Interview mit Klaus Kunkel
"Die Talsohle ist noch nicht erreicht"
Im Verband der Deutschen Tapetenindustrie sind alle deutschen Hersteller vereint. Geschäftsführer Klaus Kunkel kennt deshalb sehr genau die Marktverhältnisse und -zahlen. Claudia Steinert und Caroline Gustedt sprachen mit ihm über den Hoffnungsträger Vliestapeten, das Osteuropa-Geschäft und die Überlebenschancen der Tapetenproduzenten.
BTH: Auch Tapeten sind 2001 nicht von der Konsumflaute verschont geblieben. Wie schlimm war es denn wirklich?
Klaus Kunkel: Im vergangenen Jahr sind nur noch 60 Mio. Rollen Tapeten in Deutschland verkauft worden. Das bedeutet einen Rückgang von 10 % gegenüber dem Vorjahr - ein katastrophales Ergebnis. Noch Anfang der 90er Jahre wurden hierzulande 100 Mio. Rollen Tapeten abgesetzt, jetzt nähern wir uns der Hälfte.
Als einer der häufigsten Gründe für diesen Einbruch wurden die Ereignisse am 11. September genannt. Diesen Zusammenhang sehe ich nicht. Vielmehr war bereits im ersten Quartal ein Minus von 8 % auf dem deutschen Tapetenmarkt zu verzeichnen. Wenn man es auf den Punkt bringt, hat das Jahr 2001 schwach gestartet und noch schwächer geendet.
Es gibt allerdings eine Tendenz hin zur höherwertigen Tapete: Während die Absatzmenge um 10 % geschrumpft ist, hat sich der Umsatz nur um 5 % reduziert.
BTH: Das lässt auf einen weiteren Zuwachs bei Vliestapeten schließen.
Kunkel: Richtig. Die Vliesprodukte verzeichnen enorme Zuwächse. 2000 wurden davon 3,5 Mio. Rollen abgesetzt, 2001 waren es 6,4 Mio. Rollen. Das ist fast das Doppelte. Überstreichbare Vliesprodukte haben von 1,3 auf 1,7 Mio Rollen zugelegt.
BTH: Und wie haben sich die anderen Produktgruppen entwickelt?
Kunkel: Papier ist in Deutschland der eindeutige Verlierer. Das Desinteresse an Papiertapeten ist alarmierend. Die Hersteller werden der veränderten Nachfrage durch Umstellen ihrer Produktion Rechnung tragen müssen. Aber auch Strukturtapeten sind rückläufig.
BTH: Der Rauhfaser-Boom ist auch vorbei.
Kunkel: Ja, die Rauhfaser ist wohl am stärksten von den Einbruch in der Baubranche betroffen, weil Rauhfaser die klassische Erstausstattung von Neubauten ist. Deswegen sind die Rauhfaser-Hersteller inzwischen auch dabei, ihr Exportgeschäft aufzubauen.
BTH: Die Rauhfaser-Hersteller sind sehr zurückhaltend, was Zahlen anbetrifft. Wie hoch schätzen Sie die Produktion 2001?
Kunkel: Vier Hersteller haben 13 Mio. Rollen Rauhfaser produziert.
BTH: Im Gegensatz zu verwandten Branchen wie Bodenbelägen oder Dekostoffen ist die Tapetenindustrie stark im Export, vor allem in Osteuropa, das sich nach der Russland- Krise vor vier Jahren inzwischen wieder gut erholt hat. Hat das ausgereicht, um die Inlands-Flaute zu kompensieren?
Kunkel: Ja, der Export nach Osteuropa expandiert. Und zwar in einer Größenordnung, die das Inlandsdefizit derzeit noch kompensiert, so dass unter dem Strich ein positives Gesamtergebnis steht.
Allerdings muss man den osteuropäischen Markt differenziert sehen: Polen ist leicht rückläufig - offenbar ist hier eine Sättigung erreicht -, der Russland-Export zieht dagegen kräftig an und dürfte inzwischen mit 20 Mio. Rollen wieder das Niveau vor der Russland-Krise erreicht haben.
In Westeuropa sah es nicht ganz so erfreulich aus: dort stagnierte der Tapetenabsatz oder ist sogar leicht zurückgegangen.
Positiv ist, dass auch beim Export bessere Preise erzielt werden konnten, denn die Umsätze sind mit + 15 % stärker gestiegen als die Menge mit + 10 %.
BTH: Um wieviel konnten die Preise konkret verbessert werden?
Kunkel: Im Ausland im Schnitt um 6 %, im Inland um 4 %.
BTH: Resultiert der Preisanstieg im Ausland auch rein aus den Vliesprodukten?
Kunkel: Nein, auf den Exportmärkten haben alle Produktgruppen gewonnen, wenn auch Papier und PVC in geringerem Maße als Vlies. Bei der Vliesware hat sich der Absatz von 3,6 auf 4,9 Mio. Rollen erhöht, bei den überstreichbaren Produkten sogar von 5,3 auf 8,6 Mio. Rollen.
BTH: Wie denkt die deutsche Tapetenindustrie angesichts der Bedeutung des russischen Marktes über eine Produktion vor Ort?
Kunkel: Die Bedingungen für den Aufbau von Unternehmensstrukturen sind derzeit noch sehr schwierig. Geeignete Produktionsstätten gäbe es, aber die Beschaffung von Rohstoffen mit gleichbleibend guter Qualität ist sicherlich noch nicht gewährleistet, es gibt keine Vertriebsstrukturen und die Rekrutierung von zuverlässigem Personal ist problematisch. Pionierarbeit wäre zu leisten, und die ist risikoreich. Über Joint Ventures sind einige Hersteller dabei, sich auf dem russischen Markt auch mit einer Produktion zu etablieren.
BTH: Nochmal zurück nach Deutschland. 2002 läuft noch schlechter als 2001, das heißt, die Klingen werden gewetzt, der Wettbewerb wird noch schärfer.
Kunkel: Ja, schon nach dem ersten Quartal lagen die Umsätze im zweistelligen Bereich unter denen des Vergleichszeitraumes des Vorjahres. Gleichzeitig verzeichnen die Exportmärkte aber einen Zuwachs in zweistelliger Höhe.
Für den deutschen Markt bedeutet das, dass der Preiskampf weiter geht. Die nächsten beiden Jahre werden über das Schicksal von Unternehmen entscheiden. Der Prozess der Strukturbereinigung ist noch nicht abgeschlossen. Gemessen an den rückläufigen Umsätzen haben wir zu große Kapazitäten. Die Talsohle in Deutschland ist noch nicht erreicht.
Auch auf der Seite des Handels wird noch viel passieren. Besonders schwierig wird es für den Großhandel werden, weil er die Umsatzeinbußen nicht wie die Industrie mit Exporten kompensieren kann..
BTH: Trotz dieser Misere - im Zuge des 70er-Revivals haben sich zumindest Wohn- und Frauenzeitschriften wieder mehr mit der Tapete befasst. Es gibt in Köln sogar ein Geschäft, das sich auf Vintage-Tapeten spezialisiert hat. Wäre das nicht der richtige Zeitpunkt, antizyklisch zu handeln und mit einer Gemeinschaftswerbung nachzusetzen?
Kunkel: Eine Produktwerbung halte ich deshalb für sinnlos, weil es in der Tapetenbranche kein Markenbewusstsein gibt. Und mit einem kleinen Budget von etwa 2 Mio. EUR kann man auch nicht viel ausrichten.
Sie können sich bestimmt noch erinnern, dass wir die letzte Gemeinschaftswerbung 1998/99 organisiert haben. Der Aufwand war enorm, die Beteiligung lag schließlich nur bei 60 %. Würden wir das heute noch mal machen, rechnete ich nur noch mit Beteiligung von 40 %. In der Branche fehlt einfach der Zusammenhalt, den wir in den 70er und 80er Jahren noch hatten. Jeder hat das Recht auf eine eigene Tapete" oder "Tapete - kleb Dir eine!" waren die Slogans, mit denen sich seinerzeit das Gros der Fabrikanten identifizierte.
Auch ist der Verbraucher ohnehin einer Reizüberflutung ausgesetzt, so dass sich die Frage stellen würde, welches Medium überhaupt das richtige für eine solche Kampagne wäre.
BTH: Das verstehen wir als klare Absage an eine Gemeinschaftswerbung. Welche Projekte stehen denn momentan beim VDT im Vordergrund?
Kunkel: Seit Anfang dieses Jahres arbeiten wir an einer Vertriebsstrukturstatistik, so dass wir zukünftig differenziert nach Vertriebswegen die Umsatzentwicklung analysieren können. Das heißt, wir werden die Zahlen für
- Großhandel/Genossenschafte/Verbände,
- Fachhandel,
- Baumärkte/Discounter
- Sortimenter
- und "sonstige" wie Objekteure oder Fertighaus-Anbieter separat ausweisen können.
Das erlaubt uns eine genaue Beobachtung der Marktentwicklung und ein schnelles Reagieren auf Entwicklungen.
Intensiv befasst sind wir auch mit der Diskussion um das duale System und die Abfallentsorgung. 2005 werden die Vorschriften der TA Siedlungsabfall umgesetzt, die die Entsorgung von gestrichenen Tapeten regelt. Wie wir überhaupt immer dort mit in der Diskussion sind, wo es um das Thema Tapete und Ökologie geht.
Im Bereich der Produktentwicklung ist einer unserer Schwerpunkte die Begleitung von Patentverfahren. Wir werden auch verstärkt die neuen Medien für unseren Informationstransfer nutzen. Es ist geplant, dass unsere Mitglieder ab sofort online Zugriff auf monatlich aktualisierte Meldungen über Marktentwicklungen und aktuelle Statistiken haben.
Beibehalten wird der VDT in jedem Fall sein integratives Konzept: im Interesse jedes einzelnen und der Branche ist es sinnvoll, dass alle deutschen Tapetenhersteller Mitglied im Verband sind.
aus
BTH Heimtex 07/02
(Wirtschaft)