Peter Schwartze zur aktuellen Situation der Textilindustrie
Nicht schlecht reden, sondern mutig nach vorne schauen
So viele negative Schlagzeilen über die wirtschaftliche Lage Deutschlands prasselten im Jahr 2005 auf uns nieder - da fällt es schwer, auf die positiven Stimmen zu achten, die sich doch immer wieder zu Wort melden. Im Dickicht vieler Medien verhallen sie manchmal ungehört. Und doch sollten wir uns für das neue Jahr einen Ruck geben und die Herausforderungen mutig annehmen.
Gründe für die schleppende Konjunktur in Deutschland gibt es sicher viele, seien es die explodierenden Energiepreise, eine Abschwächung der Weltkonjunktur, die sich auf den Exportweltmeister Deutschland extrem negativ auswirkt, die hohe Arbeitslosigkeit oder die Unsicherheit über die politische Führung des Landes in der zweiten Hälfte des Jahres. Dennoch: es gibt Positives zu vermelden und wir sollten uns davon anstecken lassen. So äußerte sich beispielsweise der EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung, Joaqun Almunia, in der Wirtschaftswoche, dass er durchaus Anlass für Optimismus und eine Erholung der deutschen Wirtschaft im Jahr 2006 sehe.
Ich bin als neuer Präsident des Gesamtverbandes Textil + Mode angetreten, um dazu auch meinen Beitrag für die gesamte Branche zu leisten. Die deutsche Textilindustrie ist besser als ihr Ruf. Der schwachen Binnennachfrage und steigender Energiekosten zum Trotz hat sie einige positive Perspektiven: Frühzeitig hat sie sich den Herausforderungen gestellt und einen Anpassungsprozess an die sich öffnenden Märkte hinter sich gebracht - anders als manch andere Konkurrenten aus Europa. Dies wird eindrucksvoll durch die aktuelle Rangliste über die größten europäischen Textilhersteller 2004 bestätigt. Unter den gelisteten 119 europäischen Unternehmen befinden sich 41 aus Deutschland, also mehr als ein Drittel. Und auf den ersten fünf Plätzen der deutschen Rangliste finden sich Anbieter von technischen Textilien.
Die in Deutschland entwickelten Innovationen sind immer noch hervorragend - so kann sich die deutsche Textilindustrie auch auf ausländischen Märkten behaupten. Die deutsche Industrie ist hochproduktiv und weist in vielen Bereichen Vorteile gegenüber anderen Marktteilnehmern auf, dies sollten wir trotz der vielen Negativmeldungen nicht vergessen und uns unsere Stärken bewusst machen, statt nur auf die zu hören, die unsere Wirtschaft ein ums andere Mal schlecht reden wollen.
Mit dem "Form 2015" geht der Verband neue Wege und entwickelt Zukunftsstrategien für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Solche Strategien werden uns helfen, den Blick nicht nur auf die kommenden Wochen und Monate zu lenken, sondern uns bereit machen, die Herausforderungen der Zukunft mutig und mit Weitsicht anzugehen.
Sicherlich, im vergangenen Jahr spielte die Diskussion um die Quotenliberalisierung eine dominierende Rolle. Hier gilt es aber, durch eine ausgewogene Handelspolitik mit Schritten hin zur Marktöffnung und einem grundsätzlichen Bekenntnis zu freiem und fairem Handel, der Entwicklung nicht tatenlos zuzusehen, sondern sie zu lenken. Dafür wird sich der Gesamtverband Textil + Mode auch weiterhin tatkräftig einsetzen. An den aufstrebenden asiatischen Märkten führt kein Weg vorbei, wenn man am Wachstum teilhaben soll. Dafür ebnet der Verband den Weg, beispielsweise mit seinen intensiven Kontakten nach China und dem in diesem Jahr eingerichteten Kontakt- und Verbindungsbüro CETA (China-Europe-Textile-Alliance). Schließlich deuten alle Indikatoren der Wirtschaftsexperten auch weiterhin auf günstige Exportperspektiven hin - diese Chancen sollten wir mutig ergreifen.
Es steckt viel Potenzial in Deutschland und seiner Industrie - insbesondere in den mittelständischen Unternehmen, die mit Mut und Ausdauer beweisen, dass sie sich auch international behaupten können. Natürlich müssen auch politisch dafür die Rahmenbedingungen stimmen. Es ist daher ein erfreuliches Zeichen, dass die neue Regierung das Ziel hat, Forschung und Entwicklung trotz knapper Haushaltskassen stärker zu fördern als bisher. Die Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung durch das Bundeswirtschaftsministerium ist gerade für unsere Branche von großer Bedeutung. Wir können daher guten Mutes sein, dass die anwendungsbezogene Forschung zugunsten mittelständischer Industriebereiche intensiviert wird.
Mein Appell an die gesamte Branche ist daher: Nutzen Sie Ihre Potenziale und lassen Sie sich nicht von denen anstecken, die unsere Wirtschaft schlecht reden wollen. Lassen wir uns eher von denen anstecken, die mit Mut, innovativen Ideen und Weitsicht den Weg ebnen für Wachstum und Investitionen. In diesem Sinne wünsche ich der Branche ein erfolgreiches Jahr 2006.
aus
Haustex 01/06
(Wirtschaft)