Mattes & Ammann

Mit neuer Faser in die textile Zukunft


Meßstetten-Tieringen. Ein neuartiges Textil, das weich ist, reißfest, angenehm zu tragen - und das ressourcenschonend produziert werden kann: Der schwäbische Textilhersteller Mattes & Ammann arbeitet an einer kleinen Revolution. Marlene tauften die Entwickler eine Nesselpflanze, die einmal als Baumwollersatz dienen soll.

Marlene gedeiht prächtig: "Die Nessel hat sich sehr gut entwickelt, sodass wir die kalten Wintermonate nicht zu fürchten brauchen", berichtet Prokurist Werner Moser. Nach Beginn der Frostperiode ist er optimistisch: "Minustemperaturen hält Marlene dank guter Pflege bestens stand." 40.000 kleine Fasernesseln waren im Juni 2012 gepflanzt worden. Der fußballfeldgroße Acker auf der schwäbischen Alb befindet sich nur einen Steinwurf vom Sitz des Familienunternehmens in Meßstetten-Tieringen entfernt.

Mit dem deutschlandweit einzigartigen Modellprojekt sucht Mattes & Ammann nach einem hochwertigen Ersatz für Baumwolle, denn: "Die Anbaugebiete für Baumwolle sind weltweit immer eingeschränkter, die Wachstums- und Verarbeitungsbedingungen mehr als diskutabel. Eine ebenbürtige Garn-Alternative zu finden ist demnach längst überfällig", so Moser.

Ein gutes halbes Jahr nach der Pflanzaktion ragte Marlene bereits über einen halben Meter in die Höhe. Zur Ernte im Herbst 2013 soll sie 1,80 Meter messen - und das ohne gentechnische Manipulationen oder den Einsatz chemischer Mittel. "Damit zu arbeiten, wäre sogar katastrophal, das ganze Feld würde eingehen", erklärt Evelin Tetzner von der Firma Consulting und Service für pflanzliche Rohstoffe aus Dresden (C.S.P.), die gemeinsam mit Günter Gäbler die Entwicklung technischer Prozesse verantwortet.

Interessant wird die Nessel als Faserlieferant jedoch nur, wenn sich die Produktion auf ein industriell lohnendes Niveau bringen lässt. Daran arbeitet Dipl.-Ing. Kai Nebel von der Hochschule Reutlingen. Er entwickelt ein Konzept, das Aspekte wie Anbauflächen, Aufschlussverfahren, Verarbeitungsanlagentechnik, Transportwege und -kosten, Abfallverarbeitung und vieles mehr berücksichtigen muss. "Es ist kein einfaches Projekt", betont Werner Moser, "aber wenn es am Ende erfolgreich ist - und davon dürfen wir ausgehen - haben wir einen großen Schritt in Richtung textile Zukunft geschafft." Erstes Ziel ist ein Ernteertrag von 500 bis 1.000 Kilo im kommenden Herbst.

1.500 Tonnen Baumwollgarn verarbeitet Mattes & Amman pro Jahr. Um gänzlich darauf verzichten und stattdessen voll auf die Fasernessel setzen zu können, müsste eine Anbaufläche von 6.000 Hektar bewirtschaftet werden. Auf der Schwäbischen Alb hält man das für realistisch: Marlene könne deutschlandweit und sogar über die Landesgrenzen hinweg problemlos angebaut werden, heißt es aus dem Unternehmen. Die Grundlagen hierfür hat eine über mehrere Jahrzehnte dauernde reine Auslesezüchtung der Universität Hamburg geschaffen. Über die Jahre konnte nicht nur der Faseranteil der Pflanze von ursprünglich rund vier auf etwa 14 Prozent erhöht werden. Auch die Anbaubedingungen sind nach Unternehmensangaben weitaus besser als bei der Baumwolle: Marlene benötige keine künstliche Bewässerung, sondern komme allein mit der natürlichen Bewässerung durch die hiesigen Niederschläge aus.

Das lässt nicht nur bei Mattes & Amman sowie den beteiligten Forschungseinrichtungen die Spannung steigen. Schon vor der ersten Ernte können sich nach Angaben von Werner Moser auch einige Industriebetriebe vorstellen, auf Nesselfaser-Textilien umzusatteln, sogar von Exklusivverträgen sei bereits die Rede. "Ein Vertrauen, das uns umso mehr bestätigt, an der richtigen Stelle zu investieren."
aus Haustex 02/13 (Wirtschaft)