Tapeten auf der Heimtextil
Die Tapete wird als dekoratives Gestaltungselement wiederentdeckt
Tapeten mit applizierten Leuchtkörpern oder als großformatiges, extravagantes Wandbild - in diesem Jahr gab es in der Tapetenhalle auf der Heimtextil besonders spannende Neuheiten zu sehen. Die Tapete wird wieder mehr als dekoratives Gestaltungselement positioniert; das gilt nicht nur für Ausnahme-Karten wie Art Tec von Marburg oder Cosmopolitan von Rasch, sondern auch für die normalen Kollektionen für's tägliche Geschäft. Wohldosiert beleben neue, trendige Töne die Farbpaletten, vorsichtig rückt man von platten, allzu simplen Unis ab, spielt zum Beispiel subtil mit Metallic-Akzenten.
Die deutschen Tapetenanbieter sind 2002 mit einem blauen Auge davongekommen. Zwar haben sie wie ihre Kollegen im Bodenbelags- und Stoffbereich im Inland einen herben Rückschlag hinnehmen müssen - bis auf Ausnahmen wie A.S. Création, Erismann oder die Essener/Schmitz/Tescoha-Gruppe -, profitierten aber von ihrer starken Exportorientierung, die unter dem Strich für einen ausgeglichenen oder sogar besseren Umsatz sorgte. Die Marburger Tapetenfabrik beispielsweise kommt mittlerweile 50 Mio. EUR Umsatz auf einen Exportanteil von fast 60%; P+S International-Geschäftsführer Wolfgang Schminner spricht sogar von 70% Exportquote bei 35 Mio. EUR Umsatz.
Dabei ist Russland längst wieder zum wichtigsten Auslandsmarkt für die westeuropäischen Tapetenhersteller avanciert. Noch keine fünf Jahre ist der denkwürdige 17. August 1998 her, als der russische Markt von einem Tag auf den anderen zusammenbrach und die Tapetenindustrie fassungslos vor den Scherben ihres Osteuropa-Geschäfts stand. Nach einer etwas mühsamen Anlaufphase hat er sich inzwischen komplett erholt und reicht wieder an das Niveau vor dem Crash heran. Dabei treffen die Unternehmen vor Ort in erster Linie auf ihre angestammten Wettbewerber aus dem Westen und registrieren genau, welche Kollektionen diese zu welchen Preisen in Russland anbieten. Die heimischen Tapetenproduzenten in Russland, Weissrussland und der Ukraine werden dagegen kaum als ernsthafte Konkurrenz empfunden, weil sie sich meist auf billige Papiertapeten konzentrieren.
Dennoch werden sie mit Argusaugen beobachtet, weil einige hemmungslos Erfolgsdessins kopieren, vor allem Hersteller in Weissrussland und der Ukraine sollen in dieser Hinsicht sehr aktiv sein. Um hier einen Riegel vorzuschieben, wurde im vergangenen Jahr unter Federführung von Rasch bei einem Treffen zwischen Tapetenindustrie und Graveuren ein "Gentleman's Agreement" unterzeichnet, mit dem sich die unterzeichnenden Graveure verpflichten, sich von dem Musterklau zu distanzieren, und ihnen die Tapetenproduzenten ihrerseits zusichern, sie deshalb zu bevorzugen.
Die russische Regierung will aber offenbar verhindern, dass der Markt allzusehr mit Westprodukten überschwemmt wird. Mittlerweile gilt als sicher, dass das Wirtschaftsministerium einen Schutzzoll durchdrücken wird, was unsere Gesprächspartner auf der Heimtextil aber nicht weiter angefochten hat. Die Rede soll von 3,20 $ sein.
Während das Ausland brummt, mag vom deutschen Markt keiner reden. In diesem Jahr hat der VDT (Verband der Deutschen Tapeten-Industrie) noch nicht einmal wie in den Jahren zuvor den Absatz bekannt gegeben. Nicht nur die Rollenzahl ist im vergangenen Jahr noch weiter zurückgegangen, auch der Druck auf die Preise hat sich noch mal verschärft - vor allem bei Vliestapeten, bei denen die Branche doch eigentlich über Nutzenvorteile wie die Verarbeitungsfreundlichkeit argumentieren wollte. Und jetzt geht es wieder nur über den Preis. "Die Preisentwicklung bei Vlies ist absolut nicht nachvollziehbar", schüttelt etwa Erfurt-Vertriebsleiter Manfred Franken den Kopf. Als Basis würden jetzt schon 40 g-Vliese genommen, "die sich gar nicht mehr trocken abziehen lassen".
Für 2003 will denn auch niemand eine konkrete Prognose für den Inlandsmarkt abgeben. Christian Schmitz vom gleichnamigen Importeur samt der Schwesterunternehmen Essener und Tescoha sieht im laufenden Jahr das größte Problem auf Handelsseite: "Wir müssen unseren Kunden helfen, am Leben zu bleiben. Wir müssen ihnen noch mehr Konzepte und Unterstützung bieten."
Doch auch die Anbieterseite bleibt weiter in Bewegung. Das haben wir schon letztes Jahr geschrieben und das behält auch weiterhin Gültigkeit. Bei Mohr zog im Oktober 2002 der Insolvenzantrag den Schlussstrich unter eine wechselhafte Firmengeschichte. Dabei hatten die Wuppertaler noch für 2000 und 2001 von zweistelligen Umsatzzuwächsen auf zuletzt 33 Mio. EUR berichtet und Mitbewerber bescheinigen Geschäftsführer Gunther Bonnes auch, "gute Arbeit geleistet zu haben", aber das hat nicht gereicht, um das Unternehmen vor dem Untergang zu bewahren. Über die Gründe wurde in Frankfurt viel spekuliert - ebenso darüber, ob nun Erismann beim Insolvenzverwalter zum Zuge kommt oder Mohr im nächsten Jahr mit RTA, BTS und der Ratinger Tapetenfabrik an einem Stand stehen wird.
"Dem Markt schadet es nicht, wenn ein Wettbewerber ausscheidet", sagt Ullrich Eitel, geschäftsführender Gesellschafter der Marburger Tapetenfabrik, lakonisch unter Verweis auf die Kapazitäten und Überhänge. Und dennoch wird immer wieder und überall in neue Maschinen investiert: Bei Marburg, Ideco und Novo Wallco stehen neue Anlagen, bei A.S.Création soll noch im ersten Quartal die neue Siebdruck-Tiefdruck-Kombinanlage anlaufen, die mit 10 Farben arbeitet.
Der Verlauf der Heimtextil spiegelt die aktuelle Situation auf dem Markt wider. Unisono wurden die allgemeine Kundenfrequenz als geringer beurteilt - das deckt sich mit dem offiziellen Schlussbericht der Messegesellschaft - vor allem aus Deutschland kamen deutlich weniger Kunden, wobei "alle Großen da waren", nur die kleineren Kunden fehlten. "Aber wir haben gute Abschlüsse gemacht", bekräftigten viele Aussteller in der Tapetenhalle gegenüber BTH Heimtex. Stark vertreten waren dagegen Kunden aus Osteuropa, speziell Russen und Polen. Auch hier wird von "vielversprechenden Gesprächen" berichtet. Diese positiven Aussagen werden dadurch bestätigt, dass die Graveure nach den Messen gut beschäftigt waren, was nicht nur mit der im April anstehenden Messe in Moskau zu tun haben dürfte
Ganz klar: Tapeten hatten dieses Jahr auf der Heimtextil einen gelungenen Auftritt. Es war angenehm, durch die großzügige, einladende Halle 5.1 zu flanieren. Besonders positiv fiel gleich am Eingang der völlig neu gestaltete, attraktive Stand von Rasch auf: Modern und aufgeräumt bildete er den adäquaten Rahmen für die neuen Kollektionen unter Federführung des neuen Design-Direktors Bernhard Holzapfel. Unter uns gesagt: Das war auch überfällig.
Vergeblich suchte mancher Besucher in 5.1 den Stand von Arte und seiner Tochter, Importeur Heinetex, der immer eine Augenweide war. Die Belgier verzichteten dieses Jahr auf die Tapeten-Halle und beschränkten sich darauf, in der Stoff-Halle 3.1 auszustellen, was nicht förderlich für das Tapeten-Sortiment gewesen sein dürfte.
Traditionell hält sich die Tapetenindustrie eigentlich in den Jahren des Kollektionswechsels zur Heimtextil mit Neuheiten etwas zurück. Davon war in diesem Jahr in Frankfurt aber nichts zu spüren. Wir hatten sogar den Eindruck, dass es mehr als im vergangenen Jahr waren.
Zwei Kollektionen ragen besonders heraus, das hat auch eine Umfrage von BTH Heimtex nach der Messe bei Tapeten-Großhändlern ergeben: Art Tec von Marburg und Cosmopolitan von Rasch. Beide nichts, was jeden Tag über den Ladentisch geht, aber beide wegweisend für ein neues Selbstbewusstsein der Tapete, die sich vom spießigen Image befreien und wieder mehr als dekoratives Gestaltungselement begriffen werden will. Art Tec ist ein optisch und technisch sehr anspruchsvolles Hochwertprogramm mit innovativen Granulat-, Siebdruck-, Lack- und Metall-Optiken und vor allem mit den Art Luminaire-Tapeten, auf die Leuchtelemente appliziert werden, die als Dauerlicht, im Intervall oder gedimmt geschaltet werden können.
Mit Cosmopolitan hat sich Bernhard Holzapfel verwirklicht. Er versteht die großformatigen Panels bei Rasch "als einen anderen Ansatz, wie man Tapeten sehen kann" - nämlich als extravagante Wandbilder, die als Solisten wirken. Als Pendant dazu: schöne Unistrukturen.
A.S. Création setzt nach Senta Berger wieder auf einen Prominenten als Zugpferd: Sepp Maier, Fußball-Idol früherer Jahre und heute Torwart-Trainer der deutschen Nationalmannschaft, wurde als Werbepartner für die neue Profil-Vlies-Karte Meistervlies gewonnen. Die entsprechende Kampagne läuft unter dem Motto: "Da bleibt die Bude sauber".
aus
BTH Heimtex 02/03
(Wirtschaft)