Bodenbeläge auf der Domotex und auf der Bau 2007

Die Heuschrecken kommen

In der Bodenbelagsbranche zeichnet sich nach etlichen Jahren der Stagnation und Regression endlich eine Trendwende ab. 2006 war für viele Anbieter ein gutes Jahr. Speziell die Deutschen haben ganze Arbeit geleistet, sich klar positioniert und ernten die erste Früchte ihrer Anstrengungen. Zugleich erlebt die bislang sehr mittelständisch geprägte Industrie, was in anderen längst gang und gäbe ist: dass immer mehr Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften hineindrängen und immer größere Einheiten entstehen. Auch im Handel bündeln sich die Kräfte: im letzten Jahr hat es weitere Übernahmen, Fusionen und strategische Allianzen gegeben. In diesem stehen mit Sicherheit auf beiden Markstufen weitere Veränderungen an. Spannend wird beispielsweise, was mit Armstrong passiert. von Claudia Weidt

Alle zwei Jahre muss sich die Bodenbelagsbranche gleich zu Anfang einem Härtetest unterziehen: Dann findet nämlich neben der Domotex als weltweit größter Bodenbelagsmesse die Münchner "Bau" statt, die inzwischen zweifellos zur zweitwichtigsten Veranstaltung für Bodenbeläge auf deutschem Boden avanciert ist und Aussteller wie Besucher sind gezwungen, Zeit, Geld und Kraft zwischen den beiden Terminen aufzuteilen. Wir haben die ärgerliche Überschneidung der beiden Messen schon oft kritisiert und werden auch nicht müde, weiter auf diesen kundenunfreundlichen Missstand hinzuweisen. Wobei es sich in der Realität so einzupendeln scheint, dass sich die "klassische" Klientel wie Großhändler, große Fachhändler und Objekteure fast bis zum Schluss auf der Domotex tummelt und dann erst Mittwoch, Donnerstag und Freitag nach München reist.

Die Stimmung war auf beiden Veranstaltungen ausgesprochen positiv, auf der "Bau" sogar fast euphorisch. Die Kunden hätten mit dem Klagen aufgehört, seien optimistischer und würden auch wieder ordern, war unisono zu hören. Das gilt für den Handel und noch mehr für Architekten und Planer, die zum Teil in München auf die Stände kamen, um konkrete Projekte zu besprechen.

Für Statistiker: Die Domotex zählte in diesem Jahr 1.360 Aussteller, die 91.500 qm Nettofläche belegten und 44.000 Fachbesucher aus mehr als 100 Nationen. Ungebrochen ist der Trend zur Internationalität auf beiden Seiten: 80% der Teilnehmer kamen in diesem Jahr aus dem Ausland, der Anteil ausländischer Einkäufer stieg auf 60%. Die Besucher rekrutierten sich vorwiegend aus den Wirtschaftsbereichen Großhandel, Facheinzelhandel, Handwerk (Raumausstatter, Maler, Parkett- und Bodenleger). Zugenommen haben die Gruppen der Innenarchitekten, Objektausstatter, Einrichtungs- und Möbelhäuser sowie des Holzfachhandels. Architekten frequentieren zwar die Kongressveranstaltungen und Architektur-Preisverleihung, finden aber nach Aussteller-Aussagen häufig nicht den Weg zu den Ständen.

Die Bau ist zwar in absoluten Zahlen deutlich größer als die Domotex - 2.046 Aussteller aus 44 Ländern, 206.000 Besucher, das ist neuer Rekord -, aber das schließt natürlich alle Segmente ein. Und sie war wohl für ihre Verhältnisse so international wie nie zuvor, kann aber mit einem Auslandsanteil von knapp 17,5% bei den Besuchern nicht in der Internationalität mit der Domotex mithalten. Das Quantum der Architekten, Planer und Bauingenieure wird auf 18% beziffert.

Aus der Branche

Im letzten Jahr haben wir an dieser Stelle geschrieben, dass die großen Veränderungen 2006 nicht in der Industrie anstünden, sondern in den nachgelagerten Vertriebsstufen, vor allem dem Großhandel. Und genauso ist es passiert; in diesem Zusammenhang sei auf die Übernahmen von Rettberg und Dresing durch Steffel verwiesen, die Akquisition von Orth durch die Mega, dann die weitere konsequente Verdichtung des Niederlassungs-Netzes von Jordan durch Zukäufe und Neueröffnungen, die aktuell mit weiteren neuen Standorten fortgesetzt wird und die beispielhafte Fusion von Herzog und Hartmann & Schreiner zu Co Coon. Da ist auch künftig noch Musik drin.

In der Industrie war es dagegen verhältnismäßig ruhig. Aber: seit Herbst ist einiges am Schwelen, dass sich in diesem Jahr entscheiden könnte. Beispiel Freudenberg. Der Mischkonzern will sich von seiner Sparte Bausysteme trennen, die weltweit Markführer bei Kautschukbelägen ist und außerdem Schuhkomponenten herstellt. Als potenzielle Interessenten wurden Tarkett genannt - die haben inwischen aber wohl abgewinkt -, ferner Forbo und die britische Bonar-Gruppe, die ziemlich ernsthaft auf Freiersfüßen zu wandeln scheint, denn sie wurde in der letzten Zeit bei größeren Deals einige Male als möglicher Investor genannt. Momentan liegen die Verhandlungen allerdings auf Eis - zumindest offiziell - weil sich die Freudenberg-Belegschaft vom Management und seinen Devestitionsabsichten überrollt fühlte und mit einer Blockade des Werksgeländes in Weinheim ein vorläufiges Aussetzen der Verkaufsgespräche erzwang.

Spannend wird auch, was bei und mit Armstrong passiert. Seit dem vergangenen Jahr ist der US-Konzern vom Chapter 11 befreit. Sechs Jahre lang hatte sich das Unternehmen in dem amerikanischen Gläubigerschutz-Verfahren befunden, dann wurde der vierte Restrukturierungs-Plan vom zuständigen Gericht angenommen. Man kann davon ausgehen, dass auf oberster Ebene längst mit Kaufwilligen geredet wird - fragt sich nur, wie konkret.

Wer könnte überhaupt ein Investment dieser Größenordnung stemmen? Immerhin war Armstrong per 31. Dezember 2006 an die 3,7 Mrd. USD Umsatz schwer, bei einer Marktkapitalisierung von 2,1 Mrd. USD. Die Erlöse verteilten sich zu 33% bzw. 1,2 Mrd. USD auf elastische Beläge, 24% bzw. 900 Mio. USD auf Holzböden, 8% bzw. 300 Mio. USD auf textile und Sportbeläge - damit machen Bodenbeläge zusammen 2,4 Mrd. USD aus - sowie 30% bzw. 1,1 Mrd. USD auf Deckensysteme und 5% bzw. 200 Mio. USD auf Möbelteile. Bei den Erlösen also stellen Bodenbeläge den Löwenanteil, auf Ertragssseite sieht es anders aus: da sind die Deckensysteme eindeutig die Cash Cow.

Sicher haben die sich zur Zeit massiv in die Bodenbelagsbranche hineindrängenden Finanzinvestoren ihre Fühler ausgestreckt, genauso die großen Mitbewerber wie Mohawk, Shaw oder auch Tarkett, wobei die Interessenlagen unterschiedlich sein könnten. Für einen reinen Bodenbelagshersteller macht es beispielsweise kaum Sinn, die branchenfremden Sparten Deckensysteme und Möbelteile mit zu übernehmen. Ein rein auf die USA focussiertes Unternehmen wird sich nicht mit den schwierigen Europa-Aktivitäten belasten wollen. Also liegt die Vermutung nahe, dass Armstrong zerschlagen wird. Der Ausverkauf hat auch bereits begonnen: Mitte Januar wurde offiziell mitgeteilt, dass die in der Desseaux-Gruppe zusammengefasste Textildivision bis auf die Nadelfilzfertigung in Deutschland von der niederländischen Kapitalgesellschaft NPM Capital erworben worden seien. Die neuen Eigentümer liefen bereits in der Troika auf der Domotex herum und stellten sich anderen Teppichbodenherstellern als neue Mitbewerber vor.

Für weiteren Gesprächsstoff auf den Messen sorgte Tarkett. Dort war vor wenigen Monaten der frühere IVC-Geschäftsführer Jan Debrouwere als neuer Chef des Handelsbereichs Westeuropa angetreten. Das erfolgreiche IVC-Modell - schlank, straff, kleine Mannschaft, kein Overhead, kompaktes Sortiment - lässt sich aber nicht einfach 1:1 auf einen Weltkonzern wie Tarkett übertragen, der ganz anders strukturiert und organisiert ist. Schon auf der Domotex kursierten Gerüchte über Abwanderungsgedanken von Debrouwere, kurz danach war er weg. Müßig zu fragen, ob er das Handtuch geworfen hat oder man ihn mit der Aufgabe überfordert sah.

Und dann wurde in Hannover noch bekannt, dass in der Geschäftsführung Handel Deutschland ein Generationswechsel bevorsteht und Wolfgang Sosnowski, der diese Position lange besetzte, den Stab an einen Jüngeren übergeben wird. Während im Januar noch die Rede davon war, dass er den Übergang für einige Zeit begleiten werde, um seinen Nachfolger bei den Kunden und in den Markt einzuführen, meldeten die Buschtrommeln unmittelbar vor Drucklegung dieses Heftes, dass ihm gekündigt und er sofort freigestellt wurde. Kein geschickter Schachzug, wo in diesem Jahr die CV-Listung ansteht. Von Tarkett ist jetzt viel Fingerspitzengefühl gefordert, um das Vertrauen der Kunden nicht zu erschüttern, speziell das des Großhandels, der Kontinuität und verlässliche Kontakte schätzt.

Auch auf der Eigentümerseite hat sich bei Tarkett etwas verändert: Die Familie Deconinck hat sich zurückgezogen und Kasse gemacht. Stattdessen ist Finanzinvestor KKR eingestiegen. Die von Vorstandschef Marc Assa eingeleitete und bislang sehr erfolgreiche Strategie wird anscheinend zunächst beibehalten, die Zeichen stehen weiter auf Globalisierung, Konzentration auf die Kernkompetenzen und Ertragsverbesserung.

Während also auf der einen Seite immer mehr Kapitalgesellschaften in die Bodenbelagsbranche hineindrängen, macht sich auf der anderen die junge Generation bereit: Mit Gregory de Clerck bei Domo - gerade erst 27 Jahre alt -, Frederik Dejaeghere bei der gleichnamigen Gruppe oder Daniel Butz bei Object Carpet um nur einige zu nennen, treten immer mehr Söhne die Nachfolge ihrer Väter an. Oder ihrer Großväter, wenn man nach Geesthacht zur Norddeutschen Teppichfabrik blickt, wo Christoph Maaß schon vor einigen Jahren das Ruder von seinem Großvater Hubertus Rösel übernommen hat. Ende 2006 ist Rösel gestorben. Damit hat sich der wohl letzte Pionier der deutschen Teppichbodenindustrie verabschiedet.

Und noch jemanden vermisst die Branche: Günter Otto, jahrzehntelang als Vertreter für Firmen wie Dekowe und Wunderlich unterwegs. Viele Jahre lang brachte er mit seinen Anekdoten in BTH Heimtex die Leser zum Lächeln oder zum Nachdenken. Jetzt kann er aus persönlichen Gründen leider nicht mehr für die Redaktion aktiv sein.
aus BTH Heimtex 02/07 (Wirtschaft)