Interview mit Michael Witte, Markbereichsleiter Anhydrit bei Lanxess
"Neue Estrich-Normen sind keine Hexerei"
Die Estrich-Welt scheint im Wandel begriffen: So wurde die Branche vor einiger Zeit nicht nur durch die Nachricht überrascht, dass der bekannte Anhydritbinder nicht mehr im Zeichen des Bayer-Kreuzes, sondern unter dem Logo des neuen Chemieunternehmens Lanxess ausgeliefert wird. Auch neue Normen verunsichern manchen Estrichleger. Michael Witte, ehemals Bayer-Mann und mit seinem erfolgreichen Produkt als Marktbereichsleiter Anhydrit nun unter dem Lanxess-Dach zu Hause, rät jedoch in beiden Angelegenheiten zur Ruhe: "Für die meisten ändert sich nichts."
FussbodenTechnik: Was hat sich eigentlich geändert, seitdem die Anhydrit-Binder-Säcke nicht mehr mit dem Bayer-Kreuz, sondern von Lanxess geliefert werden?
Michael Witte: Die Anhydrit-Aktivitäten, die früher unter dem Namen Bayer liefen, haben nun unter dem Dach von Lanxess eine neue Heimat gefunden. Daher kommt unser Anhydritbinder, der bis Anfang 2005 von Bayer vermarktet wurde, nun unter dem Logo von Lanxess Deutschland zum Kunden. In den Säcken ist aber exakt das Gleiche wie früher: Die Fertigungsanlagen sind dieselben und werden dieselben bleiben - wenn man einmal von erheblichen Investitionen in eine neue Absackanlage absieht, mit der wir den Wünschen nach leichteren 25 kg-Gebinden nachgekommen sind. Auch unser Außendienst-Team ist das gleiche geblieben.
FT: Durch die Abspaltung vom Bayer-Konzern ist also nicht mit Lieferproblemen zu rechnen?
Witte: Nein, im Gegenteil. Aus einem ganz einfachen Grund: Anhydritbinder ist eines der wenigen Produkte für die Baubranche, das noch mit einem anständigen Wachstum aufwarten kann. Wir wollen, dass das so bleibt. Aber auch wenn Anhydritbinder nach wie vor das Material der Wahl ist, wenn es gilt, große Estrichflächen fugenfrei zu verlegen, auch wenn Anhydritestriche den konkurrierenden Zementestrichen in Punkto Rissefreiheit, Festigkeit und Verträglichkeit mit Fußbodenheizungen meist deutlich überlegen sind, betrachten wir das Produkt Anhydritbinder nicht als Selbstläufer: So arbeiten wir aktiv daran, dass unser Anhydritbinder ein Erfolgsprodukt bleibt. Dazu gehört nach unserem Verständnis auch, unseren Partnern eine hohe Liefersicherheit zu bieten. Hinzu kommt: Das Flusssäuregeschäft - die Grundlage unserer Anhydrit-Produktion - läuft sehr gut. Saisonale Schwankungen in der Anhydrit-Verfügbarkeit gehören damit der Vergangenheit an.
FT: Die genaue Bezeichnung der Binder wurde aber an die europäische Normung angeglichen - also "CAB 30" statt "AB 20"?
Witte: Ja, genau. Das ist eine Forderung der Europäischen Norm DIN EN 13454, die unter anderem die Anforderungen an Calciumsulfat-Binder (Anhydritbinder) regelt - ein Zugeständnis an die Verleger von Fließestrichen, die nach wie vor den Großteil des Es trich-Marktes ausmachen. Hinter dem vermeintlichen Sprung von der 20 zur 30 stehen aber lediglich andere Testverfahren, mit denen der Binder geprüft wird. Ob CAB 30 oder AB 20 - das Produkt ist dasselbe.
Die Zahl hinter dem Kürzel CAB (Calciumsulfat-Binder) informiert nach DIN EN 13454 über die Druckfestigkeit eines genormten Estrich-Prüfkörpers. Um diesen herzustellen, mischte man früher ein Teil Bindemittel mit drei Teilen Normsand. Nach der neuen Norm kommen aber lediglich zwei Teile Normsand auf einen Teil Binder - das entspricht etwa dem Mischungsverhältnis, das man für Fließestriche benötigt. Der Fachmann weiß natürlich, dass ein Prüfkörper mit weniger Sand fester ist als einer mit mehr Sand. Für den Verleger hat die scheinbare Umbenennung also keine Bedeutung. Er bleibt einfach bei seiner gewohnten Mischung - egal ob erdfeucht oder fließfähig - und erhält definitiv dieselben Ergebnisse wie früher.
FT: Darf er denn auch nach den neuen Estrichnormen überhaupt so weiterarbeiten wie bisher?
Witte: Es besteht überhaupt kein Grund, die gewohnte Arbeitsweise aufzugeben. Aber Ihre Frage ist absolut berechtigt, denn die Branche ist natürlich irritiert - das spüren wir selbstverständlich auch. Aber als einer der führenden Binder-Hersteller können wir hier Entwarnung geben. Zunächst einmal ist es wichtig, zwischen der neuen Mörtelnorm DIN EN 13813 und der Estrichnorm DIN 18560 zu trennen. Die erstgenannte Mörtelnorm wird den Anwendern erleichtern, Mörtel europaweit noch besser als bisher zu vergleichen. Damit wird das Produkt "transparenter": Ausschreibungen werden zielgenauer, weil Architekt und Estrichleger dem Mörtellieferanten nun noch genauer sagen können, was sie benötigen. Tatsächlich gibt es hier nun eine Reihe von neuen Testverfahren, die die Vergleichbarkeit sicherstellen und vergleichbare Mörtel auch kenntlich machen.
Die Mörtelnorm DIN EN 13813 ist aber in allererster Linie eine Sache der Mörtelhersteller - nicht des Estrichlegers. Wir bei Lanxess müssen aufgrund der neuen europäischen Normvorgaben in der Tat eine erhebliche Zahl aufwendiger Prüfungen nachweisen und Statistiken führen. Aber das kann man uns auch abverlangen. Für uns ist das natürlich ein deutlicher Mehraufwand; dennoch war die Umstellung nicht schwierig, denn wir haben Qualitätssicherung immer großgeschrieben. Auf den Estrichleger vor Ort hat das aber nur wenig Einfluss. Er muss in Bezug auf das einzusetzende Bindemittel eigentlich nur darauf achten, dass es die richtige Bezeichnung trägt - das war aber früher auch nicht anders.
FT: Aber die DIN 18560 setzt doch auch bei selbstgemischtem Baustellenmörtel die Einhaltung der DIN EN 13813 voraus.
Witte: Das ist richtig. Aber auch hier heißt die Devise: Erst einmal in Ruhe nachsehen, was wirklich dahinter steht. Denn das ist weit weniger gravierend, als es auf den ersten Blick scheint. Estrichbetriebe, die ihren eigenen Mörtel auf der Baustelle produzieren, müssen zwar durch vereinzelte Probennahmen und anschließende Güteprüfungen belegen, dass sie die Norm einhalten. Überregional tätige Unternehmen haben zum Beispiel sicherzustellen, dass sie trotz regional unterschiedlicher Gesteinskörnungen die Qualität ihrer Produkte überall in gleicher Weise gewährleisten können.
Alle Estrichleger können aber - anders als in letzter Zeit oft behauptet wird - unbedingt an ihren bewährten Arbeitsweisen und Rezepturen festhalten. Neu ist lediglich, dass sie ihre Estriche anders kennzeichnen müssen als bisher: Nach der Estrichnorm DIN 18560 muss außer der Druckfestigkeit nun auch die Biegezugfestigkeit des Estrichs angegeben werden. Aber die war ja auch bisher meist schon Gegenstand der Ausschreibung.
FT: Wie kann der "kleine" Estrichleger denn belegen, dass sein Estrich der Norm entspricht?
Witte: Es war von Anfang an klar, dass er nicht denselben Prüfaufwand leisten kann wie ein großer Lieferant von Fertigmörtel, der doch längst über die für die Durchführung der Prüfungen nötigen Kapazitäten verfügt. Darum hat man sich in der Norm auf einen Kompromiss geeinigt: Ja, auch Baustellenmörtel fällt unter die neue DIN 18560. Aber der Aufwand, den der Verleger zu leisten hat, um die Konformität zu belegen, ist sehr gering. Es reicht, pro Jahr und Festigkeitsklasse einmal eine Festigkeitsprüfung nachzuweisen und ansonsten die bewährte Estrichrezeptur beizubehalten. Es ist also bei weitem nicht jeder Estrich "amtlich" zu prüfen. Man belegt einfach einmal pro Jahr anhand der Prüfergebnisse, dass man sein Handwerk beherrscht - das war es im wesentlichen.
FT: Wie kommt man an die Konformitätserklärung?
Witte: Die kann man sich selbst ausstellen. Das klingt überraschend, ist aber ganz einfach: Denn im Prinzip ist die gefürchtete Konformitätserklärung ja nur ein Dokument, mit dem man dem Kunden zusichert, dass man Estriche mit definierten Eigenschaften nach DIN18560 verkauft. Allerdings empfiehlt es sich, ein Qualitätshandbuch zu führen, mit dem man im Falle eines Falles nachweisen kann, dass die einmal geprüfte Estrichrezeptur in jedem Fall beibehalten wurde. Das genügt aber bereits.
Für unsere Kunden ist übrigens nicht einmal das Prüfen der Estrichproben mit Kosten verbunden. Denn wir bieten nicht nur einen hervorragenden Binder an: Für uns spielt auch Service eine wichtige Rolle. Eine ganz besondere Dienstleistung, die auch gerne angenommen wird, ist, dass wir unseren Kunden auf Wunsch auch die Prüfung der Prismen abnehmen. So genügt es, ab und an einen Satz Estrichproben nach Leverkusen zu schicken. Dann erhält der Estrichunternehmer umgehend die Daten, die er braucht, um seinen Mörtel nach DIN 18560 korrekt zu kennzeichnen. Aber auch diese Tests haben wir für unsere Kunden immer schon in Petto gehabt.
aus
FussbodenTechnik 03/06
(Sortiment)