Jahrestagung der Deutschen Heimtextilien-Industrie
Wo war die Branche?
Man stelle sich vor: Der deutsche Heimtextilien-Verband tagt und kein Mitglied geht hin. Klar, die Zeiten sind hart. Noch nie ging es der Branche so schlecht wie in diesem Jahr. Aber gerade deshalb sind Zusammenarbeit, gemeinsames Brainstorming und Kreativität wichtig, um gemeinsam nach Wegen aus der Krise zu suchen.
Nachdem wir die letzte Tagung des Heimtextilien-Verbandes vor zwei Jahren kräftig kritisiert hatten, wollen wir die diesjährige ebenso nachdrücklich loben. Starke Referenten, die mehr als die üblichen Standardfloskeln brachten - allen voran Franz Peter Falke von der gleichnamigen Textilgruppe - ein durchdachtes Programm und ein gesellschaftlicher Teil in ausgesprochen angenehmer Atmosphäre ließen die Teilnehmer mit dem Gefühl nach Hause fahren: "Das hat sich gelohnt".
Umso enttäuschter war Geschäftsführer Hans-Joachim Schilgen über die magere Resonanz. Noch nie waren so wenige Mitglieder gekommen wie in diesem Jahr. Ursprünglich hatten sich rund 90 Gäste angemeldet, davon waren einige gar nicht erst erschienen, andere verabschiedeten sich nach den verbandsinternen Tagesordnungspunkten. Gerade die Gardinen- und Dekoindustrie war so gut wie gar nicht vertreten, auch aus der Teppichindustrie ließen sich nur die Mandatsträger in der Barockstadt Fulda blicken. Dazu zwei, drei Großhändler, Repräsentanten nahestehender Verbände und eine breite Fachpresse-Phalanx, insgesamt kaum 50 Leute - das war's. Ein Armutszeugnis für die Branche und symptomatisch für ihren Zustand.
Die deutsche Heimtextilien-Industrie steckt in der tiefsten Krise seit Kriegsende. Das kam in Fulda nur zu deutlich zum Ausdruck: Konsumflaute, Konsumverzicht, Konsumverweigerung, Konsumstau, Konsumboykott waren die am meisten gebrauchten Wörter. "Der Konsumstau des vergangenen Jahres hat sich innerhalb der ersten Monate 2002 zu einem regelrechten Konsum-Boykott entwickelt - gekauft wird derzeit nur, was unbedingt für den täglichen Bedarf bestimmt ist und dort, wo der Konsument Preisvertrauen hat", beschrieb Verbands-Vorsitzender Helmut Krause die unerfreuliche Situation.
Harald Cleven, Sprecher der Fachgruppe Teppichboden, konnte auch nichts Positiveres beitragen: "Die Entwicklung im ersten Quartal kann nur als katastrophal bezeichnet werden. Die dramatische Zunahme der Insolvenzen, gerade auch im Groß- und Einzelhandel, macht uns allen klar, dass hier Umsatz wegbricht, der nicht ohne weiteres bei einem - wann auch immer - zu erwartenden Aufschwung wiederkommen wird."
"Die Unternehmen stoßen zunehmend an ihre wirtschaftlichen Grenzen. Handlungsbedarf ist dringend erforderlich", sagte auch Klaus Kremers als Sprecher der Fachgruppe Bettwaren zur Lage in seinem Branchensegment.
Zumindest für dieses Jahr glaubt auch keiner an eine Besserung. Belebende Tendenzen für die kommenden Monate erhofft man sich allenfalls aus dem Exportgeschäft. Krause nüchtern zu den wirtschaftlichen Erwartungen: "Im Inland muss mit weiteren Insolvenzen bzw. Firmenschließungen gerechnet werden. Nach dem Krieg sind mehr als 600.000 Arbeitsplätze in der Textilindustrie verloren gegangen. Heute haben wir noch 120.000, und die Tendenz geht unter 100.000."
"Erst wenn der Verbraucher wieder zuversichtlich in die Zukunft blickt, darf mit einer Entspannung der Lage gerechnet werden. Das ist zur Zeit - noch - nicht erkennbar." Justus Schmitz, Sprecher der Fachgruppe Dekorationsstoffe und Gardinen, sprach das aus, was viele dachten. Er vermisste aber auch Engagement in der Branche. So wurde der vom Verband 2001 erstmalig ausgeschriebene Innovationswettbewerb "Stoff-Wechsel- Zeit für ein neues Wohngefühl" kurzerhand abgesagt. Die Raumausstatter, die damit aufgerufen waren, Heimtextilien zeitgemäß als Home Fashion-Produkte darzustellen, hatten kein Interesse. "Vielleicht ist der Leidensdruck noch nicht groß genug", mutmaßte Schmitz.
Positiv: Trotz der prekären Situation war von Resignation und Negativstimmung in Fulda nichts zu spüren. Im Gegenteil: die Redner gaben sich kämpferisch. So sah Klaus D. Kremers, Sprecher der Fachgruppe Bettwaren, die wirtschaftliche und politische Perspektivenlosigkeit im Mittelstand auch als Herausforderung. "Die Krise gibt uns die Chance, über eine Neuprofilierung, Neupositionierung und neue Konzepte nachzudenken." So setzen die Bettwarenhersteller dem gegenwärtigen Zeitgeist folgend auf den Gesundheits- und Wellnesstrend, um in ihrem Bereich die Nachfrage wieder in Schwung zu bringen. "Der Bedarf ist da, der Markt ist nicht gesättigt. Unternehmen und Handel müssen dem Verbraucher allerdings die Innovationen vermitteln. Der Verbraucher muß den Widerspruch "Nutzungsdauer" und "Trend" erkennen."
Verbandsvorsitzender Krause hält unternehmerisches Geschick und das richtige Gespür für Nischen ebenfalls zur Zeit besonders wichtig. "Wir müssen unkonventionelle Wege gehen, um neue Märkte zu finden." Dem schloss sich auch Cleven an: "Gleichwohl müssen wir uns auf die sich ändernden Marktverhältnisse einstellen - sei es durch die konsequente Besetzung von Nischen und als besondere Herausforderung der Schaffung von Nischen oder durch eine ganz klare Fokussierung auf Qualität."
Noch viel weiter in seinen Forderungen und Anregungen ging Franz-Peter Falke, Geschäftsführender Gesellschafter der gleichnamigen Strumpf-Gruppe aus Schmallenberg - die im übrigen auch Nadelfilz herstellt. Sein Vortrag über Erfolgskonzepte in der Textilbranche war einer der Höhepunkte der Tagung und löste eine lebhafte Diskussion zwischen Redner und Publikum aus.
Das Damokles-Schwert von Basel II schwebt auch über unserer Branche. Dr. Kurt Demmer, Chefsvolkswirt der auf Unternehmensfinanzierung spezialisierten IKB, stellte detailliert und gut verständlich Auswirkungen und Anforderungen für die einzelnen Unternehmen dar. Sein Fazit: An der Finanzierung wird es zwar nicht scheitern. Aber die Kredit-Margen werden je nach Bonität differenziert. Für die Beurteilung der Bonität werden verschiedene Kriterien herangezogen, die stärker als früher zukunftsorientiert sind. So werden nicht nur die Eigenmittelquote, Gesamtkapitalrendite und der Verschuldungsgrad des letzten Jahresabschlusses des Kreditnehmers berücksichtigt, sondern auch die geplante Entwicklung dieser Benchmarks.
Dazu nannte Demmer auch Schwellenwerte: So liegt die Eigenmittelquote von IKB-Heimtextilienkunden im Schnitt bei knapp 25 %. Deutlich besser stehen technische Textilien (ca. 37 %), etwas schlechter der Möbelhandel (ca. 21 % ) dar. Bei der Gesamtkapitalrendite kommen Heimtextilien nur auf bescheidene 5 %, technische Textilien auf fast 8 %, der Möbelhandel fast auf 9 %. Auch im Verschuldungsgrad liegen Heimtextilien hinten: Hier beträgt die durchschnittliche Verschuldungsgrad-Dauer um die 9 Jahre, bei technischenTextilien keine 5 Jahre, im Möbelhandel etwas über 7 Jahre.
Außerdem werden zur Bewertung die Managementstruktur, das Controlling, die Produktion, die Marktposition und das Unternehmenskonzept bzw. die Strategie herangezogen. Auch hierbei wird deutlich zukunftsorientierter vorgegangen als früher.
Den unterhaltsamen Schluß-Vortrag hielt Prof. Dr. Claus D. Kernig von der Universität Freiburg, der auf humoristische dennoch tiefgründige Art und Weise über die Verbindung von Politik und Technologie, über Entwicklungszeiten in der Forschung und technologische Fortschritte philosophierte. Nicht ganz ernst zu nehmen war denn wohl auch sein Schlusswort für die von Umsatzeinbrüchen gebeutelte Heimtextilien-Industrie: "Man kann auch auf einem sinkenden Schiff gute Geschäfte machen - wenn man Schwimmwesten verkauft."
aus
BTH Heimtex 07/02
(Wirtschaft)