. Die speise sich aus der in den nächsten zehn Jahren deutlich zunehmenden Neubautätigeit. "Aufgrund der Bauaufträge gibt es keinen Grund für Pessimismus." So sehen das auch die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute. In ihrem Herbstgutachten bezeichnen sie in einer insgesamt schwächelnden Wirtschaft den privaten Wohnungsbau als Lichtblick. Aufgrund niedriger Zinsen und der Angst vor Inflation würden viele in den Hausbau investieren.
Rückblickend bestätigte Wagner Liebherrs Aussage, dass das erste Halbjahr 2012 für die Branche gut gelaufen sei, auch wenn die Umsatzzuwächse vor allem im Farbenbereich nicht mehr ganz so kräftig seien wie im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Sorgen bereiteten insbesondere Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS). Der Umsatz fiel von +5,1% im ersten Halbjahr 2011 auf -2,4% in den ersten sechs Monaten 2012. Dies sei aber kein strukturelles, sondern in erster Linie ein Witterungsproblem. So seien im frostigen Februar außen keine Dämmarbeiten möglich gewesen. Zudem stehe noch eine Entscheidung der Bundesregierung für die Abschreibung energetischer Sanierungsmaßnahmen an. Viele Aufträge würden deshalb zurück gehalten. Von daher müsse der starke Rückgang bei WDVS relativiert werden.
Alles in allem ist der im GHF organisierte Großhandel nach Ansicht Wagners für die Zukunft gewappnet. Mit 680 Niederlassungen seien die 108 Firmen gut aufgestellt. Deren Stärke werde auch durch einige Traditionsunternehmen dokumentiert, die seit vielen Jahren erfolgreich am Markt seien. Alois Geiger in Aschaffenburg besteht beispielsweise seit 160 Jahren. "Die Firma hat alle Hochs und Tiefs der Wirtschaft mitgemacht", sagte Wagner. Dass es sie immer noch gebe, mache Mut.
Viel versprechend war auch das Ergebnis einer Studie des Instituts für Handelsforschung (IFH) in Köln, die IFH-Mitarbeiterin Bettina Willmann vorstellte. Demnach genießt der Großhandel bei Ausbildungswilligen und jungen Führungskräften einen besseren Ruf als gemeinhin angenommen. Um das Ansehen noch weiter zu steigern riet Willmann zu mehr Kommunikation.
Wie diese funktionieren kann, zeigte Matthais Bucksteeg von der Agentur Hidden Images aus Berlin auf, die für die erfolgreiche Imagekampagne des deutschen Handwerks "Das Handwerk - Die Wirtschaftsmacht von nebenan" verantwortlich zeichnet. Sie wurde vor zwei Jahren gestartet und ist mit einem Budget von 50Mio.EUR auf fünf Jahre angelegt. Ziel ist es, dem Nachwuchs den Wert des Handwerks zu vermitteln. Gezeigt werden Kino-Spots mit dem Comedian Simon Gosejohann. Im nächsten Jahr wollen die Kampagnenmacher ganz auf Prominente verzichten und nur die jungen Handwerker für ihre Berufe werben lassen.
aus
BTH Heimtex 11/12
(Wirtschaft)