Interview mit Dario Rasch und Günther Dammler
"Wir haben keine Angst, dass die Tapete verschwindet"
Während es in der deutschen Tapetenindustrie momentan relativ ruhig ist, kämpft der ausländische Wettbewerb zum Teil um seine Existenz. Welche Auswirkungen hat das auf die deutschen Anbieter und den deutschen Markt? Und was sagen die deutschen Tapetenhersteller dazu, dass sich die Farbenindustrie immer mehr bei ihren Großhandels-Kunden einkauft? Wird die Tapete aus dem Großhandel verdrängt? Darüber sprachen Claudia Steinert und Marianne Nehm mit den beiden Rasch-Geschäftsführern Dario Rasch und Günther Dammler.
BTH Heimtex: Alle dachten, nach dem unerfreulichen Jahr 2002 könne es nicht mehr schlimmer kommen. Aber es kam in diesem Jahr noch schlimmer. Auch für Rasch?
Günther Dammler: Im Inland waren wir mit den Ergebnissen zufrieden. Trotz der schwierigen Situation haben wir den Umsatz leicht steigern können. Das liegt unter anderem am Erfolg der Vlies-tapete, die aufgrund ihrer höheren Qualität auch höhere Preise am Markt erzielt. Damit wurde der Mengenrückgang kompensiert. Wobei der Mengenrückgang in Rollen bei Rasch geringer ist als beim Durchschnitt der Branche und wir im Wert auch überdurchschnittlich zugelegt haben.
BTH Heimtex: Dafür macht der Export in diesem Jahr keine Freude.
Dammler: Im Gegensatz zu früheren Jahren, in denen der Export positiv zum Geschäft beitrug, ist hier in diesem Jahr zum ersten Mal eine Umkehr zu verzeichnen. Die westeuropäischen Märkte sind von einer ähnlichen Konsumzurückhaltung gekennzeichnet wie Deutschland, der wir uns nicht ganz entziehen konnten. Mit dem osteuropäischen Geschäft sind wir aber immer noch sehr zufrieden. Insgesamt kann man wie im Vorjahr sagen: Das Umfeld ist nicht leicht, der Tüchtige hat Erfolg und versucht, für sich zu realisieren, was machbar ist. So gehen auch wir voran.
BTH Heimtex: Eigentlich müssten Sie im Export doch gute Marktchancen haben angesichts der zum Teil massiven Probleme Ihrer ausländischen Kollegen.
Dario Rasch: Wir haben insgesamt keine schlechten Aussichten. Obgleich das Geschäft in Westeuropa etwas zäh geworden ist und sich in Russland seit dem letzten Jahr eine Stagnation abzeichnet. Bei uns kann allerdings von Stagnation in Russland keine Rede sein. Wenn ich Russland sage, meine ich auch die angrenzenden Länder die Ukraine, die Mongolei, das Baltikum usw. Wir schlagen uns da sehr ordentlich. Das läuft sehr gut.
Die Gefahr, die wir da sehen, ist dieses Verfahren zur möglichen Zollerhöhung. Allerdings soll es diesbezüglich inzwischen positive Zeichen geben. Die Kugellagerindustrie steckt in einer ähnlichen Lage wie die Tapete. Offensichtlich ist man dort zu einer Lösung gekommen, die zufriedenstellend für die deutschen Importeure ist: Kugellager sollen in verschiedene Zolltarifnummern aufgeteilt werden. Danach werden Billigimporte mit einer leichten Zollerhöhung belegt, die teureren, qualitativ hochwertigen Importe, die vor allem aus Deutschland kommen, werden nicht damit belegt.
Analog auf die Tapete übertragen hieße das, dass Papiertapeten mit einem Tarif belegt würden, die übrigen Produkte nicht.
Noch ist das reine Spekulation, stimmt uns im Moment aber doch hoffnungsfroh.
BTH Heimtex: Worauf führen Sie Ihren Erfolg in Russland zurück? Haben Sie Vorteile gegenüber anderen durch Ihr dortiges Joint Venture?
Rasch: Das ist ganz separat und unabhängig davon. Unseren Erfolg führen wir auf unsere Kundenstruktur und unsere Kollektion zurück.
Das Joint Venutre läuft übrigens ziemlich erfolgreich, ist gut ausgelastet. Wir sind damit glücklich. Wenn es allerdings Importrestriktionen geben sollte, wäre es natürlich auch betroffen.
BTH Heimtex: Wie sieht denn Ihre Kundenstruktur in Russland aus?
Dammler: Die ist sehr breit gefächert. Wir haben dort einen wirklich großen Kundenkreis. Ich glaube, wir gehören zu den ersten ganz breit aufgestellten Anbietern in Russland.
BTH Heimtex: Zurück nach Deutschland. Was haben wir hierzulande für dieses Jahr noch zu erwarten? Wie ist Ihre Planung?
Dammler: Die gute Stellung, die wir haben behaupten, und wenn es machbar ist, auch ausbauen. Die Frage ist natürlich auch, was konjunkturell passiert und wie sich das Kaufverhalten der Konsumenten entwickelt. Wenn sich die Entwicklung des bisherigen Jahres fortsetzt, wird sich das Gesamtumfeld in Westeuropa nicht bessern. Die Veränderungen in Handel und Industrie sind noch nicht abgeschlossen. Es wird Ausfälle und weitere Konzentrationen auf beiden Seiten geben.
BTH Heimtex: In der deutschen Industrie scheint es aber momentan keinen akuten Wackelkandidaten zu geben.
Dammler: Die Gerüchteküche kocht immer leicht hoch. Jeder ist mal irgendwann im Gespräch. Daran sollte man sich nicht orientieren.
Rasch: Wir reden von Konsolidierung in der Branche.
BTH Heimtex: Dafür sind einige große ausländische Anbieter arg angeschlagen oder sogar schon umgefallen. Wenn dort jetzt noch die Märkte schrumpfen, könnte das einen tiefgreifenden Ausleseprozess in Gang setzen.
Rasch: Auf dem deutschen Markt spielen die ausländischen Hersteller ja nur eine kleine Rolle. Aber ein Großteil der deutschen Industrie lebt nicht nur vom inländischen Markt, sondern auch stark vom Export. Uns interessiert also genauso, was mit ausländischen Mitbewerbern passiert wie mit inländischen. Und deshalb wird uns die Konsolidierung, die meines Erachtens stattfinden wird, auch mittelfristig helfen.
BTH Heimtex: Könnten Sie sich vorstellen, diese Konsolidierung zu beschleunigen, indem Sie im Ausland zukaufen?
Rasch: Das wäre zwar grundsätzlich möglich, ist aber im Moment kein Thema und auch gar nicht nötig. Das Wichtigste auf dem Markt sind meines Erachtens Kundenbeziehungen, unser starkes Potential, das wir nutzen wollen.
BTH Heimtex: Und da ist auch noch Wachstum drin?
Rasch: Sicher. Wir strengen uns an. Da, wo sich Chancen auftun, werden wir sie nutzen. Wobei sich grundsätzlich zwei Fragen stellen: Die eine ist, wie sich der Markt entwickelt und welche Produkte wir finden müssen, damit die Verbraucher wieder mehr Tapeten kaufen, die andere, wie wir uns als Unternehmen im Markt behaupten und andere verdrängen können. Das nützt allerdings gar nichts, wenn das Produkt Tapete vom Markt verschwindet.
Es ist unsere Aufgabe, das zu verhindern und wir arbeiten hart daran. Gerade in Deutschland ist viel Schindluder mit qualitativ schlechten, billigen Tapeten getrieben worden. Ich glaube, dass deshalb viele Kunden mit ihren Wänden unzufrieden sind. Das müssen wir ändern.
BTH Heimtex: Mindestens genauso wichtig ist es für Sie, neue Zielgruppen zu gewinnen. Die alten Kunden sterben ihnen allmählich weg und für die jungen ist die Tapete ein spießiges, muffiges Produkt. Wir in der Branche wissen, wie gut die Tapete heute ist, wie vielfältig, wie attraktiv sie sein kann, aber die Verbraucher draußen wissen es nicht - vor allem die jungen. Da müssen Sie dringend etwas gegen unternehmen...
Dammler: Sie haben Recht: Der Trend spricht momentan nicht für die Tapete. Das muss man akzeptieren. Dazu kommen noch viele andere Gründe wie der heutige Lebensstil, Mobilität, die Umwelt etc., weshalb die Tapete heute nicht mehr so erfolgreich ist und so nachgefragt wird wie vor dreißig Jahren.
Aber: Es gibt immer noch viele, die sie kaufen, sonst wäre der Markt noch kleiner.
BTH Heimtex: Schon. Aber wie gesagt: Sie müssen neue Kunden gewinnen. Dafür stehen die Zeichen viel besser als noch vor einigen Jahren. Zum einen verlieren Konkurrenzprodukte wie die Glasfaser, zum anderen arbeiten Werbung und Publikumspresse für die Tapetenbranche, indem sie wieder mehr Tapeten zeigen.
Dammler: Es ist halt ein relativ langer Weg, bis es sich in die Köpfe setzt, dass die Tapete eine Alternative zur Farbe ist.
Rasch: Bei den Präsentationen, die wir für unsere Kunden machen, bringen wir immer auch die Historie, Tradition etc. der Tapete mit ins Spiel. Zum Beispiel hatten wir eine derartige Präsentation in Frankreich, wo die Geschichte der Tapete über mehr als 100 Jahre erzählt wurde. Da gab es zunächst viel Dekor, Jugendstil-Ornamentik und anderes. Dann kam das Bauhaus und es wurde nur mit Farben gearbeitet. In den Fünfziger Jahren kam wieder eine Stilwende und es wurde ganz bunt gemustert. Und jetzt setzt sich die Farbe erneut durch. Also ich habe keine Angst, dass die Tapete verschwindet.
BTH Heimtex: Wie kann man die Tapete unterstützen? Tapeten & Friends war sicher ein guter und richtiger Ansatz. Fragt sich nur, ob und wie es weitergeht...
Dammler: Das sehen wir genauso. Die Idee dahinter war, den Handwerker zu aktivieren und das funktioniert nur, wenn man den Großhandel mit ins Boot nimmt. Es ist aber immer ein Kunststück, eine solche Initiative langfristig am Leben zu erhalten. Dabei können die Beteiligten unmittelbar daraus Nutzen für sich ziehen, wenn sie den Tapetenabsatz steigern.
BTH Heimtex: Wie kann man die Idee eventuell weiter entwickeln?
Dammler: Vielleicht in kleinen Schritten, wie sie auch immer aussehen mögen. Jeder muss das Gefühl haben, dass es sich für ihn lohnt, weiter mit zu machen.
BTH Heimtex: Anderes Thema. Der Kollektionswechsel ist vorbei. Insgesamt habe der Großhandel weniger und zögerlicher gemustert, heißt es. Können Sie das bestätigen?
Dammler: Für den Großhandel insgesamt hat die Tapete eine relativ kleine Bedeutung. Für die Mehrzahl unserer Kunden ist die Tapete eher ein Ergänzungsprodukt. Diejenigen, die in der Tapete noch größere Chancen sehen, engagieren sich genauso wie vor zwei Jahren.
Der Zeitdruck, möglichst frühzeitig fertig zu sein, besteht schon seit langem nicht mehr. Was früher die Triebfeder des frühen Kollektionierens war - wer zuerst herauskommt, kann die neue Ware zuerst an die Lagerhalter verkaufen - ist heute in der Regel nicht mehr das Geschäft des Großhandels. Es ist nicht mehr so wichtig, der erste am Markt zu sein, sondern vielmehr den Handwerks-Kunden das richtige Sortiment zu bieten.
BTH Heimtex: Der Großhandels-Anteil am Tapeten-Umsatz ist seit langem rückläufig. Jetzt kauft sich auch noch die Farbenindustrie in den Großhandel ein, was die Tapete noch weiter zurückdrängen könnte.
Dammler: Das ist eine Entwicklung, die in anderen Ländern schon längst abgeschlossen ist - schauen Sie nach Holland oder Frankreich. In Frankreich ist der Großhandel der verlängerte Arm der Farben-Industrie.
Der Ausgangspunkt ist - auch bei uns - dass die Farbenhersteller ihre Großhandels-Kunden, die in Schwierigkeiten kamen, übernommen haben. Bevor der Umsatz in diesen Vertriebskanälen komplett wegbrach, hat man sie sich gesichert. In Frankreich gibt es keinen großen Grossisten mehr, der nicht in den Händen der Farbenindustrie ist. Und doch führen sie alle auch noch Tapeten.
BTH Heimtex: Und nicht nur überstreichbare Produkte?
Dammler: Nein, sie kollektionieren ganz normal und erfüllen ihre Funktion als Vollsortimenter, wie es ihre Kunden erwarten.
Rasch: Wir wollen nicht behaupten, dass wir glücklich darüber sind, dass die Farbenhersteller Großhändler kaufen. Umso wichtiger ist es für uns, die Tapete attraktiv zu halten, damit sie ihren Platz im Sortiment findet und der Kunde sie nachfragt.
Dammler: So lange der Markt das Produkt Tapete benötigt und der Handwerker danach fragt und erwartet, es bei seinem Großhändler zu bekommen, wird man sich dort auch mit der Materie beschäftigen.
BTH Heimtex: Kommen wir noch mal zurück zur Industrie. Erstaunlich ist auf jeden Fall, dass in diesem Jahr alle großen deutschen Hersteller im Inland dazu gewonnen haben, obgleich der Markt massiv geschrumpft ist. Wer hat denn verloren, wen haben Sie verdrängt?
Dammler: Da im Herbst 2002 ein mittelgroßer Anbieter ausgefallen ist, können sich die übrigen Marktanteil-Gewinne ausrechnen. Darüber hinaus erwartet der Kunde heute ein Komplettangebot von der Ware bis zum Service inclusive Beratung, Unterstützung, Schulungen etc. Diese Ansprüche können Sie nur erfüllen, wenn Sie eine bestimmte Größe haben. Wir denken, dass sich der Handel bei der Auswahl seiner Lieferanten zunehmend an diesen Angeboten orientiert und dementsprechend konzentriert. Das wird sich sicher weiter fortsetzen.
BTH Heimtex: Das hieße, mittel- oder langfristig gäbe es nur noch wenige Große und vielleicht ein paar Nischenanbieter...
Dammler: Wenn man sich die Entwicklung in anderen Ländern ansieht, läuft es ja in diese Richtung. Der Markt - und damit Absatzmöglichkeiten schrumpfen, man muss aber viel in Technologie und Entwicklung investieren - und damit sich das rechnet, ist eine gewisse Größe erforderlich.
BTH Heimtex: So ein Mengendiktat bedeutet konsumige, mehr oder wenige uniforme Massenware. Das bringt die Tapete nicht weiter.
Dammler: Natürlich müssen wir überlegen, wie die Tapete interessant bleibt. Da gehört nicht nur Mainstream dazu, man muss auch Eyecatcher und Innovationen bringen. Letzlich brauchen wir aber Produkte, die sich verkaufen und wirtschaftlich umsetzen lassen.
Rasch: Trendprodukte sind so eine Sache, wir entwickeln sie gern, aber das ist nicht unser Hauptgeschäft. Interessante Kollektionen kommen nicht einfach so aus der Maschine. Da stehen häufig gezielte Investitionen und Strategien dahinter.
Es ist natürlich auch eine Riesenschwierigkeit, auf der einen Seite ein modisches, auf der anderen Seite ein Industrieprodukt zu fertigen. Man muss sich schon genau überlegen, in welche Richtung man will. Wobei ich glaube, dass wir eher auf der modischen Seite sind. Das ist zumindest unser Selbstverständnis.
Aber: Es ist heute schwer, in der Tapetenindustrie Geld zu verdienen. Man braucht eine ausgewogene Produktstruktur, die wiederum permanent Invesitionen in die Technik erfordert, wie Herr Dammler bereits sagte. Wir haben übrigens eine neue Maschine, meines Erachtens die größte in der Industrie...
BTH Heimtex: Sie sind nicht der Einzige mit einer neuen Maschine und alle werden als einzigartig dargestellt. Was ist denn das Besondere an Ihrer Anlage?
Rasch: Die Anlage ist ein Umbau mit elf Farbwerken, plus einer Heißpräge, plus einer vollautomatischen Inline-Verpackung, wie immer bei uns und - doppelt breit.
Manches Produkt von uns ist ja erfolgreich, weil wir einen technologischen Vorsprung haben. Das gilt auch für andere. Jeder hat seine Tricks. Jemand, der das nicht kann, wird es sehr schwer haben.
aus
BTH Heimtex 11/03
(Wirtschaft)