Witex - "Bilanz nach 100 Tagen": Interview mit Dr. Börge Schümann

Einige "Baustellen" erforderten kurzfristige Problemlösungen

Dass es für Dr. Börge Schümann eine reizvolle Herausforderung wäre, sich bei der Witex International Flooring GmbH als Gesellschafter unternehmerisch zu engagieren, daraus macht der der Vorsitzende der Geschäftscführung keinen Hehl. Allerdings: Für ein Management Buy Out (MBO) muss der 47-Jährige die Firma dauerhaft auf Wachstumskurs halten. Welche Maßnahmen dazu nötig sind, erfuhr BTH Heimtex-Redakteur Ulrich Baumert in dem nachfolgenden Gespräch, an dem Marketingleiter Markus Schätzle ebenfalls teilnahm.

BTH Heimtex: Herr Dr. Schümann, wie stellte sich die Ausgangssituation dar, als Sie vor rund 100 Tagen bei der Witex International Flooring GmbH als Vorsitzender der Geschäftsführung antraten?

Dr. Börge Schümann: Bei meiner Ankunft stieß ich auf ein motiviertes Team mit einer positiven Grunderwartungshaltung. Einige Führungskräfte hatte ich schon vorher getroffen, damit das Eis bricht und wir uns besser einschätzen können.

BTH Heimtex: Durch Ihre früheren Funktionen bei Pfleiderer* und Rinol** hatten Sie zumindest in Teilbereichen Berührung mit dem Themenkomplex Fußboden.

Dr. Schümann: Das ist richtig, aber vor allem hatte ich den Vorteil, das Unternehmen Witex bereits zu kennen. Als die Pfleiderer AG beabsichtigte, das deutsche Handelsgeschäft um Laminatböden zu ergänzen, stießen wir zwangsläufig auf diesen Hersteller, da es sich um einen der Innovations- und Marketingführer handelte. Die Überlegungen gingen sogar in Richtung strategische Allianz, weshalb ich mich mit der Augustdorfer Firma sehr intensiv auseinandergesetzt habe.

BTH Heimtex: Sind Sie bei Witex bereits mit der Option angetreten, als Anteilseigner unternehmerisch tätig zu werden? Welchen Standpunkt nimmt der Insolvenzverwalter Wolfgang van Betteray in dieser Frage ein?

Dr. Schümann: Herr van Betteray, als zuständiger Insolvenzverwalter, hat sein Interesse an einem Bewerber bekundet, der den Status des Unternehmers bzw. den eines Gesellschafters anstrebt. Für mich stellt ein Management Buy Out eine reizvolle Herausforderung dar. 2009 soll das Projekt konkrete Formen annehmen. Gespräche mit Finanzgruppen finden bereits statt. Da Witex 2006 im profitablen Bereich der Marke stark gewachsen ist, wird das Unternehmen für Investoren wieder interessant. In diesem Jahr muss die Konstanz unter Beweis gestellt werden. Ein wesentlicher Beitrag dazu ist die Bereitschaft der Mitarbeiter, in den kommenden zwei Jahren stabile Personalkosten zu ermöglichen. Darüber hinaus fand eine Ausweitung der Arbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich statt.

BTH Heimtex: Ihr auf der Domotex demonstrierter Elan hat offensichtlich Bestand.

Dr. Schümann: Einen Praxisschock habe ich ganz sicher nicht bekommen. Jede Unternehmung hat bekanntlich ihre Baustellen - Witex auch. Einige Maßnahmen mussten kurzfristig umgesetzt werden, zum Beilspiel in den USA. Dort versuchen wir, den Marktauftritt zu splitten: in den Endverbraucherbereich, der über den Groß- und Einzelhandel bedient wird, und ins Objektgeschäft, das sich nur über Spezialisten erschließen lässt - und wir haben einen gefunden.

BTH Heimtex: Wie muss man sich den Vertrieb in den USA konkret vorstellen?

Dr. Schümann: Der Vertrieb unserer Produkte in Richtung Großhandel erfolgte bisher über den Dienstleister LET Industries, der die Distributoren über ein spezielles Netzwerk unmittelbar bedient. Um in diesem Segment gemeinsam zu wachsen, haben wir LET vorgeschlagen, zusammen mit Witex eine Firma zu gründen.

BTH Heimtex: Bisher dachten wir immer, dass die Interessen von Witex auf dem nordamerikanischen Markt von der dortigen Tochterfirma mit Roland Elbracht an der Spitze wahrgenommen wurden?

Dr. Schümann: Das war auch der Fall. Doch der eigentliche Vertrieb erfolgte über eine Zweitfirma, was in den USA keineswegs ungewöhnlich ist. Aufgrund der neuen Konstellation gibt es für das bisherige Tochterunternehmen keine weiteren operativen Aufgaben mehr; folglich endete die Zusammenarbeit mit Herrn Elbracht. Gemeinsam mit LET haben wir Witex USA Flooring Inc. gegründet, wobei die Majorität der Anteile bei den Amerikanern liegt. Die Markenrechte verbleiben selbstverständlich bei uns. Ein ähnliches Abkommen besteht mit dem Objektspezialisten Ecofinishes in Alexandria

BTH Heimtex: Sicher versprechen Sie sich von dieser Maßnahme auch, dass die Produktionskapazitäten in Augustdorf wieder stärker ausgelastet werden?

Dr. Schümann: Das von uns angestrebte organische Wachstum soll auf einer möglichst breiten Basis stattfinden und nicht nur von der positiven Entwicklung in den USA abhängen, auch wenn ich dort in Zukunft neben Deutschland den wichtigsten Einzelmarkt sehe. Der Umsatzanteil des USA-Geschäfts wird mittelfristig bei ca. 20% liegen. Mindestens das gleiche Niveau erwarten wir für die osteuropäischen Märkte und für Deutschland; der Rest verteilt sich auf Westeuropa. Witex ist ein europäischer Spieler mit einer Dependance in den USA. Dass wir in Europa auf dem richtigen Weg sind, verdeutlichte 2006 ein Mengenwachstum von über 20 %, und für dieses Jahr erwarten wir eine ähnliche Steigerung.

BTH Heimtex: Welche Produktionsmenge haben Sie sich für 2007 zum Ziel gesetzt?

Dr. Schümann: Für realistisch halte ich 12 bis 12,5 Mio. qm. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass noch im vergangenen Jahr erhebliche Mengen auf das so genannte Kollegengeschäft entfielen. Diesen Anteil werden wir höchstwahrscheinlich komplett durch Markenprodukte mit deutlich verbesserter Marge kompensieren.

Damit liegt der Markenanteil der in Deutschland vertriebenen Böden bei über 50 %; im Januar und Februar waren es sogar 60 %. Mit der Marke zu wachsen ist in mehrfacher Hinsicht erstrebenswert, zum Beispiel um sich strategisch in den Markt einzugraben. Ein etabliertes Label ist nicht so schnell austauschbar, zumal der Handwerker mit entscheidet, welches Produkt auf den Boden kommt. Witex steht vor allem für Sicherheit, und das ist für den Profi ein unschlagbares Argument.

BTH Heimtex: Bei all den zurückliegenden Turbulenzen war es für Witex nicht leicht, Innovationsanschluss zu halten.

Dr. Schümann: Das ist sicher richtig, aber wir sind längst wieder auf einem konkurrenzfähigen Niveau. Gerade auf den jüngsten Messen erhielten wir von unseren Kunden die Bestätigung, mit unseren Produkten wieder auf der Höhe der Zeit zu sein.

BTH Heimtex: Wodurch hebt sich Witex von Massenanbietern ab?

Dr. Schümann: Unter anderem dadurch, dass wir durch unsere hohe Flexibilität in der Lage sind, individuell auf Kundenwünsche einzugehen. Aktuelles Beispiel: Der VW-Konzern hat Witex für sämtliche Niederlassungen als Lieferanten gelistet. Dazu gehört auch ein Prestige-Objekt im süddeutschen Raum, wo so große Bodenbelagselemente gefordert sind, dass darauf ein Pkw Platz findet. Darüber hinaus gibt es wohl keinen anderen Hersteller, der einen vergleichbaren Liefer- und Coupon-Service bietet. Diese Dienstleistung wird mehr und mehr in Anspruch genommen. Für uns hat das den Vorzug, auch mit kleineren Fußbodenspezialisten unter den Großhändlern zu kooperieren, die nicht in der Lage sind, das komplette Sortiment einzulagern.

BTH Heimtex: Wird die Produktion von Laminatfußböden auch weiterhin das Kerngeschäft bei Witex bleiben?

Dr. Schümann: Aus heutiger Sicht bleibt Laminat Kerngeschäft, wobei wir natürlich nicht genau wissen, wie sich Ceraclic entwickelt. Der Boden ist aus meiner Sicht etwas verfrüht in den Markt gegeben worden, sodass einige Optimierungsmaßnahmen nötig sind. Im Moment liefern wir nur dann, wenn unsere Anwendungstechniker den Installationsprozess auf der Baustelle kontrollieren können. Die allgemeine Marktreife dürfte bereits in einigen Wochen gewährleistet sein. Dann wird es tatsächlich einen Boden geben, der von der Anmutung sehr nah am Echtstein ist und dennoch alle Vorteile der schwimmenden Verlegung aufweist. Ohne diese Konsequenz wäre Ceraclic immer ein exotischer Randartikel geblieben. In der verbesserten Form besitzt das Produkt erhebliches Vermarktungspotenzial.

BTH Heimtex: Bei Elastoclic pur gibt es diese konstruktiven Defizite nicht. Dennoch dürfte bei diesem Boden das Marketing im erheblichen Maße gefordert sein.

Markus Schätzle: Das ist richtig. Deshalb wird der einzigartige Bodenbelag Elastoclic pur jetzt als Funktionsboden für spezielle Anwendungsbereiche ausgelobt. Zum Beispiel haben wir einen "Kinderzimmerboden" kreiert mit allen wichtigen Argumenten wie leise, fußwarm, geruchsneutral, gesundheitlich unbedenklich etc. oder einen "Fitnessboden", der unter anderem dauerelastisch, Geräusch dämmend und Gelenk schonend ist.

BTH Heimtex: Wie die meisten anderen Hersteller muss Witex die Trägerplatten zukaufen. Ist es ein Handikap, nicht vollstufig zu produzieren?

Dr. Schümann: Das sehe ich nicht so. Vielmehr müssten Plattenhersteller mittelfristig daran interessiert sein, mit uns eine strategische Allianz einzugehen. Beim Laminatboden macht die Trägerplatte mehr als die Hälfte der Materialkosten aus. Von daher sind wir für einen Holzwerkstoff-Produzenten durchaus interessant, wenn wir unser Kontingent komplett an ihn binden würden.

BTH Heimtex: Wie Sie bereits auf der Domotex mitteilten, liegt eine neue Kundenzufriedenheitsanalyse von der Uni Bielefeld vor. Worin bestehen die wichtigsten Erkenntnisse?

Dr. Schümann: Die Erhebung fand Ende 2006 statt und es war für mich sehr hilfreich, bei meinem Eintritt in das Unternehmen davon Gebrauch machen zu können. Befragt wurden alle Kunden in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Die Rücklaufquote war mit knapp 37% durchaus repräsentativ. Was uns vor allem Mut macht: Rund 90 % der Befragten würden Witex weiter empfehlen. Dieser Wert liegt rund 20 % über dem Ergebnis, das vor zwei Jahren ermittelt wurde. Für mich ist dies ein klares Indiz, dass das Vertrauen zurückkommt. Natürlich gibt es auch kleine Dellen, die behoben werden müssen, zum Beispiel die telefonische Erreichbarkeit des Innendienstes. Doch bei so essenziellen Kriterien wie Produktqualität, Lieferservice, Fachkompetenz des Außendienstes oder Termintreue erhielten wir Spitzenwerte.

BTH Heimtex: Welches Umsatzvolumen streben Sie in diesem Jahr an?

Dr. Schümann: Rund 100 Mio. EUR, was allerdings die Zuwachsraten von 2006 erfordert. In drei bis fünf Jahren sind 150 bis 160 Mio. EUR möglich. Was es auf keinen Fall geben wird: Schnell Menge machen und über billige Preise unsere Marke entwerten.


* Holzwerkstoffe
** Industrie-Beton-Fussböden und Bodenbeschichtungen
aus BTH Heimtex 04/07 (Wirtschaft)