Uzin Utz: Dr. H. Werner Utz zur Entwicklung der Verlegewerkstoffe
"Der Boden der Zukunft kann mehr"
Zwei Blickrichtungen bestimmen die Betrachtungen für die nächsten 15 Jahre. Um ganz "bodenständig" zu bleiben, sehe ich bei den Verlegewerkstoffen drei Trends, denen neue Produkte folgen sollten: schnelleres und leichteres Verlegen, problemloses und schmutzfreies Renovieren, smarte und nachhaltige Produkte. Denken wir den Boden jedoch als gesamtes Konstrukt und aus einer übergeordneten Perspektive, dann verstehe ich ihn in der Zukunft eher als Monomaterial. Zudem wird er mehr Funktionen als heute in sich tragen. Grundieren, Spachteln, Kleben: Grundsätzlich müssen wir überdenken, ob diese vielen Schichten nötig sind. Unser heutiges additives Denken führt zu Zeitverlust, hohen Kosten und macht die Systeme durch die hohe Anzahl an Arbeitsschritten anfällig. Wir werden Produkte entwickeln, die mehr Eigenschaften und Funktionen in sich vereinen und trotzdem einfach zu verarbeiten sind. Wünschenswert wäre ein multifunktionales mineralisches Produkt, das die Anforderungen an einen Wärmedämmestrich und Trittschallschutz erfüllt und gleichzeitig eine Oberfläche einer selbstverlaufenden Nivelliermasse ergibt.
Neben der nutzenoptimierten Entwicklung neuer Produktsysteme rückt der leichtere Rückbau geklebter Bodenkonstruktionen in den Fokus unserer Überlegungen. Zwar ist die Tendenz gegeben, dass weniger Beläge geklebt werden, dennoch sehen wir im Kleben von Bodenbelägen weiterhin große Entwicklungsmöglichkeiten; schon alleine aufgrund der Anforderungen bezüglich Trittschall, Raumakustik und Dimensionsstabilität oder der Tatsache, dass selbstliegende Beläge neben einigen Vorteilen auch viele Schwächen haben.
Die Entfernung eines geklebten Bodenbelags bedeutet heute allerdings oft noch Lärm, Staub und Schmutz - einen Zustand, den Bauherren und Endverbraucher nur ungern hinnehmen. Bezüglich des Klebens von Bodenbelägen eroberten sich unsere Trockenklebstoffsysteme Switchtec schon einen interessanten Marktanteil. Hier sehe ich noch Potenzial, denn sauberes Arbeiten und schneller Belagswechsel ist im Interesse der Bauherren und Endverbraucher.
UV-Licht beendet KlebkraftAuf der anderen Seite benötigen wir weiterhin leistungsstarke Klebstoffe. Um die Anforderung an schnelle und saubere Renovierung zu erfüllen, müssen die objektgeeigneten Klebstoffe in Zukunft schaltbar ausgerüstet sein. D.h. sie sollen zum Zeitpunkt des Belagswechsels nicht mehr kleben. So gibt es bereits heute Klebstoffentwicklungen, die mit UV-Licht bestrahlt ihre Wirkung verlieren oder durch Anlegen einer Gleichspannung erwärmt werden und so ihre Funktion verlieren. Vielleicht wird diese Schaltfunktion nicht im Klebstoff integriert, sondern in einem Vorstrich - eine Art Sollbruchstelle - die nicht dem Verbund dient, sondern planbar dafür sorgt, dass der Klebstoff nicht mehr klebt.
Wenn Verlegewerkstoffe neue Funktionen erhalten, wird sich auch die Rohstoffzusammensetzung der Produkte wandeln. Zum einen haben wir das Bestreben, Klebstoffe zu entwickeln, die möglichst wenige organische Verbindungen (VOC) in die Umwelt emittieren. Andererseits werden nachwachsende, pflanzliche Rohstoffe erdölbasierende Rohstoffe ersetzen, auf die wir zum Teil heute noch bei der Produktion zurückgreifen müssen. Denkbar sind Produkte, die vollständig auf pflanzlichen Rohstoffen basieren.
Boden muss leichter werdenGenerell wollen wir uns aber nicht nur mit den Produkten an sich beschäftigen, sondern das Thema Boden ganz neu denken. Lange haben keine revolutionierenden Fortschritte rund um die Bodenkonstruktion stattgefunden. In anderen Branchen hat sich gezeigt, dass gerade Menschen, die per se nichts mit dem Thema zu tun haben, eine Entwicklung in Gang setzen, die alles bisher Geglaubte über Bord warf. Wir wollen uns nicht überraschen lassen und denken den Boden selbst ganz neu. Im letzten Jahr (anlässlich des 100-jährigen Firmen-Jubiläums) haben wir das Projekt "Die Zukunft unter uns" initiiert und einen Innovationsprozess angeschoben. Hier geht es nicht um die Entwicklung neuer Verlegewerkstoffe, sondern den Boden aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und ganz neu zu denken: Gibt es neue Materialien, wie ist seine Beschaffenheit, welche Funktionen muss oder kann er erfüllen? Die daraus resultierenden Impulse und Visionen zeigen zwei Tendenzen auf: Boden muss leichter werden, das heißt mit weniger Materialeinsatz auskommen und zum anderen wird er eine Funktionserweiterung erfahren.
Ein Entwicklerteam aus unserem Projekt - die Universität der Künste in Berlin - ist der Frage nachgegangen, wie ein Boden beschaffen sein muss, der nachhaltiger mit weniger Materialeinsatz gebaut werden und dabei möglichst flexibel genutzt werden kann. Ihre Antwort ist der Prototyp des mobilen Bodens. Dieser besteht aus einem leichten, elastischen Tragwerk aus Stäben und einer Membran. Er wird durch Vakuum versteift.
Neben den Tendenzen neue und auch weniger Materialien einzusetzen, zeigt sich der Wunsch, dass der Boden der Zukunft einfach mehr kann, sich unseren individuellen Bedürfnissen anpasst und uns unterstützt: Er spendet beim Betreten Licht, verändert sich in seiner Beschaffenheit oder sorgt für ein angenehmes Raumklima. Ansätze hierfür gibt es bereits heute: der Boden, der Strom produziert, indem er aus unseren Schritten die Energie aufnimmt. Boden der wahrnimmt, wenn jemand gestürzt ist und Hilfe benötigt. Boden, der uns die Richtung weist. Solche Ansätze sind allerdings in der Umsetzung meist teuer und (noch) nicht marktreif entwickelt.
Boden als persönlicher BegleiterGenerell kann ich mir für die Zukunft auch eine Komplettlösung "Boden" vorstellen. Der konstruktive Teil eines Bodens aus allen Etagen eines Gebäudes, also die Rohdecke, die Dämmung, der Estrich, werden tendenziell zu einer komplexen Einheit aus neuartigen Baustoffen verschmelzen, die alle bisherigen Funktionen eines Bodens und neue Funktionen erfüllen. Boden wird dann nicht mehr in vielen einzelnen Schritten entstehen, sondern als vorgefertigte Komponente in das Gebäude eingesetzt und bei Bedarf wieder ausgehängt werden. Boden kann so zum persönlichen Begleiter werden. Er gehört nicht weiter zum Objekt, sondern zum Menschen.
aus
FussbodenTechnik 06/12
(Wirtschaft)