Verband der Deutschen Heimtextilien-Industrie
Steigende Energiekosten bereiten Probleme
Wuppertal - In vielen Breichen der Heimtextilien-Industrie sind erstmals seit einigen Jahren wieder wirtschaftlich freundlichere Entwicklungen zu verzeichnen. Es ist jedoch zu befürchten, dass diese Entwicklung wieder ein jähes Ende findet. Der Grund: Die Entwicklung der Energiepreise. Wohl noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik sah sich die Industrie derartigen Preiserhöhungen im Bereich Gas- und Stromversorgung wie in den letzten Jahren ausgesetzt. Dies gilt insbesondere auch für die meist mittelständische Heimtextilien-Industrie und stellt mittlerweile in vielen Fällen sogar eine Existenz gefährdende Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit sowie eine weitere Gefährdung des Produktionsstandortes Deutschland dar.
Bis April 2006 setzte sich der Preisanstieg für Energie weiter fort. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes stiegen gegenüber März 2006 die Energiepreise nochmals um durchschnittlich 2,3 Prozent; damit war Energie um 20,4 Prozent teurer als im April des Vorjahres. Ein weiterer Preisanstieg um 3,5 Prozent war im April 2006 bei Erdgas gegenüber dem Vormonat zu verzeichnen. Insbesondere industrielle Abnehmer mussten im April deutlich mehr zahlen als noch im Vormonat (+8,0 Prozent). Im Vorjahresvergleich verteuerte sich Erdgas um durchschnittlich 26,0 Prozent (Industrie +31,4 Prozent).
Der Preisanstieg hat viel mit der aktuellen, auch politischen Situation auf den internationalen Energiemärkten zu tun, die nur schwer beeinflusst werden kann. So zum Beispiel der in den letzten Jahren exorbitant angestiegene Energiebedarf in der Volksrepublik China, oder die politische Entwicklung im Iran. Allerdings fehlen bisher nachvollziehbare Gründe dafür, warum gerade der deutsche Mittelstand weit höhere Energiekosten verkraften muss als Wettbewerber in den anderen europäischen Ländern. Im Vergleich mit den EU-25 Staaten belegt Deutschland bei den Preisen für die Beschaffung von Gas und Strom einen Spitzenplatz.
Erdgasmarkt
Der Erdgasmarkt in Deutschland zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass ca. 80 Prozent der benötigten Erdgasmenge importiert werden müssen, wobei Russland als Importeur mit insgesamt ca. 35 Prozent den größten Anteil daran hat. Der Import von Erdgas liegt in den Händen von nur fünf Gasversorgungs-Unternehmen (GVU), wobei allein eines davon einen Anteil von über 50 Prozent hat. D.h. die Beschaffung von Erdgas liegt in der Hand weniger Oligopolisten mit dem entsprechenden Einfluss auf die Gaspreisgestaltung. Zum anderen besteht bisher fast keine Zugangsmöglichkeit für neue Anbieter zu den Gasleitungsnetzen. Darüber hinaus ist die Marktsituation geprägt durch mangelnde Auswahlmöglichkeit des Anbieters, geringem grenzüberschreitenden Wettbewerb und mangelnde Transparenz.
Durch diesen Quasimonopolismus ist das deutsche Gasnetz fest in den Händen von wenigen GVU. Auch die regionalen Gasnetze sind oft nicht mehr Eigentum der Stadtwerke, sondern an die großen GVU verkauft worden. Die Liberalisierung des Gasmarktes hinkt deutlich der des Strommarktes hinterher. Eine Durchleitung von "fremdem Gas" gab es bisher nicht, obwohl dies per Gesetz schon seit 1998 vorgesehen ist. Pikante Note am Rande: Der frühere Wirtschaftsminister Werner Müller und sein Staatssekretär Alfred Tacke, die während ihrer Amtszeit energiepolitische Entscheidungen zu verantworten hatten, bekleiden nun Vorstandsposten in der Energiewirtschaft.
Mit dem im Juli 2005 in Kraft getretenen Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) soll die neue Bundesnetzagentur für "faire Durchleitungspreise" sorgen. Die Gaswirtschaft hat es bisher aber geschickt verstanden, diesen Prozess zu verzögern. Eine zufrieden stellende Lösung ist noch nicht abzusehen.
Ein Lichtblick ist zum einen die unmittelbar bevorstehende Entscheidung in einem Rechtsstreit zwischen dem Bundeskartellamt und einem großen GVU, bei dem es um ein Verbot langfristiger, meist so genannter "take-or-pay" Lieferverträge zwischen den GVU und den Weiterverteilern geht, die deutlich einer Steigerung des Wettbewerbs auf dem Gasmarkt entgegenstehen. Es deutet alles darauf hin, dass sich hier das Bundeskartellamt mit dem Verbot durchsetzen wird. Zum anderen gibt eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Berlin Anlass zur Hoffnung, das in einem Rechtsstreit die Tariferhöhungen eines GVU für unwirksam erklärt hat.
Strommarkt
Auf den ersten Blick erscheint im Strommarkt ein größerer Wettbewerb zu bestehen als beim Erdgas. Mit Blick aber auf die Tatsache, dass etwa 90 Prozent der Kapazitäten für die Stromerzeugung in Deutschland in den Händen von nur vier Energieversorgungs-Unternehmen (EVU) liegen, relativiert sich dieser Eindruck wieder.
Auch hier stellt sich eindeutig die Frage, wieso die Strompreise - auch unter Berücksichtung der internationalen Energiemärkte - um soviel höher liegen als im internationalen Vergleich. Hier kommt noch hinzu, dass ca. 80 Prozent des Stroms in Deutschland mit Atomkraft, Braunkohle und Steinkohle produziert werden. Die Atomenergie ist absolut unabhängig vom Weltmarkt. Die Preise für die Braunkohle, die nicht importiert wird, sind weitestgehend konstant. Die heimische Steinkohle wird nach wie vor stark subventioniert, und die Preise für importierte Steinkohle sind nur leicht gestiegen. Nach eigenen Angaben eines der größten deutschen EVU liegt der Preis für die Stromerzeugung zur Zeit bei ca. 24 Euro/MWh. Dem steht ein aktueller Großhandelpreis von um die 50 Euro/MWh gegenüber.
Auffallend ist vor allem der extrem starke Anstieg der Strompreise seit der Einführung der CO2-Emisissionszertifikate im März 2005. Diese Emissionszertifikate wurden seinerzeit kostenlos von der Bundesregierung an Unternehmen vor allem aus der Energiebranche sowie energieintensiven Industrie-Sektoren, auf die fast die Hälfte der EU-weiten CO2-Emissionen entfallen, vergeben. Jedes Zertifikat steht für eine bestimmte Menge an CO2 die emittiert werden darf. Wird von einem Unternehmen der vorgegebene Wert an CO2-Emissionen, also die Summe der zugeteilten Zertifikate unterschritten, können die frei werdenden Zertifikate verkauft werden. Wird er überschritten, müssen welche hinzugekauft werden. Ziel dieser Emissionsrechte-Vergabe war, die im Kyoto-Protokoll festgelegte Reduzierung von Treibhausgasen zu erreichen.
Der so entstandene Emissionshandel an der deutschen Energiebörse in Leipzig, ursprünglich als Mechanismus zur möglichst kostengünstigen Vermeidung von CO2-Emissionen entwickelt, pervertierte schon kurz nach seinem Start mit einer verheerenden Wirkung auf den Strompreis und einer Schaffung von Zusatzgewinnen für die Stromerzeuger. Die vier großen EVU, die ca. zwei Drittel aller Emissionszertifikate besitzen, kalkulieren die Kosten der Emissionszertifikate, die ihnen ursprünglich kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, in den Strompreis mit ein. Der Strompreis wird also unnötig und rein spekulativ in die Höhe getrieben. Die EVU kommen so auf zusätzliche Gewinne, auch "Windfall Profits" genannt, von ca. 5 Mrd. Euro. Andere am Emissionshandel beteiligten Industrien müssen die Zeche sogar doppelt zahlen: Einmal den hohen Zertifikatspreis beim Zukauf von Emissionsrechten, und zum zweiten die in die Höhe getriebenen Strompreise.
Ein weiterer Stein des Anstoßes sind die Netznutzungsentgelte, die den größten Anteil am Strompreis haben. Vergleicht man die Netznutzungsentgelte innerhalb Deutschlands, so lassen sich hier Unterschiede von bis zu 100 Prozent (!) ausmachen. Ebenfalls ein Zustand, für den es bisher nicht gelungen ist, von den EVU eine plausible Antwort zu erhalten. Es besteht jedoch die Hoffnung, dass gerade bei diesem Problem die Bundesnetzagentur in der Lage sein wird, künftig für Fairness zu sorgen.
Was ist zu tun?
Klar ist, dass die Politik durch klare Maßnahmen die EVU zur wettbewerbspolitischen Ordnung rufen muss, um einen zukünftig funktionierenden Wettbewerb am Energiemarkt umzusetzen. Es ist auch Aufgabe der Industrie-Verbände, stetig auf die Auswirkungen dieser Entwicklungen hinzuweisen und zu versuchen die Interessen, insbesondere der mittelständischen Industrie, durchzusetzen.
Auch wenn weitere Preissteigerungen für die Beschaffung von Energie zu erwarten sind, können Unternehmen durch geschicktes Agieren und Verhandeln mit den jeweiligen Anbietern die Energiekosten reduzieren. Allerdings bedarf es hierzu detaillierter Kenntnisse der teilweise recht komplizierten Struktur des Energiemarktes und auch einer gewissen Risikobereitschaft. Ebenso Investitionen in innerbetriebliche Maßnahmen zur Energieeinsparung können gerade wegen der hohen Energiepreise und der daraus resultierenden relativ raschen Amortisation eine Überlegung wert sein.
Für all dies empfiehlt es sich aber, eine professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen. Sowohl für den Bereich Energiemarkt als auch für Investitionen zur Energieeinsparung gibt es eine Reihe guter und kompetenter Beratungsunternehmen. Die Mitglieder unseres Verbandes erhalten hiervon laufend Informationen und weiterführende Hinweise.
von Gerhard Sperling, Textilingenieur (FH), Leiter Referat Technik & Umwelt
aus
Haustex 08/06
(Wirtschaft)