Azo-Farbstoffe in Teppichen nicht gefährlich
Orientteppiche stehen nicht mehr unter Krebs-Verdacht
In Deutschland war es schon einmal Thema: Handgeknüpfte Teppiche sollten auf eine Liste der Gebrauchsgegenständeverordnung. Gesundheitsgefährdende Inhalte wurden vermutet. Konkret ging es um einen Azo-Farbstoff, der im Verdacht steht, karzinogen (krebserzeugend) zu sein. Der BVOI hat in Brüssel bewiesen, dass dieses nicht für Orientteppiche gilt. Daraufhin ist er aus der EU-Negativliste gestrichen worden.
Es hätte schlimm ausgehen können für den gesamten Teppichhandel. In was für ein Licht wäre der Orientteppich geraten, wenn die EU-Kommission ihn als gesundheitsbedenkliches Produkt ausgewiesen hätte? Der intensiven Lobbyarbeit des BVOI in Brüssel ist es zu verdanken, dass dieser Fall nicht eintrat.
Am 19. Juli 2002 wurde die Richtlinie 2002/61/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates verabschiedet. Hier geht es um Produktgruppen, die gefährliche Stoffe - ausdrücklich Azofarbstoffe - verwenden. Handgefertigte Orientteppiche wurden aus der Beispiel-Liste gestrichen. Sie haben damit auf europäischer Ebene eine Art Unbedenklichkeitsbescheinigung erhalten.
Wissenschaftliches Gutachten
Viel Überzeugungsarbeit, persönliche Kontakte, politisches Geschick und wissenschaftliche Unterstützung sind notwendig, um in der europäischen Bürokratie eine in Bewegung gesetzte Entscheidung wieder rückgängig zu machen. Der Vorschlag lag bereits auf dem Tisch, Teppiche in den Geltungsbereich von Produkten aufzunehmen, die mit Azofarbstoffen belastet sind. Erst in letzter Minute hat sich die EU-Kommission dazu durchgerungen, Orientteppichen nur eine "geringfügige Gefährdung" zuzugestehen und sie aus der Aufzählung von Beispielen für diese Vorschrift heraus zu nehmen.
Beigetragen dazu hat eine wissenschaftliche Studie, die das Deutsche Wollforschungsinstitut im Auftrag des BVOI erstellt hat. Hier wurde der "Übergang von Azo-Farbstoffen aus Wollgewebe in eine Schweißlösung" untersucht. Man wollte herausfinden, ob ein Mensch, der barfuß über einen Orientteppich geht, mit der Haut Schadstoffe aufnimmt.
Das Resultat war eindeutig: "In den Schweißextrakten, die von einem flächigen Gewebe mit simulierter, mechanischer Belastung gewonnen wurde, war kein Farbstoff, bzw. kein Tolidin nachweisbar, auch nicht bei starkem Überfärben."
Das Wollinstitut kam zu dem abschließenden Ergebnis: "Unter den Bedingungen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs eines Teppichs, dessen Fasern in der Regel aus unterschiedlich gefärbten Garnen bestehen, ist beim Hautkontakt kein Übergang des Farbstoffs in den Fußschweiß und damit auch keine Gefährdung des Verbrauchers zu erwarten."
Worin liegt das Problem von Azo-Farbstoffen?
Azo-Farbstoffe werden oder wurden zum Färben von Textilien genutzt. Bei Mitarbeitern in der Farbenproduktion stellte man ein erhöhtes Blasenkrebsrisiko fest und macht dafür bestimmte aromatische Amine verantwortlich. Einer davon ist Tolidin (3,3-Dimethylbenzidin). Dieser chemische Stoff kann sich unter reduktiven Bedingungen aus dem Farbstoff Acid Red 114 abspalten. Von insgesamt 113 gängigen Farbstoffen, die Amine abspalten können, ist Acid Red 114 der einzige, der geeignet ist, Teppichwolle zu färben.
Schon von diesem Ansatz her können Teppiche nur im rotgefärbten Bereich mit Azo-Farben behandelt worden sein. Allerdings lässt sich nicht völlig ausschließen, dass in dem ein oder anderen Teppich weitere Azofarben zum Einsatz gekommen sind.
Dass aromatische Amine "eindeutig krebserregend" sind, gilt als bewiesen. Sie stehen deshalb unter Gruppe III auf der deutschen MAK-Liste (Maximale-Arbeitsplatz-Konzentration). Ob aber in Endprodukten - wie Teppichen - tatsächlich eine Gesundheitsgefährdung durch die Bestandteile von Azofarben existiert, ist nicht belegt.
Im Gegenteil, das Eintreten von Bedingungen, damit sich ein Stoff wie Tolidin aus der Farbe herauslöst und über die Haut in den Körper eines Menschen wandert, sind überaus unwahrscheinlich. Babys müssten dazu stundenlang an einer roten Teppichstelle lutschen. 18 Stunden - das ermittelte das Deutsche Wollforschungsinstitut - dauert es, bis etwas Farbstoff von Schweiß aufgelöst wird.
Deshalb konnten die Wissenschaftler kein Tolidin in ihren realistischen Proben nachweisen. Nur wenn extrem stark gefärbt wird und der Teppich eine "gezielt schlechte Farbechtheit" aufweist, lassen sich Spuren von Tolidin finden. Aber auch die sind, nach Aussage der Experten "ausgesprochen gering".
Der BVOI hat die Gefahr gebannt
Eine Standesvertretung ist für jede Branche wichtig. Gerade wenn Verordnungen auf immer höheren Ebenen beschlossen werden. "Manche fragen, was der BVOI überhaupt tut und ob es sich lohnt, Mitglied zu sein", klagt Ipektchi. Der Fall mit den Azofarben zeigt deutlich, welche wirtschaftlichen Gefahren der BVOI abwenden konnte.
Mit Unterstützung der Handelskammer Hamburg und der hanseatischen Wirtschaftsbehörde erreichte der Verband in Brüssel, dass eine dramatische Verunsicherung des Endverbrauchers in Bezug auf Orientteppiche vermieden werden konnte.
Mit Sorge blickt der BVOI auf die Zahl seiner Mitglieder. Durch Fusionen und vom Markt verschwundene Unternehmen ist die Anzahl gesunken. Mancher scheut auch den Jahresbeitrag von 500 EUR. Immer noch aber halten die BVOI-Mitglieder einen Marktanteil von über 50 %.
Ipektchi: "Eine schlagkräftige Interessenvertretung ist für den Erhalt der Branche von Bedeutung. Gerade in schlechten Zeiten müssen wir uns auf europäischer Ebene neben einer Vielzahl von Verbänden Gehör verschaffen. Dazu brauchen wir zahlreiche Mitglieder, die hinter uns stehen. Die Leute müssen erkennen, dass viel für sie getan wird, auch wenn nicht viel darüber geredet wird. Der BVOI ist wie eine Versicherung für Importeure und Großhändler."
Derzeit führt der Verband Gespräche mit den Hamburger Behörden über die Zukunft des Freihafens. Trotz Wegfall der Eurotefa-Einnahmen gilt seine Arbeitsfähigkeit mittelfristig finanziell als gesichert. Sparmaßnahmen haben in der Vergangenheit zu einer Bürogemeinschaft mit Care & Fair geführt.
aus
Heimtex Orient 04/02
(Wirtschaft)