Jahrestagung der Deutschen Heimtextilien-Industrie in Hamburg

"Nur gemeinsam sind wir stark"

Womit hat der Deutsche Heimtextilien-Verband das verdient? Wie schon vor zwei Jahren enttäuschte auch dieses Mal die erschreckend schwache Resonanz auf die Jahrestagung des Verbandes. Was ist bloß mit dieser Branche los? Statt die Kräfte zu bündeln und gemeinsam nach Wegen aus der Krise zu suchen, brütet man lieber allein im stillen Kämmerlein vor sich hin. Aber nur am Schreibtisch lassen sich die anstehenden Probleme nicht lösen. Konzertierte Aktion verspricht mehr Erfolg. Aber dafür muss man miteinander reden und Kontakte pflegen...

Es ist nicht ganz einfach, ein Urteil über die Jahrestagung 2004 des Verbandes der Deutschen Heimtextilien-Industrie zu fällen. Da geben sich die Verantwortlichen alle Mühe, eine zugkräftige Veranstaltung auf die Beine zu stellen - attraktiver Tagungsort, nettes Beiprogramm, interessante Redner, die die Branche noch nicht zu oft gehört hat - und trotzdem gelingt es nicht, nachhaltig Teilnehmer zu mobilisieren. Keine 100 Gäste fanden sich zu dem Treffen im Renaissance Hotel in Hamburg ein - ein ähnlich schwaches Bild wie zur letzten Versammlung des Verbandes vor zwei Jahren.

Wir haben es schon damals geschrieben und wiederholen es hier bewusst an dieser Stelle: Das ist ein Armutszeugnis für die Branche. Es ist nicht zu verstehen - und schon gar nicht mit "keine Zeit", "zu großer Aufwand", "zu hohe Kosten" zu erklären -, dass etwa so wenig Führungskräfte aus den nachgelagerten Marktstufen es für nötig halten, sich auf dieser Tagung mit der Industrie, sprich ihren Lieferanten, zu treffen.

Wo waren die Koooperationen? Nur Copa Interline-Vorstand Manfred Birkenstock sowie Decor Union-Geschäftsführer Enno Kramer und seine Nrc-Kollegin Regina Hebbeln-Röttjer hatten sich auf den Weg nach Hamburg gemacht.

Wo war der Großhandel? Weder Geschäftsführung noch Präsidium des GHF waren vertreten. Lediglich Alt-Präsident und Vorstandsmitglied Hometrend Inku-Geschäftsführer Uwe Heinemann nutzte die Gelegenheit zu einem Besuch in seiner Heimatstadt.

Wobei die Industrie selbst auch durch Abwesenheit glänzte. Es ist fast schon ein Affront gegen den Verband, dass so wenig Resonanz aus den eigenen Reihen kommt - sprich den Mitgliedern. Vermisst wurden vor allem Deko- und Gardinenanbieter, die Sparten Bettwaren und Möbelstoffe waren dagegen überproportionale repräsentiert. Die Teppichindustrie zählte ein paar Köpfe mehr als vor zwei Jahren, mancher ging allerdings nach der abendlichen Bootsfahrt auf der Elbe am ersten Tag verloren und ward am zweiten zum fachlichen Programm nicht mehr gesehen...

Dass dann am zweiten Tag auch noch Hauptredner Mike Mills ausfiel, weil er kurz zuvor als Vorstandsvorsitzender der Ulster-Gruppe abgesetzt worden war, war zusätzliches Pech für die Organisatoren. Auf die Schnelle konnte kein Ersatz gefunden werden, so dass neben den Regularien und den Vorträgen der Fachgruppen-Sprecher als einziger "externer" Programmpunkt die Ausführungen von Nordinvest-Aufsichtsrat und Ex- Vereins-und Westbank-Vorstandssprecher Udo Bandow zu "Konjunktur und Kapitalmärkten" blieben. Die vermochte der vitale Anfangs-Siebziger dem Publikum allerdings in bestem Hamburger Zungenschlag ebenso informativ wie kurzweilig nahezubringen

Den ultimativen Anlagetip ließ sich der erfahrene Banker zum Bedauern vieler Anwesender nicht entlocken. Er empfahl lediglich Zurückhaltung beim Kauf von Renten, wo man erst wieder aktiv werden sollte, wenn 10jährige Titel 5% Rendite erzielen, merkte an, dass bei Immobilien-Fonds immer eine starke Adresse dahinter stehen sollte und verwies als Insider-Empfehlung auf Anlagen in Schiffsfonds, wo sich aufgrund der Tonnage-Steuer eine jährliche Rendite zwischen 8 und 10% erzielen ließe. Zum Schluss wagte Bandow, der auch als Aufsichtsratsvorsitzender des HSV amtiert, aber wenigstens einen Tip, wer die zum Zeitpunkt der Tagung in vollem Gang befindliche Fußball-Europameisterschaft gewinnen würde: Mit Gastgeber Portugal, der später Vize-Europameister wurde, lag er denn auch nur knapp daneben....

Die Analyse der gegenwärtigen Branchensituation und die Kommentare der Fachgruppen-Sprecher machten unmissverständlich klar: die schwere Krise ist noch lange nicht vorbei, ein Ende der Durststrecke ist nicht in Sicht. Die Situation der Heimtextilien-Industrie bleibt weiter angespannt, die dringend benötigen Nachfrage-Impulse fehlen. Und darüber hinaus kränkelt jetzt auch noch das Exportgeschäft, das in den letzten Jahren ein Rettungsanker für viele war, weil es die Defizite aus dem Inlandsgeschäft zumindest teilweise kompensieren konnte. Das ist jetzt auch vorbei. Kein Zweifel: Die Situation ist ernst und wird für viele Textiler immer ernster.

Eine ernüchternde, aber leider realistische Erkenntnis, die sich wie ein roter Faden durch alle Referate zog - und auch bei den Mitgliedern des Heimtextilien-Verbandes Spuren hinterlässt. Dazu sagte der neue Verbandsvorsitzende Justus Schmitz: "Wir müssen mit Bedauern feststellen, daß wir in den vergangenen zwei Jahren mehrere Mitglieder aus allen Teilbereichen durch Geschäftsaufgabe bzw. Insolvenz verloren haben."

Die weitere Entwicklung der heimtextilen Branche im laufenden Jahr lasse sich momentan nur schwer beurteilen, heißt es beim Verband. "Konjunkturoptimismus" für das Inland sei aber weder kurz- noch mittelfristig angebracht. "Ausbleibende Investitionen verhindern die dringend benötigte Belebung des Arbeitsmarktes. Die Verunsicherung des Konsumenten hält an, und damit ist auch nicht von einer steigenden Konsumnachfrage im Inland auszugehen."

So hofft man denn, dass die Schwäche des Exportgeschäftes nur vorübergehend war und es sich in den folgenden Monaten wieder erholt. Dabei setzen die Unternehmen der Heimtextilien-Industrie neben der Pflege bestehender Märkte und dem Aufbau neuer verstärkt auf Forschung und Produktinnovationen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Justus Schmitz appellierte an die Anwesenden in Hamburg, die aktuelle Entwicklung nicht als Hemmschuh zu begreifen, sondern als "Ansporn, Wege zu suchen, wie wir unsere Basis verbreitern und neue Geschäftsfelder besetzen können". "In Deutschland heißen die Betriebe immer noch "Unternehmen"- das hat damit zu tun, das etwas unternommen wird. Genau das ist der Punkt: Wir müssen uns auf uns selbst verlassen, auf unsere Stärken und auf unseren Mut."

Das gilt für das In- wie für das Ausland: "Wenn unsere nationalen Märkte brach liegen, müssen wir weiter in die Ferne ziehen. Die deutsche Erfolgsstory war eigentlich immer schon getragen davon, daß neue Ideen da waren, neue Produkte entwickelt wurden und diese denen zugänglich gemacht wurden, die sie auch wollten. Innovationen und Öffnung der Märkte geben uns doch gewaltige Chancen - wir müssen sie nur nutzen."

Dabei forderte Schmitz vehement Eigeninitiative: "Wir müssen selber handeln und wenn wir es alleine nicht schaffen, müssen wir uns Kooperationspartner suchen - denn gemeinsam sind wir stark".

Wo Chancen liegen, führte Schmitz konkret auf?
- "Wussten Sie, dass von Frühjahr 2005 bis Frühjahr 2006 das "Deutsche Jahr" in Japan stattfinden wird und dass es dafür vielfältige Unterstützung von der Messeförderung bis hin zu Präsentationen von Deutschland als aktiver Wirtschaftspartner gibt?"
- "Haben Sie sich einmal überlegt, wie sehr China mobil macht und dass dieses Wirtschaftswachstum konsequent auch ein Wachstum der Ansprüche der chinesischen Bevölkerung folgen wird? Das heißt doch auch, das dort ein gewaltiger Markt auch für uns wachsen wird."
- "Haben Sie sich schon einmal klar gemacht, dass es - Zitat aus dem Spiegel - "im Osten viel Neues" gibt?"

Die EU-Osterweiterung, die totale Quotenliberalisierung bei den Textilerzeugnissen und China als Textilgigant beherrschten derzeit die aktuellen Diskussionen. Schmitz warnte nachdrücklich davor, diese Szenarien als bedrohlich zu empfinden und sich davor zu verkriechen. "Wir können die Entwicklung ohnehin nicht verhindern, also sind Innovationen und unternehmerisches Handel gefragt. Packen wir es an."

Ein positives Beispiel für gezielte Aktivitäten liefern übrigens die Bettwarenhersteller, die auf den Gesundheits- und Wellness-trend aufspringen. "Mehrwert für den Endverbraucher" lautet die Devise, die durch die Entwicklung von Marken-Produkten mit Zusatznutzen und Wohlfühlfaktor umgestzt und von professionellen Marketing- und Vertriebskonzepten begleitet wird.

Auch die Teppichbodenindustrie will nicht den Kopf in den Sand stecken, und hat unter anderem die Qualitäts-Initiative "Pro Teppichboden" gestartet, wie Johannes Schulte als Sprecher der entsprechenden Fachgruppe betonte.

Unmissverständliche Kritik wurde an der Politik der Bundesregierung geübt, etwa von Andreas Heydasch, Sprecher der Fachgruppe Dekostoffe und Gardinen und seinem Möbelstoff-Kollegen Bernd Kout. Der fühlt sich als Unternehmer regelrecht im Stich gelassen: "Die weiter nachlassende politische Unterstützung der überwiegend mittelständischen Textilindustrie hat die Schmerzgrenze erreicht, und die weiter steigenden "staatlich verordneten " Belastungen tun ein Übriges, den wirtschaftlichen Negativtrend weiter fortzusetzen." Klaus Kremers von der Fachgruppe Bettwaren schloss sich dem uneingeschränkt an: "Der Handlungsspielraum vieler Unternehmen ist zwischenzeitlich infolge sinkender Deckungsbeiträge alarmierend eng."

Aber: Kritik wurde auch mit Blick auf die Kunden geübt, speziell den "ruinösen Rabattschlachten" des Einzelhandels, die eine schwer aufzuhaltende Abwärtsspirale in Gang gesetzt hätten. Johannes Schulte scheute sich nicht, den Finger in die Wunde zu legen: "In Deutschland stimmen die Verhältnisse nicht mehr. Die Zeit ist überreif für grundlegende Veränderungen. Dazu gehört auch, dass Teile des Handels nicht nur Marketing mit dem "Rotstift" betreiben und - zur Deckung dieses unkaufmännischen Verhaltens - Einkaufsentscheidungen nur danach treffen, welches Produkt am billigsten zu beschaffen ist, um es dann entsprechend billig wieder "rauszuhauen". Ein solcher Wettlauf ist ungesund."

Ein weiteres Thema, das alle Redner beschäftigte, war der derzeitige "Normierungswahn" in Europa, der Vor- und Nachteile mit sich bringt. Klaus Kremers sieht eher Nachteile: " Produkte werden vergleichbarer, ein Aspekt, der die (Kopier-)Arbeit der Hersteller in Billiglohnländern leider ungemein erleicht. Wir suchen unsere Profilierung deshalb nicht in der Schaffung neuer Normen oder Werksnormen, sondern durch Innovationen und durch Markenkonzepte. Wir wollen unterscheidbar bleiben. Die Branche ist schliesslich hoch kreativ." Schulte wünscht sich auf jeden Fall, dass Wettbewerbsverzerrungen wegfallen und exportorientierte Unternehmen nicht in mehrfach die gleichen Prüfungen durchlaufen müssen, nur weil ein "nationaler Stempel" auf die Papiere muss. "Das nenne ich nicht-tarifäres-Handelshemmnis, es ist laut EU-Vertrag nicht zulässig und gehört beseitigt."

Die nächste Jahrestagung des Deutschen Heimtextilien-Verbandes findet 2006 statt. Ein konkreter Termin und der Ort stehen noch nicht fest.
aus BTH Heimtex 08/04 (Wirtschaft)