Verband der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie e.V.
Keine Sicherheit für eine Trendwende
MÜNSTER - Anlässlich der Ende März in Münster durchgeführten Jahrespressekonferenz des Verbandes der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie informierte Hauptgeschäftsführer Dr. Herbert Giese über die Entwicklung und Situation in der Branche. Die Region, die sein Verband vertritt, umfasst den Landesteil Westfalen, die Bundesländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie die Stadtstaaten Bremen und Hamburg. Das wirtschaftliche Potenzial von Textil und Bekleidung hat folgende Größenordnung: 341 Betriebe 37.000 Beschäftigte, 6,4 Mrd. Euro Umsatz und 2,2 Mrd. Euro Export.
Angesichts einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die kaum Wachstumsimpulse bot und einer Politik, die zu erheblicher Verunsicherung von Verbrauchern und Unternehmern führte, sei es, so Dr. Giese in seinen Ausführungen, der Textilkonjunktur im abgelaufenen Jahr nicht gelungen, einen Konsolidierungskurs einzuschlagen. Nach den vorläufigen Ergebnissen der amtlichen Statistik gelte für die nordwestdeutsche Textilindustrie Folgendes: Die Zahl der Betriebe ging um 2 auf 236 zurück, die der Mitarbeiter sank um gut 5 Prozent auf 25.000, der Umsatz ging um gut 4 Prozent auf 3,5 Mrd. Euro zurück und der Export blieb mit 1,17 Mrd. Euro nahezu konstant. Daraus ergibt sich eine Exportquote von über 33 Prozent.
Im Jahr 2003 verlief die Entwicklung in der nordwestdeutschen Textilindustrie relativ gespalten. Immerhin gaben über alle Stufen und Sparten hinweg 44 Prozent der beteiligten Unternehmen höhere Produktions- und Umsatzergebnisse als 2002 an. Ein gutes Drittel hingegen musste Rückgänge bei der Produktion und beim Umsatz hinnehmen. Noch etwas besser lief offensichtlich das Auslandsgeschäft. Bei 50 Prozent der beteiligten Unternehmen waren die Exporte gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Lediglich 17 Prozent hatten hier Rückgänge zu verzeichnen.
Licht und Schatten eng beieinander
Ein Blick auf die Entwicklung in den Stufen und Sparten zeige, dass die Positivangaben mehrheitlich aus dem Bereich der technischen Textilien kommen, insbesondere auch von den Automobilzulieferern. Im Gegensatz dazu sei es in der Spinnerei und Weberei überwiegend nicht gut gelaufen. In der Veredlung waren positive und rückläufige Tendenzen nahezu in gleicher Häufigkeit anzutreffen. Und in der Haus- und Heimtextilienindustrie lagen Licht und Schatten eng beieinander. Die Konsumzurückhaltung und die nach wie vor schlechte Baukonjunktur haben hier die Entwicklung deutlich beeinflusst. Auf der anderen Seite gab es zahlreiche Unternehmen in dieser Sparte, die sich mit positiven Produktions- und Umsatzergebnissen diesem Einfluss entziehen konnten.
Zusammengefasst war 2003 für die nordwestdeutsche Textilindustrie von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen her ein weiteres schwieriges Jahr. Die Entwicklung in den einzelnen Sparten und innerhalb dieser Sparten war zwar höchst differenziert, insgesamt ist jedoch eine generelle Wende der Textilkonjunktur nicht gelungen. "Damit", so Dr. Giese, "nehmen wir die Hoffnung auf den Aufschwung mit in das laufende Jahr."
In der aktuellen Situation - Stand Anfang März - sieht die Auslastung der Produktionskapazitäten in den Unternehmen wie folgt aus: 32 Prozent bezeichnen sie als gut, 38 Prozent als befriedend, und 30 Prozent als schlecht.
Allerdings hätten sich die Auftragsbestände im Januar und Februar noch nicht so entwickelt wie dies für eine durchgreifende Trendwende notwendig wäre. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum melden 30 Prozent der Beteiligten höhere Auftragsbestände. Bei ebenfalls 30 Prozent sind sie gleich, aber bei immerhin noch 40 Prozent sind sie niedriger. Darin kommen vor allem zwei gesamtwirtschaftliche Fakten zum Ausdruck: Einmal habe die Konsumkonjunktur noch nicht im erwünschten Ausmaß angezogen, zum anderen schwächelt die Automobilkonjunktur. Vor diesem Hintergrund seien die Erwartungen für den weiteren Verlauf des ersten Halbjahres 2004 von gedämpftem Optimismus gekennzeichnet: 45 Prozent der beteiligten Unternehmen erwarten zunehmende Auftragseingänge, 30 Prozent gleich bleibende und 25 Prozent sinkende.
"Es ist nach wie vor schwierig", so Dr. Giese weiter, "einigermaßen sicher abzuschätzen, ob die Textilkonjunktur insgesamt 2004 den Turnaround schafft und wieder zu einem akzeptablen Wachstumspfad zurückfindet. Dass es zahlreiche Textilunternehmen gibt, die sich erfolgreich von der schlechten Gesamtkonjunktur absetzen konnten, hat nicht zuletzt unsere Umfrage gezeigt. Für eine positive Entwicklung auf breiterer Basis allerdings ist ein kräftiges Anziehen der Inlandsnachfrage unerlässlich."
Risiken und Chancen für die Industrie
Neben der Konjunkturthematik gibt es für Dr. Giese zwei außenwirtschaftliche Daten, die aus Sicht seines Verbandes zu kommentieren sind. Da sei zunächst die EU-Osterweiterung zum 1. Mai 2004. Zu den Beitrittskandidaten gehören Länder mit traditionell starker Textilindustrie wie z.B. Polen, Tschechien oder die Slowakei, die dann Teil des EU-Binnenmarktes werden. Gegenwärtig gebe es keine Indizien dafür, dass sich daraus dramatische Veränderungen in die eine oder andere Richtung ergeben. Ein Teil der dem Verband angehörenden Unternehmen sei in diesen Ländern seit längerem in der einen oder anderen Form produktionsmäßig engagiert. Dies werde bis auf weiteres auch so bleiben. Es gebe keine Hinweise darauf, dass der Beitrittsvorgang ad hoc einen zusätzlichen Schub zur Produktionsverlagerung auslöse. Sehr viel bedeutender für solche Entscheidungen werde vielmehr sein, ob es gelinge, die Rahmenbedingungen am Standort Deutschland zu verbessern oder ob hier weitere Nachteile und Hemmnisse aufgebaut werden.
Das zweite außenwirtschaftliche Datum sei der 1. Januar 2005, mit dem das Zeitalter des voll liberalisierten Welttextilhandels beginne. Von besonderer Bedeutung sei dabei, dass China inzwischen WTO-Mitglied ist und als größter Textil- und Bekleidungsproduzent der Welt von der endgültigen Quotenliberalisierung besonders profitiere. Auf der anderen Seite habe auch China mit dem WTO-Beitritt beachtliche Schritte zur Öffnung des eigenen Marktes vollzogen bzw. bis zum 1,1.2005 zugesagt. "Diese Situation", meinte Dr. Giese, "enthält ein Gemisch von zusätzlichen Risiken und Chancen für unsere Industrie. Die Risiken liegen zumindest in der nahen Zukunft vor allem im Niedrigpreisbereich. Hier werden chinesische Importe weitere Marktanteile in den Industrieländern, also auch bei uns und in der EU bekommen."
Zugleich eröffnen sich aber auch Chancen für die hiesigen Unternehmen, mit ihren Produkten am chinesischen Wirtschaftswachstum zu partizipieren. Dies gelte angesichts einer immer größeren zahlungskräftigen Käuferschicht für hochwertige Bekleidung und Heimtextilien. Zudern nehme durch die gewaltigen Infrastrukturprojekte, wie z. B. Städtebau, Straßen- und Schienenbau und die Bauvorhaben im Rahmen der Olympiade, der Bedarf an technischen Textilien deutlich zu. Vor diesem Hintergrund werde sich die deutsche Textilindustrie wie im Vorjahr auch im September 2004 auf der Techtextil in Shanghai mit ihrer Leistungsshow präsentieren.
Klar ist, dass die Bedeutung Chinas als Exportmarkt und Investitionsstandort für deutsche Unternehmen wächst. Zwar sei das gesamte Exportvolumen der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie noch vergleichsweise gering, dennoch wären die Steigerungsraten mit 48 Prozent in 2002 und 30 Prozent in 2003 beachtlich gewesen.
Auch das produktionsmäßige Engagement der nordwestdeutschen Textilindustrie in China habe sicherlich weder die Größenordnung noch die Breite des Engagements in Osteuropa, aber es nehme zu. "Unsere aktuelle Umfrage", so Dr. Giese abschließend, "hat ergeben, dass 20 Prozent unserer Textilunternehmen bereits in China produzieren. Zwei Drittel als Auftragsfertigurig und ein Drittel im eigenen Unternehmen bzw. im Joint Venture. Weitere 15 Prozent geben an, ein produktionsmäßiges Engagement für die nächsten Jahre zu planen. Bleibt als Umkehrschluss noch die Aussage, dass für 65 Prozent unserer texilen Mitglieder eine Produktion in China in welcher Form auch immer derzeit nicht ansteht."
aus
Haustex 05/04
(Wirtschaft)