Tapeten auf der Heimtextil
Die Zwei-Klassen-Gesellschaft
Tapeten hatten dieses Jahr einen guten Auftritt auf der Heimtextil. Besser als andere hatte sich die Branche auf den Heimtextil Sunday vorbereitet und empfing die Besucher mit neu gestalteten Ständen, Aktionsprogrammen und pfiffigen Give-Aways. Bei den neuen Kollektionen geben die Seventies den Ton an.
Die Tapetenbranche war auf der Heimtextil zweigeteilt: In der "Beletage" in Halle 5.1 - die am Heimtextil Sunday für das Publikum geöffnet wurde - flanierten die Besucher in gelöster Atmosphäre durch großzügige Stände mit viel Freiraum dazwischen. In der Ebene 5.0 darunter - die nicht am Publikumstag teilnahm - drängten sich dicht an dicht in buntem Sammelsurium Tapeten, Tischbeläge, Maschinen und Ladenbauer. Kein Wunder, dass dort mancher Aussteller seinem Unmut Luft machte und sich gegenüber den Mitbewerbern in 5.1 benachteilt fühlte.
Generell hätte der Umzug der Produktgruppe "Walls & Decoration", wie sie jetzt auf Neudeutsch heißt, in zwei übereinander statt nebeneinander liegende Hallen bei den Besuchern zunächst für Irritation gesorgt, bemerkten einige unserer Gesprächspartner und sahen die Orientierungsprobleme auch als Grund dafür, dass der erste Messetag sehr flau begann, sich im weiteren Verlauf aber deutlich steigerte.
An den folgenden Tagen gab es dann keinen Grund zur Klage. Christian Schmitz, geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen Importeurs und des Schwesterunternehmens Essener, äußerte sich sehr zufrieden über das Messegeschäft und sprach damit auch für andere.
Dabei profitierten die deutschen Tapetenanbieter von ihrer Exportstärke, von der zum Beispiel die Teppichboden-Kollegen viel lernen könnten. Im vergangenen Jahr hat die Ausfuhr sogar erstmalig den Inlandsabsatz überholt, der auf 60 Mio. Rollen geschrumpft ist. Das "El Dorado" für Tapeten liegt derzeit im Osten. Keine vier Jahre nach dem Finanzcrash im Sommer 1998 hat Russland fast zu alter Bedeutung zurückgefunden, auch die übrigen osteuropäischen Märkte von Polen über das Baltikum und die GUS-Staaten bis nach Ungarn verheißen derzeit vielversprechende Zuwächse im deutlich zweistelligen Bereich.
Den Kriterien osteuropäischer Ästhetik tragen eigens entwickelte Kollektionen Rechnung: üppiger, überladener, geschmückter und vor allem goldglänzender als für den deutschen Geschmack. Ihr Preisniveau ist überraschend hoch - die Billigware wird nämlich vor Ort produziert. Lohnt sich angesichts der Marktperspektiven der Aufbau eigener Produktionskapazitäten im Osten? Darüber gehen die Meinungen innerhalb der Tapetenindustrie auseinander. Das Terrain wird jedenfalls schon sondiert.
Andersherum suchen erste osteuropäische Anbieter Zugang nach Westeuropa - wie der ukrainische Produzent Reco Dnepromain, der im vergangenen Jahr mit 600 Mitarbeitern imerhin rund 50 Mio. $ Umsatz, also gut 45 Mio. EUR erwirtschaftet hat. Die 11 Maschinen wie auch die Rohmaterialien wie Papier und Farben - "und damit auch das Endprodukt" - entsprächen europäischen Standards und Qualitätsanforderungen betonen Inhaber Edgar Restle und Klaus Pein, der für den Vertrieb in Deutschland verantwortlich ist.
Die Branche ist weiter in Bewegung - das sieht man allein an den Veränderungen im Ausstellerkreis der Heimtextil. Einige bekannte Namen fehlten - zum Beispiel P+S. Offiziell begründeten ihr Gummersbacher ihre Messeabstinenz damit, dass man nur noch im Zwei-Jahres-Rhythmus in Frankfurt dabei sein wolle und zwar immer vor dem großen Kollektionswechsel. Inoffiziell stellt sich die Frage, wieweit die Firmensituation eine Rolle spielt. Keiner weiß, wie es bei P+S weitergehen wird. Der umstrittene Günter Bönisch fungiert zwar auf dem Briefpapier nicht mehr als Geschäftsführer, hält aber unverändert seine hohen Unternehmens-Anteile. Der Verkauf scheint schwierig. Die Großen haben sich in Gummersbach schon die Klinke in die Hand gegeben und abgewinkt.
Vermisst wurden von manchem Besucher die Stände der beiden niederländischen Schwesterunternehmen Esta und Sanders. Vor allem der ideenreiche, geschmackvolle Auftritt von Esta war immer eine Augenweide. E & S, wie das Duo firmierte, wurde jedoch Ende 2001 in einen Management- Buyout aus der Gamma-Gruppe herausgelöst, die sich damit komplett aus dem Bereich Innenausstattung zurückgezogen hat. Mit dem MBO einher ging eine Umstrukturierung des Sortiments und auch des Vertriebs in Deutschland. Nur noch das Basisprogramm Sanders & Sanders wird direkt vertrieben, das Markenprogramm Esta läuft seit 1. Januar über Rasch Textil, die zweite, neu geschaffene Marke Origins wird über Heinetex vermarktet.
Ein Management-Buy-Out hat es 2001 auch bei Sanderson gegeben, wobei zunächst keine Änderung in der Geschäftspolitik der Briten erkennbar ist.
Kurs auf Deutschland nimmt die Imperial Home Decor Group, der weltweit größte Tapetenhersteller. Auf der Heimtextil selbst war die Gruppe nicht präsent; wer das umfangreiche Sortiment der Briten an Profiltapeten, Flachvinyl, registergeprägtem Vinyl und Vliestapeten, sowie Spezialitäten wie Lincrusta oder digital bedruckte Bordüren sehen wollte, musste sich ins Marriott-Hotel begeben. Hierzulande will sich Imperial vor allem mit seiner breit- und tiefgestaffelten Range an Vliestapeten mit verschiedenen Substraten von Profil bis Metallic profilieren. Die Kollektion läuft unter dem Markendach Crown 1,2,3 Gold Label. "Das Gold Label soll dem Verbraucher signalisieren, dass er nicht nur Qualitäts-, sondern auch Trendprodukte kauft", erklärt Exportleiter Martin Boyd.
Salubra hat in den letzten Jahren einiges durchgemacht. Wer erinnert sich nicht an die Machenschaften des Kölner Spekulanten Dr. K., der sich in den späten 90er Jahren drei ehemals renommierte deutsche Tapetenfabriken einverleibte - Bammental, Borges und Salubra -, was keiner der drei Produzenten überlebte. Salubra musste vor genau drei Jahren Konkurs anmelden, stand seitdem unter Ägide des Insolvenzverwalters. Jetzt hat sich endlich ein Interessent für das Traditionsunternehmen gefunden: Emiliana Parati aus Italien. Ehemals selbst ein Pleitekandidat, steht heute eine Investoren-Gruppe mit großen Ambitionen hinter den Italienern: Sie will einen internationalen Tapetenkonzern aufbauen, hat dazu bereits den italienischen Mitbewerber Decori Decori übernommen, jetzt Salubra und soll nach Informationen von Insidern derzeit mit Essef verhandeln. Der französische Branchenprimus hat ein schwarzes Jahr 2001 hinter sich, was die Besitzerfamilie zwar nicht in Existenznot bringt, ihr aber vielleicht die Lust am Tapetengeschäft nimmt.
Auch die deutsche Verlagsszene verändert sich: Heinetex ist schon vor einiger Zeit unter das Arte-Dach geschlüpft, Club Creation und Niemann hoffen als Club Creation Niemann auf Expansion, Schmitz hat sich mit Tescoha in den Objektbereich eingekauft. Christian Schmitz sieht die Konzentration gelassen: "Da werden Marktanteile frei, das sind auch Chancen."
Auf den Heimtextil Sunday hatte sich die Tapetenbranche mit am besten vorbereitet. Dominierten zu Beginn der Messe noch Skepsis und vorsichtige Neugier, waren die Bewertungen rückblickend ausschließlich positiv. Viele Aussteller hatten ihre Stände neu gestaltet: Offener und einladender präsentierte sich Rasch, als Tapeten-Trendsetter mit funkelndem Pailletten-Tor Marburg, bei CCN zogen "Bullaugen" die Blicke an, bei der Papierfabrik Lunzenau parkte ein flotter Opel Speedster .
Besonders pfiffig war die Idee des Verbandes der Deutschen Tapetenindustrie, mehrere Tausend Spachtel an die Verbraucher zu verteilen, sie damit einerseits auf das Produkt Tapete aufmerksam zu machen und andererseits immer wieder die Erinnerung daran wachzurufen - "denn einen Spachtel steckt man in die Hosentasche, den wirft man nicht einfach weg", bemerkte Ullrich Eitel von der Marburger Tapetenfabrik richtig.
A.S. Creation hatte im Hinblick auf den Heimtextil Sunday seinen Messestand neu gestaltet und zeigte bewusst viele und großflächig präsentierte Tapeten, um die Verbraucher auf das Thema einzustimmen und die dekorative Wirkung von Tapeten zu demonstrieren. Am Publikumstag selbst setzten die Gummersbacher zusätzlch auf "Action" am Stand: Ein lustiger Clown zog die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich, zudem konnten Interessierte die unkomplizierte Verarbeitung von Vliestapeten ausprobieren. Wie problemlos das geht, hatte am ersten Messetag schon charmant TV-Star Senta Berger dem Fachpublikum demonstriert.
"Die Lust auf Tapetenwechsel wecken" war das erklärte Ziel der Marburger Tapetenfabrik. Das Unternehmen unterstrich nicht nur mit seinen neuen Tapetenkollektionen seine Kreativität, sondern auch mit einem ebenso attraktiven wie nützlichen Give-Away für den Endverbraucher: Ein Musterbuch im Mini-Format - bequem in die Tasche zu stecken -, das anhand prägnanter Beispiele wie Knitterstrukturen, Granulatdekoren oder Textileffekten einen perfekten Überblick über die verschiedenen Tapetenarten bot. Dazu auf den Rückseiten der Blätter knappe, leicht verständliche Erklärungen. Denn: "Wir müssen Informationsdefizite beim Verbraucher abzubauen". 5.000 Stück wurden von dem Musterbuch aufgelegt und fanden reißenden Absatz.
Zum Verlauf des Heimtextil Sundays sagte Eitel: "Mit einer solchen Resonanz hatten wir nicht gerechnet." Lobend erwähnte er in diesem Zusammenhang, dass die Messegesellschaft den Eintrittspreis für die Verbraucher relativ niedrig angesetzt hatte. Aus den Gesprächen mit den Besuchern hätten sich interessante Impulse ergeben. Lothar Steinbrecher, der bei Marburg für die Anwendungstechnik zuständig ist, bekräftigte den positiven Eindruck: "Es ist uns ganz sicher gelungen, Interesse und Motivation zu wecken."
"Beim Verbrauchertag kann sich die Industrie anders präsentieren als im Baumarkt", nennt Hindrichs-Auffermann-Vorstand Jürgen Erbach als einen Pluspunkt des Heimtextil Sundays. "Darüber hinaus haben wir die Möglichkeit, Kundenstimmungen einzufangen".
Erismann-Geschäftsführer Peter R. Bercher sieht in der Öffnung der Heimtextil für den Konsumenten die Chance, dass dieser sich fundiert über die Trends im Tapetenmarkt informieren kann - "und das umfassender, als das zum Beispiel in Bau- und Heimwerkermärkten möglich ist." Dies sei besonders wichtig vor dem Hintergrund, dass es unter anderem aus finanziellen Gründen schwierig sei, die Branche zu gemeinsamen Werbeaktionen zu mobilisieren.
Bei Ideco war man noch im letzten Jahr skeptisch gegenüber dem Verbrauchertag, inzwischen sind die Belgier aber umgeschwenkt. "Wir beurteilen die Öffnung der Messe als außerordentlich positiv, weil wir damit Informationsbedarf, Interesse und nicht zuletzt den Wunsch nach einem ansprechend gestalteten Ambiente beim Verbraucher wecken können", sagte Vertriebsleiter Joachim Stock. Aktionen, bei denen Konsumenten probehalber tapezieren und Tapeten ablösen können, böten gleichzeitig die Möglichkeit, Vorurteile hinsichtlich Arbeitsaufwand und Verschmutzungen beim Tapezieren abzubauen. Das kann man aber noch besser machen, meint Stock und schlug für den nächsten Heimtextil Sunday einen von den Ausstellern finanzierte, übergreifenden Aktionsbereich vor, "damit nicht an jedem Stand die gleiche Technik vorgeführt wird".
Mit der Besucherfrequenz war er zufrieden; besonders freute ihn, dass auch kleinere Fachhändler den Sonntag zu Inspiration und Kommunikation genutzt haben.
Christian Schmitz, geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen Tapetenimporteurs und des Schwesterunternehmens Essener berichtete erfreut, dass am Sonntag etliche Händler mit ihren Kunden auf der Messe waren. Bis aus Bremen waren die Gäste angereist. "Das zeigt, dass das Interesse nicht nur auf den Großraum Frankfurt beschränkt war. Er hofft, dass der Heimtextil Sunday zum festen Bestandteil der Messe wird. "Die Tapeten werden für den Endverbraucher entworfen", argumentiert er, "also sollten wir sie ihm auch zeigen.".
"Der Verbrauchertag ist auch dazu geeignet, einen veränderten Anspruch der Tapete deutlich zu machen: Stand bislang gerade in Deutschland der Aspekt einer "sauberen Wand" im Vordergrund, der durch Tapezieren oder Streichen erreicht wurde, geht es heute mehr die Tapete als ästhetisches Element der Raumgestaltung", begründet Michael Klöckner, Geschäftsführer von Club Creation Niemann sein Votum für den Heimtextil Sunday.
"Die Idee des Publikumtages ist sehr gut", schließt sich auch RTA-Vertriebsleiter Hans Ulrich Thönneßen den positiven Äußerungen an, wünscht sich aber eine noch intensivere Vermarktung.
Und was gab es an Neuheiten Frankfurt zu sehen? Nicht viele, aber vielversprechende. Die Tapetenindustrie hat in den letzten Jahren klar daran gearbeitet, dem Produkt eine neue Ästhetik und damit auch Wertigkeit zu verleihen. Das gilt haupsächlich - aber nicht nur - für den Top-Level. Auch im konsumigeren Bereich fanden sich in Frankfurt attraktive Kollektionen, die den anspruchsvollen Geschmack zufriedenstellen, etwa von Ideco, BN oder Flügger.
Den Vogel schoss wieder einmal die Marburger Tapetenfabrik mit "My_date @ marburg. com" ab, einer trendigen Hommage an die Seventies. Schon der Kartendeckel polarisierte die Besucher auf dem Stand: Ein mit rosa Plüschhandschellen ans Bett gefesselter Beau soll vor allem die weibliche Klientel ansprechen. Die avantgardistischen Tapeten forderten nicht minder zu vehementer Zustimmung oder Ablehnung heraus. Wobei man verstehen muss, dass überdimensionale Op-Art-Muster in Pink und Orange mit Hologramm-Flitter, geometrische Vexierspiele à la Vasarely und superedle, sehr gelunge Tierhaut-Optiken von Kroko über Strauß bis Leguan nicht als Komplett-Wanddekor gedacht sind, sondern Akzente an einer Wand setzen sollen. Nur so haben dessinierte Tapeten überhaupt wieder eine Chance.
In die gleiche Richtung denkt auch Schmitz Tapetenimport mit seinen beiden Highlights "Le Module", einem italienischen Programm mit geometrisch gestalteten Einzelelementen, die sich zu individuellen Wandbildern zusammenfügen lassen und "The Art of Metal Impressions" mit verblüffend originalgetreuen Metallic-Effekten als Wandbelag oder dekorative wie von Hand gerissene Bordüre.
Jetzt wünscht die Industrie nur, dass ihre kreativen Anstrengungen auch bis zum Endverbraucher durchdringen und nicht wieder beim Handel stecken bleiben, der traditionell eher konservativ entscheidet. "Dieser Filter ist kontraproduktiv."
Farblich haben sich vor allem Blautöne durchgesetzt, wobei das Lavendel- und Pflaumenblau des vergangenen Jahres zu Ciel und Blassblau aufgehellt wird. Ganz neu und sehr schick in der Kombination mit Kitt, das sich auch gerne zu Türkis gesellt, was nicht minder gut aussieht. Blickfang in vielen Kollektionen ist Pistaziengrün, das frisch und frühlingshaft wirkt, aber es zumindest an deutschen Wänden schwer haben dürfte. Champagner-, Sand-, lichte Gelb- und Apricottöne bleiben unverzichtbar als anpassungsfähige Basisfarben.
aus
BTH Heimtex 02/02
(Wirtschaft)