Franz-Peter Falke auf der Jahrestagung der Deutschen Heimtextilien-Industrie

Wir müssen Wünsche wecken


Ein Le Corbusier, ein Norman Foster, ein Philippe Starck, ein Renzo Piano, ein Terence Conran, ein Rem Kohlhaas und natürlich alle großen Modedesigner haben erkannt, dass sie den Menschen ganzheitliche Lebensstil-Angebote machen müssen. Sie haben Häuser und Möbel entworfen, Hotels als Wohnwelten in der Fremde entwickelt und alle immer sehr genau den Zusammenhang zwischen Selbstinszenierung und Bekleidung und Selbstinszenierung durch die Dinge, die uns umgeben, gesehen.

Schon der Begriff der Home Collection weist auf Zusammenhänge hin, darauf, dass es sich gerade zu verbietet, unser privates Umfeld mit Begriffen wie Heimtex zu belegen. Wir werden diese Welten überhaupt nicht mehr einfangen, wenn wir sie in Einzelproduktezerlegen und schließlich bei Gardinenstangen, den Gardinen selbst und Sofakissen hängen bleiben und uns damit unnötig beschränken.

Damit sind wir bei einer Grundfrage angekommen: Sind wir als Hersteller und Händler dazu da, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen? Funktioniert das überhaupt in einer Sättigungsgesellschaft? Nein. Eine Überfülle von Produkten findet keine Abnehmer mehr. Es wird nicht reichen, immer mehr Produkte massenhaft auf den Markt zu werfen.

Wir müssen nicht Bedürfnsse befriedigen, sondern Wünsche wecken. Denn Wünsche sind unbewusst und unerfüllbar. Hier gilt: I can't get no satisfaction. Wünsche können nicht erfüllt werden - wir bekommen immer etwas stattdessen. Deswegen kaufen sich Menschen Dinge und Leistungen, die sie gar nicht brauchen. Wenn - wie in der westlichen Welt prinzipiell - die fundamentalen Bedürfnisse befriedigt sind, gilt nämlich: You don't need anything until you have it. Erst nachdem ich das Handy gekauft habe, weiß ich, dass ich ohne Handy nicht mehr leben kann. Daraus folgt: Marketing ist die Erfindung von künstlichen Bedürfnissen, es setzt eine Wunschspirale in Gang. Es geht also nicht um Bedürfnisse im Sinne des Appetits, sondern um das Neue.

Was man sich wünscht, ist nicht zu kaufen. Aber man kann dem Wunsch Anerkennung verschaffen - in einem Produkt. Das muss geistig angereichert sein, einen spirituellen Mehrwert haben.Mit anderen Worten: Wenn man Wünsche nicht durch Objekte befriedigen kann, muss man ein Begehren nach Gütern zweiten Grades ködern. I can't get no satisfaction - das ist das Geheimnis des Begehrens.

Wir dürfen also nicht einfach auf Bedarf oder vermeintliche Bedürfnisse reagieren, sondern müssen Begierden gestalten, Begierden zur Sprache bringen und den Menschen Angebote machen, sich auf solche Begierden einzulassen. Dabei geht es darum,wie Produkte oder ganze Produktwelten für die Menschen inszeniert werden und welche Sinnangebote ihnen gemacht werden. Reiner Gebrauchsnutzen stellt die Menschen in einer Sättigungsgesellschaft nicht mehr zufrieden. Hier liegt der Nutzen von Produkten immer mehr in ihrem Symbolwert, mit dem Menschen ihre Welt aufbauen können.

Warenangebote werden so immer mehr zu Sinn-Angeboten. Es geht darum, wie weit sie Werte verkörpern können: Harmonie, Schönheit, Eros, Freiheit, Prestige, Macht, Dominanz... Dazu ein Beispiel: In einer Jaguar-Autowerbung werden die folgenden Fragen gestellt:
- Haben Sie sich heute morgen auf Ihr Auto gefreut?
- Erzählt Ihnen Ihr Auto eine einzigartige Geschichte?
- Würden Sie am liebsten nie aussteigen?
und schließlich:
- Was ist Zufriedenheit gegenüber Leidenschaft und Begeisterung?
Keine Botschaft über Kilowatt oder Zylinderzahl, sondern nur Fragen nach dem emotionalen "Nutzen", der längst mehr ist als nur Zusatznutzen Und damit Fragen nach den Geschichten, die Produkte erzählen und die auf ihre Einzigartigkeit verweisen.Erst dadurch werden sie für Menschen zu Stil-Angeboten.

Wir Hersteller und Händler sind es, die diese Geschichten erzählen müssen. Nur hierin liegt unsere Chance. Und wir bekommen im Modemarkt vorgemacht, wie es geht: Zara zeigt hier nicht nur, wie man vertikale Ketten perfekt organisiert, sondern wie Ware auch des mittleren, ja sogar unteren Preisniveaus so inszeniert werden kann, das viele, vor allem junge Menschen fasziniert sind.

Dass dies in Deutschland bislang nur bedingt gelingt, zeigt, dass wir die Erlebnisgesellschaft noch immer nicht recht verstanden haben. Sie ist längst mehr als nur eine vordergründige Spaßgesellschaft. Die Menschen suchen Erlebnisse und suchen im Erlebnis auch die eigene Identität im Sinne der Realisierung einer Vorstellung vom "schönen Leben".

Hersteller und Händler,die langfristig überleben wollen, müssen klar erkennen dass sie eine umfassende Aufgabe haben: die Welt der Dinge, die uns umgeben, so zu inszenieren, dass sie herausfordert, Spannung aufbaut und zumindest über bestimmte Zeitabschnitte Befriedigung schafft. Wir brauchen kreative Köpfe, Autoren, Designer, Künstler, Architekten, die neuen Inhalten eine Sprache geben und immer neue Drehbücher schreiben. Wir brauchen kreative Köpfe, die diese Drehbücher spannend in Szene setzen und Lebenswelten so attraktiv auf die Bühne bringen, dass die Menschen sie fasziniert annehmen.

Auf den Punkt gebracht: Das, was wir mit Heimtextilien bezeichnen, hat vieleicht einmal seine Bedeutung gehabt. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass des Deutschen Heim immer auch auf ein "trautes Heim" und ein damit verbundenes eher kitschiges Gemütlichkeitsverständnis hindeutet. Komplexe Geschmackswelten, das Patchwork der gestalteten Wohnumwelt,die Bastelei mit einzelnen Versatzstücken aus Gegenwart und Vergangenheit, aus denen ganz neue Ganzheiten entstehen, all dies lässt sich unter dem Dach von Heimtextilien nicht mehr so recht fassen.

Heimtextilien - das erinnert an Zeiten, in denen Produkte für das Heim vor allem über ihren Gebrauch definiert wurden. Heute werden Produkte nicht mehr nur an ihrer Gebrauchstüchtigkeit gemessen. Die wird schlicht vorausgesetzt. Bewertet werden sie danach, ob sie geliebt oder bewundert werden, ob sie Gefühlswelten abbilden und treffen oder auch nachhaltig beeinflussen. Deshalb muss das eher technische Vokabular von "Heimtex" schnell abgelegt werden. Je länger wir von "Heimtex" reden, desto klarer verfehlen wir die Menschen der Optionsgesellschaft. Es stellt sich die Aufgabeder Gestaltung von Wohnumwelten als Lebenswelten. Die Textilien müssen in komplexe Lebens- und Wohnstilkonzepte hineinkomponiert werden. "Alles Schöne gehört nur einer Zeit an", sagt Oscar Wilde. Dieses Schöne immer wieder neu herauszufinden,die jeweilige Zeit immer wieder neu zu interpretieren und als Wohnumwelten zu inszenieren, ist die Aufgabe der Gestalter privaten Wohnens.
aus BTH Heimtex 07/02 (Wirtschaft)