GHF-Jahrestagung 2002 in Leipzig
Sturm im Wasserglas
Wohl noch nie gab es im Vorfeld einer GHF-Tagung so viel Diskussionen um einen Referenten wie in diesem Jahr um Jochen Stotmeister. Als bekannt wurde, dass der Sto-Vorstandschef auf der Jahreshauptversammlung in Leipzig reden soll, liefen bei der GHF-Geschäftsstelle die Drähte heiß. Es hagelte Protestanrufe, Beschwerdebriefe und Boykott-Androhungen, wenn sich dieser Kofa*, der mit Südwest einen Häfa* gekauft hat, in die heiligen Hallen des Großhandels wagen sollte, mit dem er am Markt konkurriert. Ein Kommentar von Claudia und Michael Steinert
Ähnlich umstritten war nur vor zwei Jahren der Vortrag des damaligen FHG-Geschäftsführers Heiko Höhmann in Lübeck, der damals ebenso Gegner auf die Barrikaden trieb.
Bis wenige Wochen vor der Tagung war nicht klar, ob Stotmeister sich wirklich auf der Tagung präsentieren würde. Er kam, woraufhin tatsächlich einige Großhändler, vor allem aus dem süddeutschen Raum, der Veranstaltung fern blieben. Diese Reaktion war nicht nur überzogen, sie war auch kurzsichtig und kleingeistig. Höchstens Stotmeister hätte Probleme haben müssen, auf die Tagung in die Höhle des Löwen zu kommen - nicht die betreffenden Grossisten.
Es zeigt das Selbstbewusstsein dieser Reizfiguren - ob sie nun Jochen Stotmeister heißen oder Heiko Höhmann -, dass sie sich vor ihren Gegnern auf's Podium wagen und sich einer möglichen Diskussion stellen. Immerhin laufen sie damit Gefahr, von intelligenten Kontrahenten in die Ecke gedrängt zu werden.
Stotmeister dreht den Spieß um und nutzte die Gelegenheit zur Selbstdarstellung weidlich aus. Er konnte es sich beispielsweise nicht verkneifen, Erzfeind Caparol eins auszuwischen. So erschien inmitten seiner Charts "rein zufällig" die Ankündigung, dass der Häfa Caparol den Kofa Alsecco übernimmt und anderer Stelle zeigt er ein Bild von Caparol-Produkten im Hornbach-Regal. Das war billig.
Der anwesende Caparol-Chef Dr. Robert Murjahn reagierte allerdings wenig souverän auf die bewusste Provokation. Statt lässig zu kontern, versicherte er steif, dass Caparol selbstverständlich nicht direkt liefere, die Produkt-Wege aber nicht immer kontrollieren könne.
Und jetzt Achtung: Das blieb die einzige Wortmeldung zu Stotmeister. Ansonsten: Keine einzige Frage, kein Nachhaken, kein Widerspruch. Stumm saßen Farbengroßhändler und Häfas da und ließen die Gelegenheit vergehen, den selbstsicheren Konkurrenten zum Schlagabtausch zu fordern und vielleicht ins Schwitzen zu bringen. Aber das war damals bei Heiko Höhmann genauso.
Und genau das ist auch das Problem der Branche: Sie beklagt ihre Probleme im internen Kreis hinter vorgehalterner Hand und wenn sie die Chance zur offenen Klärung hat, taucht sie ab.
Wir können das Bestreben von GHF-Geschäftsführer Hartmut Plümer und dem Vorstand, Gegner in den Ring zu holen, nur loben. Es ist immer besser, dem Rivalen ins Auge zu blicken, als ihm den Rücken zuzudrehen.
Kleiner Schlenker: Feinde stehen manchmal ganz woanders, als die Branche denkt. Vielleicht bedrohen die Baumärkte künftig die Häfas viel stärker als die Kofas. Vielleicht werben sie bald dem Großhandel die Kunden ab. Bauhaus eröffnet jetzt in Düsseldorf-Gerresheim sein erstes Profi-Depot für Handwerker und kann dabei zum Beispiel mit viel längeren Öffnungszeiten als mancher Großhändler punkten, der bereits Freitag mittag ab 14 h die Tore schließt. Und über die Öffnungszeiten einer Metro kommen wir erst recht ins Grübeln.
Zurück zum Thema. Grundsätzlich ist der GHF mit "Reizthemen" auf dem richtigen Weg. Er muss sich aber überlegen, wie er Diskussionen provozieren und die Tagungs-Teilnehmer aus der Reserve locken kann - zu ihrem eigenen Nutzen. Denn sie sollen möglichst viel von der Veranstaltung mitnehmen: Ideen, Denkanstöße, Anregungen. Provokationen - das zeigt sich immer wieder - lassen die Synapsen schneller schalten. Positiv ausgedrückt: Provokationen dynamisieren unsere Denkprozesse.
Die Qualität der übrigen Referenten war wie gewohnt gemischt. Spritzig, sympathisch und kompetent zeigte Logistikspezialist Dipl.-Kfm. Bernd Hüsch "Prozesskosten der Logistik und mögliche Konsequenzen" auf. Der Mann vermittelte klar den Eindruck, dass er weiß, wovon er spricht. Das gilt uneingeschränkt auch für den Juristen Dr. Rüdiger Fromm, der eloquent, profund und sehr praxisorientiert mit vielen plastischen Beispielen aus dem "wahren Leben" über die "Betriebsübergabe im Schnittpunkt von Erb-, Steuer- und Gesellschaftsrecht" sprach.
Nicht ganz die Klasse dieser beiden Redner erreichte Dipl.-Kfm. Siegfried Harzheim, dessen Vortrag zum "Management von strukturellen Änderungsprozessen" sich etwas zu sehr in akademischer Abstraktion verstieg.
An dem ehemaligen Aldi Nord-Geschäftsführer Dieter Brandes, der das "Prinzip Einfachheit" am Beispiel des Handelsriesen darlegte, schieden sich die Geister. Uns hat er nicht überzeugt. Das "Prinzip Einfachheit" hatte er in seinem Referat jedenfalls nicht berücksichtigt. Wir haben aber auch Stimmen gehört, die von ihm angetan waren. Wir können uns jedenfalls nicht vorstellen, dass es die Aufgabe einer Führungskraft sein sollte, die Blattzahl auf einer Rolle Toilettenpapier zu kontrollieren - bzw. auf unsere Branche übertragen die Kartons Laminat auf einer Palette.
Weder Neues noch Originelles bot der Vortrag von Dipl.Kfm. Stefan Skirl zum "Vorsprung durch Einmaligkeit" und als völliger Reinfall erwies sich Dr. Bernd Lepping von der IKB Deutschen Industriebank, der eigentlich über die "konjukturelle Branchen-Situation unter besonderer Berücksichtigung der Neuen Bundesländer" sprechen sollte.
Wie auch immer die Referenten sind: Die jeweiligen Abmoderationen wünschen wir uns kritischer und qualifizierter. Warum einen Referenten loben, wenn er schlecht war? Hier vemissen wir schon seit Jahren die klugen, scharfsinnigen Zusammenfassungen und brillanten Kommentare eines Uwe Heinemann.
Was bleibt noch zur GHF-Tagung 2002 zu sagen?
Der ehemalige Wümeg-Vorstand Wolfgang Merkle, erst im letzten Jahr als Vertreter der Malereinkaufsgenossenschaften in den GHF-Vorstand eingezogen, war offenbar zur Persona non grata erklärt. Mit keinem Wort wurde seine außerplanmäßige Demission aus bekannten Gründen erwähnt. Nur in den Pausen geisterte das Gerücht durch die Reihen, er habe sich nach Brasilien abgesetzt. Damit haben die Malereinkaufsgenossenschaften keinen Repräsentanten mehr im GHF-Präsidium.
Die Zahl der Tagungs-Teilnehmer war nicht viel geringer als in den Vorjahren, aber es fehlten einige bekannte Gesichter - wohl nicht nur wegen Herrn Stotmeister, sondern manche auch aus Kostengründen. Andere wie Jörg Jordan ließen sich nur für wenige Stunden blicken.
Dabei wird von manchem unterschätzt, wie wertvoll die GHF-Tagung ist. Sie ist ein wirkliches Branchen-Forum - das einzige, was wir noch haben, wenn man von den Messen absieht, auf denen aber nie genügend Zeit für ausgiebige, substanzielle Gespräche bleibt.
Die Tagung ist wertvoll wegen der Begegnung mit Kollegen, sie ist wertvoll auch wegen der Begegnung mit Geschäftspartnern aus der vor- bzw. nachgelagerten Markstufe. Die Industrie weiß das und nimmt das auch ernst, wie man an der großen Zahl der Teilnehmer aus der Industrie sieht. Ihre Kunden aus dem Großhandel sollten das auch tun. Wir kennen keine andere Veranstaltung in der Branche, bei der man in den Pausen und während der Abendveranstaltung eine solche Dichte und Nähe von und zu Führungskräften unserer Branche hat.
aus
BTH Heimtex 10/02
(Wirtschaft)