Interview mit Manfred Endres

"Der Großhandel muss sich schneller und flexibler auf die Bedürfnisse seiner Kunden einstellen"

Nachdem sich Peter Iven als letzter Vertreter der Inhaberfamilie von Ruhe & Co aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat, lenkt der geschäftsführende Gesellschafter Manfred Endres das Unternehmen allein. Claudia und Michael Steinert sprachen mit ihm über Erfolgsfaktoren, Expansion und wo Ruhe & Co in fünf Jahren stehen soll.

BTH: Der Großhandel hat im letzten Jahr und noch mehr in diesem ordentlich Federn lassen müssen. Wie hat Ruhe & Co abgeschnitten?

Manfred Endres: Wir konnten uns vom negativen Branchentrend absetzen. Für uns war das Geschäftsjahr 2001 gar nicht so schlecht. Wir hatten ein ausgesprochen starkes erstes Halbjahr mit einem Umsatzplus von 15 %, das vor allem daraus resultierte, dass wir sehr aktiv im Objektbereich waren. Mitte des Jahres haben wir dann bewusst gebremst und auf dünn kalkulierte und riskante Geschäfte verzichtet. Dadurch wurde im zweiten Halbjahr unser gesamtes Plus aufgezehrt. Zum Schluss hatten wir bei Bodenbelägen ein kleines Minus von 1 %, bei Tapeten - 2 % und bei Parkett und Laminat einen Zuwachs von 10 %. Das hat unter dem Strich zu einem ausgeglichenen Ergebnis gereicht und damit sind wir auch zufrieden.

BTH: Die Großhändler, die in den neuen Bundesländern agieren, stöhnen besonders. War es für Sie dort auch schwieriger?

Endres: Nein, im Gegenteil. Wir haben im Osten sogar 10 % zugelegt, was allein in unserem dortigen Team und Kundenkreis begründet ist.

BTH: Einige Ihrer Kollegen mussten nicht nur Umsatzeinbrüche hinnehmen, sondern sind auch in die roten Zahlen gerutscht. Sie auch?

Endres: Nein, wir haben schwarze Zahlen geschrieben, sind allerdings nicht zufrieden damit.

BTH: Wird dieses Jahr für den Großhandel nicht noch schwieriger als 2001?

Endres: Das stimmt. Auch bei uns ist per Ende Mai ein Umsatzminus von 14 % aufgelaufen. Das beunruhigt uns aber nicht. Wir haben die Entwicklung vorausgesehen und für das Gesamtjahr 10 % weniger Umsatz eingeplant, wollen dabei aber das Ergebnis verbessern.

BTH: Wie?

Endres: Die Struktur von Objekt- und Tagesgeschäft verändert sich. Das steuern wir bewusst. Wir spielen im Objekt weiter mit, halten uns aber, wie ich eben schon gesagt habe, aus dünn kalkulierten und riskanten Geschäften heraus. Tatsächlich ist unser Objektanteil von 34 auf 32 % zurückgegangen und die Tendenz ist weiter rückläufig.

Dadurch lag unsere Handelsspanne im ersten Halbjahr erheblich höher als 2001, der Rohertrag war fast identisch. Das heißt: Wir werden zum Jahresende zwar 10 % weniger Umsatz machen, unter dem Strich aber bei einem vergleichbaren Rohertrag und geringeren Kosten ein besseres Ergebnis erwirtschaften.

BTH: Kosten sparen heißt meistens Personal-Abbau. Wie viele Stellen wollen Sie streichen?

Endres: Weniger Umsatz heißt auch weniger Arbeit. Theoretisch müssten wir also bei 14 % Umsatzrückgang 14 % der Mitarbeiter entlassen. Das tun wir aber nicht. Wir nutzen zunächst nur die natürlichen Abgänge. Zur Sicherung der Arbeitsplätze haben wir außerdem ein Agreement mit unserer Mannschaft getroffen, dass wir auf die sonst regelmäßigen Gehaltserhöhungen verzichten.

Entlassungen möchte ich schon deshalb vermeiden, weil unser Team das Geheimnis unseres Erfolges ist - mit einem Höchstmaß an Motivation, menschlicher Qualität und fachlicher Kompetenz. Die positive Grundeinstellung unsere Mitarbeiter erkennt man schon allein daran, dass zu den Kunden oft persönliche Kontakte über den normalen geschäftlichen Rahmen hinaus bestehen.

Und: Wir sind auch für die Zukunft gut aufgestellt: Denn bei uns muss jede Führungskraft frühzeitig einen Stellvertreter benennen, der dann sukzessiv in seine Aufgaben hineinwachsen kann.

BTH: Die Mannschaft ist sicher ein wichtiger Erfolgsfaktor, aber nicht der einzige. Was sehen Sie noch als Ihre Stärke an?

Endres: Wir sind marktgerecht und zwar sowohl was das Sortiment als auch Preisgestaltung und Marketingpolitik angeht. Um das zu überprüfen, führen wir alle fünf Jahre eine Befragung durch. Bei Preisen und Konditionen bewegen wir uns dabei in der Regel an der oberen Grenze. Das heißt, wir sind teuer. Das ist mir auch recht so, weil es bestätigt, dass man für gute Arbeit auch gutes Geld verlangen kann.

Dabei denken und handeln wir im Sinne unserer Kunden. Gigantismus und Übervorteilung sind uns fremd. Als Mittelständler suchen wir die Nähe zu den ebenfalls bodenständigen Handwerksmeistern und Fachhändlern und bauen auf langfristige Beziehungen, von denen beide Seiten profitieren.

Darauf baut auch unsere Marketingstrategie auf, für die wir vier Leistungsmerkmale formuliert haben: Kompetenz, Zuverlässigkeit, Freundlichkeit und Schnelligkeit.

BTH: Das ist sehr allgemein. Nimmt nicht jeder Großhändler diese Leistungsmerkmale für sich in Anspruch?

Endres: Kann sein, wir nehmen sie auf jeden Fall sehr ernst. Beispiel Kompetenz: Nur wer über Fachkompetenz verfügt, kann Problemlösungen bieten und professionelle Hilfestellung leisten. Deshalb gehören permanente Schulungen unserer Mitarbeiter in Warenkunde, Verarbeitungstechnik, Reklamationsbearbeitung und auch Verkaufsargumentation zum Pflichtprogramm. Das leistet sich nicht jeder in diesem Umfang.

Ein ganz wichtiges Thema ist heute auch die Zuverlässigkeit. Unsere Kunden leben von unserer Zuverlässigkeit. Denn wenn der Handwerker am Dienstagmorgen um 10 Uhr mit seiner Mannschaft auf der Baustelle anrückt und die Ware fehlt, kostet ihn das richtig Geld. Da nützt es ihm gar nichts, wenn er die Ware 5 % billiger eingekauft hat. Ich glaube, das wird allgemein unterschätzt.

Was auch oft unterschätzt wird, ist die Freundlichkeit. Wir legen großen Wert auf einen freundlichen Umgangston - angefangen bei der Telefezontrale bis zum Lkw-Fahrer, mich natürlich eingeschlossen. Ist doch klar: Wenn zwei das Gleiche bieten, erhält der den Auftrag, der sympathischer ist.

Das sind drei Grundsätze, die wir schon jahrelang pflegen. Neu hinzugekommen ist vor zwei Jahren die Schnelligkeit. Nicht immer fressen die Großen die Kleinen, sondern oft die Schnellen die Langsamen. Wir wissen um diese Bedeutung und sind deshalb schnell. Die Struktur unseres Geschäftes verändert sich: die Handwerker unterhalten immer weniger Lager, bestellen in immer kürzeren Abständen und erwarten immer schnellere Lieferungen. Darauf haben wir uns eingestellt und beliefern seit Anfang 2001 jeden Ort jeden Tag. Und: Wir liefern von heute auf morgen.

BTH: Das verursacht doch hohe Kosten. Rechnet sich das überhaupt?

Endres: Natürlich bringt das Kosten mit sich; wir haben Mitarbeiter eingestellt und in den Fuhrpark investiert. Aber wir haben eben festgestellt, dass Schnelligkeit heute mindestens ein genauso wichtiger Faktor ist wie die Kompetenz oder marktgerechte Preise.

BTH: Könnten Sie den höheren Aufwand nicht über einen Mindermengen-Zuschlag auffangen, wie es einige Ihrer Mitbewerber versuchen?

Endres: Wir verfolgen die Diskussion um den Mindermengen-Zuschlag sehr aufmerksam und verstehen auch die diesbezüglichen Überlegungen der überregionalen Großhändler. Sie tangiert das Thema natürlich in erster Linie, weil sie ihre Ware zum Teil über lange Strecken transportieren und daher von den fiskalischen Verschärfungen viel härter betroffen sind als wir.

Wir unterstützen diesen Ansatz im Prinzip auch, halten aber angesichts der desolaten Marktsituation den Zeitpunkt für falsch. Wir werden daher momentan keinen Mindermengen-Zuschlag einführen.

Wir sind der Ansicht, dass wir erstmal unsere Reserven ausschöpfen müssen. Deshalb haben wir zunächst unseren Fuhrpark flexibilisiert. Vor fünf Jahren sind wir noch einheitlich mit Mercedes-Atego 7,5-Tonnern gefahren, inzwischen sind wir auf vier verschiedene Nutzklassen umgestiegen: Atego, Vario mit gut 2 Tonnen, Sprinter mit 1,8 Tonnen und Vito. Damit haben wir unsere Fixkosten gesenkt und können zugleich flexibel auf die jeweilige Auslastung reagieren. Denn erst morgens wird festgelegt, wer welche Tour macht - das ist der Vorteil eines kleineren, beweglichen Unternehmens. Das heißt im Extremfall, dass eben kein 7,5 Tonner mit 300 Kilo nach Magdeburg fährt und wieder leer zurückkommt, sondern stattdessen ein Sprinter, der Zeit, Personal und Kosten spart.

BTH: Die überregionalen Großhändler argumentieren mit Einkaufsvorteilen, Sortimentsbreite und Leistungsfähigkeit, Sie mit Flexibilität, Schnelligkeit und Kundennähe. Kann ein überregionaler das nicht auch erfüllen?

Endres: In der Flexibilität hat ein überregionaler Großhändler sicher Nachteile, weil in der Regel die Entscheidungswege länger sind und größere Unternehmenseinheiten unbeweglicher sind. Auch in der Schnelligkeit kann er nicht mithalten, weil er längere Wege zu seinen Kunden hat, die Zeit kosten. Die Kundennähe ist eine Frage der Struktur und der Führungsphilosophie. Die Niederlassungen müssten kompetent und autark genug sein, um das Nahgeschäft machen zu können. Sie müssten im Grund als dezentrale selbstständige Betriebseinheiten wie ein Unternehmer vor Ort entscheiden können.

Ich will es einmal so auf den Punkt bringen: Wenn man alle Dienstleistungs-Angebote eines modernen Großhandels zusammenfasst, angefangen von der Kompetenz über Sortiment, marktgerechte Präsentation, Logistik, finanzielle und betriebswirtschaftliche Beratung bis hin zu den sogenannten weichen Faktoren auf menschlicher Ebene, hat ein Regionalgrossist in seinem Einzugsgebiet einen besseren Stand als ein überregionaler Großhändler.

BTH: Sie haben nach dem Mauerfall die Niederlassung Merseburg bei Leuna gegründet und 2000 eine weitere in Braunschweig eröffnet. Lockt Sie nicht die weitere Expansion in Richtung Westen oder Süden?

Endres: Nein. Richtung Süden haben wir ohnehin nie Ambitionen gehabt. Wir haben uns immer mehr nach Norden orientiert und haben uns dann für Braunschweig entschieden. Das hat perfekt gepasst: Guter Standort im Industriegebiet, hervorragende Infrastruktur und im Einzugsgebiet viele Städte wie Goslar, Peine, Salzgitter oder Wolfsburg.

Das wollen wir jetzt erstmal ausbauen. Bislang hat sich die neue Niederlassung in Braunschweig auch gut angelassen. Das Umsatzziel für 2001 hatten wir bereits im November erreicht und im Dezember auch das geplante Ergebnis erwirtschaftet. Insgesamt haben wir uns drei Jahre Zeit gegeben, um den Standort zu etablieren.

Eine weitere geografische Expansion ist nicht geplant, wir wollen lieber in unserer Region weiter wachsen. Wir betreiben eher eine Politik der kleinen Schritte.

BTH: Und wo soll die hinführen? Wo soll Ruhe & Co in fünf Jahren stehen?

Endres: Wir unterscheiden zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Zielen. Das kurzfristige Ziel für dieses Jahr habe ich Ihnen bereits genannt: Bei 10 % weniger Umsatz und gleichbleibendem Rohertrag den Ertrag zu verbessern.

Mittel- und langfristig hat für uns Priorität, ein positives Ergebnis zu erwirtschaften und den Unternehmensbestand zu sichern. Demgegenüber treten die früheren Unternehmensziele Gewinnmaximierung und Marktanteilsausbau in den Hintergrund.

Im Rahmen unserer Finanzpolitik sieht die langfristige Jahresplanung vor, dass wir uns bis 2006 von den Banken unanbhängig machen. Deswegen haben wir jetzt auch die "heilige Kuh" des eigenen Fuhrparks geschlachtet und gehen dazu über, den Lkw- und Pkw-Fuhrpark zu leasen. So werden die Kfz-Briefe in unserem Besitz zwar nach und nach weniger, wodurch sich aber - nicht zuletzt im Hinblick auf Basel II - kurz- und mittelfristiges Fremdkapital erübrigt.

Grundsätzlich denke ich, dass wir uns als Großhändler künftig schneller und flexibler auf die Bedürfnisse der Kunden einstellen müssen. Die totale Ausrichtung auf den Kunden wird die Devise für die Zukunft sein. Dabei werden wir differenziert auf die individuellen Bedürfnisse der verschiedenen Kundengruppen eingehen müssen und zwar sowohl bei der Präsentation, als auch bei Finanzierung, Lieferrhythmus und Schulungen. Wer hier am besten die Bedürfnisse der Kunden erfüllt, wird der Sieger sein.

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Manfred Endres zur Person

Manfred Endres, Jahrgang 1947, hat in Karlsruhe das Studium zum Wirtschaftsingenieur mit dem Diplom abgeschlossen. Danach zog es den gebürtigen Badener gen Norden: Als Assistent der Geschäftsleitung eines Großhandels-Unternehmens eignete er sich Kompetenz und Know-How in Metier und Branche an.

1986 wechselte er als Geschäftsführer zu Ruhe & Co nach Göttingen. Kaum vier Jahre später avancierte er neben der Inhaberfamilie Iven zum Geschäftsführenden Gesellschafter. Mit dem Regionalgrossisten hat er sich "seiner Lebensaufgabe" verschrieben. "Ehrlichkeit, Fairness und Verständnis" bestimmen für ihn die langfristigen Beziehungen sowohl zu Kunden als auch zu den Lieferanten.

Endres gehört dem Aufsichtsrat der Großhandelskooperation Rigromont an und war viele Jahre lang Sprecher der Interessengemeinschaft Bodenbeläge im Bundesverband Großhandel Heim & Farbe.

Manfred Endres ist verheiratet und hat 1 Tochter und 2 Söhne.
aus BTH Heimtex 08/02 (Wirtschaft)