Deutsche Textil- und Modeindustrie

Vorfahrt für Wachstum und Aufschwung

Frankfurt - Quotenliberalisierung, Zölle, freie Märkte - die Diskussionen um die Textilbranche waren in diesem Jahr heftig und langwierig und die Interessen in der EU, aber auch innerhalb der Branche unterschiedlich gelagert. Für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie war es ein Jahr des Wandels, aber auch enormer Kostensteigerungen - vor allem etwa im Energiebereich - und einer schwachen Binnennachfrage. Anlässlich der Jahrespressekonferenz Anfang November in Frankfurt berichtete Gesamtverbands-Präsident Josef Albert Beckmann über die Lage und Entwicklung der deutschen Textil- und Modeindustrie. Nachfolgend die wichtigsten Auszüge aus seiner Rede.

Unsere Branche", so der Präsident am Beginn seiner Ausführungen, "befindet sich in einer nicht einfachen Situation. Obwohl sich auch vereinzelt Lichtblicke zeigen, der Dreh- und Angelpunkt sind die Absatzsituation auf dem Binnenmarkt und weitere störende Elemente." Seit Jahresbeginn seien die Aufträge in der Textilindustrie um 2,6 Prozent zurück gegangen. In der Folge sanken die Umsätze um 3,5 Prozent in den ersten acht Monaten dieses Jahres. Die Produktion fiel um 3,6 Prozent.

Wenn man die Branche als Ganzes betrachte, sei ein Abwärtstrend nicht zu leugnen. Die Zahl der Mitarbeiter in den Unternehmen wurde weiterhin abgebaut. In der Textilindustrie lag sie im Juli mit 87.730 um 7 Prozent unter Vorjahr, in der Bekleidungsindustrie mit 42.530 Beschäftigten um gut 6 Prozent niedriger als vor einem Jahr. Während in Deutschland in vergangenen Jahren zahlreiche Stellen abgebaut wurden, habe die Branche mit dem Outsourcing ganzer oder einzelner Produktionsbereiche in anderen Teilen der Welt neue Arbeitsplätze geschaffen. Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie beschäftigt heute außerhalb Deutschlands rund eine Viertelmillion Menschen.

Engagement auf Auslandsmärkten

"Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie", so Beckmann weiter, "ist inzwischen international aufgestellt. Wir waren nicht nur maßgeblicher Vorreiter der Industrialisierung, sondern auch schon früh der Globalisierung. Und dies erklärt auch, warum die Quotenliberalisierung hierzulande ohne die andernorts spürbaren fast hysterischen Reaktionen aufgenommen worden ist. Hierzu besteht derzeit auch kein Grund." Dennoch: Die deutsche Textil- und Bekleidungseinfuhr sei auch nach der Quotenliberalisierung weiter rückläufig gewesen. Angesichts der Kaufzurückhaltung, einem gesättigten Inlandsmarkt und einer seit jeher hohen Importdurchdringung des deutschen Marktes erscheine eine Steigerung des Absatzes kaum realistisch. Auffällig sind die Veränderungen der Marktanteile im Fertigwarenbereich: Asiatische Lieferanten, allen voran China, konnten hier deutlich punkten - zu ungunsten Mittel- und Osteuropas.

Die notwendige Konzentration der deutschen Textil- und Modeindustrie auf qualitativ hochwertige, innovative Produkte und Nischen beinhaltet gleichzeitig begrenzte Absatzmöglichkeiten im deutschen und europäischen Markt. Die Branche bemüht sich daher seit langem um eine stärkere Ausrichtung auf das Auslandsgeschäft und dabei auf Absatzmärkte außerhalb Europas. Die jährlich steigende Exportquote unterstreicht den Erfolg dieser Bemühungen. "Leider", so bedauert der Verbandspräsident, "sind die tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnisse für Textil- und Bekleidungsprodukte weltweit noch sehr ausgeprägt und versperren insbesondere den Zugang zu den rasch wachsenden Märkten großer Schwellenländer. Gemeinsam mit dem europäischen Dachverband Euratex setzen wir uns daher mit Nachdruck für den Abbau solcher Hemmnisse im Rahmen der WTO-Verhandlungen ein."

Ein besonderes Anliegen im Zusammenhang mit diesen Auslandsaktivitäten ist das Kappen von Spitzenzöllen. Der Verband fordert daher, dass der weltweit mögliche Zoll für Textilien und Bekleidung künftig maximal 15 Prozent betragen soll. Die geeignete Formel, um die weltweiten Zölle für Textilien und Bekleidung zu harmonisieren, lautet: Wer bereits stark liberalisiert hat, braucht nur wenig abzubauen. Länder mit bislang hohen Zollschranken, besonders die wettbewerbsfähigen Schwellenländer, müssen mehr tun.

Erwartungen an die Wirtschaftspolitik

Nach Einschätzung führender Wirtschaftsinstitute wird sich die Konsumkrise in Deutschland 2006 fortsetzen und steuert auf einen Rekord zu. Nach der jüngsten Herbstprognose werden die Deutschen ihre privaten Ausgaben noch einmal um real 0,2 Prozent gegenüber diesem Jahr senken. Damit würde die Konsumflaute das fünfte Jahr in Folge anhalten. Die anhaltende Kaufzurückhaltung gilt jetzt als wichtigster Grund für das schwache Wirtschaftswachstum. Beckmann: "Für eine Verbrauchsgüterindustrie wie die unsrige ist diese Entwicklung verheerend. Denn der Verbrauch an Textilien hat sich bereits in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland fast um die Hälfte reduziert. Wendete 1970 ein 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen noch etwa 10 Prozent der Ausgaben für Textilen auf, so waren es 2000 nur noch 5,4 Prozent."

Wie Josef A. Beckmann weiter ausführte, würden wirtschaftliche Erfolge in anderen Ländern zeigen, dass fast überall erst das Wirtschaftswachstum kam, bevor fast automatisch die Staatsdefizite sanken. Nicht umgekehrt. Der Staat sollte sich daher ein Beispiel an der Wirtschaft nehmen: Kein Unternehmen kann dauerhaft bestehen, wenn es nur Kosten senkt - und nicht erneuert, Märkte erschließt und für Wachstum sorgt. Diese Unternehmen würden überdies an einer erfolglosen Strategie nach fünf Jahren nicht festhalten. Das heißt: Reformen brauchen auch staatliche Investitionen in die Zukunft. "Solange der Binnenmarkt ein Problem bleibt", so Beckmann, "hängt Deutschland am Tropf der Weltkonjunktur - und ist damit anfällig für äußere Schocks." Daher sollte eine große Koalition die Chance nutzen und die Reform der Sozialsysteme endlich auf den Weg bringen.

Zukunftsthemen

Trotz vieler Hindernisse und der schwachen Binnenkonjunktur sieht der Gesamtverband auch viele Perspektiven für die Textil- und Modeindustrie in Deutschland. Dazu hat man das "Forum 2015" ins Leben gerufen. Es soll nicht nur zeigen, dass die Textil- und Modeindustrie eine Zukunft hat, sondern man wolle auch abseits der Tagespolitik frühzeitig aufzeigen, wohin es geht und gehen soll; welches die Themen der Zukunft für die Branche sind und sein sollen.

Und wo man die zukünftigen Marktchancen entwickeln, aber auch die Risiken sehen könne. Das Forum habe sich zur Aufgabe gestellt, ein Bild der textilen Welt im Jahr 2015 zu zeichnen und zu untersuchen, welche Maßnahmen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene notwendig sind, um die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu erhalten und zu stärken. Themen sind beispielsweise ein Benchmarking mit einem Vergleich der deutschen Textil- und Modeindustrie zu anderen europäischen Ländern, die Teilhabe an internationalen Wachstumsmärkten oder auch wesentliche Entwicklungen in der Unternehmensfinanzierung.

"Generell", so stellte Beckmann fest, "ist die deutsche Textil- und Modeindustrie aufgrund ihrer bereits vollzogenen Anpassungsprozesse besser positioniert, als viele der europäischen Mitbewerber. Insbesondere die Nische für die Hersteller der technischen Textilien wird bleiben - vor allem durch ständige Innovation. Die Chancen für die Branche in Deutschland sehen wir vor allem in den Auslandsumsätzen und den Exporten."
aus Haustex 12/05 (Wirtschaft)