Tapeten auf der Heimtextil

"Dessins, Dessins ruft jede Wand"

Was sich im letzten Jahr bereits andeutete, hat sich in diesem Jahr mehr als bestätigt: Die Tapete entdeckt das Design wieder. Die aktuellen Kollektionen explodieren geradezu vor Kreativität. Die Tapetenhalle 5.1 war eine der dekorativsten auf der gesamten Heimtextil. In der hiesigen Tapetenlandschaft war es 2006 ruhig - keine Skandale, keine Geschichten...die spielten sich im Ausland ab, wo die Deutschen von den Zusammenbrüchen einiger großer Hersteller wie Essef in Frankreich oder CWV in Großbritannien profitierten. von Ulrich Baumert und Claudia Weidt

Ob Einrichtungs- oder Lifestyle-Magazine, ob TV- oder Film-Produktionen, ob Flagstores bekannter Marken oder Luxushotels und Gastronomie - die Tapete ist so präsent wie lange nicht mehr, sie ist auf dem Weg, zum Kultobjekt zu avancieren.

Der Haken: Die hohen Sympathiewerte wirken sich noch nicht adäquat auf den Verbrauch aus. Mit einem Absatzrückgang von -9,4 % (ohne Rauhfaser) hat sich die Talfahrt 2006 noch nicht in dem gewünschten Ausmaß verlangsamt. Die Umsatzeinbußen waren mit -3,8% deutlich geringer, was sich mit der steigenden Nachfrage nach hochwertigeren Produkten erklärt, besonders Vliesqualitäten, die weiter an Bedeutung gewonnen haben.

Dass in der Tapetenhalle 5.1 auf der Heimtextil trotz des unverändert flauen Binnen-Marktes Optimismus vorherrschte und gute Laune zu spüren war, liegt daran, dass sich die Lage der deutschen Anbieter in den letzten zwei Jahren etwas entspannt hat. "2006 war hierzulande unglaublich ruhig, keine Skandale, keine Geschichten, die Industrie war allerdings auch wenig mit dem Inland beschäftigt, mehr mit dem Ausland, wo auch die Musik spielt", sagte Christian Schmitz, geschäftsführender Gesellschafter des Dreigestirns Schmitz-Essener-Tescoha. Ullrich Eitel, geschäftsführender Gesellschafter der Marburger Tapetenfabrik sieht das ähnlich: "Der Markt ist immer noch überbesetzt, aber es gibt eine Entlastung durch die dramatischen Entwicklungen in Großbritannien und Frankreich, wo große heimische Anbieter durch Insolvenz vom Markt verschwunden sind (CWV in Großbritannien, Essef, Abelia und Novo aus den Niederlanden in Frankreich, Anm. d. Redaktion). Dadurch ist ein Vakuum entstanden, dass wir Deutschen füllen. Damit ist der Druck aus dem Kessel etwas raus." Er erwartet für die nächsten zwei Jahre "Stabilität in der deutschen Tapetenlandschaft".

Und natürlich boomt auch Osteuropa weiterhin. Vor allem wird hier zunehmend hochwertigere Ware nachgefragt und gerne welche aus dem Westen, das ist gut für die ausländischen Anbieter. Allerdings machen die sich allmählich Sorgen, das die osteuropäischen Hersteller qualitativ aufrüsten und dann ihrerseits den Weg in westeuropäische Märkte suchen. "Noch droht keine akute Gefahr, aber langfristig wachsen uns dort Wettbewerber heran", warnt einer.

Hierzulande ist eine Verschiebung bei den Distributionsstrukturen zu beobachten. Der Großhandel hat die Tapete wieder entdeckt und kräftig geordert, äußerten mehrere unserer Gesprächspartner.

Demgegenüber zeigten Discounter und Großflächen immer weniger Bereitschaft, Flächen für Tapeten bereit zu stellen, weil der Drehmoment im Vergleich zu anderen Sortimenten zu gering ist. Sie haben 2006 auch an Marktanteil verloren, sind Insider sicher. Home Depot, in USA und weltweit die Nr. 1 unter den Baumärkten, hat sich dem Vernehmen nach sogar komplett von Tapeten getrennt.

Große Investitionen der Hersteller

Die insgesamt positive Stimmungslage der deutschen Tapetenindustrie wird am ehesten durch Investitionen verdeutlicht, die so hoch sind wie seit Jahren nicht mehr.

Beispiele:
- Marburg baut am Standort Kirchhain ein neues Hochregallager mit rund 15.000 Paletten- sowie 10.000 Behälterplätzen, das im Frühsommer seiner Bestimmung übergeben soll. Erst zu Beginn dieses Jahres ist eine einzigartige Tapetenmaschine angelaufen. Es handelt sich um eine Kombinationanlage aus Siebdruck, Tiefdruck und Präge im Register.

- AS Création will 2007 eine neue Beschichtungsanlage für Flachvinyl-Produkte sowie die dazu gehörende Maschine zur Heißverformung in Betrieb nehmen. Ebenfalls fest eingeplant ist eine Kombianlage Tiefdruck/Siebdruck in doppelter Breite.

- Rasch hat für den Standort Bramsche eine neue Siebdruckmaschine angeschafft. Dazu entsteht in Polen ein kompletter Produktionsstandort, wo in Zukunft ausschließlich Papiertapeten hergestellt werden sollen. Durch die Senkung der Produktionskosten wird erhofft, dass das Basisprodukt wettbewerbsfähig bleibt.

- Erfurt & Sohn eröffnete im November ein neues Logistikzentrum. Das Wuppertaler Traditionsunternehmen investierte über 4 Mio. EUR in den Produktionsstandort Beyenburg.

"Endlich gehört Tapete wieder zum modernen Lifestyle"

"Dessins, Dessins, ruft jede Wand - Dekoration total", lautet die Momentaufnahme von Bernhard J. Holzapfel. Als genialer Designer ist der Rasch-Designchef der Zeit schon von Berufs wegen voraus, aber er gibt die gefühlte Temperatur der Branche sehr treffend wieder: "Endlich gehört die Tapete wieder zum modernen Lifestyle - wändefüllend".

Es kann gar nicht dekorativ genug sein: Die Muster müssen großformatig sein, großflächig, großrapportig, mutig, die Colorierung ist fast dramatisch mit dunklen Fonds in Schwarz oder Anthrazit - sehr trendig - andererseits subtil distinguiert mit Kaffee- und stumpfen Brauntönen, dazu Sand, Beige- Taupe und als Farbtupfer Weinrot, Türkis, Hellbau, Apfelgrün und - Rosa.

Weil alles üppiger und prägnanter wird, sind auch die Strukturen wieder ausgeprägter, die Reliefs werden markanter, die Schaumaufträge dicker. Leimdruck kommt wieder. Die Materialien sind schwer, häufig mit Vliesrücken. Das alles suggeriert Wertigkeit, die klar erkennbar sein muss. Häufig zu sehen sind Metallic-Akzente und Matt-Glanz-Kontraste, wobei die matten Partien betont trocken sind, bis hin zu velourigen und Alcantara-Optiken. Die Textiltapete kommt wieder - entweder im Original oder als Textileffekt.

Ein weiteres Thema ist Digitaldruck. Kritiker verweisen darauf, dass das, was landläufig als Digitaldruck bezeichnet wird, häufig nur Tonerdruck sei und die Technologie (noch) ihre Grenzen in Geschwindigkeit, Exaktheit und Träger sowie der Tiefe der Druckmotive habe. Für bestimmte Einsatzbereiche, etwa die neuen Kinderzimmer-Kollektionen, scheint das Verfahren aber ganz gut geeignet.

Frischer Wind für die Tapete - Junge Gestalter lassen hoffen

Im Kreativbereich hat sich eine junge Generation von Gestaltern aufgemacht, das Sujet Tapete für sich zu entdecken. "In aller Bescheidenheit können wir für uns in Anspruch nehmen, dass eine Ursache hierfür im Wettbewerb "New Walls, Please!" zu finden ist, den die AS Création Tapetenstiftung und der "Rat für Formgebung" ausgeschrieben hat", konstatiert Andrej Kupetz, Geschäftsführer des öffentlich-rechtliches Gremiums, das sich mit der Fortentwicklung von Design befasst.

Der internationale Nachwuchswettbewerb feiert in diesem Jahr Jubiläum. Bei der fünften Auflage setzten sich 128 Teilnehmer aus 15 europäischen Ländern mit dem Themen Tapete und Wandgestaltung auseinander; eingereicht wurden 227 Arbeiten. Die internationale Fachjury vergab insgesamt vier Preise mit einer Gesamtdotierung von 10.000 EUR. Darüber hinaus wurden in diesem Jahr erstmals zwei dotierte Praktika in den Ateliers von AS Création zur Verfügung gestellt. Die Preisverleihung fand im Rahmen der Heimtextil auf dem Messestand des Unternehmens statt.

Und noch einen zweiten Wettbewerb hatte A.S. ausgeschrieben: In Zusammenarbeit mit der HAWK Hildesheim waren Studenten der verschiedenen gestalterischen Fachrichtungen eingeladen, sich Gedanken zu machen über "Wellness und Gesundheit - neue Tapeten, die helfen, sich gesund und wohl zu fühlen." Die Jury setzte sich zusammen aus Prof. Axel Venn, der an der HAWK unterrichtet, A.S.-Designer Hans Christian Sanladerer, Herbert Schmitmeier von der Marketingagentur Intermarket, Frank Stein von der gleichnamigen Fachzeitschrift und BTH Heimtex-Chefredakteur Claudia Weidt.

Das Niveau der eingereichten Arbeiten war beeindruckend hoch; gerade weil die Nachwuchs-Designer zum Teil erst im 2. oder 3. Semester an der Hochschule studieren. Etliche hatten komplette, durchdachte Kollektionskonzepte entwickelt, einige Ideen würden sich 1:1 übernehmen lassen. Manche hatten sich gute Gedanken gemacht, aber das Thema verfehlt.

Am besten war der Entwurf von Inga Altemöller. Die Jury war sich unisono einig, dass ihre vollendete Arbeit den 1. Platz verdient hat. Auch bei den anderen Preisträgern herrschte weitgehend Einigkeit: den 2. Platz teilten sich Nina Brandt für ein ebenfalls sehr rundes Programm und Maren Kämper, die mit sehr kreativen Details und Ideen für die Präsentation glänzte. Reif und stringent präsentiert sich die Kollektion von Ina Lang, für die sie mit dem 3 Platz belohnt wurde. Darüber hinaus wurden zwei ursprünglich nicht vorgesehene Sonderpreise ausgelobt, mit denen Sina Hurnik und Iveta/Tüzün/Annemarie Wulf bedacht wurden.

Eigentlich sollte sich die Tapetenindustrie viel mehr Experimentelles leisten. Die Wettbewerber haben eindrucksvoll belegt, wie viel gestalterisches Potenzial noch in der Tapete steckt.
aus BTH Heimtex 02/07 (Wirtschaft)