Interview mit Werner Schnell über die Historie der Gütegemeinschaft Estrich und Belag
"Estrichleger wollten damals die Spreu vom Weizen trennen"
FussbodenTechnik hat sich anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Gütegemeinschaft Estrich und Belag gefragt: Was ist eigentlich in den vier Jahrzehnten geschehen? Wie waren die Anfänge und wer hat sich für die Qualitätsüberwachung des Estrich besonders engagiert? Die Antworten darauf waren gar nicht so einfach. Werner Schnell, der langjähriger Leiter und jetzige Berater des IBF ist ganz tief in die Archive gestiegen, um fast alle Fragen zu beantworten.
FussbodenTechnik: Wer hat die Geschicke der Gütegemeinschaft in den letzten 40 Jahren geführt?
Werner Schnell: Die Organe der Gütegemeinschaft sind und waren die Mitgliederversammlung, der Vorstand und der Güteausschuss. Der Vorstand war mit dem Vorstand des BEB identisch. Der Obmann des Güteausschusses war auch Vorstandsmitglied im BEB. Der Geschäftsführer des BEB war auch Geschäftsführer der Gütegemeinschaft.
Der erste Geschäftsführer der Gütegemeinschaft war Kurt Kendelbacher. Ab 1976 übernahm ich diese Position. Dennoch sind mir die Namen der Obleute des Güteausschusses aus der ersten Zeit und ihre Einsatzzeiten nicht mehr geläufig. Ich weiß nur noch, dass sich hinsichtlich des Güteschutzes Theodor Freese (Bruder des BEB-Vorsitzenden Hans Uwo Freese), Ernst Finzel, Helmut Knöller, Adalbert Krusius und Alfred Chini besonders hervor getan haben. Ab etwa 1982 war Max Rüttinger,Nürnberg, als Obmann des Güteausschusses bis 1999 tätig. Ihm folgte ab 1999 Dipl.-Ing. Manfred König. Die Vorsitzenden des Bundesverbandes Estrich und Belag e.V. und damit auch die Vorsitzenden der Gütegemeinschaft waren in dieser Zeit in der zeitlichen Abfolge Helmut Knöller sen., Heinz Mewes, Alfred Chini, Manfred Krieger und Hans Uwo Freese.
FussbodenTechnik: Mit wie vielen Mitgliedern startete man 1966?
Schnell: Die Gütegemeinschaft Estrich und Belag ging den Weg weiter, den der Fachverein Steinholz e.V., der später in Bundesverband Estrich und Belag e.V. aufging, vorgezeichnet hatte. Wie viele Gründungsmitglieder die Gütegemeinschaft hatte, ist mir nicht geläufig. Aus Erzählungen weiß ich aber, dass etwa 15 bis 20 Betriebe bei der Gründungsversammlung dabei waren. Von diesen sind nach unseren Recherchen folgende vier Betriebe ununterbrochen dabei: Burckhardt, Chini, Erbertz und Freese.
FussbodenTechnik: Wodurch zeichneten sich die Anfänge der Gütegemeinschaft aus und welche Normen galten eigentlich damals für Estriche?
Schnell: In den Anfangsjahren zehrte die Gütegemeinschaft Estrich und Belag vorwiegend von dem Fachwissen des allgemein anerkannten Estrichfachmannes Wilhelm Schütze, der als Fremdüberwacher beauftragt war. Normen bestanden zur damaligen Zeit nur für schwimmende Estriche (DIN 4109, Blatt 4 - Schallschutz im Hochbau; schwimmende Estriche auf Massivdecken, Richtlinien für die Ausführung, Ausgabe September 1962) und Magnesiaestriche (DIN 272 - Magnesiaestriche - Estriche aus Magnesiamörtel - Ausgabe Juli 1963). Die Grundlagen und die Kenntnisse für die Normung beruhten vorwiegend auf Erfahrung, aber auch den Prüfungen der Gütegemeinschaft im Rahmen der Eigenüberwachung und vereinzelt auch Forschungsarbeiten, die vorwiegend am Otto-Graf-Institut in Stuttgart durchgeführt wurden.
Neben dem Schallschutz war der Estrich vorwiegend ein ebener Unterboden für die industriemäßig vorgefertigten Bodenbeläge. Im Vordergrund stand deshalb die Festigkeit des Estrichs und damit die Herstellung und Prüfung von Prismen 4 cm x 4 cm x 16 cm aus dem Estrichmörtel auf der Baustelle. Da die Mitglieder der Gütegemeinschaft keine Prüfpressen besaßen, wurde das Institut für Baustoffprüfung und Fußbodenforschung in Bonn mit der Prüfung der Prismen im Rahmen der Eigenüberwachung beauftragt. Dies setzte voraus, dass die Mitglieder der Gütegemeinschaft in festgelegtem Abstand von ungefähr zwei Monaten Prismenserien an das Institut für Baustoffprüfung und Fußbodenforschung übersandten. Über die Prüfung erhielten sie jeweils ein Prüfzeugnis des Instituts. Die Bewertung der Ergebnisse und die Maßnahmen im Nichterfüllungsfall oblagen der Gütegemeinschaft.
FussbodenTechnik: Wie ist eigentlich die Idee der Gütegemeinschaft entstanden?
Schnell: Das Gütezeichen, das durch die Gütegemeinschaft Estrich und Belag RG 818 verliehen wurde, dokumentiert nach außen den Willen zur Güteleistung und war damit ein nicht zu unterschätzendes Werbeargument. Es sollte die kompetenten Firmen von den nicht leistungsfähigen Firmen abheben - also die Spreu vom Weizen trennen.
FussbodenTechnik: Mit welchen Problemstellungen und Aufgaben beschäftigte man sich damals und mit welchen heute?
Schnell: Die Ergebnisse der Eigenüberwachung und der Fremdüberwachung mehrten das Wissen und führten auch zur umfassenderen Normung. Im Vordergrund stand die Prüfung der erhärteten Estriche und insbesondere die Sicherstellung der Estriche mit entsprechender Oberflächenfestigkeit. Der Estrichmörtel war in den Anfängen erdfeucht bis höchstens plastisch und wurde teilweise von Hand eingebracht. Auch der Transport des Estrichmörtels war körperlich anstrengend.
Erst die Einführung der Estrichpumpe Mitte der 60iger Jahre rationalisierte und beschleunigte den Estricheinbau und brachte einen wesentlichen Fortschritt. Die Überprüfung des Estrichmörtels war dadurch noch wichtiger geworden. Die wesentlichen Problemstellungen lagen also damals in der Rationalisierung des Einbaus mit der Entwicklung der ersten Fließestriche. Mit der besseren Wärmedämmung und der Erhöhung der Dämmschichtdicken im Zuge der Wärmeschutzverordnungen erhöhten sich auch die Anforderungen an den Estrich in Bezug auf Lastabtragung und Verformung. Heute steht die schnelle Bauabwicklung und die damit einhergehenden Probleme der Trocknung des Estrichs im Vordergrund.
FussbodenTechnik: Wie wurde damals die Güte der Estriche überprüft und wie heute?
Schnell: Die Gütegemeinschaft verpflichtete ihre Mitglieder selbstverantwortlich eine Eigenüberwachung durchzuführen und sich überwachen zu lassen. Die Güteüberwachung besteht also aus einer Eigen- und Fremdüberwachung.
Die Eigenüberwachung soll sicherstellen, dass die Güte- und Prüfbestimmungen, die auf den einschlägigen Normen aufbauen, eingehalten werden. Zur Fremdüberwachung wurde durch die Gütegemeinschaft ein neutrales Institut beauftragt. Vor 1972 war das Ingenieurbüro Wilhelm Schütze, danach bis 1984 dessen Nachfolger Harry Timm und ab 1985 das Institut für Baustoffprüfung und Fußbodenforschung in Troisdorf. Dort befasst sich insbesondere der stellvertretende Leiter, Dipl.-Ing. Egbert Müller, mit der Fremdüberwachung. Der Fremdüberwacher kontrollierte jährlich und je Estrichart den Einbau eines Estrichs auf der Baustelle und überprüfte den Trittschallschutz. Falls notwendig, nahm er auch Proben der Gesteinskörnung zur Überprüfung der Sieblinie. Über die Baustellenbesuche des Fremdüberwachers wurden Prüfzeugnisse ausgestellt, die nicht nur den Trittschallschutz, sondern auch die Güte des Einbaus und die Verlegung des Dämmstoffes beinhalteten.
Die Eigenüberwachung wurde entsprechend der Normung wesentlich ausgeweitet. Neben den Festigkeitsprüfungen aus den Anfängen, wurden Aufzeichnungen über die eingebauten Materialien und Auswertungen der Festigkeitsprüfungen veranlasst. Um den Firmen ihre Eigenkontrolle zu erleichtern, wurden entsprechende Formulare entwickelt. Bei nicht bestandener Festigkeitsprüfung wurden entsprechende Hinweise gegeben.
FussbodenTechnik: Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, dass es die Gütegemeinschaft gibt?
Schnell: Nach wie vor ist die Estrichverlegung auf den heutigen Untergründen eine äußerst schwierige handwerkliche Leistung. Die zahlreichen Einflüsse, die nicht nur aus dem Umgebungsklima, sondern auch den übrigen Baustellenbedingungen resultieren, und die immer raschere Bauabfolge können den Estrich schon im frühen Alter übermäßig beanspruchen. Dazu erfordern die Verformungen der im Vergleich zur Ausdehnung relativ dünnen Estriche eine gleichmäßige Herstellung und Einbau des Estrichs. Die Kontrolle der eigenen Leistung ist aus meiner Sicht unabdingbare Voraussetzung um diese Leistung qualitätsbewusst erbringen zu können. Mit der laufenden Kontrolle wird selbstverständlich auch eine Qualitätsverbesserung erreicht. Die laufende Eigenkontrolle ermöglicht auch eine Überprüfung der eigenen Kolonnen und mit der Verbesserung des Qualitätsstandards auch ein besseres Image und Vorteile in der Werbung.
FussbodenTechnik: Aus einer Umfrage unter den Mitglieder der Gütegemeinschaft geht hervor, dass die Wertschätzung für die Gütegemeinschaft hoch ist. Müssten nicht eigentlich noch viel mehr Estrichunternehmen Mitglied werden?
Schnell: Obwohl die Überwachung auf ein Minimum reduziert ist, ist mit einem Kostenaufwand je Gütezeichen für Eigen- und Fremdüberwachung von rund 1.000 EUR pro Jahr auszugehen. Dazu kommen noch die Kosten für das Gütezeichen und für den Einsatz der eigenen Überwachungskräfte, so dass rund mit 1.500 EUR pro Jahr zu rechnen ist. Dieser Kostenanteil schreckt viele Firmen ab. Andererseits kann sich die Gütegemeinschaft nur dann zu einem Machtfaktor entwickeln, wenn in jeder Stadt mindestens zwei Firmen zur Auswahl stehen, die der Gütegemeinschaft angehören. Auch durch die öffentliche Hand wird trotz entsprechender Erlasse die Qualitätsarbeit nicht so belohnt, dass mit dem Gütezeichen auch eine Bevorzugung verbunden ist. Hier wäre nur dann ein Verbesserung zu erreichen, wenn der Kosteneinsatz sich auf lange Sicht gesehen rentieren würde.
Ein Argument ist aber auch, dass einzelne Firmeninhaber die Rationalisierung, die durch die Kontrolle und Nachkalkulation erreicht wird, nicht so hoch einschätzen und die Kontrolle nur lasch und teilweise ohne die entsprechende Überzeugung vornehmen. Der Sinn des Gütezeichens wird dadurch in das Gegenteil verkehrt. Allerdings gibt es zahlreiche Firmen, die auch die Mitgliedschaft in der Gütegemeinschaft werbemäßig ausnutzen und den Geschäftsumfang dadurch wesentlich ausweiten konnten.
aus
FussbodenTechnik 02/06
(Wirtschaft)